„hast du das große
schweigen erlebt,
hast du gewagt, das
unbekannte aufzusuchen,
unbekannte wege
begangen,
die weißen flecke der
karte gekreuzt,
hast du entbehrt,
gedürstet, gesiegt,
bist du aufgegangen in der
größe des alls?
hast du gott in seiner
unendlichen größe gesehen,
den text gehört, den die
natur dir predigt?
dann lausche auf die
weite, sie ruft dich zurück!“
fridtjof
nansen
“auf schneeschuhen durch
grönland”, 1948
Hier gibt es eine Karte mit der Route der Fahrt auf Basis der genauen Koordinaten der Kohtenplätze.
prolog
dienstag, der 6. 7.
1999
unendlich erscheint die
weite norwegens dem stillen betrachter zu sein. seit stunden schon zieht das
land hinter dem getönten zugfenster vorbei. wir sind müde, finden keinen schlaf.
die große lapplandfahrt neigt sich ihrem ende entgegen. wir sind auf der
rückreise nach drei wochen in der einsamkeit der berge und hochtäler des
padjelantaleden. mittlerweile überqueren wir das dovrefjell zwischen oppdal und
dombås. die ähnlichkeit der landschaft hier zu dem von uns gerade auf fahrt
erlebten läßt uns wieder wacher werden. wir ziehen resümé, spinnen ideen für die
zukunft. daß wir auch demnächst wieder in den norden ziehen wollen, steht
bereits seit beginn der rückfahrt in fauske am tag zuvor fest und plötzlich,
mehr im scherz dahin gesagt als ernst gemeint, ist auch das ziel der nächsten
großen unternehmung in aller munde: grönland. “fahren wir doch einfach beim
nächsten mal nach grönland!”, so heißt es plötzlich in der fahrtengruppe. für
eine kurze zeit wird die idee dann zum spaß weitergesponnen, ausgebaut. aber
schon kurz darauf stellt jemand aus der mannschaft die frage, ob wir diese
unternehmung nicht wirklich in angriff nehmen sollten. und seit dieser
überquerung des dovrefjells auf der heimreise von lappland befinden wir uns nun
tatsächlich in der vorbereitung zur nächsten, zur grönlandgroßfahrt. wir, das
sind am ende gulo, glis, sammler und ich, ramses, aus denen sich die gruppe der
grönlandfahrer zusammensetzt und damit auch die keimzelle der neuen
fahrtenschaft polaris, die, zunächst noch teil unseres alten pfadfinderstammes
romero aus königswinter in der deutschen pfadfinderschaft sankt georg, nach
grönland mit weiteren mitgliedern jedoch unabhängig und eigenständig
wird.
freitag, der 6. 7.
2001
türkische großfamilien,
ägyptische pässe, voll bepackte menschen in langen schlangen vor den schaltern.
die eingänge zur großen halle lassen immer mehr personen ins innere eintreten.
drinnen ist es laut und heiß, die luft stickig und verbraucht. schweiß rinnt in
strömen und durchfeuchtet frische kleidung. ab und zu unterbrechen
lautsprecheransagen die szenerie, mütter stillen babies, väter warten
beharrlich, tragen koffer und allerlei kartons und tüten. wir sind von diesem
unerwartetet auftauchenden menschenmassen in terminal e des düsseldorfer
flughafens zunächst wie erschlagen, benötigen ein wenig zeit, um uns zu
orientieren. während pati sich um unsere sechs monate alte tochter marie
kümmert, die die klimatischen bedingungen sicherlich am wenigsten verkraften
kann, suchen die männer der fahrtenschaft polaris das richtige terminal zum
einchecken.
das neue terminal e ist im
wahrsten sinne des wortes ein “billiges” terminal. fast food unter den
abfertigungshallen des neu gestalteten und umgebauten flughafens. und damit
liegt es eigentlich auch wieder richtig, wird es doch fast ausschließlich
genutzt vom “lufttransportunternehmen”, eben der ltu, mit dem auch wir zunächst
aufbrechen werden. und da ltu der typische ferienflieger für gestreßte deutsche
normalbürger in den süden ist, ist die abflughalle auch voll mit sonnenanbetern,
die gar nicht darauf warten können, daß sie unter der sengenden sonne spaniens
oder marokkos dem hautkrebs ein stück weit näher kommen. unser ziel, zunächst
keflavik auf island zu erreichen, um dann weiter nach kulusuk in ostgrönland zu
kommen, ist da schon ein ganz anderes. wenige andere islandfahrer. eine hand
voll. während diese das treiben der südlandtouristen ein wenig belächeln,
überkommt uns, doch man muß es zugestehen, auch ein wenig herablassung gegenüber
den besuchern dieser rauhen insel im nordatlantik.
sammler schreibt zu dieser
situation in seinem logbuch:
neben den vielen karibik-
und mallorcaurlaubern mit ihren hawaiihemden und spartanisch gepackten koffern,
kommen wir uns wie sherpas vor. ein gefühl, welches uns die nächsten drei wochen
ständig verfolgen wird. wir haben jeder zwei rucksäcke, einen mit tagesgepäck
und den großen trekkingrucksack mit seinen fast 30 kg.
am schalter unserer
fluggesellschaft machen wir kurzfristig bekanntschaft mit einer wandergruppe,
sie wird mit uns nach island fliegen. dort möchte sie zwei wochen in
verschiedenen teilen des fjells herumwandern. die gruppe hat große stahlkisten,
seesäcke und rucksäcke dabei. für zwei wochen wandern ganz schön viel meine ich,
mit betracht auf unsere materialien. na ja, sind halt profis, denk ich mir mit
einem augenzwinkern.
doch vielleicht sollten
wir uns diesen beginnenden hochmut besser für das ende der fahrt aufsparen, als
direkt zu beginn bereits seine wirkung zu versprühen, ohne etwas geleistet zu
haben. und doch - so viel ist bereits passiert, so viele schwierigkeiten mußten
wir bereits im vorfeld ausräumen, da tut es einfach gut, sich heute der tatsache
zu freuen, daß unser ziel diesmal das eisige grönland ist. war lappland im jahr
1999 erarbeitet, grönland ist von uns hart erkämpft und das nicht ohne preis,
den wir und unser damaliger stamm zu zahlen hatten. sogar noch kurz vor der
abfahrt waren wir nicht sicher, ob es klappen würde. glis anruf, er habe sich
eine mittelohrentzündung eingefangen und müsse antibiotika schlucken, löste
schon unruhe bei uns aus. als ich dann zwei tage vor flug auch noch mit fieber
und grippalem infekt im bett lag, da wurde uns allen doch schon richtig mulmig.
aber sei´s drum, jetzt stehen wir ja hier, ein wenig lädiert zwar, aber trotzdem
abmarschbereit. der abschied von pati und marie ist traurig und kurz, ab jetzt
sind wir allein unterwegs.
hierzu
sammler:
endlich an bord. ich lege
mich in den sitz zurück, schaue durch das fenster und genieße den start in der
dämmerung. wie passend denke ich....denn wir wissen wirklich nicht, was uns
dämmert, dort drüben auf der weißen, großen insel. die lichter der
landebahnbegrenzung rauschen immer schneller am bullauge vorbei und schließlich
heben wir ab. wir werden in den sitz gepresst, die erde schwindet und alles wird
kleiner. nur ein riesiges lichtermeer erinnert noch an die zivilisation. wir
sind nun über den wolken. 10000 m höhe, 600 km/h, –53 °c außentemperatur. bis
jetzt sind wir der höchste und schnellste trupp auf fahrt aus unserem bisherigen
stamm.
die letzten tage sind wie
im traum vergangen. ich war einerseits voller vorfreude, andererseits voller
erwarten auf das unbekannte. es geht auf ein großes abenteuer, ständig denke ich
über alles nach. es dominieren dabei eher die positiven gedanken. ich stelle mir
kalbende gletscher vor, jagende inuitfamilien und in der sonne glitzerndes
packeis.
alle vorstellungen und
träume die schon seit kindesbeinen sehnsüchtig in mir stecken, scheinen jetzt in
erreichbarer nähe. ich freue mich, dunkle gedanken betreffend der fahrt habe ich
nicht. ich stelle mir zwar vor, was alles passieren kann, bin mir aber sicher,
dass uns nichts geschieht. auf unserer großfahrt nach lappland habe ich mir auf
der hälfte unserer strecke eine bänderdehnung am fuß geholt, das war unangenehm,
darauf muss ich diesmal aufpassen – auf einen sicheren
tritt.
es ist wichtig vor der
sache und vor sich selber einen gesunden respekt zu haben. dies erreicht man,
indem man sich geistig und körperlich auf die aktion vorbereitet. wie schon
erwähnt, die risiken sind bekannt und mit der richtigen vorbereitung und einiger
erfahrung weiß man, den anforderungen gewachsen zu sein. manchmal fällt es mir
aber schwer, mich in meinen vorbereitungen zu konzentrieren, zu oft schweifen
meine gedanken ab und ich werde so kribbelig, dass ich es kaum noch erwarten
kann auf fahrt zu gehen. aber jetzt ist es ja soweit.
dass ich auf fahrt bin
merke ich, als wir im flieger das essen serviert bekommen. ich fühle mich
irgendwie unwohl die kluft anzuhaben und gleichzeitig bedient zu werden.
eigentlich macht es mir nichts aus, wenn mich jemand bedient, aber auf einer
pfadfinderaktion...irgendwie wiederstrebt mir das. ich weiß nicht wie es den
anderen so geht, aber ich würde am liebsten irgendwo im gang einen kocher
aufstellen und unser essen selber zubereiten. hm, geht natürlich nicht. aber
bald ist es wieder soweit, wir sind voll auf fahrt, ganz auf uns gestellt und
damit frei...
die zeit vergeht und ehe
ich mich versehe, knackt es im lautsprecher – anflug auf kevlavik, dem flughafen
von reykjavik. es ist diesig, neblig, regnerisch, wolkenverhangen, windig und
alles was das wetter zu einem bezaubernden erlebnis macht. unser weiterflug nach
kulusuk ist erst in 10 stunden und wir müssen noch zu einem anderen flughafen,
der in reykjavik selber liegt. was machen wir in der zeit? vor allem bei so
einem karibikwetter!
nun bis jetzt sind wir
noch nicht aufgeweicht, denk ich mir und genieße den anflug. es baut sich eine
gespenstische stimmung auf – die regenschleier, das aufgewühlte meer, von dem
hin und wieder weiße schaumkronen zeugen, dann die schroffen felsen, welche die
insel zum atlantik hin abgrenzen. war da nicht gerade eine von diesen elfen, die
es hier auf island gibt, oder ein troll? wahrlich, die begrenzungsleuchten des
flughafens, der landebahn ähneln den erwartungsvollen augen eines hungrigen
riesen, dem schelmischen blick eines trolls. ich kriege eine gänsehaut und auch
wiederum ein wohliges gefühl, dass ich hier in der warmen maschine sitze – noch.
aber so habe ich mir island vorgestellt, windig, düster, regnerisch. in norwegen
haben wir auch oft so wetter, dann gibt es nur zwei dinge, entweder in der hütte
bleiben, es sich gemütlich machen oder raus aufs wasser und der natur die stirn
bieten.
island empfängt uns mit
strömendem regen und mächtigen windböen. schwarze schwere regenwolken ziehen
über das land. lange dauert es, bis wir wieder im vollen besitz des gesamten
gepäcks sind und endlich den keflaviker flughafen verlassen können. einige bange
minuten sind auch darunter, da wir schon fürchten müssen, daß nicht all unser
fahrtenmaterial von der fluggesellschaft mitgenommen worden ist. für uns wäre
das natürlich fatal, sind wir doch auf das zusammenspiel aller vier mitglieder
und ihres gepäcks auf dieser fahrt angewiesen. schon allein die kohte, unser
schwarzes feuerzelt, hätten wir mit nur drei blättern nicht mehr aufbauen
können.
samstag, der 7. 7.
2001
mit dem flughafenbus
werden wir warm und trocken nach reykjavik befördert. draußen peitscht auf der
eintönigen straße regen vorbei. ab und zu überholt unser busfahrer vereinzelte
pkw. dafür, daß es mitten in der nacht ist, ist es trotz der dunkel drohenden
wolkentürme noch sehr hell.
sammler:
ein schöne fahrt. durch
die dämmerung geht es vorbei an kleinen siedlungen, häfen und unbewohnten
buchten. ich kann mich nicht satt sehen – wie oft hab ich solche szenarien schon
erlebt und wie oft will ich sie noch sehen?! ich bin sowieso ein nachtmensch, ab
sieben uhr lebe ich auf. jetzt noch diese bilder von dem meer und von lichtern,
die von den verschiedensten existenzen zeugen, lichter voller geheimnisse und
einer magischen anziehungskraft...ich fühl mich wohl und wünschte, ich könnte
immer weiter so durch die nacht reisen. zwischendurch steigen leute ein und aus.
hier in island ist es wie in den anderen skandinavischen ländern auch: man fragt
sich wo diese neuen passagiere herkommen, wo die überhaupt wohnen und wenn sie
aussteigen denkt man, was will der hier, da ist doch
nichts.
das liegt natürlich daran,
dass es in der von felsen und hügeln erfüllten landschaft immer mal kleine
abbiegungen und wege gibt, welche zu einem haus, einem hof oder einem kleinen
ort führen – das ziel der passagiere. das liegt nun mal an dem vielen platz bzw.
der geringen anzahl von menschen, die infrastruktur wird daher allgemein etwas
auseinander gezogen. aber dennoch, ich finde es immer wieder urig, wenn
plötzlich irgendwo in der einsamkeit eine gestalt steht, die auf den bus wartet.
sind es ältere menschen, wird es besonders interessant. oft ist es mir, als
würde mit ihnen ein stück natur wandeln, so scheint sie diese geprägt zu haben.
die ganzen stürme, die vielen polarlichter, die nordische sonne und die gesunde
luft macht diese menschen zu einem
teil ihres landes.
in reykjavik werden wir am
nationalen inlandsflugplatz abgesetzt, von dem auch die flüge nach grönland
abgehen und sind sofort der kälte und dem schneidenden wind ausgesetzt.
glücklicherweise scheint der regen die stadt noch nicht erreicht zu haben, die
straßen sind trocken. sammler und ich kundschaften den weg zu den
abflugschaltern nach kulusuk aus und gelangen sehr schnell zu der erkenntnis,
daß es sich hier wohl um das falsche ende des flugplatzes handelt, da hier nur
ein leeres bürogebäude neben dem anderen steht. in der ferne können wir am
anderen ende etwas größere maschinen ausmachen. der direkte weg wäre über das
flughafengelände auch leicht zu bewältigen gewesen, wir müssen aber mitsamt
unserem gepäck um drei seiten der absperrung ca. 3 km herumlaufen. endlich dort,
stellt sich nach anfänglichem rätselraten, ob wir denn hier richtig sind, doch
heraus, daß wir den weg nicht umsonst zurückgelegt haben. da der flughafen, wie
in der mitte der nacht nicht anders zu erwarten, geschlossen ist, bleibt uns
nicht viel anderes, als uns in einer windgeschützten ecke niederzulassen.
während gulo über das material wacht, zieht der rest ins stadtinnere, um etwas
eß- und trinkbares ausfindig zu machen. mir ist während der gesamten zeit mehr
oder weniger kalt. blos nicht stehenbleiben und auskühlen. wie das halt so ist.
zwar ist reykjavik längst nicht bereit um 2, 3 oder 4 uhr nachts schlafen zu
gehen, jede menge junges gemüse läuft biertrinkend und gröhlend die straßen hoch
und runter, doch ein 24 h geöffneter supermarkt bleibt uns versagt. so laufen
wir an der hallgrimskirche mit dem denkmal von leif ericsson, dem europäischen
entdecker amerikas, ebenso vorbei wie am kleinen isländischen parlamentsgebäude
und auf der pracht- und ausgehstraße, dem laugavegur. mit etwa 150000 einwohnern
handelt es sich bei der isländischen hauptstadt um eine echte metropole des
hohen nordens. gut die hälfte der gesamten isländischen bevölkerung konzentriert
sich hier.
sammlers
eindrücke:
island scheint sowohl
amerikanisch, als auch von seinen norwegischen vorfahren geprägt zu sein. dies
fällt mir besonders im baustil auf. einerseits erinnern die häuser an andere
skandinavische länder, andererseits kommt es mir vor, als wäre ich in einer
nordamerikanischen stadt. schon jetzt weiß ich – island ist eine eigene fahrt
wert. die fahrzeuge hier bringen mich irgendwie zum schmunzeln. zunächst sind es
nur die üblichen schweren geländewagen und pick-ups, doch die werden immer
größer. bis es sich in einem monstertruck krönt, der plötzlich vor uns steht,
als wir um eine ecke biegen.
wir laufen quer durch die
stadt, gute zwei stunden sind wir unterwegs. nirgendwo hat ein geschäft, eine
tankstelle oder sonst irgendwas offen, von dem man meinen könnte, es horte etwas
zum essen, bzw. wo man in pfadfinderkluft rein gelassen wird. die pubs,
restaurants und discotheken sind natürlich offen und in der stadt herrscht ein
reges nachtleben.
wieder fällt mir der
gegensatz vom leben auf fahrt zum alltag auf. wäre ich nicht auf fahrt, hätte
ich bestimmt riesen lust, mich ins getümmel zu stürzen, schon allein auf grund
der skandinavischen schönheiten, die sich hier einem zeigen. aber jetzt bin ich
auf fahrt und da habe ich an so was überhaupt kein interesse, ich möchte nicht
mehr als ein beobachter sein. natürlich, pfadfinder ist man immer, ob man jetzt
seine kluft an hat oder nicht. aber auf fahrt sein, das
ist die krönung, die vollendung des ganzen und da möchte ich auch 100%
pfadfinder sein, ohne mit mir oder der gesellschaft irgendwelche kompromisse zu
schließen. ich würde es nicht als isolierung beschreiben, viel mehr als einen
rückzug in eine andere gesellschaft. ich meine eine gesellschaft, die sich noch
drüber freuen kann, wenn sie abends einen trockenen schlafplatz und ein kleines
süppchen hat, eine gruppe, die aufblüht wenn das licht des feuers anstatt das
des fernsehers aufleuchtet.
um doch nicht mit leeren
händen zurückzukommen, kaufen wir sehr teure pizza und limonade, eigentlich
nicht unbedingt unser stil auf fahrt. am flughafen werden wir auch schon hungrig
erwartet. danach machen wir es uns durch auspacken von schlafsack und isomatte
zum langlegen ein wenig gemütlicher. kalt bleibt es trotz angelegtem pullover
aber weiterhin. mir schwant schon böses, ist grönland doch eigentlich noch
kälter! sollten wir schon hier zu beginn der fahrt feststellen müssen, daß
unsere mühsam zusammengestellte ausrüstung den erfordernissen einer solchen
nordlandunternehmung nicht standhält? kurz nach dem ersten ausruhen müssen wir
unsere siebensachen auch schon wieder vor beginnendem regen in sicherheit
bringen. zum glück bietet ein überdachter ausgang ausreichend schutz.
sammler:
nach unserem köstlichen
mahl breiten wir unsere ponchos und isomatten aus, um etwas ruhe zu finden. von
schlafen kann dabei keine rede sein, jedenfalls nicht bei mir, dafür gibt es
andere spezialisten. oft genug zerrt es mich wieder hoch, meine lahmen glieder
zu bewegen, die gegend zu erkunden oder einfach über das meer in richtung
grönland zu stieren. was wird uns dort wohl erwarten?
es gehört zu den dingen am
leben auf fahrt, das ungewisse. was morgen passieren wird, weiß man erst, wenn
es vorbei ist. wie alltäglich ist es schon, dass man eine nacht im eingang eines
flughafens verbringt. je öfter man auf fahrt ist, desto mehr gewöhnt man sich
zwar an das ungewisse, ungewohnte, aber es ist immer wieder von neuem
spannend.
gegen 6 uhr in der früh
werden wir erlöst, der flughafen öffnet seine türen und wir finden den weg
zurück in die wärme, nicht ohne uns nun so langsam konkret um den gedanken zu
kümmern, bald tatsächlich in grönland zu sein. beim einchecken reißt die
schalterbeamtin bei jedem von uns auch noch die rückflugtickets mit aus und
meint, wenn wir zurück möchten, müßten wir nur unsere namen nennen, das würde
schon reichen. andere maßstäbe gelten hier wohl am anderen ende der welt! der
flug mit einer fokker 100 (propeller) ist kurz, mit uns fliegen jede menge
japaner, die später am flughafen in kulusuk zurückbleiben und fotografieren was
das zeug hält, um sagen zu können, sie waren schon einmal in grönland. verrückt!
der landeanflug ist kurz, als wir durch die wolkendecke stoßen, sehen wir das
meereis der dänemarkstraße: in unzählige kleine und große brocken unterteilt und
aufgebrochen, bedeckt es dicht an dicht, soweit das auge reicht, die gesamte
oberfläche der ruhigen see. einzelne eisberge schwimmen zwischen den schollen,
ab und an darauf sogar ein tiefblauer see schmelzwasser. landung auf dem
flugplatz von kulusuk: sandpiste. das ausborden geht sehr schnell. wir sind
überrascht, obwohl es nur 5 °c warm sein soll, laut unserem kapitän, empfinden
wir die luft als nicht unangenehm. außerdem ist sie unglaublich erfrischend. die
japaner knipsen wie verrückt das flugzeug, das flughafengebäude, sich
gegenseitig, uns. im kleinen flughafengebäude: einige souvenirshops, an der wand
ein eisbärenfell, aufgespannt und riesengroß.
sammler über den
flug:
die atmosphäre an bord
unseres vogels hat irgendetwas klassisches, es wirkt stilecht. unsere
stewardessen tragen bei der begrüßung an bord einen langen grauen mantel,
schwarze, lederhandschuhe und auf dem kopf ein türkises schiffchen. alles, auch
das interieur, wirkt etwas nostalgisch. ich komme mir vor wie in den 70ern. die
fokker ist eine propellermaschine, da sind die starts immer besonders betörend.
ich bin schon mal mit einer geflogen, dem kleinen bruder, der fokker 50. ich mag
es, wenn es anfängt zu rumoren, die propeller dröhnen und es überall wackelt. wenn wir in der luft sind, ist
es dann das gleichmäßige brummen der props, dem ich so gerne lausche, es wirkt
beruhigend.
ruhe ist jetzt genau das,
was wir gebrauchen können. schon die ganze zeit spinnen wir neue gerüchte über
unserem empfang in kulusuk. immerhin gibt es ja dort auch einen pfadfinderstamm.
nachher stehen die da herausgeputzt in der sonntagskluft und wir kommen an,
wirken total übermüdet und sehen aus wie die letzten heckenpenner. uns scheint
immerhin schon eine eskorte von inuits zu begleiten. unser erster kontakt mit
der fremden, neuen kultur, wir sind geehrt. denkste, es waren japaner. mann die
sehen aber auch zum verwechseln ähnlich, jedenfalls für uns mit unserem wissen
zu diesem zeitpunkt. nach der fahrt wären uns die unterschiede in kleidung und
verhalten gewiss aufgefallen.
da ist wieder der
landeanflug, der unsere augen nach draußen zieht. das erste treibeis ist zu
sehen, die ersten schnee bedeckten berge, hier pilot sein das wäre was. die
farben blau und weiß bieten uns dort unten ein reizendes spiel in den
verschiedensten formen. am bezaubernsten finde ich eisschollen, auf welchen sich
ein kleiner see gebildet hat. das wasser schimmert dann in einem so kostbaren
hellblau entgegen, man mag seine augen nicht mehr abwenden. diese farbe, ich
nenne sie mal eisblau, geht einem durch und durch, sie erfüllt den ganzen
körper, die seele – es tut einem richtig gut sie zu sehen. das letzte
mal, dass mir eine solcher anblick gewährt wurde,
war in lappland, sonst ist sie mir nirgendwo mehr erschienen. sie ist ein
produkt, das nur die natur hervorbringt. kein künstler vermag diese farbe
anzurühren. darüber kann man auch mal das miese wetter
vergessen.
aber lange bleibt mir der anblick nicht,
die maschine setzt zur landung an. wir steigen aus, ich bin beeindruckt und
bleibe erstmal stehen. der anblick ist überwältigend, die schroffen, wilden,
schneebedeckte berge, das meer mit seinen schollen und bergen und dazu diese
luft. noch nie in meinem leben habe ich eine solche angenehme luft eingeatmet,
nicht in ganz skandinavien (na gut die luft in norwegen ist besser, aber nur
weil es eben norwegische ist). diese besondere art der luft liegt vermutlich an
dem ganzen meereis hier.
ja, jetzt bist du in der
arktis, denke ich mir. das verrät mir nichtzuletzt auch das flughafenterminal.
es sieht aus wie eine forschungsstation in seiner wellblechhülle und die
landebahn hat auch noch etwas
pionierzeitiges an sich, sagen wir einfache piste dazu oder feldweg. so
weit zur umgebung, aber wo ist das begrüßungskommitee? ein junger inuitmann
bittet uns freundlich, ins flughafengebäude zu gehen, jetzt war es aber wirklich
unsere erste begegnung mit den inuits. ob unser kontakt mit diesen menschen auch
wirklich ein kontakt mit ihrer eigentlichen kultur wird, darüber haben wir uns
bis jetzt keine gedanken gemacht. wir haben immer an die inuits aus unseren
büchern gedacht, mit ihren traditionellen kleidern, die robben jagen gehen und
abends am feuer zusammen sitzen, geschichten aus vergangenen zeiten erzählen und
den trommeltanz üben. nein, die wirklichkeit ist anders...
wir hoffen hier, von
michael nielsen abgeholt zu werden, dem mitarbeiter des örtlichen touristenbüros
und leiter des kulusuk spejdertrop, der kulusuker pfadfinder, der uns hierhin
eingeladen hatte. in dem kleinen ankunftsraum auch nach minuten kein gesicht,
das nach uns sucht. wir schnappen uns die bereitliegenden rucksäcke. alles ist
da! zum glück! wir sind sehr erleichtert. vor dem gebäude erste eindrücke von
der umliegenden landschaft: sand, kies, wenig bewuchs, hohe spitze berge mit
viel schnee, auf dem meer eis und eisberge soweit das auge
reicht.
insgeheim hatte ich schon
damit gerechnet, daß von den insgesamt 40 mitgliedern der hiesigen
pfadfinderabteilung mindestens die hälfte zu unserer begrüßung erscheinen würde,
doch: nichts tut sich. teile unserer mitreisenden machen sich auf, mitsamt ihrem
gepäck in richtung kulusuk hotel zu gehen. wir entscheiden uns, es ihnen
nachzutun, nach kulusuk zu wandern und dort unser glück zu versuchen. da kommt
uns aus der ferne ein kleiner, hellblonder und braungebrannter steppke entgegen.
auf unserer höhe fragt er in perfektem englisch, ob wir die deutschen pfadfinder
seien, sein vater michael hätte ihn gebeten uns abzuholen und er wäre ein wenig
überrascht über unsere schnelligkeit, sei das flugzeug doch eben erst gelandet.
es handelt sich hierbei um rasmus, unserem führer nach kulusuk und der testet
direkt unsere steherqualitäten. müde, mit dem zusätzlichen handgepäckrucksack
notdürftig und rutschend irgendwo verstaut, die kamera in der hand, bleiben wir
nicht etwa auf der straße, das wäre ja zu einfach, sondern nehmen den für rasmus
bequemeren, weil kürzeren weg. es geht über hier typischen untergrund: steine,
sand, kies, feuchte stellen, in denen wir mit unseren lasten tief einsinken,
über bäche und um sumpfige stellen herum. permafrostboden: während die obersten
schichten in jedem sommer auftauen, ist der boden darunter noch gefroren, das
wasser kann so nicht abfließen und der untergrund wird zu einem schwer zu
begehenden terrain. nun, wir befinden uns halt in der niederen arktis, die
charakterisiert ist durch eine mittlere temperatur zwischen 5 und 10 °c im juli.
der wanderführer ostgrönlands gibt die mittlere temperatur hier im ammassalik -
distrikt im juli mit 7,4 °c an, die erreichte maximaltemperatur mit 22,9
°c. während der wanderung in den
ort gehe ich mit rasmus voraus und unterhalte mich mit ihm. rasmus´ familie hat
den weg aus dänemark hierhin gefunden und wenn man ihn, der 11 jahre alt ist, so
erzählen hört, scheinen sie hier oben in der einöde am ende der welt auch
glücklich und zufrieden. kurz bevor wir zum ersten mal einen blick auf kulusuk,
unserer basis für die nächsten drei wochen werfen können, kommen wir an einem
gräberfeld mit vielen dünnen, windschiefen weißen holzkreuzen vorbei. die gräber
sind klein, mit steinen bedeckt und manchmal findet man als schmuck ein paar
plastikblumen. wie wir später sehen, gibt es im ganzen ort verstreut zwischen
den häusern immer wieder kleinere und größere gräberfelder, manchmal auch nur
einzelne gräber. stumme zeugen einer grippeepidemie in den 60er jahren des
letzten jahrhunderts. mit fortschreitender wanderung hat sich auch das wetter
verschlechtert. aus dem bedeckten himmel gießt es recht heftig und ungeschützt
auf uns hernieder. da wir im flugzeug zwecks abwehr der erwarteten kälte mehrere
schichten übereinander gezogen hatten, werden wir nun ebenso von innen naß. doch
was soll´s so kurz vor dem ziel, da muß man durch. hinter einer hügelkuppe sehen
wir kulusuk zum ersten mal und sind begeistert: an einer mit eisbergen und
eisschollen bedeckten bucht gelegen, schmiegt sich der ort über mehrere hügel
und ein kleines tal an die hänge. die holzhäuser sind klein und bunt, rot, gelb,
blau gestrichen und stehen da wo gerade platz ist. dazwischen, angekettet, die
schlittenhunde, denen jetzt im arktischen sommer viel zu warm ist und müll,
weggeworfene alte gebrauchsgegenstände aller art. trotz allem fügt sich dies mit
in den malerischen gesamteindruck des ortes ein. kulusuk, zu deutsch
“flügelbeuge des vogels” ist das einfallstor nach ostgrönland. nur hier ist es
möglich, mit größeren flugzeugen auf dem 1950 errichteten flugplatz zu landen.
von 1959 bis 1991 befand sich hier auf dem 336 m hohen berg isikaja eine
amerikanische radarstation als vorposten gegen einen möglichen sowjetischen
angriff auf die usa. mittlerweile ist sie geschlossen und nicht mehr in betrieb.
seit den 60er jahren des vorigen jahrhunderts kommen während der sommermonate
tagestouristen aus island in das kleine dorf mit etwa 340 einwohnern. übrigens
übertrifft die zahl der hier lebenden schlittenhunde die der menschen bei
weitem. jede familie hat mindestens ein gespann der wolfsähnlichen grönländer
hunde, einer speziellen, robusten rasse, die es nur hier auf der größten insel
der welt gibt. wirklich sehenswert ist die 1924 gebaute, recht große holzkirche
des ortes, die von einer bei kulusuk havarierten schiffsmannschaft geschenkt
wurde. gewöhnungsbedürftig für uns mitteleuropäer ist das fast völlige fehlen
von autos auf den straßen des dorfes. nur ein paar wagen, abzählbar an einer
hand, pendeln zwischen dem flughafen und den einfachen unterkünften im ort.
verständlich ist dies, wenn man bedenkt, daß es in ganz grönland keinerlei
straßenverbindungen zwischen den einzelnen orten gibt. das hauptverkehrsmittel
ist hier im sommer das boot und danaben der hubschrauber, im winter der hunde-
oder motorschlitten. autos kann man hier schlichtweg nicht gebrauchen. besonders
fehl am platze in dieser wildnis wirkt der weiße vw golf der
flughafenverwaltung.
michaels haus ist frisch
blau gestrichen und liegt von uns aus gesehen fast direkt am ortseingang. er
begrüßt uns im regen und bittet rasmus, uns zu einem zur zeit leer stehenden
haus im ort zu bringen. hier können wir unsere feuchten klamotten ein wenig
ausbreiten und uns einrichten. unterwegs durch den ort betätigt sich rasmus
erneut als kundiger reiseleiter und zeigt uns einige der wichtigsten häuser im
dorf, so die große langgestreckte schule und den kni-laden. so einen kni-laden
(kalaallit niuerfiat / grønland handel) findet man in jeder noch so kleinen
grönländischen siedlung. es handelt sich dabei um verkaufsstellen der
staatlichen versorgungsgesellschaft, die die bewohner mit den notwendigen dingen
des täglichen lebens versorgen. in den kleinen siedlungen sind sie daneben auch
noch anlaufstellen für post, bank, die verwaltung und das transportwesen. eine
marktwirtschaft, in der unterschiedliche anbieter miteinander konkurrieren, wird
man deshalb in grönland nicht oder nur sehr selten
antreffen.
sammler über den kulusuker
kni-markt:
in diesem geschäft gibt es
alles mögliche zu kaufen, nicht nur nahrung, sondern auch gewehre, munition,
sonstigen jagdbedarf, bootzubehör und alles was die menschen zum leben in der
arktis benötigen. nur eins scheint das warensortiment nicht zu beinhalten,
insektenschutzmittel. normalerweise kaufen wir so etwas immer vor ort, doch
diesmal wird wohl nichts daraus – die folgen werden wir reichlichst zu spüren bekommen. der kni-markt erhält
seine waren durch ein versorgungsschiff, dass im sommer regelmäßig vorbei kommt.
im winter allerdings ist das meer zugefroren, ein durchkommen ist nicht möglich,
es kann dann schon mal zu versorgungsengpässen kommen. um die produktpalette des
marktes kennen zu lernen, muss man ihn nicht unbedingt besuchen. neben den wegen
im ort gibt es meist gräben, in denen sich nicht nur die hunde tummeln, sondern
auch der müll sammelt. in einer kuhle liegt sogar eine alter 35ps
außenborder.
das haus, in das wir
einziehen, ist ebenfalls blau gestrichen, allerdings ist hier die farbe alt und
schon abgeblättert. das haus hat michael für ein paar hundert dänische kronen
günstig gekauft und dann renoviert, um es in zukunft für pfadfinderische zwecke,
so sagt er, nutzen zu können. in seinem aufbau gleicht es deutschen
schrebergartenhäusern: hinter der eingangstür rechts ein kleiner vorratsraum,
links das trockenklo, geradeaus der etwa 3 x 3 meter große hauptraum. hier
stehen tisch, stühle, ein alter petroleumofen von einem boot zum heizen, ein
gasofen zum kochen mit anschluß an eine propangasflasche, wenige
küchenutensilien. dahinter noch der schlafraum mit vier schlafplätzen. das
war´s. alles einfachst und nicht unbedingt das richtige für leute die absolute
sauberkeit brauchen, um sich wohl zu fühlen. für uns jedoch ist es sicherlich
eine luxusunterkunft, uns geht es gut hier. nach dem einräumen geht´s zurück zu
michaels haus. zum einen möchten wir unsere gastgeschenke abgeben: ein buch über
das siebengebirge, unsere heimat und ein klufthemd, zum anderen sind wir
eingeladen zu kaffee und klönen. vorher machen wir noch einen abstecher zum kni
- laden, bevor dieser um 12 uhr am mittag schließt.
zwar ist das erste
versorgungsschiff dieses jahres aus dänemark gerade in tasiilaq, dem hauptort
ostgrönlands eingetroffen, die ware ist aber bislang noch nicht bis hier nach
kulusuk gekommen. und so bietet der laden nach dem langen winter, der eben erst
zu ende gegangen ist, nur noch wenige ausgesuchte dinge an. die schwierige
eissituation in der ostgrönland vorgelagerten dänemarkstraße ist verantwortlich
an den so späten lieferungen. auch in den sommermonaten ist die ostküste dicht
von packeis eingeschlossen, das mit zunehmender wärme nur wiederwillig einen weg
in die fjorde und zu den menschen freigibt. schuld ist der kalte
ostgrönlandstrom, der eisiges wasser vom norden, direkt vom pol, nach süden bis
um die grönländische südspitze herum transportiert. der einzige vorteil für die
grönländer liegt dabei in der tatsache, daß der strom neben dem vielen eis auch
unmengen an holz der sibirischen taiga mit sich trägt, das hier an den baum- und
damit eigentlich holzlosen küsten angeschwemmt wird und so die möglichkeit zum
bauen oder heizen bietet. eisfrei, bzw. für große schiffe passierbar, ist die
seeregion um kulusuk und den hauptort ammassalik lediglich in den monaten juli
bis oktober und das auch nur, wenn die schiffe besonders eisverstärkt sind. die
restliche zeit des jahres sind die kleinen häfen der siedlungen hier nicht zu
erreichen. verantwortlich ist der dicke packeisgürtel auch für die klimatischen
bedingungen der region, so z.b. für den nebel, der sich oft am nachmittag
bildet, wenn die temperaturen wieder fallen, und der nicht aufgelöst wird, bevor
die sonne am nächsten morgen wieder genug kraft hat. entlang der fjorde im
landesinneren liegen die temperaturen etwas höher als entlang der außenküste,
hier ist dementsprechend auch die vegetation wesentlich
üppiger.
wir kaufen für heute abend
und morgen früh etwas zu essen ein und dann geht´s zu michael. dieser und seine
frau begrüßen uns noch einmal, es gibt zunächst kaffee und wir tauschen uns ein
wenig über unsere pfadfinderarbeit aus. michael versucht gerade, eine neue
gruppe aufzubauen, beklagt jedoch die mangelnde disziplin der einheimischen
inuit, die zusagen und abmachungen nur dann einhielten, wenn ihnen nicht gerade
danach ist, fischen und jagen zu gehen. bis zum beginn der grönländischen
selbstverwaltung im jahr 1979 hat es von der dänischen kolonialverwaltung
organisiert, in vielen orten grönlands pfadfindergruppen und auch einen
nationalen verband den grønlands spejderkorps gegeben. seitdem sich die dänen
aber in die inneren angelegenheiten grönlands nicht mehr einmischen, so michael,
ist es zu einem niedergang im gesamten gesellschaftlichen leben des landes
gekommen und auch der pfadfinderbewegung. heute gibt es zwar noch offiziell
einen von wosm geführten verband im land, der aber anscheinend faktisch nur noch
auf dem papier existent ist. das hatten wir in der vorbereitung unserer fahrt
auch erfahren müssen. weder findet sich im internet auch nur eine spur von
pfadfinderischem leben in grönland, noch antwortete in der vorbereitung der
fahrt die offizielle adresse des grönländischen pfadfinderverbandes in der
hauptstadt nuuk auf eine unserer anfragen. erst in letzter zeit versuchen in
wenigen grönländischen siedlungen einzelpersonen, wie in kulusuk michael
nielsen, wieder tatsächlich arbeitende pfadfindergruppen vor ort aufzubauen.
organisatorisch sind diese aber nicht unbedingt auf den alten verband
ausgerichtet. die pfadfinder des kulusuk spejdertrop beispielsweise sind dem
dänischen ringverband kfum informal assoziiert.
wir klären die für unsere
wanderung noch offenen fragen ab und besprechen, was für ausrüstungsgegenstände
wir noch benötigen. michael warnt uns anhand der karte vor besonders tückischen
stellen mit treibsand auf unserem weg. außerdem, und das macht uns ein wenig
nachdenklich, meint er, daß wir keine ausrüstung für die kurze
gletscherüberquerung benötigen würden, die auf unserem weg liegt. sie sei die
ganze übrige strecke nur nutzloses gewicht. die überquerung sollte uns
eigentlich auch ohne ausrüstung gelingen. auch werden wir wohl auf dieser
strecke nicht begleitet oder geführt werden können, wie es eigentlich angedacht
war. wir alle sind gletscherunerfahren, haben das in der bisherigen vorbereitung
auch immer betont. nach einigem hin und her, überlegungen und dem austausch von
argumenten entscheiden wir uns dazu, den gletscher tatsächlich ohne führung und
spezielle ausrüstung selber in angriff zu nehmen. im anschluß bekommen wir von
michael noch unsere ausrüstungsergänzung mit: ein notfallpeilsender,
satellitengestützt, signalraketen und einen heptankocher samt brennstoff, da
michael zu wenig spiritus für unsere trangias hat. außerdem hat mette, michaels
frau und krankenschwester von kulusuk, ein brot gebacken und da es draußen
deutlich wärmer geworden ist und die sonne wieder mächtig scheint, setzen wir
uns zum kaffee vor das blaue haus. mettes backkünste sind hier auch notwendig,
da es im kni - laden erst wieder brot zu kaufen gibt, wenn der nachschub aus
tasiilaq den ort erreicht hat. eine eigene bäckerei hat kulusuk nicht.
michael berichtet über die
schwierigkeiten des tourismus vor ort. im anschluß daran bekommen wir von ihm
exklusiv eine führung durch die verschiedenen teile kulusuks. er erzählt dabei
von der späten europäischen entdeckung von ammassalik und der grönländischen
ostküste vor ca. 100 jahren durch die sog. frauenbootexpedition des dänen gustav
holm. während die klimatisch begünstigte süd- und die westküste grönlands schon
lange bekanntes siedlungsgebiet waren, erreichten die wenigen expeditionen, die
sich von dort aus auf den weg nach osten machten, lange zeit nicht ihr ziel. der
erste europäer, der in den kontakt mit inuit an der ostküste kam, war peder
olsen walløe, der 1752 den lindenows fjord erreichte, wo er berichte über ein
merkwürdiges volk hörte, das weiter im norden leben sollte. 1829 bahnte sich
w.a. graah einen weg durch das eis bis etwa 100 km südlich der heutigen
hauptstadt ostgrönlands, ammassalik. auch er hatte damals kontakt zu inuit und
berichtete von seiner reise, das sie sich im aussehen deutlich von dem der
westgrönländischen bevölkerung unterscheiden würden. 1884 endlich erreicht man
bei holm´s frauenbootexpedition die jahrhundertelang durch den massiven eisstrom
der dänemarkstraße abgeriegelte region, in der, in völliger isolation von der
außenwelt, eine kleine gruppe einheimischer als jäger und fänger lebte, deren
kultur und sprache sich stark von der anderer grönländischer inuits unterschied.
413 menschen zählte der inuitstamm damals. ihre vorfahren waren seit etwa 2000
v. chr. bis ca. 1200 n. chr. in mehreren wellen von westen entlang der
nördlichen oder südlichen küste grönlands kommend, in die region eingewandert.
ihre lebensweise ist bis heute deutlich traditioneller und ursprünglicher geprägt. durch schlechte
fangverhältnisse und anhaltende familienfehden lebten acht jahre später nur noch
294 inuit. um diese menschen vor dem untergang zu bewahren, gründete holm 10
jahre nach der entdeckung eine handels- und missionsstation: ammassalik in der
tasiilaqbucht, auch tasiilaq genannt. diese station entwickelte sich im laufe
des folgenden jahrhunderts zum verwaltungs- und versorgunszentrum für ganz
ostgrönland. mittlerweile leben an der gesamten riesigen, 3000 km langen
ostküste grönlands von kap farvel im süden bis hoch zum kronprinz christian land
im norden nur rund 3500 menschen in wenigen kleinen siedlungsgebieten, dabei
etwa 2900 im bereich des ammassalik distriks (davon etwa 1700 in der
ostgrönländischen hauptstadt selber), in dem auch wir uns jetzt befinden und der
rest in der weiter nördlich gelegenen siedlung ittoqqortoomiit am scoresbysund.
der übrige teil der küste ist wie das gesamte inland
menschenleer.
weiter geht´s durch den
ort. dabei erfahren wir wissenswertes über die grönländische selbstverwaltung,
wir besichtigen die schöne holzkirche, das feuerwehr- und gemeinschaftshaus,
michael zeigt uns die altenhäuser, erklärt uns schwierigkeiten der wasser- und
stromversorgung im ort usw. sehr informativ und interessant. schade nur, daß
sich die anderen, bis manchmal auf sammler, nicht aktiv am abwechselnd englisch
und deutsch geführten gespräch beteiligen.
sammler schreibt über
diesen rundgang:
das gemeinschaftshaus
bietet neben einem werkraum mit den verschiedensten werkzeugen und maschinen,
auch einen duschraum und waschmaschinen – gut zu wissen, denke ich mir. wenn wir
zurückkommen, werden wir so etwas sicherlich gerne in anspruch nehmen. ebenfalls
bekommen wir auch einen speziellen raum für die robbenjagd zu sehen. die robben
werden meist am strand ausgenommen, dann wird ihnen das fell abgezogen und hier
werden das fell und fleisch zum trocknen aufgehangen. es riecht nach tran und
fett, dieser geruch hat seine ganz eigene note, nicht unbedingt widerlich, aber
auch nicht gerade gut. er ist kräftig, sagen wir mal so. zu meiner enttäuschung
wird robbenfleisch hier nur als hundefutter benutzt, wir werden also kaum die
gelegenheit bekommen, es zu kosten.
ein „stark angeheiterter“
inuit sitzt vor der kirche und scheint sich über etwas zu beklagen. zunächst
sind wir etwas irritiert, aber michael beruhigt den alten mann und klärt die
situation: nicht wenige menschen
hier kommen mit ihrem leben in der westlich orientierten welt nicht zurecht.
perspektivlosigkeit und eine fehlende aufgabe im leben lassen die leute oft zu
alkohol greifen.
nach dem ortsrundgang sind
wir geschafft und lehnen eine einladung zum abendlichen beisammensein dankend
ab. der fehlende schlaf fordert von uns nun endlich seinen tribut. glis und gulo
kochen und wir alle packen die rucksäcke für die morgen beginnende wanderung
neu. das nimmt so viel zeit in anspruch, daß es mit dem wohlverdienten schlaf
erst äußerst spät etwas wird. zwischendurch gehe ich kurz vor die tür, um etwas
zu fotographieren. natürlich viel zu wenig, da bin ich mir sicher. eben beim
rundgang habe ich es nicht geschafft, da ich zu sehr im gespräch mit michael
involviert war. aber wir sind ja auch noch nach der wanderung ein paar tage hier
und vielleicht ergibt sich ja auch noch morgen früh eine
gelegenheit.
sonntag, der 8. 7.
2001
grau und matt ist die mich
umgebende bergwelt. vor mir streckt sich eine weite fjellfläche aus, die im
schatten der sie umgebenden spitzen und majestätisch die landschaft
beherrschenden bergriesen viel von der ausstrahlungskraft der farben bei tag
verloren hat. allein die spitze des 829 m hohen avalaatseq ist rotgolden von der
tief im nordwesten stehenden abendsonne eingefärbt. im hintergrund rauschend,
obwohl sicherlich gut 1 km entfernt, ein wilder, donnernder wasserfall, dessen
ausläufer wir am heutigen ende unserer ersten wanderetappe zu überqueren hatten.
der “talkessel”, eigentlich ist es ja gar keiner, ist angefüllt mit meerwasser:
der torsukattak, ein recht schmaler meeresarm erstreckt sich hier. die berge
sind nur im unteren, weniger steilen drittel ein wenig begrünt, hauptsächlich
mit heidekraut, flechten und moosen. büsche oder gar bäume sucht man hier
vergeblich. dafür gibt es aber umso mehr schneefelder, die die flanken der berge
und sättel zwischen ihnen bedecken. unsere kohte steht hier auf einer kleinen
anhöhe im mäßigen wind, der uns unliebsame plagegeister, mücken, vom leib hält
und paßt sich dem umgebenden landschaftsbild nahezu perfekt an. doch der reihe
nach.
frühmorgens, in unserer
hütte regiert noch der in sammler, glis und gulo personifizierte schlaf, nutze
ich die zeit, um im logbuch die ereignisse des gestrigen tages zu komplettieren.
diese extra-zeit muß ich mir auch nehmen, so vieles ist berichtenswert. draußen
schläft der ort noch, selbst die vielen schlittenhunde scheinen die bereits hoch
am himmel stehende sonne nicht wie sonst üblich durch ihr mehrstimmiges
gejaultes wolfsgeheul begrüßen zu wollen. die wege sind ausgestorben, keine
kinder auf den straßen zu sehen. auf dem hügel hinter dem haus ein paar schöne
fotos von kulusuk. nachdem auch die restliche mannschaft morpheus armen durch
meinen reizhusten entrissen werden kann, packen wir marschbereit und frühstücken
das brot, das mette gestern für uns frisch gebacken hat. es schmeckt köstlich.
um 9 uhr kommt uns rasmus besuchen. leider, so meldet er uns, könne man noch
nicht fahren, da das eis in der bucht von kulusuk zu dicht läge. um 12 uhr
sollen wir es erneut versuchen. je nach tide und windrichtung wird das eis auf
der kulusuk vorgelagerten meerenge tunu in die kleine hafenbucht gedrückt. ein
für die kleinen boote der inuits unüberwindliches hindernis. da heißt es warten,
aber zeit hat man hier im sommer ja genug.
wir nutzen den aufenthalt,
um bei strahlender sonne und stahlblauem himmel ein wenig die küste hinter
kulusuk entlang zu klettern. fantastische aussicht auf fantastische landschaft:
das meer, ruhig, glasklar und blaugrün ist bedeckt mit dicken, kleinen und
großen meereisschollen und stücken. diese glänzen strahlend hell im sonnenglast
und bieten einen guten kontrast zum dunklen land auf der gegenüberliegenden
seite der meerenge torsuut. wir fotographieren und können gar nicht mehr damit
aufhören, so begeistert sind wir von der szenerie. wie bedauernswert doch alle
freiwillig daheimgebliebenden der ehemaligen lapplandfahrer sind! zwei jahre
arbeit, kampf, bangen und hoffen zahlen sich nun mit einem schlag
aus.
sammler:
während gulo und glis bis
ans ende der bergzunge gehen, steigen ramses und ich seitlich aus und kehren in
den ort zurück, um noch ein paar fotos zu machen. wir kommen gelegen, gerade
spielen ein paar jugendliche auf der straße fussball, im hintergrund eisberge
und riesige schneebedeckte berge. ein spitzen motiv - solang sie es nicht
mitbekommen. mir gefällt es hier in kulusuk sehr gut, nicht nur aufgrund der
wunderbaren natur, sondern auch der kultur wegen. es gibt immer etwas neues zu
sehen, die menschen und ihr leben sind sehr interessant. natürlich ist es in der
kurzen zeit, die wir erst hier sind unmöglich, ein bild zu bekommen, aber das
macht die sache ja so reizend, das entdecken, das beobachten. die zeit
verstreicht, wir schießen fotos, spielen etwas mit den welpen die uns besuchen
kommen...
gegen 12 uhr packen wir
sämtliches gepäck ein und gehen hinunter zum hafen. hier wartet auch schon die
komplette familie nielsen auf ihren papa, der mit dem kleinen boot, weit
draussen im eis versucht, einen weg hinein zu uns zu finden. zeit genug bietet
diese rangiererei zwischen schollen und eisbergen, um uns noch einmal umzusehen.
mette erzählt uns von den eisbären, die sie im letzten winter im ort hatten und
vor denen man sich höllisch in acht nehmen muß. jetzt im sommer ist die gefahr,
hier auf eisbären zu treffen äußerst gering. die wappentiere grönlands
bevorzugen auf ihren langen wanderungen den robben zu folgen. die robben sind
jetzt auf dem eis der dänemarkstraße in offenen gewässern und nicht in den
fjorden und schären der küstengebiete zu finden, in denen wir wandern werden.
auf die mitnahme eines gewehres zum selbstschutz, wie in vielen gebieten
besonders ostgrönlands sonst notwendig, können wir demnach getrost verzichten.
zwei inuit nehmen unweit des kais eine robbe aus. die beiden männer arbeiten
schnell. uns wundert zunächst, daß kein blut fließt, bis wir den blick vom kai
auf den meeresboden senken: 5-6 tote robben liegen hier angetäut in ihrem
natürlichen gefrierschrank. eine von ihnen scheint uns mit leerem toten blick
anzusehen. brauchen die inuit eine robbe, z.b., um mit dem fleisch die hunde zu
füttern, bedienen sie sich bequem bei ihrer natürlichen
tiefkühlkost.
sammler ist
begeistert:
etwas anderes zieht auch
unser interesse auf sich. zwischen den felsbrocken am strand wird gerade eine
robbe ausgenommen und auch sofort von ihrem jäger gekostet. das ist eine szene
wie ich sie mir aus dem alltag einer inuit-familie vorstelle und sie schon seit
langer zeit mit mir rumtrage. das muss photographiert werden; wie so vieles
hier. dieses jahr hab ich 14 filme dabei und ramses hat versprochen, mit
freundlichen bedacht auf meine photoverrücktheit, mir gegebenenfalls noch was
von seinen abzudrücken.
die robben waren und sind
die grundlage der fänger- und jägergesellschaft der inuit. ohne robben keine
nahrung, keine kleidung, keine wärme oder unterkunft. das fleisch ist nahrhaft,
vitaminreich, das fett spendete früher in tranlampen licht in den langen
wintermonaten oder wurde zusammen mit den knochen an die hunde verfüttert. aus
den fellen stellten die inuit jacken, hosen und handschuhe her oder aber auch
zelte, hausdächer und die polster der sitzbänke. die zeit der absoluten
abhängigkeit von der robbe ist noch gar nicht so lange vorbei, vielleicht gerade
einmal gute 50 jahre. heute ist man zwar nicht mehr so elementar wie noch früher
auf die jagd angewiesen, allerdings wird diese tradition noch bewahrt und nicht
selten stellt die robbenjagd neben dem fischfang in der strukturschwachen region
die einzige mögliche einnahmequelle für die familien dar. anders als die in den
70er und 80er jahren des vorigen jahrhunderts zu recht kritisierte, massenhafte
industrielle abschlachterei von robben und besonders deren jungtieren in kanada,
jagen die inuit aus grönland grundsätzlich nur so viele tiere, wie sie für den
eigenen lebensunterhalt benötigen. dabei handelt es sich immer nur um
ausgewachsene robben. das ökologische gleichgewicht wurde hier, anders als in
kanada, nie gestört. umso ungerechter ist für die inuit deshalb die tatsache,
daß die undifferenzierte sicht auf die jagd in europa in der folge zu einem
starken verfall der robbenfellpreise auf dem weltmarkt geführt hat und damit zu
einem enormen verlust für die auf diese einnahmequelle angewiesenen familien. um
die heute noch etwa 2500 professionellen jäger in grönland nicht zu
sozialhilfeempfängern werden zu lassen, subventioniert der staat den fellverkauf
an die gerberei great greenland in qaqortoq. die jäger sollen so in ihren
traditionellen berufen ihre würde und identität behalten
dürfen.
michael ist endlich
durch´s eis durch und wir können los. eigentlich ist das boot mit überdachter
kabine und außenborder viel zu klein für uns neun und das gepäck, doch irgendwie
schaffen es alle, einen guten platz zu ergattern. um aus dem hafen und der
kleinen bucht von kulusuk herauszukommen, müssen wir umwege in kauf nehmen und
die dicht an dicht treibenden eisschollen umkurven. rasmus sitzt auf dem dach
der kabine und schiebt die eine oder andere scholle ein wenig zur seite.
trotzdem kollidieren wir manchmal. draußen, außerhalb der bucht, geht es aber
besser, die freien wasserflächen werden größer und wir können an geschwindigkeit
zunehmen. während michael sich um das steuer kümmert und mette mit den kindern
beschäftigt ist, haben wir zeit, uns in ruhe die landschaft anzusehen. zunächst
fahren wir auf dem tunu in richtung norden, dann auf dem ammassalik fjord nach
nordosten. das wasser ist klar und eiskalt. sollte das boot aus irgendwelchen
gründen kentern und untergehen, würden wir recht bald an unterkühlung sterben.
immer wieder kreuzen uns eisschollen und kleine eisbruchstücke, die von wasser,
wind und sonne geformt, zu bizarren gebilden von teils hoher fragilität erstarrt
sind. die inseln, bzw. das festland, an dem wir vorbei fahren, bestehen aus
hohen, spitzen, teils scharfzackigen felsen, die in aufragende bergspitzen
übergehen. auch hier überall ist nur wenig vegetation zu sehen. hochalpines
fjell eben, direkt auf meereshöhe. auf der mitte der fahrt packt mette für uns
alle brot und saft aus. jeder von uns darf sich zwischen schinken oder
leberwurst entscheiden und bekommt sein brot geschmiert. casper und line (in
pfadfinderkluft!) spielen mit glis, ab und an werden auch wir anderen
einbezogen. ich mache ein paar fotographien vom meer. da die sonne kräftig
scheint, ist es auch nicht allzu kalt. die dunklen jujas sind in diesem fall
gold wert, heizen sie sich doch schnell auf. nur wenn der fahrtwind und der
tatsächliche wind zusammen aus einer richtung wehen, wird es recht frisch. unser
ziel kuummiit sehen wir schon von weitem vor uns liegen, doch die strecke zieht
sich noch ordentlich. michael navigiert uns per gps - peilung. ab und an fällt
der motor plötzlich aus. michael füllt dann aus vorratskanistern benzin oder öl
nach und es geht weiter. für kurze zeit weht uns spritgeruch um die nase.
unser „seemann“ sammler
schreibt:
michael hat sich das boot
von einem bekannten geliehen, es ist ein ca. 5m langes hardtop-boot mit einem
50ps außenborder. der kahn ist voll bepackt, wir vier, die familie nielsen
unsere dicken rucksäcke und drei kanister sprit. langsam fahren wir aus der
dicht mit treibeis bedeckten bucht raus, es ist ein einziges slalomfahren.
rasmus sitzt vorne auf dem bug des schiffes und gibt seinem vater am steuer
informationen und hinweise, wie er die eisschollen umfahren soll. wenn meine
familie und ich in den schären norwegens kreuzen, sitze ich auch immer vorne und
gebe weisungen über untiefen. am liebsten hätte ich mich mit nach vorne gesetzt.
die aufgabe ist nicht nur wichtig, sie macht auch riesen spaß. als wir aus der
bucht heraus sind und rasmus wieder nach hinten kommt, gibt michael etwas mehr
gas. durch die schwere last, ich denke mal die maximalzulast haben wir bei
weitem überschritten, hat der motor ganz schön zu schnaufen, wir müssen öfters
halten um nachzutanken. das kommt uns nicht ungelegen, denn die fahrt mit dem
boot ist bezaubernd. für manche aus der gruppe ist es die erste, was sie jedoch
nicht dabei stört einzuschlafen – nicht wahr glis ?!
das wetter ist
wunderschön, die frische luft belebt den kreislauf und die aussicht ist eine
augenweide. in der ferne sieht man die packeisgrenze, wir fahren an großen
eisbergen und schollen vorbei und passieren die großen, schroffen berghänge
ostgrönlands. ramses und ich grinsen uns ein paar mal an - grönland
endlich.
ein prima bootsrevier
denke ich mir. zwischendurch machen wir eine brotzeit auf dem meer, das gefällt
nicht nur unserem nimmersatten gulo. der jüngste nielsen, kasper ist ein
richtiger eisberg-fan, bei jedem dieser großen, weißen kolosse ist er ganz aus
dem häuschen. nach rund zwei stunden nähern wir uns kuummiit.
kuummiit, das kleiner als
kulusuk ist, erreichen wir bei bestem wetter. kuummiit bedeutet zu deutsch
“anwohner des flusses”. die meisten grönländischen ortsbezeichnungen sind sog.
sprechende namen, haben also eine bedeutung, die oft den entsprechenden ort
beschreibt. die bannermasten im ort sind beflaggt, eine dänische und mehrere
grönländische flaggen grüßen im wind. die landung an das ufer zwischen felsen
ist mit unserem gepäck recht schwierig zu bewerkstelligen. mit vereinten kräften
schaffen wir es dann doch. dann verabschieden wir uns von den nielsens, die uns
viel glück für unsere nun beginnende 14 - tägige wanderung wünschen und sich
dann auf in den ort machen, da sie hier noch etwas zu erledigen haben, bevor es
für sie wieder auf den rückweg nach kulusuk geht. wir zögern nicht allzu lange,
packen die rucksäcke auf und wandern durch den ort los. stockfisch trocknet an
gestellen in der sonne, kinder holen wasser und spielen. wir verlassen den
letzten platz menschlicher ansiedlung auf unserer wanderung so schnell es geht.
kurz hinter dem ende des ortes umgibt uns dann nur noch wildnis. der weg, den
wir uns ab jetzt selber zu suchen haben, führt zunächst auf halber hanghöhe am
torsukattak, der schmalen meerenge, in richtung nordosten. das ungewohnte gehen
im freien gelände, ohne jeglichen pfad oder spur, ist nicht gerade einfach.
dafür ist es hier recht grün. heidekraut und wacholder bedecken den boden. nach
ca. 3 km ab hafen machen wir gegen 16 uhr rast, um die mittagspause nachholen zu
können, die ersten rationen finden so ein leckeres ende.
auch sammler hat hierzu
etwas ins logbuch geschrieben:
recht früh kommt heute
unsere mittagspause, ja das erste mal nach langer zeit gibt es wieder unseren
guten alten babybrei. der neue kocher ist wirklich klasse, kaum ist der brenner
an, können wir den äußerst nahrhaften brei schon einrühren. das wetter ist wie
gehabt gut, die aussicht auf den torsukattak-fjord entspannend, so genießt es
sich, besonders nach den anfänglichen schwierigkeiten. gulo freut sich auch
sichtlich, endlich wieder essen. die rationen sind so aufgeteilt, dass ramses
und gulo, sowie glis und ich jeweils gemeinsam eine portion verzehren. ramses
ist unser smutje und macht seinen job sehr gut.
die pause bringt noch
etwas mit sich, ich finde einen wunderschönen stein. er sieht aus wie ein
eisberg, schimmert eisig grau und wirkt wie ein edelstein. das kommt dem sammler
recht, meine erste beute und es sollte noch mehr werden. in lappland hatte mein
rucksack, 27 kg, unterwegs habe ich 8 kg nahrung verbraucht und am ende wog er
32 kg, alles meine schätze. ramses weiß das und hat seine freude, als er sieht,
wie ich eifrig dran bin, meinen stein zu verstauen.
dann geht es weiter. reden
tun wir nicht viel. weder auf der wanderung selber, noch während der pausen.
vieles ergibt sich von selber, wird auch ohne worte von allen erfaßt,
verstanden. das uns umgebende land ist ebenfalls still. man hört einfach nichts.
es sei denn das geräusch eines wasserfalls. vogelstimmen sind sehr selten. kurz
vor unserem heutigen tagesziel haben wir schwierigkeiten mit einem etwas
größeren bach, der, nachdem er in einem tiefen, rauschenden wasserfall zu tal
gestürzt kommt, in mehreren armen mäandert. einige davon können wir
überspringen, andere jedoch sind breiter und tief, so daß wir auf und ab laufen
müssen, um einen geeigneten übergang zu finden. furten möchten wir heute abend
nicht mehr unbedingt. endlich gelingt es uns. um den mücken zu entgehen, die es
hier in schwärmen gibt und es alle auf uns abgesehen haben, steigen wir ein
wenig höher und suchen uns einen recht guten ebenen kohtenplatz. von hier aus
können wir sowohl das letzte stück der heutigen etappe, als auch das erste
morgige stück übersehen. nachteilig ist, daß wir es sehr weit zum wasserholen
und waschen haben. nach aufbau und einzug gibt es abendessen. dabei benutzen wir
zum ersten mal den von michael ausgeliehenen benzinkocher msr whisperlight 600
in kombination mit dem trangiagestell und sind begeistert. kaum 2 min brauchen
wir so, um 1 l wasser von temperaturen knapp über dem gefrierpunkt zum kochen zu
bringen. zur mückenabwehr unterhalten wir ein kleines rauchfeuer. mit dem
trockenen heidematerial geht dies sehr gut und endlich sind wir auch diese
plagegeister los. eigentlich wollten wir ja in kulusuk mückenmittel kaufen, doch
so etwas gab es da nicht und nun sitzen wir ganz ohne da. nach unseren
lapplanderfahrungen freuen wir uns auf diesen leidigen aspekt der fahrt nicht im
geringsten. leider reicht das brennmaterial nicht für ein größeres koch- oder
kohtenfeuer aus. nach dem essen ist schnell ruhe im zelt, alle sind doch recht
müde. bei aufziehender schleierbewölkung schauen wir einmal, was uns der morgige
tag so bringen mag.
tagesleistung: 6,5
km
koordinaten des
kohtenplatzes: 65°53´32´´n und 36°53´39´´w
temperatur (23 uhr): 8,8
°c.
montag, der 9. 7.
2001
über nacht hat das wetter
gewechselt. die bergriesen starren grau über die meerenge zu uns herüber, manche
spitze verschwindet im nebel. eigentlich haben wir länger geschlafen als gut
wäre für den beginn des zweiten wandertags, sagt man doch, daß dieser immer ein
besonders schwieriger sei. nach dem aufwachen wollen wir aus dem vorrat die
heute anstehende tagesration an essen auswählen. dabei zeigt sich jedoch, daß es
unterschiedliche vorstellungen über den weiteren verlauf des tages gibt. gulo,
glis und sammler möchten angesichts des schlechten wetters einen der
eingeplanten pausentage einlegen (bereits am ersten richtigen vollen wandertag),
ich will unbedingt weiter, nicht zuletzt, um strecke zu schaffen und so am ende
der wanderung nicht unter zeitdruck zu stehen. wer weiß, was uns hier in den
nächsten tagen noch so alles erwartet! außerdem argumentieren gulo und sammler
damit, daß sie gerne den schwerpunkt der fahrt nicht unbedingt auf die wanderung
legen möchten, sondern mehr auf ein kennenlernen der kultur und lebensweise der
inuit in den orten, da sie davon sehr fasziniert waren in kulusuk. ich bin ein
wenig sprachlos und auf so einen disput absolut unvorbereitet. jetzt wo wir die
wanderung begonnen haben, ist für diese art von diskussion nicht unbedingt der
richtige zeitpunkt, finde ich. es wird hin und her überlegt. zum glück kann ich
den karren noch rumreißen, indem ich der mannschaft in aussicht stelle, daß wir,
wenn wir ja auf die eingeplanten ausruh- und schlechtwettertage verzichten, vier
tage früher in tiniteqilaaq seien und so auch mehr zeit für ihre kulturellen
wünsche da wäre. diese lösung findet dann auch allgemeinen
zuspruch.
sammler sieht die
diskussion ein wenig anders:
die nacht vergeht recht
unruhig und bin froh, ein paar stunden zu schlafen. mein schlechter schlaf ist
auf meinen inneren konflikt zwischen dem willen zu wandern und der angst zu
wenig von der arktischen zivilisation mitzubekommen zurückzuführen. die anderen
schlafen noch und ich mache mir gedanken: wir haben so lange gekämpft, um hier
hinzukommen, geträumt und hart gearbeitet. jetzt müssen wir auch das beste draus
machen, es so gut wie möglich auskosten. natürlich liegt es auch in meinem
interesse, mal wieder die einsamkeit einer wunderbaren wildnis zu genießen, aber
dennoch, diese arktische kultur lässt mich nicht los. dieses kleine kulusuk ist
mehr mit der natur verbunden, als jeder ort den ich in meinem leben gesehen hab,
selbst im hohen norden skandinaviens ist mir so etwas nicht begegnet und dieser
menschenschlag auch nicht. vielleicht sind es auch meine alten kinderträume die
mir durch etliche bücher indoktriniert wurden...an diesem morgen ist es mir
nicht gelungen, mir meine empfindungen zu erklären, erst in kulusuk werde ich zu
einem ergebnis kommen. ich überlege mir, die route etwas abzukürzen, vielleicht
über eine gebirgskette oder ähnliches, mal schauen, die anderen müssen immerhin
auch einverstanden sein.
draußen hängt der nebel
tief, nichts mehr von guten wetter, die anderen wachen langsam auf.
das frühstück wird
bereitet und langsam eröffne ich meine überlegungen. eigentlich alle stimmen mir
im bezug auf die eindrücke von kulusuk zu, eine abkürzung wird es wohl nicht
geben, aber wir überlegen, uns mit der strecke zu beeilen und die zeit in der
tundra zu genießen. wir alle sind zufrieden mit dem entschluß, na ja wenn wir
nicht gerade wie die bekloppten hetzen und wirklich was von der gegend haben,
ist das wirklich eine gute entscheidung. doch vorerst wird es nichts mit dem
aufbrechen, der nebel bringt regen mit und wir bleiben noch was liegen. man
könnte ja eigentlich einen pausetag einlegen, na ja am ersten wandertag, das
kommt mir auch selbst etwas komisch vor. nur weil ich noch was schlaf haben
will, alter egoist.
es wird also doch ein
wandertag oder etwa doch nicht? das wetter hält sich leider nicht an unsere
vereinbarung: es beginnt zu regnen, erst schwach, dann stärker. alle planung
dahin. wir hatten fast schon fertig gepackt und müssen nun doch den schlafsack
wieder auspacken. es ist kalt. über das stetige prasseln der regentropfen auf
das kohtendach schlafen wir nochmals für ein paar stunden ein. irgendwann am
nachmittag ist der himmel dann zwar immer noch mit hohen schweren wolken
bedeckt, doch die spitzen der berge sind jetzt frei und der regen hat aufgehört.
also los. 16 uhr ist es bereits, als wir aufbrechen können. zunächst geht es
weiter in halber höhe an der meerenge torsukattak in richtung nordosten, später
nord, bzw. nordwesten entlang, um einen 867 m hohen namenlosen berg zu umrunden,
der uns den blick in das tal des tunup kuua versperrt. zunächst können wir gut
gehen auf felsigem untergrund. im meer treiben nahe der küste verloren einige
eisschollen und blau-grün gefärbte kleine eisberge. bei dem derzeitigen
schlechten wetter ein eher trostloser anblick. dann, aus richtung nordwesten
kommend, sehen wir einen blauen streifen am himmel aufziehen, der langsam auf
uns zukommen zu scheint. am zufluß des gletscherflusses tunup kuua mit durch
sediment getrübtem wasser in das meer, machen wir nach ca. 4 km unsere
“mittagsrast”. es ist 18 uhr. weiter geht es nun dem tal aufwärts folgend. das
gelände ist äußerst schwergängig. sumpfige und matschige flächen mit viel
abgelagertem sediment wechseln sich immer wieder ab mit kiesbänken oder flächen
mit lockeren steinen über steinen. außerdem müssen wir entlang des flusses, der
sich im weiteren verlauf in kaskaden zu tal stürzt, bergauf steigen. teilweise
artet das zu einer kletterpartie in weglosem gelände zwischen mannshohen
felsblöcken aus. das wetter ist jetzt vollständig aufgeklart, die luft ganz
frisch, so daß die umliegenden berge und gletscher in wunderschönem sanftem
licht der abendsonne erstrahlen. nach dem anstieg entlang der katarakte sind
wir, so scheint es, wieder fitter, vielleicht aufgrund der tatsache, daß es nun
nicht mehr allzuweit ist zu dem gletscher, der auf unserer karte das tal des
tunup kuua an seinem höchsten punkt abriegelt und uns so den freien durchgang
hinunter zum tasiilaq fjord versperrt. vielleicht auch, weil das gelände für den
nächsten kilometer recht einfach ist: ebenes, matschiges, nasses schwemmland.
schaut man jedoch in
unsere gesichter, merkt man, wie schwierig die letzten stunden für uns gewesen
sind. trotz aller humorvollen aufheiterungsversuche, wir sind ziemlich
geschafft. vorneweg führt gulo. teilweise hat er ein ziemliches tempo drauf.
nicht von ungefähr, denn mit seinen langen beinen macht er einen schritt, wo wir
fast zwei benötigen. dick eingepackt ist er mittlerweile, hat juja und schal
angezogen und die mütze tief in der stirn, direkt über den augenbrauen. um seine
hände vor der kälte zu schützen, die wir alle trotz der schweißtreibenden
anstrengung spüren, hat er sie in die ärmel der juja eingezogen. sein rucksack ist noch durch die
regenabdeckung geschützt. zum glück brauchen wir das im moment nicht mehr. 30
meter hinter ihm kommt glis langsam näher, das unsägliche palästinensertuch wie
ein arabischer scheich um den kopf geschlungen, um die ohren gegen die
mittelohrentzündung warm zu halten. zwischen ihm und gulo liegen noch ein paar
mit wasser angefüllte rinnen und pfützen, die zu übergehen sind, ein paar meter
bemoostes, matschiges sanderland und etliche darin verstreut herumliegende
felsblöcke. weitere 40 meter dahinter sammler, der wieder ein paar fotos
geschossen hat und nun die dadurch verlorene zeit aufholen muß. von meinem
standpunkt aus ist er in der weite der landschaft nicht größer als ein großer
felsbrocken und verschwindet darin fast. hinter ihm die langsam verschwindenden,
schneebedeckten, bis 955 meter direkt aus dem meer aufragenden gipfel der der
meerenge torsukattak vorgelagerten namenlosen insel. an ihr sind wir den
nachmittag über vorbeigewandert. rechts und links des talkessels, den wir
durchschreiten, hohe, steile wände, gletscher, die ihre flanken fast bis in den
talgrund heruntersenden, überall schnee- und geröllfelder, die zu queren
sind.
entlang von mit
eisschollen bedeckten seen geht es dann endlich zum namenlosen gletscher. die
meisten berge, flüsse, bäche, gletscher hier in grönland haben noch keinen
namen. will man einen punkt im gelände beschreiben, so gibt man für gewöhnlich
die höhe über nn aus der karte an. wir beschließen, daß “unser” gletscher ab
jetzt einen namen haben soll:
romero sermeq,
romero-gletscher soll er heißen, nach unserem alten stamm romero. der gletscher
liegt am höchsten punkt des tunup kuua, und kommt in das tal hinunter von den
bergen auf der östlichen seite zwischen den beiden punkten auf 1142 meter und
1060 meter höhe. die koordinaten des südl. endes des gletschers im tal selber
sind 65°58´39´´n und 36°59´52´´w. die koordinaten für das nördliche ende des
gletschers im tal das weiter hinunter zum tasiilaq fjordes führt sind
65°59´31´´n und 37°00´56´´w.
das letzte stück, bis wir
auf dem eis des romero sermeq stehen, ist wieder sehr schwierig über grobes,
loses gestein zu gehen. es ist kalt: 3,1 °c messe ich hier oben. wir sind ein
wenig unschlüssig, ob der rat von michael, auf die gletscherausrüstung zu
verzichten, sich für uns tatsächlich als hilfreich erweisen wird. ohne material
auf einen gletscher? ein wenig zaudern wir noch, müssen uns auch mut zusprechen,
dann geht es hinauf, es gibt keine alternative. zunächst an der flanke entlang.
das geht gut, liegt auf der eisoberfläche doch genug schutt verstreut, daß man
schnell fortschreiten kann. danach wird es allerdings deutlich schwieriger.
plötzlich stehe ich auf blankem eis, es zieht mir die schuhe weg und mitsamt dem
rucksack rutsche ich den gletscher auf dem hosenboden ein paar meter wieder
hinunter. ab jetzt sind wir vorsichtiger. nur noch langsam kommen wir voran,
ertasten mit dem kohtengestänge den weg und schlittern hinterher. es ist 12 uhr
nachts, wir stehen auf der mitte des gletschers. ab und an sind spalten zu
umgehen oder kleinere können überschritten werden. tückisch sind die stellen, an
denen schnee auf dem eis liegt. zum einen ist hier der halt beim gehen besser,
zum anderen kann der schnee auch ins bodenlose nachgeben. mit dem gestänge
sondieren wir weiter.
auch sammler ist von dem
tal und der gletscherüberquerung beeindruckt, wenn auch manchmal ein wenig
unernst:
das tal hier vor dem
gletscher ist wunderschön. die riesigen, schroffen berge lassen uns so winzig
und klein vorkommen. überall liegen vereinzelt in den bergen gletscher, diese
lassen einen die ausmaße der gebirge wenigstens etwas erahnen. einem der
gletscher habe ich einen namen gegeben, er soll wie mein hase „rüdiger“ heißen –
rüdiger sermeq.
es kommen immer mehr eis-
und schneefelder, ab und zu brechen wir ein. zu späterer wanderstunde ist dies
besonders kräfteraubend. steine, über denen das eis weggetaut ist, sind
besonders rutschig. ständig reißt es einen runter, ein paar blessuren trag auch
ich davon. im moment ist dies nicht so lustig aber im nachhinein schmunzel ich
doch – mensch jetzt hast du es aber echt knüppeldick
bekommen.
der gletscher kommt immer
näher – ein gletscher ohne namen. wie so vielen gletschern und bergen hier oben,
hat ihm noch keiner einen gegeben. wir sehen eine möglichkeit, uns hier in den
erfüllungen unserer nordland-sehnsüchte zu verewigen – romero sermeq, der romero
gletscher soll er ab jetzt heißen. doch erstmal rüberkommen. michael meinte, der
gletscher sei auch ohne ausrüstung und führung zu bezwingen, wir sollten nur am
angrenzenden berg vorbei gehen. es ist null uhr und drei grad als wir dort
ankommen, alle sind wir erschöpft, aber die umgebung lässt keinen lagerplatz zu
– wir müssen durch.
mit gewalt und ein paar
pausen zwingen wir uns durch das geröll hinauf. zunächst suchen wir einen
möglichen weg am rande des gletschers, doch ehe wir uns versehen, sind wir schon
drauf. für irgendwelche experimente haben wir jetzt keinen nerv und keine kraft
mehr. oben ist es sehr rutschig, nur die flächen an denen das eis etwas
geriffelt ist, bieten halt. die schneefelder hier auf dem romero sermeq gäben
zwar auch halt, aber wer weiß, ob sich da nicht eine gletscherspalte drunter
verbirgt. es geht mühsam voran, 2 km können lang sein auf dem ewigen eis. mit
unserer kohtenstange erfühlen wir uns den weg über die gletscherspalten. der
himmel ist jetzt komplett aufgeklart. öfters mal machen wir eine ungewollte
rutschpartie oder hängen schließlich doch mit einem bein in einer
gletscherspalte.
ramses und mich erwischt
es und wir schliddern, die beine voraus, gute 3-4 m den gletscher hinab – nichts
ist passiert. war wenigstens, wenn auch kräftezehrend, eine kleine abwechslung.
um ein uhr verlassen wir den gletscher - die moräne kommt, so wie wir sie die
nächsten tage noch „lieben“ werden. die mörane ist der bereich, in welchem sich
der gletscher schon zurückgezogen hat und ein kammartiges geröllfeld
hinterlassen hat. der abstieg wird beschwerlich, ständig knickt man zwischen den
steinen um oder droht, das gleichgewicht zu verlieren. das gepäck verstärkt
dabei den druck auf die beine ungemein. es ist eisig kalt und wir wärmen uns mit
dem gedanken auf –„ nächstes jahr nach marokko, irgendwo wo es warm ist“. aber
wir wissen es doch genau, kaum ist der terz vorbei, trauert man ihm schon nach –
wir werden immer wieder in den norden kommen, dafür gefällt es uns hier zu gut,
als das wir seine bedingungen nicht erfüllen mögen.
langsam geht es talwärts.
irgendwann findet sich auch auf dieser seite des gletschers eine stelle, auf der
wir auf geröll wieder schneller voran kommen können. das verlassen des
gletschers ist schwierig, da die flanke zu steil ist, um den direkten weg zu
nehmen. wie auf eiern tasten wir uns langsam herunter und sind wirklich froh, es
dann endlich geschafft zu haben. durch sand und geröll der endmoräne weiter
talwärts entlang des brausenden, graues wasser führenden gletscherflusses. nach
nicht allzulanger zeit finden wir, mittlerweile ist es 3 uhr in der frühe, auf
einer ebenen sandkiesbank einen nicht berauschenden, aber annehmbaren lagerplatz
und nehmen in kauf, daß die kohte wegen des nachgiebigen untergrunds schlimm
steht. aber uns reichts jetzt wirklich. weiter können wir nicht mehr. es ist
kalt, wir verziehen uns in die schlafsäcke.
tagesleistung: 14,5
km
koordinaten des
kohtenplatzes: 65°59´35´´n, 37°01´50´´w
temperatur (3 uhr am
10.7.): 6,1 °c.
dienstag, der 10. 7.
2001
sammler
schreibt:
und der erste der
aufwacht, bin wieder mal ich, die anderen ratzen noch und ich häng total
verschwitzt in meinem schlafsack. ich hab jetzt die sonnenseite der kohte. um
vier in der nacht hab ich gestern das letzte mal auf die uhr geschaut, jetzt hat
es irgendwas mit neun. fünf stunden schlaf ist wirklich nicht gerade das wahre.
aus dem schlafsack raus kann ich nicht, die mücken würden mich aussaugen, aber
es ist so wahnsinnig heiß. ich versuch mich von der kohtenplane fern zu halten,
sie strahlt eine ungeheure hitze aus. mein schlafsack ist sowieso so warm,
während die anderen sich nachts in ihren langen unterhosen und pullovern
schlafen legen, hab ich lediglich die unterwäsche an. schließlich nehme ich den
schlafsack nur als unterlage und decke mich mit meinen kleidungsstücken dürftig
zu. teilweise sind diese noch feucht vom schweiß, es ist eine angenehme
abkühlung. aber immer wieder finden die mücken einen weg an meine haut. so liege
ich halb wach wie eine mumie, ich weiß nicht wie lange, bis die anderen
aufwachen und wir frühstücken.
ich bin jetzt richtig müde
und warte nur darauf, den kreislauf in schwung zu bringen. sobald ich am wandern
bin, ist alles in ordnung, dann läuft die maschine. der wandertag beginnt mit
einer furt, ganz erfrischend sowas. den ersten kilometer als warm-wird-strecke
genutzt, bin ich voll in fahrt, der sonnenschein tut sein
übriges.
geröll, sand, steine,
felsen. das ist alles, was der romero sermeq unterhalb dem unsere kohte steht,
hier zurückgelassen hat. das ganze breite tal ist damit angefüllt. zusätzlich
sorgt ebenfalls steinschlag der uns umgebenden berge für weiteren nachschub.
zwischendrin wachsen vereinzelt, wie auf paradiesischen kleinen inseln im großen
ozean der sie umzingelnden kieswüste, kleine arktische pflänzchen, allesamt
bodenblüher. blumen, über die in unseren mitteleuropäischen breiten achtlos
hinweggegangen würde, aufgrund ihrer unbedeutenden größe. hier sind sie für
jeden beobachter auffällige attraktionen der natur. kämpfer des lebens gegen die
allmacht einer in der längsten zeit des jahres gnaden- und leblosen umwelt. die
sonne steht heute morgen bereits hoch am himmel, der gletscher, über den wir
gestern nacht gezogen sind, glänzt in ihrem licht. die flanke, die wir
heruntergestiegen sind, sieht auch von hier aus recht steil aus. an ihrem ende
ist die gletscherfront auf der gesamten breite übersäht mit felsen, steinen und
sandmassen, die der gletscher im laufe seiner wechselvollen geschichte von den
umliegenden bergen abgeschmirgelt hat. an den flanken kann man erkennen, daß vor
noch nicht allzulanger zeit auch dieses tal, in dem wir jetzt lagern, von den
wandernden eismassen blankgescheuert worden sein muß. hinter dem romero sermeq
erhebt sich majestätisch thronend ein 1060 m hohes bergmassiv mit mehreren
spitzen gipfeln und dazwischenliegenden steilen graten. darüber ein strahlend
blauer himmel mit wenigen kleinen weißen wölkchen und einem eigentümlichen von
ost nach west verlaufenden immer breiter werdenden kondensstreifen. wie wir in
den nächsten tagen feststellen werden, scheint diese gegend genau auf der route
der transatlantikflüge von europa nach amerika zu liegen, immer wieder einmal
sehen wir flieger, gut 10 km hoch über uns, von osten nach westen queren, nie
jedoch in die gegenrichtung. die einzige beeinflussung durch die moderne zeit
hier im fjell.
die mücken sind nahezu
unerträglich. ich frage mich, wovon sie leben, wenn hier keine wanderer
vorbeikommen. in der sonne ist es recht warm und so beschließe ich, unsere
waschlotion zu einer ausgiebigen wäsche des oberkörpers einzusetzen. insgesamt,
so scheint es, ist die unternehmung hier deutlich anstrengender als in lappland.
der rechte spaß am wandern will bei allen noch nicht recht aufkommen und jeder
weitere kilometer ist erarbeitet. zudem kämpfe ich immer noch mit reizhusten und
starkem schnupfen und was mir besonders zu schaffen macht ist mein linkes knie.
bei jedem schritt und fast jeder bewegung tut es seit gestern weh, zieht,
sticht, will keine ruhe geben. glis hat starke probleme mit seiner
mittelohrentzündung, trotz der antibiotikatabletten, die er einnimmt. nur
sammler und gulo sind fit. irgendwie gleichen wir eher einem halben lazarett als
einer in grönland wandernden fahrtenschaft. trotzdem, mosern gilt nicht, wir
wollen und müssen weiter.
spät kommen wir los von
unserem lagerplatz . es ist schon 15 uhr. direkt zu beginn haben wir unsere
erste furt vor uns. der vom romero sermeq kommende fluß fließt schnell, ist
knapp knietief, eiskalt und in seinen trüb-grauen fluten läßt sich der grund
nicht erkennen, so daß wir uns vorwärts tasten müssen. obwohl wir gut und
relativ schnell hinüber gelangen, spüren wir zunächst unsere beine nicht mehr,
müssen sie erst wieder aufwärmen. aber dann ist´s geschafft, wir sind endlich
abmarschbereit. zunächst müssen wir aus diesem gletschertal rauskommen. es geht
halb den nördlichen hang hinauf über geröll und große felsblöcke. schwer zu
gehen. endlich sind wir dann wieder auf fjellfläche, gras, moose, flechten und
krüppelbewuchs gibt es hier zwischen den felsvorsprüngen. direkt geht es
leichter. von uns aus nach norden hin öffnet sich der tasiilaq - fjord, der an
seinen flanken von sehr hohen berggipfeln gesäumt wird. optisch eindrucksvoll
abgeschlossen wird er von einem mächtigen, drei-gezackten bergmassiv, den knapp
2000 m hohen trillingerne, das bereits einige kilometer weiter hinter dem fjord
dem taleinschnitt folgend landeinwärts liegt, uns mit seinen gletschern aber
auch von hier schon recht nahe vorkommt. die luft ist klar und ohne dunst oder
staub erscheinen die bergriesen zum greifen nahe. zunächst gehen wir am hang.
das ist zwar günstiger als über geröll, belastet auf dauer aber einen fuß
deutlich mehr als den anderen. öfters machen wir rast, trinken klares
quellwasser, essen ein wenig traubenzucker, genießen die sonne und die
landschaft um uns herum.
besser wird der weg, als
wir uns dazu entschließen, zum meer abzusteigen und, da gerade ebbe ist, der
küstenlinie zu folgen. hier gibt es auch ab und an eine fjellmarkierung im sonst
weglosen gelände und zum ersten mal begegnet uns so etwas, das man mit ein wenig
phantasie als ausgetretenen pfad interpretieren kann. die sonne brennt, die
temperaturen steigen, beim wandern gehen wir jetzt in t-shirt, während der
pausen ziehen wir aber die kluften über, es geht ein leichter, kühlender wind
schräg von hinten. einige bäche und flüßchen gibt es zu überwinden. nicht immer
funktioniert dies ohne zu furten. zwei mal müssen wir heute noch anhalten,
rucksack absetzen, wanderschuhe ausziehen, furtschuhe anziehen, rucksack
anziehen, in den kalten fluß, raus aus dem fluß, furtschuhe aus, füße und beine
abtrocknen und anwärmen, wanderschuhe anziehen.
beim ersten zu furtenden
fluß haben wir glück. er ist nicht tief und so können wir zumindest die hosen
hochgekrempelt anbehalten und direkt vor seiner mündung ins meer auf die andere
seite wechseln. auch hier ist das wasser grau-trübe und alles andere als warm.
ich empfinde diese furten immer als interessante abwechslung vom täglichen
einerlei einer solchen wanderung. sie erfrischen, ich fühle mich danach
eigentlich wacher und erholter als vor der furt. den anderen scheint es aber
nicht unbedingt so zu gehen, sie sehen die furten mit gemischten gefühlen,
halten sie uns doch zeitlich auch unglaublich lange an einem fleck. auch ist die
gefahr mitten im strom auszurutschen und mitsamt dem gepäck in die eiskalten
fluten zu fallen, nicht von der hand zu weisen. während sammler den tieferen der
beiden arme schon überwunden hat und auffordernd zu uns zurück schaut, es ihm
doch nachzutun, steht gulo mitten in der strömung des schwierigeren ersten
armes. die schuhe hat er in der hand, die hosen bis über die knie
hochgekrempelt. der beckengurt des rucksacks ist geöffnet: im fall eines falles
muß man schnell wieder aus dem wasser kommen können, notfalls auch ohne
rucksack. der blick ist auf das wasser gerichtet, die füße tasten voran unter
der oberfläche von stein zu stein, suchen nach halt für den nächsten schritt.
verlagerung des gleichgewichts, kurzes schwanken, die strömung reist den fuß
unter dem furtschuh weg, sekundenlanges ringen um halt, rudern mit den armen.
geschafft, nächster schritt. drüben, auf der anderen seite, noch hinter sammler,
liegt an der wasserlinie ein gestrandeter felsblock, groß wie ein kleinbus,
dahinter erstreckt sich wieder der fjord mit blaugrünem ins türkis gehenden
wasser. die trillingerne weisen uns in der ferne die richtung in die wir die
nächsten tage ziehen werden. noch wird das massiv von der schon tief stehenden
sonne beschienen. das westliche ufer des tasiilaq liegt bereits im
schlagschatten der bis zu 1500 m hohen bergriesen des
falkefjelds.
sammler
beschreibt:
wunderschön ist es hier,
mir geht das herz auf und bestimmt nicht nur mir. drei furten gibt es bis zum
ende des tages. einmal rutsch ich am ende des anderen ufers aus und liege wie
ein käfer auf dem rücken. ich klebe durch das gewicht des rucksacks richtig an
der uferwand, die beine noch tief im grauen schmelzwasser des gletscherflusses.
ich werfe meine schuhe an land, bring auch meine fototasche in sicherheit und
schnall den rucksack ab, um ihn an land zu heben, dann stemm ich mich hoch und
sitze schließlich am ufer. hat geklappt, alles gut erhalten und trocken
geblieben, wenn das immer so wäre....
als alle wohlbehalten
drüben sind und schon wieder trockene füsse haben, fällt glis auf, dass seine
socken noch drüben liegen...nein, schmerz. er muss wohl oder übel noch mal
rüber. trotz krankheit nimmt er es mit humor und lässt sich nicht klein kriegen.
gulo findet das lustig, errinnert sich wohl nicht mehr, dass ihm sowas in
lappland mit seinen schuhen auch passiert ist. wir sind schon eine
truppe.
der zweite fluß ist schon
eine kategorie schwieriger zu meistern. wir suchen lange, bis wir glauben, eine
passende passage gefunden zu haben. das wasser rauscht trübe mit mächtiger wucht
talwärts. ich gehe voran, suche einen möglichen weg. schwierig, aber es gelingt.
minutenlang stehe ich dabei auf glitschigen, von der strömung heftig umtosten
felsblöcken mitten im fluß. gischt spritzt, man kann kaum sein eigenes wort
verstehen, so laut tönt und gurgelt das wasser zu tal. wohin weiter, trägt
dieser felsblock, wird er wackeln oder liegt er fest, schafft man mit gepäck
diesen sprung hinüber? ist das auch für die kameraden ein gangbarer weg? wo kann
man noch den einstieg in den hauptarm wagen, wo ist die strömung weniger
gefährlich, der fluß nicht gar so tief? die sonne ist hinter den bergen auf der
westlichen seite des tasiilaq verschwunden, die temperaturen sinken
dementsprechend schlagartig ab und wir laufen ab jetzt wieder in kluft. weiter
geht es richtung norden, teils am hang, teils am meer entlang.
für mich wird die heutige
etappe jetzt hart. ich merke förmlich, wie mich allmählich die kräfte verlassen,
ich von mal zu mal weiter zurückhänge, zusammen mit glis, der sich zusätzlich zu
seiner mittelohrentzündung nun noch einen wolf gelaufen hat. sammler und gulo
hingegen scheinen die strapazen nicht viel anhaben zu können, sie stürmen weiter
voran. sammler hat den drang, grundsätzlich hangaufwärts zu laufen. das bringt
mich das eine ums andere mal innerlich zum kochen. von zeit zu zeit ignoriere
ich seine führungsvorgaben und halte mich eher auf einer höhe, bzw. suche
küstenkontakt. blos die kräfte sparen und nicht unnötig
verausgaben!
sammler:
plötzlich kommen auf dem
eisfreien fjord vier boote angebrettert. so ein anblick sieht man gerne. selbst
leidenschaftlicher bootsfahrer, erfüllt mich dieser moment mit freude und stolz.
das gibt elan. scheinbar wollen die boote zu dieser inuitsiedlung, welche hier
in unserer karte eingezeichnet ist. da kommen wir auch noch vorbei. zwar ist
diese unbewohnt, aber vielleicht finde ich ja was. nach einiger zeit kehren die
boote zurück. vollkraft voraus pflügen die boote durch den fjord, so ist es
richtig. zu gerne würde ich jetzt dazustoßen und richtig
mitheizen.
etwa an der stelle, an der
auf der karte die ruine eines alten inuitwohnplatzes eingetragen ist, von dem
wir aber leider nichts finden können, treffen wir auf ein lager bestehend aus 5
kuppelzelten samt besatzung. die gruppe hatten wir schon am nachmittag gesehen,
wie sie in mehreren booten über den tasiilaq - fjord gekommen war. wir rasten
kurz in sichtweite und ziehen weiter, ohne nähere bekanntschaft zu suchen.
mittlerweile ist es so kalt, daß pausen, verschwitzt wie wir vom tag her sind,
unweigerlich schon nach kurzer zeit zur auskühlung führen. deshalb beschränken
wir uns auf wenige kurze verschnaufpausen, setzen uns nicht, gehen dabei im
kreis und verscheuchen die uns überfallenden mücken. weiter geht es richtung
norden. dort wo der fjord endet und das tal des tasiilap kuua, des breiten in
der weiten talebene mäandernden gletscherflusses, dem wir von nun ab folgen
werden, mit ausgedehnten schwemmlandfeldern beginnt, halten wir spät am abend
zur “mittagsrast”. danach wollen wir noch gute zwei kilometer gehen und uns
einen geeigneten platz für die nacht suchen, doch schon nach etwa der hälfte
finden wir auf einem ebenen über dem tal liegenden plateau eine schöne, sehr
gute stelle. da es immer schwierig ist, hier im fjell perfekte kohtenplätze zu
finden, nutzen wir unser glück. ich bin froh, daß es heute nicht mehr weiter
geht. der aufbau mit unserem leichten metallinnengestell funktioniert schnell.
dieses gestell ist ein kompromiß zwischen unserem pfadfinderischen stilempfinden
und dem land in dem wir unterwegs sind. hier gibt es ja leider kein holz für
kohten- und kreuzstangen, das wir an den abenden suchen könnten. auf die kohte
verzichten wollen wir aber auch nicht. also fertigten wir zu hause, während der
vorbereitung, ein auseinandernehmbares kreuz aus aluminium und ein gut tragendes
teleskopgestänge. ein erster belastungstest damals ging direkt fehl: das kreuz
brach und mußte daraufhin erneuert und verstärkt werden, um den
spitzenbelastungen einer gespannten kohte auch bei einem grönländischen sturm
gerecht zu werden.
sammlers
logbucheintrag:
nach einer kleinen rast
geht es weiter und wir finden einen super lagerplatz, schön eben, angenehmer,
steinfreier boden, ja, hier lässt sich die kohte mal richtig stattlich aufbauen.
das tun wir auch direkt und als krönung kommt das banner unseres stammes außen
dran. wir suchen etwas brennbares, abgestorbene farngewächse z.b., um ein
kleines feuerchen gegen die mücken zu machen. dabei stoße ich auf einen kleinen
metallkanister. freudig überrascht untersuche ich ihn, hm, ist leider keine
schatzkiste. wenigstens können wir ihn als kleinen rauchofen benutzen. gulo
liegt schön praktisch am eingang, in welchem sich mitterweile einiges feuerbares
angesammelt hat. den zunder parat, wird gulo unser feuermann, gut macht er das –
nicht zu viel rauch, aber auch keine mücken. nach dem essen lege ich mich
erschöpft hin und denke nicht an den nächsten
morgen...
tagesleistung: 11,0
km
koordinaten des
kohtenplatzes: 66°04´34´´n, 37°01´45´´w
temperatur (21 uhr): 8,0
°c.
mittwoch, der 11. 7.
2001
das ritual des aufstehens
bei uns ist in den letzten tagen immer das gleiche: sammler wird als erster
wach, da ihn irgendwann die wärmeentwicklung aus dem schlafsack wirft, die von
der auf die schwarze kohtenplane einwirkende sonneneinstrahlung ausgeübt wird.
angeblich erwischt er immer die sonnenseite des schwarzzeltes. er döst dann noch
ein wenig auf seinem schlafsack und läßt sich dabei von mücken anfallen, die es
auf uns abgesehen haben, sobald wir nicht mehr komplett mit kopf und allem im
schlafsack verborgen sind. der nächste, den die sonne aufweckt, bin ich.
meistens ist außerdem noch starker blasendrang und ein unschöner hustenanfall
für mein aufwachen mitverantwortlich. gulo und glis hingegen scheinen, was hitze
in der kohte angeht, vollständig unempfindlich zu sein oder sie sind so fertig,
daß ihnen selbst schwitzen im schlafsack nichts mehr ausmacht. glis ist
grundsätzlich der letzte, der sich in den neuen tag vorwagt. ich habe in dieser
zeit bereits logbuch für den vergangenen tag geschrieben, mich gewaschen und
angezogen. waschen: es gibt nichts köstlicheres als am morgen, verquollen wie
man nun einmal ist, zum nächsten bach zu tapern und sich, angegriffen von
todesmutigen mückenschwärmen zu waschen und frisch zu machen. auch heute nutze
ich die gelegenheit dazu, bei strahlend blauem himmel, stechender sonne und
zunehmendem, kühlenden wind. ein paar hundert meter weiter am hang kommt während
dieser zeit die 18 köpfige gruppe
vorbeigewandert, deren lager wir am gestrigen abend passiert
hatten.
es ist ja verhext, aber
irgendwie “schwächelt” die mannschaft noch ein wenig. erneut müssen wir am
heutigen morgen die diskussion austragen, ob wir weiter gehen, bis wir unser
geplantes ziel tiniteqilaaq erreichen oder ob wir hier in diesem gebiet bis
samstag tagestouren unternehmen und uns dann von michael am ende des tasiilaq -
fjordes, an dem ja jetzt die kohte steht, abholen zu lassen. michael hatte uns
gesagt, er sei am samstag dort, um eine andere gruppe auszusetzen. besonders
sammler ist daran interessiert, die wanderung so zu verkürzen, um mehr zeit in
kulusuk für den kulturellen aspekt unserer reise zu haben. ich bin mir nicht
ganz sicher, ob diese auf der einen seite auf alle von uns anziehend wirkende,
weil unbekannte und herausfordernde absolute einsamkeit dieses landes im
unterbewußtsein der mannschaft nicht auch als unbewußte gefahr gesehen wird, der
man nun möglichst schnell entgehen möchte und die möglichkeit dazu ist ja auch
noch durchaus gegeben. das verhältnis zur einsamkeit erscheint mir in der gruppe
recht ambivalent zu sein. zum einen sind wir begeistert, fühlen uns wie könige,
entdecker, aber auf der anderen seite auch wie eindringlinge, beobachter und
störer in einer fremden, unwirtlichen welt. die wilde landschaft ist uns nur auf
zeit gewogen und wir sind klein und abhängig von der gnade des wetters und des
landes. dieses wissen um die realitäten ist es, neben dem berechtigten interesse
für die lebensweise der inuitkultur, vielleicht auch, was zu den derzeitigen
diskussionen über den fortgang unserer fahrt führt, so mutmaße ich. gulo ist
auch für abbruch so scheint es, entscheidet sich aber wie glis nach längerem hin
und her für ein weiter. es geht also weiter. sammler akzeptiert die entscheidung
ohne murren als demokratisches ergebnis. nun gibt es auch kein zurück mehr und
ab jetzt spielt die bislang vorhandene latente diskussion auf der restlichen
wanderung keine rolle mehr, wir können endlich eins werden mit der natur und tun
dies in der folge auch. am ende werden alle fahrtenschaftsmitglieder glücklich
über die heutige entscheidung sein.
die gleiche situation von
sammler beschrieben:
ich mag es eigentlich
nicht, mich über dinge zu beklagen, aber heute morgen bin ich richtig grantig,
ich bin sowieso schon ein morgenmuffel. bei so was stelle ich mir mich dann
eigentlich immer als alten, mürrischen hund vor. so einer mit langen ohren und
einer grimmigen visage, der dann die leute anmotzt oder anbellt. danach lach ich
immer und denk mir „ach was solls“ und bin wieder zufrieden. aber heute morgen
ist es anders. nicht dass ich irgendwie die nerven verliere, aber während ich
wieder wie so eine mumie unter meinen klamotten liege, schimpf ich die ganze
zeit wie so ein rohrspatz leise vor mich her, über alles mögliche. das muntert
mich langsam wieder auf. ich bin aber immer noch was
motzig.
so schlage ich, eigentlich
ganz beiläufig, vor, doch bis zum nächsten samstag hier zu bleiben, denn da
meinte michael, sei er noch mal hier in dieser bucht. mir ist klar, dass dies
nicht geht, es ist nicht 100 % klar, dass er kommt und wenn, sieht er uns
überhaupt? außerdem breche ich die wanderung, für die wir so lange gearbeitet
haben, doch nicht ab. es war also gar nicht so gemeint, aber irgendwie bin ich
auf aufmerksamkeit gestoßen.
“nein, bitte keine diskussion früh am morgen“,
aber scheinbar bewegt der gedanke, falls man das so nennen kann,
schon.
„hm, wenn ich jetzt auf
einmal sage, nee, war nur so eine idee, glauben die hier nachher, ich wäre total
von der rolle. wobei ich bestimmt schon eine recht grimmige miene drauf habe.“,
sind meine nächsten überlegungen. ich denk mir, dass die gruppe sowieso gegen
die idee ist und saug mir ein paar wackelige argumente aus den fingern,
unterschätze wohl aber ihre wirkung. schließlich wird es doch was kritisch und
ich krieg was muffensausen in hinsicht auf die zukunft unserer fahrt. die gruppe
ist dafür, weiter zu gehen, so was aber auch, das muss ich jetzt wohl
akzeptieren, denk ich mir erleichtert. puh. auf fahrt sein – man weiß nie, was
kommt.
aber woher die erste
unentschlossenheit? gewiss, der weg ist anstrengend und das kommende, unbekannte
gibt einem schon zu denken. trotz der schönen landschaft und der positiven
eindrücke lastet doch immer eine dunkle, wenn auch kleine ungewissheit auf
einem. manchmal gibt es auch knifflige situationen, denen man gerne aus dem weg
gehen würde, aber, um es nochmal zu
sagen, das ist doch auf fahrt sein. nun ja, morgens nach dem aufstehen sieht man
die dinge halt was anders, außerdem ist ja noch mal alles gut gegangen und wir
können weiter. wenigstens bin ich jetzt nicht mehr maulig und die müdigkeit
weicht auch. weiter geht es, über alle möglichen
hindernisse.
das tal des tasiilap kuua
ist es, dem wir heute weiter folgen werden. die ersten kilometer vergehen recht
schnell. wir wandern im tal über schwemmland und durch ausgedehnte geröllfelder,
in denen es sich aber gut voran kommen läßt, da sie eben sind und mit kies
angefüllt, so daß wir uns einen leichten, direkten weg bahnen können. die auf
der karte eingezeichnete erste furt durch einen von einem größeren gletscher aus
osten kommenden fluß können wir uns sparen, da wir einen weg finden, trockenen
fußes, von felsblock zu felsblock springend, hinüberzugelangen. auf dem
gletscher erkennt man als kleine sich bewegende punkte die mitglieder der
18-köpfigen gruppe wieder, die hier langsam weiter aufsteigen. eine so große
gruppe mitten in dieser einsamkeit? das kommt uns ein wenig wie frevel vor,
gegenüber der erhabenheit dieser landschaft. danach geht es für uns schnell und
einfach weiter durch das breite tal. moose und flechten sind hier über lange
strecken der einzige bewuchs. die trillingerne kommen immer näher, werden immer
höher. stählern-grau scheint das massiv unser tal genau vor uns abzuriegeln,
ohne möglichkeit daran vorbei zu kommen. glücklicherweise biegt das tal am fuße
der trillingerne nach nordwesten ab, so sparen wir uns eine mühevolle
überquerung dieser mächtigen barriere. ab und an rasten wir, um in der sonne
flüssigkeit nachzutanken. oft beschränken wir uns aber dabei einfach darauf, mit
aufgesetztem rucksack eine wasserflasche rundgehen zu lassen. wir gehen in kluft
mit hochgekrempelten ärmeln. gulo trägt noch immer seinen schal, mit seinem
heute extremen seitenscheitel sieht er aus wie eine alte fliegerlegende.
eigentlich ist der schal genauso unnötig wie sammlers aufgesetzte
regenrucksackabdeckung. aber wer weiß wofür das alles noch gut sein mag am
heutigen tag.
sammler
schreibt:
ich hab richtige lust am
wandern und mag es auch, wenn ich mich mal keuchen höre. gulo scheint auch
seinen gefallen an der sache zu haben. der große, hungrige gulo gefällt mir auf
dieser fahrt richtig gut. schien er in lappland noch etwas introvertiert, geht
er richtig aus sich heraus. ihm scheint es hier wirklich freude zu machen.
während des wanderns bleibt uns zwar keine luft zum reden, aber dafür gibt es in
den pausen und ruhigeren phasen umso mehr zu erzählen. in der gruppe herrscht
gutes klima und wir fühlen uns wohl. wir sind in einer wunderschönen natur,
haben frische luft und unsere wohnung immer dabei – die gute alte kohte - was
will man mehr?!
der nächste von osten sich
ins tal hinunterschiebende gletscher kostet dagegen zeit. vor ihm im talgrund
sind zwei seen, die auf genau vorbestimmtem weg zu umrunden sind, da an der
kante des gletschers laut karte und michaels angaben, die gefahr besteht, in
treibsand oder eisabbruch zu kommen. so umgehen wir den südlichen see auf der
östlichen seite und machen dann den fehler, nicht weiter dem eingezeichneten weg
auf der karte zu folgen. auch der nördliche see soll westlich von uns umgangen
werden, das würde zeit und kilometer sparen, so glauben wir. allerdings hat
dieser see einen schnellen und tiefen abfluß direkt in den tasiilap kuua. hier
kommen wir nicht weiter, müssen zurück und dann doch dem weg folgen, so wie er
auf der karte eingezeichnet ist. dieser umweg beinhaltet außerdem die furt des
nördlichen sees an einer etwa 25 m engen stelle mit recht starker strömung
zwischen zwei teilbecken des sees. das wasser hier ist knietief und sammler
rutscht aus und muß ins wasser greifen. er ist naß bis zur brust und muß sich
erst einmal umziehen. auch glis rutscht aus, die folgen sind bei ihm aber
weniger schlimm.
sammler beschreibt seinen
sturz so:
bei einer furt erwische
ich in einer tiefen stelle einen wackeligen stein, rutsche ab und die strömung
reißt mir die beine weg. es ist tief, ich versuche mich, mit aller gewalt zu
halten, gebe leicht nach, häng im wasser, fang mich wieder und gelange
schließlich ins flache und an land. gott sei dank hat ramses seine kamera nicht
rechtzeitig bei der hand. höhö, sehr lustig, schmunzel ich, die anderen haben
auch ihre gaudi. grundsätzlich habe ich mein rain-cover über dem rucksack, das
schützt ihn vor allen möglichen äußeren einflüssen und so ist noch nicht mal die
außenhaut nass. die kameratasche ist sowieso wasserdicht und unterwäsche ist
schnell gewechselt. so, denke ich mir, jetzt weißt du wenigstens was passiert
wenn’s passiert und wie du reagierst. also ist doch nichts
passiert.
weiter geht es dem
tasiilap kuua aufwärts folgend. von beiden seiten des tals kommen jetzt
gletscher bis hinunter zu uns oder zumindest bis auf halber höhe den hang hinab.
während der pausen kann man sie sich in der klaren luft minutenlang ansehen und
bestaunen, ohne satt davon zu werden. an geschützten stellen mit genügend wasser
dehnen sich vor diesen zeitlos großartigen kulissen weite wollgrasfelder und
ihre tausenden buschig weißen blütenstände aus. auch grönlands nationalblume,
das schöne, großblumige “schmalblättrige weidenröschen”, auf grönländisch
niviarsiaq (das junge mädchen) finden wir hier in dieser einsamkeit immer wieder
mit seinen rotvioletten blüten. so wunderbar die gletscher dem betrachter jedoch
anmuten, für uns als passierende wanderer haben sie auch einen entscheidenden
nachteil: zunächst müssen wir uns immer durch große, meist hoch aufgetürmte
endmoränenfelder kämpfen. mit schutt, geröll, sand und felsblöcken, die wirr
durcheinandergewürfelt sind. dann kommt der gletscherfluß, der meist so viel
wasser führt, daß er zu furten ist und auf der anderen seite nochmals die
gleiche problematik mit den moränenfeldern. kurz hinter einer solchen furt, es
ist schon wieder spät, die sonne hat sich bereits hinter die gegenüberliegende
bergkette verzogen, treffen wir unerwartet auf ein canadisches camp aus 3-4
zelten. die beiden mädels, die wir dort treffen, erkundigen sich kurz nach woher
und wohin und wünschen uns dann noch alles gute für den weiteren weg: “take care
of yourself.” sie sind hier hin gekommen, um in dieser einsamkeit ein wenig zu
klettern. hier wo die meisten berge noch keinen namen tragen und noch
unbestiegen sind, sicherlich ein interessantes unterfangen.
sammler zu dieser einsamen
begegnung:
noch was ist geschehen,
etwas seltsames. wir gehen durch ein feld großer gesteinsbrocken, teilweise
mannshoch, eine landschaft wie aus der apokalypse. es sind die ausläufer einer
großen moräne, die uns hier am tasiilap kuua vorbei führt, und die dem
totenmannstal die berechtigung zu seinem namen gibt.
ich denke vor mich her,
bin zufrieden, als ich plötzlich vor uns meinen augen nicht traue. gerade biege
ich um einen dicken stein und suche uns einen weg durch dieses labyrinth zu
bahnen, da sitzt doch tatsächlich, keine zehn meter von mir entfernt, eine junge
frau auf einem großen stein. ich erschrecke mich richtig, auf den ersten blick
scheint sie apathisch zu wirken. ich sehe auch nirgends ein zelt, andere
wanderer oder ein lager. ich leg einen schritt zu, sie sieht mich und hat
zunächst einen eindruck, den man von neutral bis erfreut deuten könnte. sofort
frage ich, ob alles in ordnung ist, sie hilfe bräuchte und ob sie denn allein
sei. nein, nein, da sehe ich auch schon ihr zelt und schon streckt auch eine
andere frau ihren kopf raus.
es stellt sich heraus,
dass sie kanadier sind, welche aus unserer richtung kommen, vom sermilik.
komisch denk ich mir, man trifft sich hier, inmitten von riesigen felsmassen,
tauscht sich kurz aus, das war es dann, aber es bleibt eine begegnung für die
ewigkeit. ich glaub, dass nicht nur wir noch lange an dieses wundersame
zusammentreffen in einem zauberwald aus steinen denken
werden.
wir ziehen weiter und
verlieren in der folge leicht die orientierung. zu viele berge und gletscher
ähneln sich hier, die 1:100000er karte zeigt nicht jedes detail der landschaft
und heute werden wir wohl zur positionsbestimmung des lagerplatzes erstmals das
gps in anspruch nehmen, das wir hier oben grundsätzlich dabei haben, um im falle
eines notfalls unsere genaue position bestimmen zu können. als wir glauben, es
nicht mehr allzuweit zu haben bis zum nächsten gletscher mit moränenfeld, halten
wir und suchen uns einen lagerplatz. dies gelingt auch. zwar ist es hier leicht
abschüssig, doch recht weich. moose und flechten werden unseren schlaf polstern.
gulo macht noch ein feuer gegen die kälte, der rauch duftet herrlich nach
grönländisch-moos, dann ist schlafen angesagt.
vor dem einschlafen
rekapituliert sammler nocheinmal den tag:
...in der wildnis erinnert
man sich eben an jeden, den man getroffen hat, man lebt generell intensiver. wir
leben hier sehr beschränkt, kein fernsehen, kein bett, keine dusche, nur das was
wir tragen können. dies tut gut, zurück zum elementaren, hier kann man sich
endlich von den vielen gesellschaftlichen etiketten befreien und sich auf das
wesentliche besinnen. hier merke ich wieder, dass es soviel zeug gar nicht
braucht, um einen glücklich zu machen.
die reduktion auf die
geringsten mittel lässt unsere kohte zu einem palast werden und den warmen
schlafsack zum siedepunkt der gefühle. dies prägt sich aus, schon lange verbinde
ich glück und zufriedenheit mit einer befeuerten kohte und einem gemütlichen
nachtlager (na gut und einem schönen boot). in unserer gesellschaft trifft dies
oft auf kontroverse reaktionen. ist aber auch praktisch, da man sich ohne
weiteres auch mal mit weniger zufrieden geben kann. man wird einfach bescheiden
und genügsam.
hier werde ich als ganzer
mensch verwöhnt. das wandern brennt meinen körper so richtig aus. ich mag das,
ich komme mir dann so richtig entgiftet vor, wenn ich hier in dieser guten luft
so am schnaufen bin, wenn ich das reine quellwasser in massen trinke und mich
dann so richtig ausschwitze wie in der sauna. auch meinem gehirn geht’s gut, so
muss ich zwar den weg im auge behalten, kann aber sonst recht gut abschalten.
von der seele brauch ich gar nicht erst zu sprechen, natürlich ist dies hier
reines balsam. auf fahrt sein, die wunderschöne natur, natürlich auch das
bezaubernde wetter, es tut einfach gut.
in ruhigen abschnitten
denke ich manchmal über dinge nach, für die man eigentlich kaum beachtung finden
kann, aber jetzt ist der geist endlich mal frei. in letzter zeit lauf ich
eigentlich kaum noch mit dem willen nach tiniteqilaaq zu kommen, sondern einfach
um des laufens willen, weil es mir so gut geht. manchmal denke ich, was ich
jetzt zu hause machen würde, ich schüttel dann den kopf und weiß nichts
besseres. „was willste denn sonst machen“, sag ich mir dann immer. so wandere
ich voller herzenslust.
tagesleistung: 12,0
km
koordinaten des
kohtenplatzes: 66°10´18´´n, 37°05´38´´w.
donnerstag, der 12. 7.
2001
als wir am heutigen morgen
(das was wir hier für uns als morgen bezeichnen, da wir ja insgesamt um eine
tageszeit versetzt agieren) wach werden, brennt die sonne bereits unbarmherzig
auf unsere kohte nieder. es ist erstaunlich hier in grönland, sobald die sonne
da ist, ist es richtiggehend heiß. wir messen über 22 °c im schatten!
auszuhalten ist es dann nur, besonders wenn man wie wir wandern möchte, wenn ein
kühlendes lüftchen weht. aber kaum ist die sonne zwischen den bergriesen die uns
umgeben verschwunden, wird es direkt bitterkalt. weder die luft, noch das land
scheinen die wärme der sonne speichern zu können. zum glück geht heute morgen
ein leichter wind. nicht nur wegen der sonne. die mücken hier sind einfach
unerträglich, fallen uns an, über uns her. wir fühlen uns wie frischfleisch auf
dem markt. kaum hat man ein paar von den biestern erschlagen, sind an der
gleichen stelle schon wieder doppelt so viele neue. das nervt auf dauer ganz
schön. heute ist waschtag, habe ich für mich beschlossen. zumindest begleitet
mich die mannschaft zu den grau - trüben, rauschenden fluten des tasiilap kuua
hinunter und es ist eine ausgiebige wäsche fällig, für mich die erste
ganzkörperwäsche hier oben. puh, ist das kalt, kaum auszuhalten. auch hier
lassen mich die mücken nicht in ruhe, freuen sich über die enorme größe der nun
freiliegenden hautpartien. das packen geht langsam voran in der gleißenden
sonne. dann brechen wir endlich auf. wie sich herausstellt war die entscheidung
die kohte dort aufzustellen wo wir es getan haben die richtige. die nächsten
kilometer geht es für uns nämlich durch block- und endmoränenfelder des
gletschers, der vom pikkelhuen herunter ins tal kommt. keine möglichkeit hier
eine kohte aufzurichten. außerdem wird das tal des tasiilap kuua, auch
totenmannstal genannt, hier sehr eng. wir haben richtig zu steigen und zu
kämpfen. in der sonne fließt der schweiß in strömen. es ist schon erstaunlich,
aber den wenigen einheimischen inuit, die es hier in der region gibt, ist dieses
tal wie das gesamte restliche inland grönlands nahezu unbekannt. traditionell
ist ihre lebensweise auch heute noch auf das meer und die darin und an seinen
küsten lebenden jagdtiere ausgerichtet. das inland ist für sie immer schon
nutzlos gewesen und eher als gefährdung, denn als chance verstanden worden. die
inuitmythologie enthält einige geschichten und märchen, bei denen das unbekannte
landesinnere von riesenhaften fabelwesen in menschengestalt, die den inuit nicht
wohlgesonnen sein sollen, bewohnt wird. vielleicht ist auch so das fehlende
bedürfnis der einheimischen, ihr land näher kennen zu lernen, zu erklären. uns
ist bislang glücklicherweise kein solches wesen begegnet. das wissen um die
distanz der inuit zu der sie umgebenden gebirgslandschaft macht diese für uns
noch interessanter, betreten wir doch so schritt für schritt selten oder gar
unbegangenes neuland.
unterhalb des pikkelhuen,
der “pickelhaube” (2039 m) machen wir rast, sitzen recht lange in der sonne und
gulo erzählt schwänke aus seiner familie. dann geht es weiter durch geröll- und
sandfelder, reste der vielen gletscher hier, schwer zu gehen. hier oben gibt es,
bis auf einige wenige bemooste stellen gar keinen pflanzenwuchs mehr. das tal
ist angefüllt mit steinen und felsen, die entweder von den moränen der gletscher
stammen oder ihre lage steinschlag und den erosionskräften des sich durch das
tal schlängelnden flusses verdanken. hier ist die umwelt wirklich
lebensfeindlich und absolut wild. über allem wieder einmal blauer himmel ohne
jede wolke. im talgrund passieren wir zwei seen. dann kommt die schwerste
passage am heutigen tag und vielleicht auch auf der gesamten bisherigen
wanderung. wir müssen über sehr steile geröll- und blockfelder hoch zur passhöhe
(350 m). ständig wackeln steine unter unserem tritt, ständig die gefahr,
umzuknicken oder abzurutschen. das geröll ist richtig rutschig und wir haben
mühe, uns nach oben zu schleppen. auf der passhöhe ein kleiner stiller see.
keine welle kräuselt seine oberfläche, während wir sein stilles ufer passieren.
kurz nach der passhöhe dann “mitagsrast”. da die sonne schon untergegangen ist,
wird es direkt unangenehm kalt. und wir sind wegen der anstrengung des aufstiegs
total durchgeschwitzt. entsprechend friere ich jetzt. blos nicht hinsetzen, in
bewegung bleiben! in der ferne hat man schon einen kleinen, sehr beschränkten
blick auf die mit meereis, bzw. gekalbtem eis des midgårdgletschers angefüllte
bucht ningerte, dem ziel des heutigen tags. der abstieg ins tal ist ebenfalls
wieder sehr heftig, führt über geröll- und blockfelder der endmoränen
gigantischer gletschertürme. im tal mäandert ein fluß in vielen kleinen
schleifen dem meer entgegen. im gegenlicht der tief stehenden sonne glänzt das
wasser, glitzert und blinkt, der himmel im norden brennt. im talgrund angekommen
geht es endlich an diesem tag einmal gut und schnell voran. wir halten uns am
wasser des flusses und können so einige blockfelder umgehen. kurz vor dem ende,
mittlerweile ist es richtig spät und kalt geworden, haben wir beinahe doch noch
einen gletscherfluß zu furten. relativ lange müssen wir nach einer geeigneten
stelle zur überquerung suchen. glücklicherweise schaffen wir es gerade auch so,
ohne uns umziehen zu müssen, ich fasse dabei wasser im linken schuh. den fluß in
einem stück zu überqueren ist unmöglich. vielmehr suchen wir stellen aus, an
denen sich sein bett teilt und so auch die gewalt der fluten von uns einzeln und
nacheinander überwunden werden kann. die strategie ist zeitaufwendig und
erfordert einiges geschick in der abschätzung und beurteilung von strömung,
tiefe und breite der flußarme.
der kohtenaufbau zieht
sich heute, uns ist kalt, die bewegungen sind langsam geworden, eingefroren.
dafür ist der anblick überwältigend. in der bucht ningerti treiben, dicht an
dicht, unzählige kleine und große eisberge. die optisch direkte verlängerung
dieser eisgefüllten bucht stellt der mächtige, vom inlandseis herkommende
midgårdgletscher dar, der langsam ansteigend dem horizont entgegenstrebt. über
ihm ist der himmel leicht gerötet, zwei kleine rosa wolken stehen über einem
seine flanke abschließenden bergrücken. das inlandseis. zum ersten mal können
wir es auf dieser fahrt sehen, erahnen seine größe, weite und einsamkeit.
betrachtet man eine karte von grönland, so läßt sich nur schwer verstehen, daß
hier überhaupt menschen dauerhaft leben und siedeln können. weiß ist die karte,
überall eis, gletscher, schnee. tatsächlich sind 85 % der landmasse grönlands
vom bis zu 3500 m dicken inlandseises bedeckt. grönland speichert so allein 10 %
der süßwasservorräte der erde. hier ist es tatsächlich unwirtlich und
lebensfeindlich. allein ein großteil der küsten sind im sommer eisfrei, so daß
hier menschliches leben möglich wird.
in der kohte macht gulo
mit gefundenem treibholz feuer. endlich einmal anderes brennmaterial als immer
nur moose, flechten und kräuter! ich sitze warm eingepackt im schlafsack. wir
lassen es uns gut gehen und essen heute abend doppelte ration. weil wir bislang
so gut durchgekommen sind, haben wir beschlossen, langsam die ration eines
zusätzlichen “pausentags” aufzuessen. die abende in der kohte sind es, auf die
sich die mannschaft freut, wenn es einmal wieder nicht so gut läuft auf dem weg.
hier sind wir zu hause, gut aufgehoben, können erzählen, es uns wohl gehen
lassen, haben einen platz zum ausruhen. nicht missen möchten wir deshalb unser
schwarzzelt. danach ist nur noch schlafen angesagt.
sammler ist für seine
vorliebe für die kohte ja schon bekannt:
auch abends vor dem
einschlafen wird es bei uns in der kohte noch mal richtig nett. da gibt jeder
seinen humor zum besten. ramses ist fast dreissig, hat schon eine familie und
sitzt hier immer noch mit uns und lacht. das halt ich von erwachsen werden,
reifen aber dennoch jung bleiben. für glis, auf den wir während des laufens
immer mal warten müssen, scheint dies auch recht angenehm zu sein. ich hoffe
seine mittelohrentzündung hat sich weiter gelegt – lachen
heilt.
tagesleistung: 14,0
km
koordinaten des
kohtenplatzes: 66°16´53´´n, 37°14´17´´w
temperatur (24 uhr): 5,0
°c.
freitag, der 13. 7.
2001
überlassen wir den
kommentar zu einem nächtlichen ereignis sammler:
in der nacht denke ich,
mich trifft der schlag. plötzlich werde ich wach und hör es vom eingang her
seltsam wimmern. „kai, kai, ich hab hunger. hunger!“, so jault der ewig hungrige
gulo vor sich her. ich schlafe sofort wieder ein, ist der schlafbedarf nach so
einem wandertag doch höher als so eine satirische glanzleistung wettmachen
kann.
hatten wir angenommen, mit
der gestrigen überquerung der passhöhe das schwierigste teilstück der fahrt
bewältigt zu haben, sollten wir heute eines besseren belehrt werden. hatten wir
angenommen, bereits sämtliche naturschönheiten grönlands in den letzten tages
kennengelernt zu haben, so sollten wir heute eines ungleich besseren belehrt
werden.
aufstehen spät am mittag.
der midgårdgletscher glänzt majestätisch in der ferne, zieht sich weit hinauf
ins inlandseis, wo er sich im sog. schweizerland in die ungeheuren eisströme des
franche comté gletschers, des pourquoi-pas gletschers und des glacier de france
verzweigt. auf der übersichtskarte im maßstab 1:250000, die 1933 aufgenommen und
zuletzt vor 20 jahren korrigiert wurde, sieht man in richtung norden und osten
von unserem standpunkt aus nur noch das weiß-blau unendlicher gletscherfelder,
zwischen denen vereinzelt bergketten wie inseln aus dem nichts aufragen.
gleißende helligkeit. die sonneneinstrahlung und ihre reflexion durch in der
bucht schwimmendes eis und durch den gletscher selber ist so stark, daß das
auge, wenn man aus der dunklen kohte heraustritt, minuten benötigt, um sich
anzupassen. die stimmung ist ruhig und friedlich. in 100 jahren wird sich hier
nichts ändern und vor 100 jahren hat es hier schon genauso ausgesehen. die kohte
steht noch auf den letzten metern grasbewachsenen untergrunds. dahinter, leicht
absteigend zum fjord hinunter, fängt ein lockerer kiesstrand an. das wasser ist
ruhig, wellenlos, darauf in gutem kontrast zum schwarzen kohtenstoff, das grelle
weiß unzähliger kleiner und größerer eisschollen und eisberge in der bucht. von
der kohte sieht es fast so aus, als könne man das weit entfernte
gegenüberliegende ufer der bucht erreichen, indem man von eisscholle zu
eisscholle springend hinüberwechselt, so viel eis schwimmt im wasser. die auf der gegenseite liegenden bis
1800 m hohen berge des charcot fjelde haben an ihren zum gletscher gewandten
flanken erstaunlicherweise breite streifen rötlich gefärbten gesteins. bestimmt
wird die szenerie aber eindeutig von der breiten, sich vor uns ausbreitenden
gletscherstraße hinauf ins inlandseis.
auch sammler
genießt:
die landschaft ist
atemberaubend, ramses und ich fotographieren immer weiter. wieder kommt die
frische, klare luft der eisberge, dazu das raunen und poltern wenn ein eisberg
seinen schwerpunkt ändert und sich dreht. das optische ist natürlich die spitze,
die eislandschaften, welche sich uns dort ergeben, sind wie aus einer anderen
welt. sie wirken mythisch und märchenhaft, jeden moment, so kann man glauben,
tauchen die elfen aus den milliarden von eisigen kristallen
auf.
im hintergrund rauscht
noch der fluß, den wir am gestrigen abend überqueren mußten. viele geräusche
gibt es hier in grönland ja auch nicht. außer dem plätschern und rauschen von
wasser wären da noch zu nennen das summen der mücken und ab und an ein vom meer
kommendes dumpfes donnergrollen. verursacht wird letzteres durch sich drehende
eisberge, die in der sonne abgetaut, plötzlich instabil werden, ihre lage
verändern und ins wasser platschen. die mannschaft diskutiert meinen vorschlag,
hier in diesem kargen paradies den restlichen tag über zu bleiben, wäsche zu
waschen und so wieder zurück in einen normalen tagesablauf zu finden, sprich, in
der frühe und nicht erst am späten mittag mit der tageswanderung zu beginnen.
aber sammler, glis und gulo wollen weiter, so schnell wie möglich das ende der
wanderung erreichen und genügend zeit für die inuits haben. also packen wir
zusammen. von der karte her sieht die strecke eigentlich nicht besonders
schwierig aus. es geht stetig am meer entlang. einfach, so sollte man
meinen.
tatsächlich bedeutet das
für uns aber, unseren weg als küstenkletterer finden zu müssen. die abhänge des
bergmassivs, das wir passieren, sind steil. oft fallen sie recht schroff ins
meer ab, was für uns heißt, nach oben klettern zu müssen, um einen gangbaren weg
zu finden. immer wieder verlieren wir die gerade gewonnene höhe, nur um sie
kurze zeit später erneut erklimmen zu müssen. die hänge sind allesamt
grasbewachsen. wie wir uns hier querfeldein unseren weg suchen, ist mit worten
kaum zu beschreiben. unsere lapplandunternehmung vor zwei jahren trägt,
verglichen mit der art der fortbewegung hier, eher den charakter eines
spaziergangs. obwohl der weg so beschwerlich ist, werden wir in gewisser weise
doch auch belohnt für unsere mühen. so weit wir blicken können, ist das meer,
ist die bucht ningerti, die wir nun langsam hinter uns lassen und der breite
sermilik (egede og rothe fjord) angefüllt mit eis. große und kleine eisberge,
eisschollen, eis in allen variationen. dazu ist das wasser türkis gefärbt.
sammler und ich fotographieren fast an jeder kuppe. mit dem gps überprüfen wir,
wie weit wir schon vorangekommen sind. das ist recht einfach und ernüchternd.
einfach, weil uns die längenangabe ausreicht, um unsere position an der küste
eindeutig zu bestimmen, ernüchternd, weil wir partout keine strecke machen.
sammler hat auf der karte in einem anflug von perfektionismus jeden einzelnen
kilometer unserer geplanten route markiert. abends und morgens kann er
stundenlang über der karte und seinen markierungen brüten. immer wieder bekommen
wir dabei zu hören, wie weit und wie lang eine etappe und der dann noch zu
bewältigende rest der wanderung sei, sollten wir an einem tag diese oder jene
strecke schaffen. wir können es schon fast nicht mehr hören. auch jetzt wird bei
jeder kleinen pause ausgiebig die karte inspiziert, das gps zu rate gezogen und
wir sind, besonders heute, das eine ums andere mal enttäuscht, trotz langer,
schwieriger wanderzeit nur wenige von sammlers kilometermarkierungen hinter uns
gebracht zu haben.
da wir heute nicht mehr,
wie an den tagen zuvor, in einem engen tal wandern, sondern entlang des nach
norden breiten sermilikfjordes, findet die “mittagsrast” sogar noch bei
sonnenschein statt. die sonne steht dabei tief im nordwesten über dem
fenrisgletscher. die lichtverhältnisse bieten unvergleichliche aussichten auf
den fjord. während das land langsam im schatten der berge verschwindet und dort,
wo es noch angeleuchtet wird, den betrachter mit warmen rot und orangetönen
lockt, zeigt sich das eis im fjord weiß und hell wie eh und je. ruhig ist die
szenerie. kein windhauch kräuselt die oberfläche des meeres. wir stellen fest,
daß wir zwei schatten haben. die wasseroberfläche spiegelt die sonne und so
scheinen tatsächlich zwei sonnen die landschaft an. das licht zum fotographieren
ist natürlich sehr gut. mit der zeit ändern sich auch die farben des
naturschauspiels: das meer wird türkis, die schwimmenden eisberge langsam orange
und der himmel zart rosa angehaucht. die klaren farben hier oben sind schon
etwas ganz besonderes. am ende, die sonne ist hinter dem inlandseis grönlands
für die kurze zeit der “nacht” untergegangen, ist das land schwarz, das eis
grau, im wasser spiegelt sich das rotorange des himmels. die mannschaft der
fahrtenschaft wirkt dabei vor dieser kulisse ein ums andere mal wie ein alter
scherenschnitt, für die ewigkeit festgehalten.
vor dem abschluß dieser
schlauchigen etappe steht uns noch die krönung bevor in form der passage des
nach der karte direkt in den sermilik kalbenden kilikilaat - gletschers. etwa
500 meter breit ist die gletscherfront. michael hatte uns vor der wanderung
bereits in kulusuk gesagt, daß sich der gletscher zurückgezogen hätte und nun
eine passage bei ebbe über einen schmalen strandstreifen möglich wäre, ohne über
den gletscher selber zu müssen. aber bevor wir unterhalb der gletscherzunge den
wahrheitsgehalt dieser aussage überprüfen können, müssen wir uns zunächst mal
wieder durch jede menge block- und geröllfelder der unzähligen endmoränen
kämpfen. ach wie ich dieses lockere gestein hasse! nie kann man sich sicher
sein, nicht abzurutschen. wir taumeln und stolpern und rutschen mehr über diese
felder, als das wir gehen. dann die bucht mit der gletscherzunge. ich bin
gespannt. werden wir passieren können? es wird deutlich kälter, das spüren wir.
es ist schon fast mitternacht. wir suchen uns einen weg direkt an der
strandlinie. auf dem wasser schwimmt dünnes neues eis. und tatsächlich, michael
hatte glücklicherweise recht. zwischen eis und meer gibt es ein paar meter
freies geröllfeld. das eis ist von schuttablagerungen schmutzig - schwarz
gefärbt. wir haben das gefühl, einen schlafenden riesen zu passieren. nur kein
laut, sonst wird er wach und fordert seinen tribut von uns.
aber es kann immer noch
schlimmer kommen. nicht nur, daß wir jetzt bis zu unserem heutigen lagerplatz
noch die ausgedehnten moränenfelder auf der anderen seite des gletschers zu
überklettern haben, nein, davor liegt auch noch die überquerung des
gletscherflusses. uns ist schnell klar, daß wir hier werden zu furten haben. das
wasser scheint tief, hat eine starke strömung und ist zu allem überfluß braun -
trübe. erschwerend kommt hinzu, daß es mehrere arme zu durchwaten gibt, die
teilweise bis knapp über knietief sind. auf der anderen seite angelangt, spüren
wir unsere füße nicht mehr. eine messung ergibt, daß das direkt unter dem
gletscher hervorschießende wasser eine rekordverdächtige temperatur von 0,0 °c
aufweist, bei einer lufttemperatur von 6,0 °c.
sammler ist
kalt:
nach dieser furt sind
unsere füße nur noch phantome, eine kurze zeit sind sie vor kälte fast taub,
aber dann kommt der schmerz des „auftauens“. besonders abartig ist es, wenn man
gezwungen ist, im eisigen wasser zu verharren, um nach der richtigen stelle für
den nächsten schritt zu suchen. nur weil es kalt ist, kann man ja nicht wie wild
auf die andere seite stürmen. denn wenn man drinne liegt, wird’s bei den
temperaturen noch unangenehmer.
um zu unserem lagerplatz
zu kommen, ist nochmals steigen angesagt. ich bin platt, es reicht für heute,
aber nach den moränenfeldern sind wir gezwungen, auch nochmal den berghang
hinaufzuklettern. hier oben finden wir über dem eis im meer eine schöne große
ebene unweit eines kleinen bachlaufs. mit flachen steinen ist ein großes kreuz
ausgelegt, wie wir in der streckenbeschreibung lesen können, handelt es sich um
eine markierung für mögliche hubschrauberlandungen. die kohte steht unglaublich
schnell. draußen schwimmt ein riesengroßer eisberg von der dimension eines hohen
bürogebäudes direkt hinter der kohte. fast scheint es, als könne man ihn mit der
hand berühren, wenn man sie nur ausstreckt. ich bin zu faul, nocheinmal die
kamera herauszuholen und ihn zu fotographieren, verschiebe das auf morgen früh.
hier scheint ja keinerlei strömung zu sein, so sieht es zumindest aus. der
eisberg liegt fest vertäut, so meine ich. auch am heutigen abend gönnen wir uns
eine doppelte ration. das haben wir uns wirklich auch verdient. als wir gegen
3:30 uhr endlich in die schlafsäcke kommen, scheint die sonne bereits wieder auf
die kohte.
tagesleistung: 10,0
km
koordinaten des
kohtenplatzes: 66°13´40´´n, 37°24´15´´w.
samstag, der 14. 7.
2001
die sonne steht immer noch
am himmel, als wir spät am mittag endlich wieder wach werden. die letzten tage
fordern ihren tribut von uns. der schlafbedarf jedes einzelnen ist enorm. da es
nun schon so spät ist, beschließen wir, heute einen ausruhtag einzulegen, um
dann morgen früh, endlich wieder im einklang mit dem tagesrhythmus, weiter zu
wandern. trotz starker sonneneinstrahlung ist es kühl. vielleicht kommt das von
den eismassen, die hier unter uns im meer schwimmen. die luft ist klar und
duftet würzig. der ausblick vom kohtenplatz aus auf den weiten, unter uns
liegenden egede og rothe fjord ist überwältigend. natürlich ist der bürohohe
eisberg von gestern abend nicht mehr hinter der kohte, dümpelt vielmehr weit,
weit draußen auf dem fjord, viel zu weit weg, um noch ein gutes foto machen zu
können. anscheinend gibt es doch eine strömung im fjord. na ja, das hätte ich
mir eigentlich auch denken können, schließlich gibt es hier ja auch ebbe und
flut und so beschließe ich, bei der nächsten günstigen gelegenheit den inneren
schweinehund direkt zu besiegen. das eis glänzt in der sonne. am weit entfernten
gegenüber liegenden ufer der mächtige fenrisgletscher. eine landschaft für
götter. nicht zu unrecht tragen die wenigen geographischen einheiten, die hier
überhaupt benannt sind, namen aus der nordischen mythologie.
ich nehme mir vor, den
ausruhtag nicht nur zum ruhen, sondern auch zum waschen meiner dreckigen sachen
zu nutzen. so heißt es in einem kleinen bach unweit der kohte zunächst
ganzkörperwäsche, dann, frische sachen anzuziehen und danach die dreckigen
mühselig mit kernseife zu bearbeiten. die nassen sachen werden auf der schwarzen
kohtenplane zum trocknen in die sonne gelegt. danach, es ist 16 uhr, gibt es
frühstück. als nächster programmpunkt steht ein länger andauerndes
verdauungsschläfchen auf dem plan. anschließend wieder essen. mittlerweile ist
die sonne bereits sehr tief gesunken. ihre rötlich - goldenen strahlen tauchen
die uns umgebende urlandschaft in ein ganz besonderes licht. wunderschön, weich
und warm. wenn man mich später einmal fragen sollte, warum und wofür ich hier
nach grönland gekommen bin, welchen sinn diese plackerei und entbehrung gehabt
hat, ich werde einfach die fotos dieses tages heraussuchen. über dem eis im
fjord liegt mittlerweile leichter nebel, der die eigenart der szenerie noch
unterstreicht. rundherum absolute stille, unterbrochen nur durch das
gelegentliche rumoren sich drehenden eises. immer wieder muß man sich vor augen
halten, daß sich dieses schauspiel hier an jedem tag in jedem sommer wiederholt.
jahr für jahr, ob wir zufällig anwesend sind, um es zu betrachten zu bestaunen,
inne zu halten oder nicht. und außer uns? wer kann noch sagen, hier gestanden,
geschaut und erlebt zu haben? wer hat je den midgårdgletscher gesehen? wer hier
an den ufern des eisigen meeres ostgrönlands gestanden? wer die kohte auf das wilde fjell
gebaut? wer hat hier dem nichts gelauscht? nach dem abendessen versuchen wir,
schnell zu schlafen, um morgen wieder möglichst früh weiter zu
kommen.
sonntag, der 15. 7.
2001
das wetter versetzt uns,
als wir am heutigen morgen endlich einmal zeitig aufstehen, ein wenig in
schrecken. es ist bedeckt, die wolken hängen tief, die berggipfel auf der
gegenüberliegenden seite des egede og rothe fjords befinden sich im nebel. und
es ist kalt. richtig kalt. in der nacht mußte ich mir unüblicherweise sogar noch
den pullover überziehen. geholfen hat es trotzdem nicht, so daß ich immer wieder
frierend aufwachte. glücklicherweise läßt sich aus südwesten kommend ein blauer
streifen am himmel ausmachen, der auf uns zuzieht. heute beeilen wir uns, um
loszukommen, um endlich einmal das volle tageslicht ausnutzen zu können. wie dem
so ist erwarten wir, daß es nach der schlimmen kletterei der letzten tage nun
endlich einfacher geht, doch so einfach, wie wir uns das in der morgendlichen
aufbruchstimmung vorstellen, ist das ganze nicht. zunächst sieht aber alles
ziemlich gut aus für uns. der weg ist über mehrere kilometer relativ einfach,
führt über absätze und matten, der hier in den eisfjord abfallenden berghänge.
wir halten dabei mehr oder weniger unsere höhe, kommen in der mittlerweile
wieder prallen sonne gut voran und genießen das eine ums andere mal die tolle
aussicht auf den unter uns liegenden fjord mit seinen teils riesengroßen,
strahlend weißen eisbergen. dabei zieht weit draußen vor der küste die im fjord
liegende, etwa 4 km lange insel aammangaa vorbei. meistens geht gulo voran,
sucht für uns den einfachsten weg, weist uns auf loses und lockeres gestein hin,
entschuldigt sich, wenn er sich verstiegen hat und wir so doch nicht weiter
kommen und zurück müssen. dann folgt sammler, der immer wieder einmal für ein
foto stehen bleibt. meistens komme dann ich. auch immer für ein foto zu haben
und am ende, meistens sehr weit zurückhängend, glis.
schwierigkeiten macht der
nächste teil des weges. es steht nämlich erneut das von uns verhasste
klippenklettern auf dem plan. um weiter voran zu kommen, müssen wir wie die
gemsen, die es hier in grönland freilich nicht gibt, die hänge der steilen
bergflanken hinauf und herunter. ohne weg, querfeldein, sind wir dabei nur auf
unsere intuition angewiesen. aus dem bauch heraus entscheiden wir, ob der
möglicherweise gangbare weg eher oben am hang oder tiefer unten am meer
entlangführt. fehleinschätzungen eingeschlossen. manchmal ist der hang so steil
und tief, daß man besser nicht nach unten sehen mag. manchmal geht es nur durch
klettern auf allen vieren weiter. doch dann ist es endlich soweit. hinter einer
landspitze können wir weit entfernt in der siaqqitseq - bucht die hütte
erspähen, die auf der karte auch eingezeichnet ist. hier haben wir uns
vorgenommen, mittag zu machen. die hütte und ihre umgebung sind jedoch eine
große enttäuschung. es handelt sich um nicht mehr als einen heruntergekommenen
schuppen, der von einheimischen jägern auf ihren ausflügen als notunterkunft
genutzt wird, verdreckt und voll von abfällen aller art. knochen, unzählige
knochen bleichen hier in der arktischen sonne, verrostete dosen, verschossene
patronen, gläser für kaffeepulver, margarineschachteln. und über allem der
gestank von tranigem fett. fett, das einfach vor der hütte und um sie herum auf
den boden geworfen worden ist. fett von tausenden von tieren, die hier
ausgenommen wurden, teils wohl schon jahre alt. wir verziehen uns auf den
nächsten hügel, ein wenig abseits von diesem traurigen bild und dem davon
ausgehenden gestank und kochen unser mittagsmahl. wir können nicht so ganz
verstehen, wie man diese unglaubliche natur so hinterlassen kann, wie wir es
hier vorgefunden haben.
sammler,
enttäuscht:
schon von weitem sehen und
riechen wir, das ist keine hütte, das ist eine organische müllhalde. nun gut, im
notfall wäre ich froh, wenigstens diesen kleinen holzschuppen in vielleicht
doppelten klohäuschenausmaßen zu haben. davor ist ein riesiger haufen von
robbenfett, knochen und verschiedenen nicht verwertbaren bestandteilen. es
riecht auch dementsprechend streng. der geruch aus dem „robbenraum“ in kulusuk
scheint ums 100fache verstärkt zu sein und wirkt richtig penetrant. wir
verziehen uns auf einen geruchsneutralen hügel und essen dort zu
mittag.
weiter führt der weg für
mehrere kilometer sehr einfach über ebene, grasbewachsene flächen zwischen der
halbinsel nuuk, die wir so schneiden und dem landeinwärts gelegenen, 1702 m
hohen bergmassiv. unterbrochen wird das schnelle und gerade laufen nur durch
einzelne bäche und flüsse, die sich tief in die ebene eingegraben haben. leider
ist dieser gut zu gehende teil bald vorbei und wir haben den rest des tages
schon wieder mit klippenklettern zu kämpfen. diesmal aber von der ganz üblen
sorte und ohne zwischendurch mögliche erholungspausen. kilometerweit folgen wir
den steilen hängen in etwa 100 m höhe über dem sermilik. die gelenke der füße
und kniee werden dabei natürlich aufs äußerste einseitig belastet, ständig muß
ich darum fürchten, ein mitglied der mannschaft in den abgrund zu verlieren. an
bewachsenen stellen findet man ja noch genug halt, aber dort wo schutt und loses
gestein offen an der oberfläche liegen? glis hat besonders zu kämpfen, ist ihm
eine solche höhe doch sichtlich unangenehm. glücklicherweise: niemand rutscht
ernsthaft aus, knickt um oder verletzt sich sonst. auch die von mir irgendwann
ins auge gefasste alternative unten herum am meer weiterzukommen ist nicht
gangbar, zu große und steile felsblöcke versperren uns das eine ums andere mal
den weg. trotz der strapazen sind wir nicht schlechter stimmung, dafür ist die
aussicht von hier oben einfach zu grandios: vor uns öffnet sich die weite bucht
ikaasaalaq mit dem gegenüberliegenden 982 m hohen bergmassiv, das uns mit seinen
vielen kleinen schnee- uns eisfeldern wie von puderzucker bestreut vorkommt.
davor, im tiefblauen wasser wieder unzählige eisschollen und kleine berge,
soweit das auge reicht. minutenlang stehen, schauen und staunen wir, ohne ein
wort zu verlieren. kurz vor der bucht ikaasaalaq schlagen wir auf dem ersten
ebenen stück, das wir finden können noch bei abendsonnenschein die kohte auf.
ein paar hundert meter weiter finde ich einen bach, der reichlich wasser führt.
gulo kümmert sich um ein wärmfeuer. das ist auch notwendig, draußen ist es
wieder kalt geworden. kurz nach sonnenuntergang kommt aus süden starker wind
auf, so daß ich die rauchlochabdeckung zur sicherheit noch an der kohte
festbinde. in heftigen böen stürmt es, plötzlich, ohne vorwarnung geht es los.
wir sind ein wenig besorgt, schauen aus dem rauchloch immer wieder in den himmel
und suchen nach kleinen, linsenförmigen wolken, den ersten anzeichen für einen
piteraq. der piteraq ist in ostgrönland berüchtigt und gefürchtet zugleich. es
handelt sich dabei um einen starken sturm mit windgeschwindigkeiten von über 360
km/h. er entsteht, wenn die luft wie ein fönwind vom inlandeis fällt und dabei
dem fjell und den tälern in richtung küste folgt. große verwüstungen sind die
folge und viele der holzhäuser in den siedlungen hier in dem gebiet sind
deswegen mit starken stahltrossen im boden verankert.
ob piteraq oder “nur” ein
gewöhnlicher sturm, wir rechnen mit einem wetterumschwung, sprich einer
wetterverschlechterung. allerdings sind wir bei guter marschleistung auch nur
noch zwei tagesetappen von tiniteqilaaq, unserem endziel entfernt. in der
mäßigen hoffnung auf weiterhin gutes wetter schlafen wir ein, während die kohte
von windböen gepeitscht wird.
tagesleistung: 14,5
km
koordinaten des
kohtenplatzes: 66°07´02´´n, 37°31´39´´w.
montag, der 16. 7.
2001
wir schlafen wie immer
recht lange. niemand von uns hat einen wecker dabei. das wetter draußen ist
deutlich schlechter, als die tage zuvor. zwar scheint noch die sonne, aber am
himmel sind recht viele schleier- und schäfchenwolken zu erkennen. zum waschen
muß ich mehrere hundert meter zum nächsten bach. obwohl es immer wieder
überwindung kostet, sich mit dem eiskalten wasser zu waschen, ist es doch auch
immer eine wohltat nach der schwitzerei des letzten tages und der nacht. da es
hier nachts so kalt wird und nicht zuletzt auch aufgrund der mückensituation des
nächsten morgens, bin ich dazu übergegangen, nahezu komplett im schlafsack zu
bleiben. dementsprechend bematscht ist man dann natürlich auch am nächsten tag
und umso besser fühlt man sich nach ausgiebiger waschung. abends nach den
wandertagen ist es deutlich zu kalt: wenn die sonne weg ist, sinken hier
schlagartig die temperaturen und man ist außerdem so fertig und zerschlagen, daß
es nach dem essen manchmal nur noch zu einem zähneputzen im becher reicht.
beim heutigen abmarsch hat
sich die sonne tatsächlich hinter wolken verzogen und es weht ein leichter wind.
zunächst muß von uns die bucht von ikaasaalaq umgangen werden. psychologisch
eine schwierige strecke, da man glaubt, daß es nicht voran geht. die szenerie
der landschaft verändert sich nur langsam. da ein großer teil der bucht aufgrund
der vorherrschenden ebbe trocken gefallen ist, machen wir uns den spaß, wandern
watt und können so einen großen teil der bucht abkürzen, nicht ohne vorsicht
hinsichtlich möglicher treibsandfelder walten zu lassen. priele müssen überquert
oder durchstapft werden. nebelfetzen dicht über dem seeboden. wie feine schleier
ziehen sie kaum sichtbar an uns vorbei. den fluß am anderen ende der bucht
brauchen wir glücklicherweise nicht zu furten, obwohl er sehr tief aussieht.
gulo findet über steine und felsen einen weg hinüber, obwohl er selber
ausrutscht und so seine ganze hose naß macht und sein knie anschlägt.
danach wird es direkt
wieder heftig. den hinter dem delta gelegenen berghang gilt es laut karte auf
ca. 100 m höhe zu umrunden. für uns bedeutet das natürlich zunächst wieder
elende kletterei. das kostet zeit und kraft. von hier oben gibt es immer wieder
gute ausblicke auf die weit unter uns schwimmenden eisberge im sermilik, den
wir, wenn alles so läuft wie wir uns das vorstellen, heute verlassen werden.
mehrere kleine seen werden passiert, bevor wir, sehr steil, wieder zum meer hin
absteigen. der weg am kurzen strand entlang, auf den die letzte flut einige
kleine eisstücke hat liegen lassen, erscheint einfacher als darüber am hang die
höhe zu halten. dies schlägt uns eigentlich die auf der karte eingezeichnete
route vor. unser weg hat den nachteil, am ende des strandes wieder auf etwa 40 m
hoch steigen zu müssen. am ufer eines etwas größeren sees an der basis der
halbinsel paarnakajiit gibt es mittagessen. die mückensituation hier hat sich
deutlich verschlechtert. neben den normalen stechmücken gibt es auch noch eine
andere mückensorte, die die angewohnheit hat, partout in alle körperöffnungen
hineinfliegen zu wollen und die sich durch schläge nicht für ein paar sekunden
verscheuchen läßt. gulo zündet ein abwehrfeuer. nur in seinen rauchschwaden ist
es auf dauer halbwegs erträglich. es gibt bananenbrei. nach dem mittagessen ist
die strecke allgemein einfacher. zunächst entlang des tiefen sees, an dessen
ufern es sogar kleine fischchen gibt. danach ein wenig weiter auf höhe
geklettert und das halten wir dann erst einmal. vor dem erneuten abstieg auf
meeresniveau in die bucht sapulik haben wir noch ein recht sumpfiges stück zu
durchqueren. jeder sucht in diesem tiefer liegenden becken seinen weg alleine
durch zahlreiche bacharme, wollgrasfelder, morastige stellen. unten an der bucht
laufen wir wieder an der strandlinie entlang. spuren von schweren schuhen im
nassen schlick, unterhalb der flutlinie. so alt können sie noch nicht sein.
überraschend treffen wir
auch wieder einmal auf einen menschen, einen inuit, von dem die spuren, die wir
gerade gefunden haben, aber nicht stammen können. unser hej erwiedert er mit hej
hej. er ist gerade dabei, ein zelt aufzustellen, sein boot, ein einfaches,
kleines ruderboot, liegt am strand. zunächst spricht er uns auf grönländisch an.
wir verstehen natürlich kein wort. dann fragt er, ob wir dänisch sprechen. ich
verweise auf unseren “norweger” sammler und er wechselt ein paar worte: woher,
wohin, was zu tun. anscheinend ist unser einsamer inuit auf fisch
aus.
sammler:
auf unserem endspurt
richtung tiniteqilaaq treffen wir an der sapulik-bucht auf einen alten
inuitmann, der hier mit seinem boot in die bucht gekommen ist und sein zelt
aufgeschlagen hat. er spricht uns auf ostgrönländisch an – ostgrönland galt,
aufgrund der rauhen verhältnisse, noch bis ende des 19. jahrhunderts als
unbewohnt, daher entwickelten sich sprache und kultur sehr isoliert – wir
verstehen also kein wort. ich kann mir aber denken, dass er nach unserem woher
und wohin fragt. ich probiere es einfach mal mit norwegisch, vielleicht spricht
er ja dänisch, dann könnte es klappen. es funktioniert und ich erkläre ihm, dass
wir von kuummiit nach tiniteqilaaq wollen. er selber kommt aus unserem zielort
und ist wegen den lodden hier, welche bei flut in die bucht kommen sollen. wir
wünschen uns noch gegenseitig „far vel“ und dann trennen sich unsere wege
wieder.
wir ziehen weiter, entlang der küste geht
es recht schnell voran. einzig einige ausgedehntere schlickfelder halten uns
auf, hier sinken wir mit unseren lasten tief ein. entlang des zuflusses in die
bucht sapulik machen wir uns bei strahlendem abendsonnenlicht auf, einen
kohtenplatz zu finden. nochmals ist vor dem ausruhen arbeit angesagt. glis hängt
am ende sehr weit zurück. auf der anhöhe über einem see, bereits im
landesinneren finden wir dann was wir suchen. das terrain ist recht flach und
unweit von hier ist auch das ende einer tagesetappe auf der karte eingezeichnet,
so daß es zumindest trinkbares wasser in der nähe geben sollte. das wasser aus
dem see sieht nämlich recht schlammig und aufgewühlt trübe aus. nach dem
kohtenaufbau versuche ich also mein glück, muß für das wenige fließende, eher
tröpfelnde wasser, das ich finde aber recht weit steigen. das abendessen in der
kohte wird erneut zum drei gänge menü mit schokolade zum nachtisch. danach, es
ist mittlerweile 23 uhr und sehr kalt - schlafen.
tagesleistung: 11,5
km
koordinaten des
kohtenplatzes: 66°02´25´´n, 37°37´26´´w
temperatur (23 uhr): 3,8
°c.
dienstag, der 17. 7.
2001
der heutige morgen beginnt
sehr spät bei sonnigem wetter. ziel des tages ist es, uns möglichst nah an
tiniteqilaaq heranzubringen, das wir dann am mittwoch noch zu öffnungszeiten des
kni - marktes erreichen wollen. die mückensituation an diesem über dem einsamen
see gelegenen lagerplatz ist katastrophal. myriaden von mücken fallen uns an,
kaum, daß wir die nase aus dem schlafsack stecken. dabei sind sie hochaggressiv,
schrecken vor nichts zurück. entweder gibt es hier in dieser gegend deutlich
mehr mücken als dort wo wir die wanderung begonnen haben oder aber es liegt an
der zeit, die nun einfach weiter fortgeschritten ist, so daß mehr mücken
geschlüpft sind. die frage ist nur, wie sie sich ernähren, wenn wir nicht hier
sind, denn außer uns gibt es hier in grönland ja keine potentiellen opfer. wir
verfluchen den kni - markt in kulusuk und wundern uns einmal mehr, daß es dort
kein anti - mückenmittel zu kaufen gab. erstaunlicherweise sind die wenigen
ortschaften hier frei von mücken, vielleicht brauchen die inuit aus diesem grund
solche mückenmittel auch nicht. das zusammenpacken der sachen wird so zur qual.
kaum bin ich fertig, kann ich endlich, kreise um den lagerplatz ziehend, über
das plateau rennen, um mir so ein wenig wind und damit schutz vor den mücken zu
verschaffen, während die anderen noch am packen sind. nur zwei sachen helfen uns
hier neben den von uns betriebenen rauchfeuern gegen diese plage: wind, wir
lieben ihn, hoffen sehnsuchtsvoll auf sein auffrischen, und die kälte der nacht.
schlimm ist es auch, als
wir dann aufbrechen. zunächst umrunden wir unseren “schlaf”-see auf der
östlichen seite, um dann dem taleinschnitt folgend, langsam weiter aufwärts zu
steigen, bis vor uns fast in perfekter nord-süd-richtung ein ca. 3,5 km langer,
fjordähnlicher see ins blickfeld gerät. bevor wir an seinen ufern weiterwandern,
ist noch ein stark mäandernder und ein breites delta bildender gebirgsfluß zu
überqueren. es ist schwierig, hier eine möglichkeit zu finden, nicht furten zu
müssen. unter inkaufnahme von umwegen und dem einen oder anderen tritt ins
wasser gelingt es doch. ich trete dabei einmal zu kurz, so daß mir wasser von
oben in den schuh läuft. prima, nasse füße. auch der große, namenlose see ist
dann an seiner ostseite zu passieren. bis auf wenige ausnahmen von
klippenkletterei gelingt dies sehr gut, finden sich doch genügend gangbare
terrassen. hinter dem see haben wir einen kleinen anstieg zurückzulegen, ein
kleiner klarer bergsee beherrscht die erreichte passhöhe. von ihm aus folgen wir
dem bach ins tal und kommen so wieder auf meereshöhe an die ufer des sehr engen
amitsivartiv - fjords. auf einem begrünten stück direkt am wasser eines
zufließenden baches machen wir mittagsrast. zwar scheint trotz fortgeschrittener
zeit die sonne noch, doch uns ist sehr kalt, es geht ein vom meer kommender
starker wind, ich ziehe mütze, juja und schal an. im talgrund gibt es einige
schöne wollgrasfelder. die pause hier haben wir uns redlich verdient, danach
kommt nämlich das meisterstück des heutigen tags. da der restliche weg bis
tiniteqilaaq auf der höhe der gebirgskette verläuft, die sich über die halbinsel
zieht, auf der diese ortschaft gelegen ist, bedeutet dies für uns ab hier
klettern. auch die orientierung wird dadurch nun deutlich schwieriger. im tal
ist dies ja anhand der karte kein großes problem aber hier oben im berg ist jede
noch so kleine abweichung gleich mit großen zusätzlichen umwegen verbunden.
zunächst klappt es auch ganz passabel, den aufstieg bekommen wir recht gut
anhand des von der karte vorgegebenen routenverlaufs hin. doch einmal oben, sind
wir nicht mehr allzu klar über den weiteren verlauf. grundsätzlich müssen wir
erkennen, daß eine 1:100000er karte zum wandern im gebirge nicht viel hergibt
und unsere orientierungskünste scheinen heute abend auch nicht sonderlich
ausgeprägt. außerdem wird es richtig kalt und einen kohtenplatz hier oben zu
finden ist schwierig. an einem klammeinschnitt, der unter uns in gerader linie
zu einem kleinen see führt, entscheiden wir uns dazu, diesem zu folgen. das
bedeutet deutlichen verlust an höhenmetern, mühsames klettern über geröll- und
blockfelder, queren von schneefeldern, abstieg bis zum see, abkommen von der
vorgeschlagenen route.
auch sammler wäre nun
langsam gerne im schwarzzelt:
es ist mühselig, die
strecke von unserem lagerplatz bis nach tiniteqilaaq beträgt 18 km, das ist mit
einem solchen aufstieg verbunden natürlich zu viel. wir schlagen an einer ebenen
fläche im fels unser zelt auf. der kohtenbau ist immer so ein akt, die finger
sind von kälte ganz steif, der körper kühlt langsam ab und die verschwitzten
sachen kleben nass, kalt an der haut. man arbeitet nur noch auf das essen, seit
neustem doppelte portion, und den schlafsack hin.
am see haben wir glück.
hier gibt es einen recht passablen kohtenplatz bei allerbester sicht hinunter in
den ikaasatsivaq - fjord, wasser und bei der hier herrschenden kälte keine
mücken. die hat´s dann wohl wieder morgen früh. wir essen was das zeug hält:
eine komplette tagesration verschwindet in unseren hungrigen mägen. besonders
gulo´s appetit ist nicht zu stoppen. als er danach tatsächlich noch schokolade
auspackt, wird uns übel. glücklicherweise will er sie nur zählen, nicht auch
noch essen. endlich ist mir nach anfänglichen problemen doch noch warm geworden.
die kombination schlafsack mit komfortbereich bis +3 °c plus lange
angoraunterwäsche hat den härtetest eindeutig bestanden und ist durchaus
grönlandtauglich.
tagesleistung: 12,0
km
koordinaten des
kohtenplatzes: 65°56´30´´n, 37°40´33´´w
temperatur (23 uhr): 4,2
°c.
mittwoch, der 18. 7.
2001
am heutigen morgen ist
bereits früh um 10 uhr (!) wecken. eigentlich ist das ja noch nicht unsere zeit.
da es hier rund um die uhr hell ist. die sonne geht gerade einmal für knapp 2,5
h unter und in der zwischenzeit herrscht schönstes abend-, bzw.
morgendämmerungslicht. alle versuche, die bislang mit dem zweck gestartet
wurden, wieder zurück in einen normalen zeitablauf zu kommen, sind gescheitert.
heute aber wollen wir unsere große wanderung vollenden und in tiniteqilaaq noch
zur öffnungszeit des kni - marktes ankommen. so langsam geht uns die verpflegung
aus. deshalb die eile. das wetter zeigt sich nicht mehr von seiner besten seite.
dicke, graue aber noch hohe wolken bedecken den himmel, lassen uns aber
glücklicherweise die sicht auf die uns umgebende fjellandschaft. beeindruckend
ist von hier oben das zusammenspiel von wilder berg- und fjordlandschaft. ich
wasche mich im kleinen bergsee, ein wenig hygiene muß sein. den mücken scheint
dieser entschluß auch zu schmecken wie die vielen frischen stiche nach der
waschaktion belegen. überhaupt sind sie hier wieder einmal sehr lästig und wir
machen schnell, um loszukommen.
wie weit wir uns gestern
abend noch verstiegen haben, als wir auf der suche nach einem kohtenplatz der
rinne abwärts bis zum see gefolgt waren, das merken wir zu beginn der heutigen
letzten etappe. zunächst heißt es für uns wieder aufsteigen, an höhe gewinnen.
das steigen geht sehr gut, da es mit zwischenpausen über mehrere plateaus und
nicht unglaublich steil verläuft. als wir endlich oben sind, merken wir, daß die
route eigentlich auf dem nächsten grat verläuft. von unserem gibt es die
möglichkeit, über einen umweg mit schneefeldquerung und anschließender
nochmaliger steigung, dorthin zu gelangen. mit einem kraftakt schaffen wir es
und sind trotz der kalten temperaturen total verschwitzt. hinter uns her glis,
der immer noch mit seiner erkrankung zu kämpfen hat. jetzt ist es für uns
einfacher. die route führt über den grat des tinitequilaaq - bergrückens mit
wenig höhendifferenz richtung südwest. auf der anderen seite haben wir jetzt
auch wieder sicht auf den sermilik oder egede og rothes fjord mit seinen
eismassen. hier ist er zwar deutlich freier von kleinen eisschollen, es fallen
aber besonders die riesengroßen, steil aus dem eisfjord aufragenden,
schwimmenden inseln gleichenden eisberge auf, die tief unter uns im wasser
treiben. dann nochmals ein anstieg, unser letzter auf einen pass knapp unterhalb
des hausberges von “tini”. wir sind jetzt ca. 350 m hoch. hier haben wir auch
noch einige längere schneefeldpassagen vor uns. über schneefelder zu gehen ist
eigentlich eine recht einfache angelegenheit. man kommt gut und schnell voran.
aufpassen muß man allerdings, wenn das schneefeld eine neigung aufweist, hier
kann man leicht wegrutschen und an den rändern der felder, wo es durchaus
passieren kann, daß man bis zum knie oder auch tiefer einbricht und sich aus dem
loch dann erst wieder mühsam freikämpfen muß. erstaunlich ist auch der effekt
des “white out”, der eintritt, wenn ein längeres schneefeld zu queren ist und
man genau hinsehen möchte, wo man hintritt: das auge wird auch bei bedecktem
himmel so geblendet, daß man einzelheiten nicht mehr wahrnehmen kann. erst eine
orientierung in richtung der umgebenden felslandschaft schafft dann wieder
klarheit. rast auf der passhöhe. letzte rast. uns ist ein wenig wehmütig zumute.
kräfte sammeln für den abstieg. die letzten rationen an schokolade werden
gegessen. gulo versucht, schnee zum trinken zu schmelzen. uns wird kalt. wir
ziehen weiter. fast auf gleicher höhe bleibend, umrunden wir den 411 m hohen
hausberg der kleinen ortschaft und können dann, von weit weit oben, die ersten
häuser von tiniteqilaaq erkennen. der abstieg verläuft langsam in mehreren
terrassen und zieht sich. die häuser verschwinden für den größten teil der
restlichen wanderung wieder hinter irgendwelchen vorbergen.
dann sind wir unten und
müssen an wild an ihren ketten zerrenden, jaulenden schlittenhunden vorbei und
über die örtliche müllkippe den ort betreten. der weg durch den ort ist kurz,
viele häuser gibt es hier auch nicht, sie sind nur relativ weit voneinander
entfernt, auf den klippen an der landspitze der halbinsel gebaut. davor ein
relativ großer, gut geschützt liegender hafen, der von der vorgelagerten insel
sarpaq vom großen eisfjord bis auf eine schmale meerenge getrennt ist. die
siedlung selber erinnert mit den vielen kleinen bunten, älteren und neueren
häusern und hütten an kulusuk, wenngleich tiniteqilaaq insgesamt wohl kleiner zu
sein scheint. mittendrin jede menge angekettete schlittenhunde und auf den
hauptwegen viele spielende inuitkinder, die uns auf grönländisch freche sprüche
hinterherrufen. schön, wenn man das nicht versteht. sowohl die post zwecks
rückmeldung in deutschland, als auch der örtliche kni - markt haben geschlossen,
es ist erst 16:30 uhr. auf der suche nach einer möglichkeit die kohte
aufzustellen, gehen wir in richtung nördliches ortsende zum
hubschrauberlandeplatz. an einem niedrigen, neueren, langgestreckten holzhaus
sitzt vor dem eingang eine dänin mit drei inuitkindern, eine schar weiterer
kinder spielt auf dem platz vor dem haus fußball. wir beschließen zu fragen, ob
wir wasser bekommen können und haben, welcher zufall, das gemeinschaftswaschhaus
gefunden. hier hat sich derzeit eine gerade angekommene gruppe dänischer
touristen eingefunden, die morgen per boot weitertransportiert werden wird. wir
bekommen problemlos wasser, sichten für morgen früh duschen (!). außerdem gibt
es hier ein münztelefon. leider habe ich die falsche vorwahl für deutschland, so
daß ich nicht pati mitteilen kann, daß wir die wildniswanderung unbeschadet
überstanden haben. aber sammler schafft es, mette in kulusuk zu erreichen, die
von unserem tempo, vereinbart war ein treffen erst am sonntag, ein wenig
überrascht ist und mit sammler ausmacht, daß wir morgen nachmittag noch einmal
anrufen, dann wisse sie mehr.
sammler beschreibt unseren
einzug am zielort so:
wir stoßen zum
gemeindehaus vor, in welchem gerade eine gruppe von dänischen touristen rastet.
wir unterhalten uns. man fragt uns nach der route, welche wir gegangen sind und
bekommen es schließlich noch geschmeichelt, als ein mann fragt, ob wir dies in
einem tagesmarsch gemacht hätten. wir schmunzeln – 115 km querfeldein, über
gletscher, durch schnee, reißende flüsse und über etliche abhänge an einem
tag?
in dem gemeindehaus finden
wir ein telefon mit welchem wir mette anrufen. „schon da? alles in ordnung?“,
scheinbar haben wir mit 10 tagen einen neuen rekord hingelegt.
hinter dem heliport
klettern wir die klippen hoch und finden mit ach und krach einen relativ ebenen
platz, der so gerade für das aufstellen der kohte ausreicht. noch nie hat sie so
schlecht gestanden aber egal, hier oben über “tini” sind wir einerseits aus dem
ort raus, andererseits aber so nah am gemeinschaftshaus, daß es nicht zu weit
ist, wasser zu holen. nach einem essen aus den vorletzten beständen unserer
wanderverpflegung gehen sammler und ich noch einmal spülen und wasser holen.
danach ab in die kohte und die schlafsäcke. es ist kalt. ab und an lautes
donnergrollen wie von einem gewitter aus den weiten des eisfjords: von den
eisbergen platzen eisplatten ab und prasseln ins ruhige meer. früh gehen wir
schlafen mit der gewißheit, es jetzt geschafft zu haben.
tagesleistung: 8,5
km
koordinaten des
kohtenplatzes: 65°53´31´´n, 37°46´51´´w
gesamte wanderleistung
querfeldein von kuummiit nach tiniteqilaaq: 114,5 km.
donnerstag, der 19. 7.
2001
ausruhtag in tiniteqilaaq.
der heutige tag ist ganz unserer erholung gewidmet. zunächst schlafen wir lange
aus. das ist zum einen nicht schwer, da uns noch die kilometer der letzten tage
in den knochen stecken, zum anderen gibt es hier erstaunlicherweise keine mücken
und, da der himmel bedeckt ist, werden wir auch nicht frühzeitig durch eine für
übermäßige hitzeentwicklung verantwortliche sonne in den schlafsäcken und der
kohte geweckt. gegen 11 uhr wecke ich sammler und wir gehen runter ins dorf an
den anleger, um zunächst im kni - markt einkaufen zu können. der laden ist,
unterteilt in drei bereiche, in einem roten langen holzhaus am hafen
untergebracht. in der ersten abteilung finden wir das was uns interessiert:
lebensmittel. hinter der theke separat abgeteilt, sind die kasse und
kioskartikel. an der wand hängen verschiedene gewehre zum verkauf. das angebot
an lebensmitteln ist klein, aber für unsere zwecke ausreichend. sogar milch,
brot und äpfel gibt es. in der zweiten abteilung krimskrams vom fernseher über
kerzenhalter bis hin zu kitsch. in der dritten abteilung bekleidung. die
erwachsenen inuits begegnen uns hier sehr reserviert. vielleicht haben sie mit
reisenden schon schlechte erfahrungen gesammelt. auf der gegenüberliegenden post
das gleiche spiel, zwar können wir telefonieren, doch die behandlung ist äußerst
zurückhaltend. hier bekommen wir dann endlich auch die richtige vorwahl nach
deutschland und ich kann mich bei pati von der wanderung zurückmelden. sie freut
sich darüber. das wiederum freut mich. voll bepackt ziehen wir wieder zur kohte.
oben angelangt, wecken wir die beiden anderen zum frühstück und endlich gibt es
mal wieder brot mit margarine und marmelade anstatt angerührten brei. dazu
milch. uns hier für den tag zu verpflegen ist echt nicht gerade billig. wir
haben eigentlich nicht sehr viel gekauft, sind aber gut 50 euro los geworden.
die fahrtenkasse schwindet so zusehends. in kulusuk schienen die preise deutlich
billiger zu sein.
nach dem frühstück dann
die krönung. nach 13 tagen können wir im gemeinschaftshaus zum ersten mal wieder
duschen, werden richtig sauber. das wasser ist heiß und wir dürfen so lange
duschen, wie wir wollen. nach den wäschen im fjell an eiskalten flüssen und
bächen eine echte wohltat. luxus. zurück in der kohte vergammeln wir den tag.
dösen, lesen, irgendwann wird mittag gegessen. unterbrochen wird dieses
lotterleben zum einen durch die landung eines hubschraubers auf dem heliport
direkt unter uns und zum anderen durch den besuch von drei inuitkindern in
unserer kohte. sind die erwachsenen inuit hier in “tini” sehr einsilbig, so sind
die kinder richtig frech. zumindest, wenn man sie nach unseren maßstäben
beurteilt. die drei käsehochs stehen plötzlich in der kohte, kinderhände, die
sich durch geschlaufte kohtenbahnen einen weg ins innere suchen. ganz dreist und
ohne zu fragen, setzen sich die drei ins zeltinnere und fangen an, untereinander
über uns und unsere ausrüstung zu reden. wir versuchen es mit ignorieren, sie
flüstern, wir lenken ab, sie bleiben. eigentlich schade, daß man nicht
miteinander reden und diese begegnung als chance nutzen kann. draußen startet
der heli wieder, das lenkt ab und wir bekommen die kohte wieder frei und gulo
macht erst einmal alle luken dicht.
sammlers
eindruck:
unsere kohte schlagen wir
am stadtrand in den felsen auf. zwar liegt sie dort recht versteckt, aber
dennoch dauert es nicht lange, bis uns die kinder des dorfes entdeckt haben. die
sind es gewöhnt, von touristen verwöhnt zu werden. bei einem pärchen, welches
einen tag lang unterhalb von uns, am hubschrauberlandeplatz genächtigt hat,
dachte ich, die zwei inuitkinder wären deren adoptivkinder, so sind die mit
denen umgegangen. wir sind aber keine normalen touristen und haben auch keine
süssigkeiten parat, so dauert es nicht lange, bis unser zelt mit steinen
beschmissen wird. generell scheinen wir hier nicht gerade sehr willkommen zu
sein, im gegensatz zu kulusuk werden wir stets kritisch beäugt, selten nur wird
einem freundlichkeit und respekt erwidert. sowas hemmt natürlich die
erkundungslust, schade, da hätten wir eigentlich auch länger im fjell bleiben
können.
am späteren nachmittag
ziehen sammler und ich, mit den fotoapparaten bestückt, ein wenig über die
oberhalb des ortes liegenden klippen. dabei bemerken wir, daß wir nicht allzu
fern vom alten dorffriedhof hier oben die kohte aufgeschlagen haben. nun ja, ein
richtiger friedhof ist es ja eigentlich auch gar nicht, eher ein wirres
gräberfeld mit weißen, von der sonne ausgebleichten schiefen holzkreuzen.
anscheinend hat man früher die toten hier oben hoch über den dächern von “tini”
bestattet, wo platz war zwischen den felsen. keine inschriften, bis bei einem
recht aufwendig gestalteten kreuz, die gräber bedeckt mit losen steinen. keine
20 m weiter 2 aufgeplatzte müllsäcke, bierdosen und glasscherben gibt es hier
sowieso überall, und ein verlassenes fischernetz. unglaublich, daß es hier keine
möglichkeit gibt, ordentlich mit müll umzugehen. sammlers versuch, heute
nochmals bei michael in kulusuk anzurufen mißlingt. die post hat bereits
geschlossen und das münztelefon im gemeinschaftshaus ist, weil ebenfalls
geschlossen, auch nicht zugänglich. so verschieben wir den fälligen anruf halt
auf morgen früh. zum abendessen gibt es sündhaft teures dosenrisotto mit fleisch
und pilzen. leider gibt es keine möglichkeit, hier an frische sachen zu kommen.
prima, das zeug brennt direkt an. ist der benzinkocher von michael für das
kochen von wasser aufgrund der hohen brennleistung allerbestens geeignet, ist
das sanfte erwärmen von speisen nicht seine beste disziplin. nach dem essen
liegt der fjord im abendsonnenlicht mit seinem vielen eis wieder so malerisch
vor uns, daß sammler noch einmal mit seiner kamera los muß. ich zögere zunächst,
entschließe mich dann aber aufgrund der kühlen außentemperaturen doch das wenig
wärmere innere der kohte aufzusuchen, mich schlaffertig zu machen und in den
schlafsack zu verziehen. das niveau der mannschaft ist heute nicht besonders
hoch. hoffentlich haben wir in der
kommenden woche noch viel zu tun und zu sehen. langeweile in der mannschaft wäre
tödlich für den geist der grönlandfahrt.
die umstellung vom freien,
wilden und kraftvollen leben auf der wanderung, das eigenverantwortlich und ohne
hilfestellung von außen ablaufen konnte, zurück zu einem leben am rande der
zivilisation mit einkaufs- und kommunikationsmöglichkeiten und ohne die
anforderungen an die gruppe und jeden einzelnen weiter zu müssen, dieser
einsamkeit widerstehen zu können und in und mit ihr in einklang leben zu können,
ist hart. zwar befinden wir uns noch immer auf fahrt, es gelten weiter unsere
regeln, die das zusammenleben gestalten, aber der höhepunkt ist zweifelsohne
vorbei. wir sind hier in tini zunächst einmal gestrandet, müssen warten, wie es
weiter geht, sind nicht mehr gänzlich unser eigener herr, abhängig vom dorf und
der gutwilligkeit seiner bewohner. das fängt schon bei so kleinigkeiten an wie
wasser holen und waschen. draußen im fjell konnten wir uns im nächsten bach
einfach bedienen, hier müssen wir alles erfragen und erbitten, fühlen uns ein
wenig als eindringlinge in das inuit-leben, in den alltag der
bevölkerung.
temperatur (22 uhr): 5,2
°c.
freitag, der 20. 7.
2001
zwei wochen sind wir nun
schon unterwegs und heute geht das abenteuer in die dritte und letzte woche. und
es ist zunächst gar nicht mehr abenteuerlich. die nacht empfinde ich als
eiskalt. egal was ich mache, ich friere dennoch. mein normales nachtzeug ist die
lange unterwäsche aus angora, ergänzt um das schlaf - t - shirt. seit heute
abend habe ich im schlafsack zusätzlich noch den pullover an. trotzdem friere
ich noch, mache alle luken dicht und atme in den schlafsack hinein.
normalerweise sollte jetzt eigentlich gut sein, bislang hat diese letzte
maßnahme immer dazu geführt, anständige temperaturen im inneren des schlafsacks
aufrecht zu erhalten. doch diesmal: fehlanzeige, ich friere immer noch und durch
den feuchten atem wird alles zusätzlich auch noch klamm. als letztes ziehe ich
mir noch die kluft über und ärgere mich über den schweißgestank, den sie
verbreitet. aber: immer noch frieren. das kommt davon, wenn man tagsüber nicht anständig gearbeitet und
den körper auf touren gebracht hat. ich hoffe auf die sonne. gegen 6 uhr haben
wir knapp über 3 °c außentemperatur, die kohteninnenwände sind taufeucht. mit
zunehmender tageszeit steigen dann auch tatsächlich die temperaturen an und ich
kann am stück weiterschlafen, ohne vor kälte ständig wieder wach zu werden. am
späten vormittag kaufen sammler und gulo für den tag ein und sammler telefoniert
nochmals mit kulusuk, aber nur line ist zu hause. wir werden also nochmals
anrufen müssen. zum frühstück wieder brot und milch, danach beschäftigen wir uns
mit lesen, dösen, gammeln. der geruch in der kohte war auch schon einmal besser.
sammler und ich gehen gegen mittag noch einmal hinunter in den ort, vom postamt
aus können wir endlich mit mette nielsen telefonieren und wissen danach, daß wir
hier tatsächlich bis zum sonntag festhängen. erst dann kann uns jemand abholen
mit dem boot und nach einer tour über den sermilik zurück nach kulusuk bringen.
anschließend ziehen wir noch ein wenig durch “tini” und machen fotos.
sammler über ein erlebnis
mit den einheimischen:
bei einem meiner ausflüge
habe ich eine lustige begegnung mit ein paar angeheiterten
inuits.
als ich gerade in den
felsen am rumkrakseln bin, ruft plötzlich irgendwer von der wiese hinter dem
heliport her. dort liegen ein paar inuits im gras, ein mann winkt mir, natürlich
erwieder ich. aber er scheint mich weniger zu grüßen, als zu wollen, dass ich
mal zu ihm runter komme - meint er wirklich mich, na ja hier ist ja sonst
keiner. ich setz mich also in bewegung.
dort sitzt also der mann,
eine schwerere, schon gut volle inuitfrau und eine weniger kräftige mit ihrem
kind. alle drei scheinen schon einen im tee zu haben. wir fangen an, uns zu
unterhalten. dänisch spricht er kaum, nur was englisch. er fragt woher und
wohin, wie lange wir bleiben wollen und wie es mir hier gefällt. der inuitmann
heißt heinrich, scheint jedenfalls so, die frauen haben namen, die ich nicht
aussprechen kann, was natürlich recht lustig ist. aber auch mein name muss erst
mal in fredeii umgewandelt werden, bevor er ausgesprochen werden kann. die dicke
ist mittlerweile drisskranatenvoll und checkt gar nichts mehr, das meint auch
heinrich. sie lallt ständig irgendwelche sätze auf ostgrönländisch, mit meinem
namen drin. ich find das lustig. irgendwann gehe ich dann auch wieder,
verabschiede mich und wir winken uns noch ein paar mal nach, als ich wieder in
den felsen bin.
nach dieser begegnung
denke ich noch etwas nach: vielleicht werden wir hier gar nicht so ablehnend
betrachtet. immerhin sind wir hier in einer völlig fremden kultur und fallen
sehr auf. ich denke mal, dass so etwas uns schon mit der erwartung misstrauisch
beäugt zu werden bestückt. vielleicht verhalten sich die leute in europa
ebenfalls so, nur wir nehmen es dann ganz anders wahr. andererseits, in einem so
kleinen ort bekommt man die einstellung der bewohner viel intensiver mit und wo
beschmeißen einem die kinder schon das zelt mit
steinen?!
die einheimische
bevölkerung scheint hier genauso auf etwas zu warten wie wir, mit dem
unterschied, daß wir nur auf der durchreise sind. die armut der familien hier
ist offensichtlich. zwar ist der gesamteindruck des dörfchens mit seinen bunten
holzhäusern und hütten auf den ersten blick pittoresk, auf den zweiten blick
jedoch zeigt sich die agonie des lebens unter diesen harten äußeren bedingungen.
müll, der achtlos im dorf verteilt auf dem boden liegt, abblätternde farbe an
holzwänden, keine geschäftigkeit auf den straßen. nur die vielen kinder sind
hier immer präsent und bringen leben in die ortschaft. ob sie eine chance in
ihrer zukunft haben werden?
die modernisierungspolitik
der dänischen regierung und der grönländischen selbstverwaltung innerhalb der
letzten 50 jahre, so übereinstimmend aktuelle publikationen über das land, hat zu gewaltigen veränderungen
innerhalb der bis dahin traditionell lebenden und arbeitenden
bevölkerungsstruktur der grönländischen ureinwohner geführt. grönland ist
inzwischen durchaus eine moderne gesellschaft. auch die siedlungsstruktur ist
längst nicht mehr die gleiche wie früher: lebte in der vergangenheit die gesamte
inuit-bevölkerung nomadisierend als jäger und sammler über das land verstreut in
kleinen und kleinsten wechselnden siedlungen, so wohnen mittlerweile über 80 %
der grönländer in den städten, wobei bei der größe der städte nicht
mitteleuropäische maßstäbe zugrundegelegt werden dürfen. in den siedlungszentren
gibt es moderne gymnasien, fachhochschulen und seit einigen jahren auch eine
kleine universität in der hauptstadt nuuk. eine dorfschule mit fast
ausschließlich dänischen fachkräften, findet sich in jeder kleinen siedlung.
außerdem verfügt das land heute über ein gut ausgebautes gesundheitswesen, auch
von dänischem personal getragen. das telekommunikationsnetz ist eines der
modernsten weltweit. in 8 der 18 grönländischen städte gibt es einen flughafen,
weitere sollen folgen. fortbewegungsmittel ist nicht mehr das kajak, sondern das
speedboot. in fast jedem grönländischen haushalt gibt es jetzt tv, video und
stereoanlage.
der arbeitsmarkt
entspricht längst nicht mehr dem einer traditionell lebenden
nomadengesellschaft. die meisten grönländischen arbeitnehmer sind angestellte im
öffentlichen dienst, worunter auch die post, die kni-läden, usw. fallen. uns
fällt auf, daß rationalisierung und effektive arbeit, wie wir es aus europa
gewohnt sind, hier fremdworte sind. hier geht es nicht darum, möglichst viel
arbeit durch möglichst wenige beschäftigte in möglichst kurzer zeit zu
bewältigen, sondern möglichst viele menschen überhaupt in lohn und brot und
damit weg von der direkten abhängigkeit vom dänischen staat, in form von
sozialhilfe zu bekommen. indirekt lebt hier aber fast jeder auf kosten des
dänischen staats. immerhin gibt es noch wenige berufsmäßige jäger und fänger,
wenngleich die meisten auf zusätzliche einkünfte angewiesen sind, um ihren
lebensunterhalt bestreiten zu können.
trotzdem ist grönland
heute nur beinahe eine moderne gesellschaft. in entlegeneren gebieten, besonders
auch in ostgrönland, behalten trotz satellitenfernsehen und snowmobil
traditionelle lebens- und arbeitsweisen die oberhand. hier hat die jagd noch
entscheidende bedeutung als ernährungs- und erwerbsquelle der meisten familien.
erhalten hat sich in gewissem umfang auch die tradition, den sommer an einem
anderen wohnplatz zu verbringen als den winter: nach wie vor zieht eine ganze
reihe von familien dann in gute fanggebiete außerhalb der städte und siedlungen
und lebt im zelt, um vorräte für den winter zu fangen und zu jagen.
gerade dieser paradoxe
spannnungsbogen zwischen tradition und moderne der alten inuit-kultur macht
ostgrönland für uns auf unserer fahrt so interessant. verantwortlich ist er aber
ebenso für die klassischen probleme der grönländischen
gesellschaft:
·
grönlands selbstmordrate
ist die höchste der welt. betroffen sind vor allem junge männer. ein phänomen,
das von der wissenschaft ursächlich auf den verlust des besonderen status der
männer in der grönländischen bevölkerung als jäger und damit ernährer der
familien zurückgeführt wird.
·
alkoholismus ist in der
grönländischen bevölkerung weit verbreitet, vor allem unter jugendlichen. gründe
hierfür sind u.a. fehlende arbeitsplätze, die die moderne industriegesellschaft
nicht für alle bewohner in ausreichendem maße bereitstellen kann. auch wir
werden ein paar mal zeuge exzessiven alkoholgenusses bei einigen
inuit.
·
gewaltkriminalität.
bezieht man sie auf die bevölkerungszahl ist sie vergleichbar mit der von
washington d.c. . auch hier spiegeln sich die drastischen veränderungen
innerhalb der gesellschaftsstruktur wieder.
·
(jugend)arbeitslosigkeit.
eines der größten aktuellen probleme im modernen grönland ist die hohe
arbeitslosenrate. darunter zu leiden haben direkt oder indirekt vor allem kinder
und jugendliche.
·
umweltverschmutzung. das
traditionelle leben der inuit von und mit der sie umgebenden umwelt war stets
auf eine symbiose und einen dadurch entstehenden natürlichen schutz der natur
abgestellt. das moderne heutige leben bringt jedoch auch die moderne problematik
der umweltverschmutzung mit sich, sei es die der meere oder die errichtung von
großen mülldeponien, angefüllt mit zivilisationsmüll, die die landschaft
verschandeln und vergiften.
·
tourismus - segen oder
fluch? zum einen bietet der aufkommende und stärker werdende grönlandtourismus
neue arbeitsplätze und somit geld für die leute. auf der anderen seite trägt er
in wesentlichem maße zu weitere umweltzerstörung und verwässerung der
ursprünglich inuit-kultur bei.
zurück in der kohte
mittagessen und danach ein längeres verdauungsschläfchen. das buch mit den
eskimomärchen, daß ich den ganzen weg von kuummiit bis hierhin mit mir getragen
habe, macht die runde. die märchen sind eigenartig, haben keinen richtigen
anfang, keine richtige handlung und kein richtiges ende und zum großen teil
drehen sie sich um hexerei, mord und todschlag und sexuelle handlungen mit
menschen, geistern und tieren in menschengestalt. sehr eigen!
das wetter kann sich auch
nicht so recht entscheiden. war es gegen mittag richtig “heiß”, zieht es sich
später zu und aus den grauen wolken fallen sogar einige regentropfen. nicht
viel, aber vorsorglich machen wir dann doch das innere der kohte regendicht und
spannen noch einmal nach. dank des innenteleskopgestänges, das wir wegen
fehlender bäume und kohtenstangen hierhin mitgenommen haben, ist das recht
einfach zu bewerkstelligen und niemand muß den fuß vor die tür setzen. von essen
zu essen. am abend kochen wir wieder. glücklicherweise hat uns michael genügend
sprit mitgegeben, so daß eine warme mahlzeit am tag kein problem ist. draußen
wird es langsam dunkel, erneut zieht dichtere bewölkung auf und wenige tropfen
fallen. gulo und sammler gehen nochmals runter zum meer. ich freue mich, aufs
morgige erneute duschen und darauf, daß wir versuchen werden, unsere gesamten
dreckigen klamotten im gemeinschaftshaus per maschine zu waschen und zu
trocknen. hoffentlich klappt das und hoffentlich ist die nacht nicht so
kalt....
temperatur (21:30 uhr):
5,8 °c.
samstag, der 21. 7.
2001
auch über diesen tag, hoch
über tiniteqilaaq in der kohte, gibt es nicht allzuviel zu berichten. wie die
tage zuvor schlafen wir am vormittag recht lange aus. anscheinend haben wir uns
während der schnellen wanderung ziemlich verausgabt und enormen nachholbedarf.
die nacht war glücklicherweise wärmer als die vorherige, so daß ich zwar ab und
zu leicht fröstelte, aber nicht frieren mußte. gulo und glis kaufen nach dem
aufstehen im kni - markt für das wochenende ein. dabei schaffen sie es aber
nicht, waschmittel für unsere schmutzige wäsche, die wir ja heute reinigen
möchten, zu besorgen, sondern kommen mit weichspülerkonzentrat an. zumindest
riecht der frischer als unser schmutziges zeug. dann, nach dem frühstück, die
enttäuschung des heutigen tages: weder das waschen der sachen ist uns möglich,
noch das erneute duschen, da das gemeinschaftshaus heute geschlossen ist.
komisches volk! auch die post hat zu, so daß ich für die postkarten keine
briefmarken bekommen kann. na ja, schreib´ ich die karten halt schon mal, dann
hab´ ich das hinter mir. danach dösen und warten auf das nächste essen. vor
allem für gulo ist das immer sehr schwierig und seine ständige fragerei nach
essen und der nächsten mahlzeit kann dem rest der mannschaft schon ganz schön
auf die nerven gehen. überhaupt nerven wir uns heute gegenseitig ziemlich an.
langsam wird das warten hier langweilig, ja unerträglich. wir können nicht mehr
auf unseren isomatten liegen und ständig eskimomärchen lesen. das wird bei den
wirren geschichten irgendwann auch öde. den ort und seine umgebung haben wir nun
auch schon mehrfach erkundet.
so ist die stimmung in der
kohte nicht unbedingt die beste, was in gewisser weise auch auf die
minimalbesetzung dieser fahrtengruppe mit nur vier fahrern zurückzuführen ist.
das war in lappland 1999 mit 8 juschkenbewohnern und größerer diversität der
persönlichkeiten deutlich besser. trotzdem, es wird zeit, morgen von hier fort
zu kommen und wieder etwas anderes zu sehen. am abend mache ich dann noch einmal
alleine eine fototour den strand, bzw. die klippen hoch und runter. in der
tiefstehenden abendsonne hat es mir besonders ein tiefblauer eisberg mit
größtenteils transparentem eis angetan, der nicht allzuweit von der küste
entfernt im sermilik schwimmt. doch was ich auch versuche, irgendwie schaffe ich
es nicht, ihn anständig auf film zu bannen. entweder ist er zu weit weg, ein
vordergrund fehlt, die sonne steht falsch, oder, oder, oder. nach einer weile
gebe ich´s auf und zurück bei der kohte kochen wir wie vorgestern wieder risotto
mit fleisch und pilzen aus der dose. das zeug brennt immer an und die jungs, die
mit spüldienst dran sind, haben richtig etwas zu tun. dabei haben sie aber auch
einen einmaligen ausblick, denn der fjord in abendstimmung, gerade geht auf der
gegenüberliegenden seite des eisfjords hinter fjellgipfeln die rotgoldene sonne
unter, ist einfach unbeschreiblich schön. außerdem dürfen wir noch ein
naturschauspiel beobachten: ein recht nah an der küste direkt unter uns
gelegener mittelgroßer eisberg birst auf einmal unvermutet auseinander und mit
einem lauten donnerschlag brechen seine zwei hälften ins wasser und drehen sich
so lange, bis sie einen neuen schwerpunkt gefunden haben. die wellen, die dieser
dreher verursacht, sind recht hoch. mittlerweile ist es wieder kalt geworden und
ich bin froh, mich endlich wieder in den schlafsack begeben zu dürfen. nicht nur
wegen der kälte wird es eine recht ungemütliche nacht.
sonntag, der 22. 7.
2001
abendstimmung am hafen.
die sonne ist hinter den häusern von tiniteqilaaq verschwunden, der himmel
strahlt aber noch blau mit weißen schleierwolken. im hintergrund summt der
dieselbetriebene stromgenerator des ortes monoton. immer wieder leichte,
eiskalte luftströmungen im gesicht. das fjell auf der der hafenbucht gegenüber
liegenden ammassalik ø liegt noch im sonnenschein. es riecht frisch und nach
meer. so liegen wir hier im kleinen hafen von tiniteqilaaq unweit des
schonerkais im windschatten eines roten lagergebäudes auf europaletten, die wir
zu einem großen quadrat ausgelegt haben. darauf ponchos, darüber eine lage
kohtenblätter, dann die isomatten. zwei weitere kohtenblätter werden zum
zusätzlichen abdecken der schlafsäcke dienen. ich schreibe in schal, mütze und
mit einem handschuh, meine schreibhand wird dabei ganz schön kalt. hier werden
wir, unter grönlands freiem himmel, die nacht zubringen müssen. das ist fahrt,
man weiß halt am morgen nie, wo es einen am abend hin verschlägt. doch wie kommt
es zu diesem ungewöhnlichen nachtlager? von vorne.
meine nacht war
tatsächlich richtig ungemütlich. irgendwas muß mit dem risotto gestern abend
nicht gestimmt haben. ich wache mehrfach auf und habe, ungewöhnlich für mich,
das gefühl, mich übergeben zu müssen. beim gedanken an das gestrige essen wird
mir kotzübel. schnell raus aus der kohte, was wegen der schlaufen gar nicht mal
so einfach geht. zum glück geht es meinem magen besser, als ich meinen durchfall
los bin, so kann ich wieder ins zelt und unbequem weiterschlafen. ein paar
stunden später das gleiche spielchen von vorne. so, jetzt reichts. im
apothekertäschchen finde ich entsprechende abhilfe und die schlägt auch so gut
an, daß ich den ganzen folgenden tag zwar darauf verzichte zu essen, aber vom
magen-darm-trakt keine neuen beschwerden mehr ausgehen. daß mir irgendetwas in
den knochen steckt erkenne ich daran, daß ich heute total kraftlos bin und
außerdem noch leichtes dauerkopfweh habe.
der abbau der kohte hoch
über tini geht schnell und wir durchschreiten gegen mittag den ort mit der
gewißheit, nach der langen zeit, die wir hier verbracht haben, heute endlich weg
zu kommen. die stimmung in der mannschaft ist dementsprechend gut. das wetter
ist, nach frühnebel bestens. der eisfjord im nebel ist wieder ein exzellentes
naturschauspiel. an windstillen orten ist es nahezu heiß zu nennen. unten am
hafen haben wir nun zeit genug, die inuit mit ihren booten herein- und
herausfahren zu sehen, karten zu spielen, zu lesen, kurz, uns die zeit zu
vertreiben. die wird uns recht lang, denn die sonne wandert, die schatten werden
länger, aus ebbe wird flut, nur das boot, das uns zurück nach kulusuk bringen
soll, will nicht kommen. ausgemacht war mit michael, daß uns hier heute
nachmittag jemand aufpickt, der von kuummiit kommend, mit uns noch durch die
eiswelt des sermilik fjordes fahren sollte und uns danach nach kulusuk
zurückbringt. solange wir auch warten und so viele boote auch aus richtung
kuummiit in den hafen einlaufen, unser boot ist nicht dabei. wir hören über
radio von viel eis in tasiilaq, über kulusuk weiß man hier nichts, aber da wir
die tückische eissituation im hafen von kulusuk ja bereits selber kennengelernt
haben, halten wir diese einschätzung der lage für die plausibelste erklärung
unseres versetztwerdens. die post und das gemeinschaftshaus mit münztelefon sind
am heutigen sonntag zu, so daß wir nicht mit michael telefonieren
können.
das warten zermürbt auch
sammler:
ab und zu kommen
vereinzelte gruppen aus dem ort, um uns beim warten zuzuschauen. besonders die
männer und kinder sind an unserem kartenspiel interessiert. die menschen hier
scheinen nun viel aufgeschlossener zu sein, sie haben wohl gemerkt, dass wir
nicht nur gaffende touristen sind.
also kochen wir zunächst einmal und bauen
uns dann das schon beschriebene nachtlager im hafen von tini. es werden noch
wachen eingeteilt. ab 22 uhr jeder 2 h. ich bekomme die letzte wache. glück
gehabt, da kann ich wenigstens durchschlafen. dann geht´s in die nacht. mal
sehen wie das funktioniert.
montag, der 23. 7.
2001
schlafen kann ich, trotz
der umstände, überraschend gut, bequem und vor allem warm. die zusätzliche
kohtenplane, mit der wir uns zudecken, bringt die notwendige restwärme auf, die
meinem schlafsack ohne zelt fehlt. nur ein wenig kopfweh habe ich noch. als glis
mich gegen 4 uhr zur wache weckt, sind es 3,2 °c. kurz nach dem wachwechsel
kommt in den hafen von tiniteqilaq gerade ein solches boot eingelaufen, wie es
uns auch nach kuummiit gebracht hatte. wie sich später herausstellen sollte,
handelt es sich dabei tatsächlich um unser boot. unser bootsführer läßt uns am
kai aber in ruhe, ohne zu uns zu kommen, verzieht sich in den ort und für eine
recht lange zeit sehen wir ihn nicht wieder. dann geht über der hügelkuppe im
nordosten des dörfchens die sonne auf und recht schlagartig ändern sich die
temperaturverhältnisse für uns. war es zuvor außerhalb von schlafsack und
kohtenblatt recht kalt, wird es jetzt zwar nicht angenehm warm, aber aushaltbar.
ich halte unser nachtlager für die nachwelt auf film fest und kämpfe mich weiter
durch die wache, indem ich das unbeschreibliche fjell der dem hafen gegenüber
liegenden angmassalik ø im frühen morgenlicht betrachte, der ebbe beim kommen
zusehe und karten studiere. um 6 uhr heißt es dann wecken. wir packen schnell
zusammen und bringen alles in seinen urzustand zurück. damit beginnt also der
zweite tag des wartens im hafen von tiniteqilaq. aus unseren vorräten kommt der
letzte brei als erstes frühstück. danach geht es so weiter, wie der letzte tag
geendet hat: warten, karten spielen, warten,... mit einigen unterschieden
jedoch: 1. die sonne steht jetzt an einem wolkenlosen himmel, daß man sich prima
sonnen kann. es wird mit der zeit fast unerträglich warm, gleichzeitig
kondensiert noch der atem (!). 2. gegen 8 uhr öffnet die post, hier kann ich die
postkarten nach deutschland aufgeben und nochmals mit pati telefonieren. 3. ab 9
uhr hat der kni - markt geöffnet, so daß wir einkaufen und zum zweiten mal
frühstücken können. im markt und später beim gemeinsamen warten auf unsere boote
treffen wir auf den grönlanderfahrenen leiter einer englischen schülergruppe,
die zum größten teil unserer route gefolgt ist und die wir noch zu beginn
unserer wanderung beim gletscherklettern im tal des tasiilap kuua gesehen
hatten. er hat per satellitentelefon herausgefunden, daß der angmassalik - fjord
recht voll mit eis ist, also das gleiche, was wir ja auch schon gestern gehört
hatten und daß es evtl. deshalb erst so spät mit unserem boot geklappt hat.
sammler über die
freundlichkeit der inuits:
am morgen bittet uns ein
arbeiter des kni-marktes, das feld zu räumen, damit er mit seinem gabelstapler
ans lager kommt. alles sehr freundlich. er bittet uns ebenfalls, in sein haus zu
kommen und dort zu frühstücken. hier zeigt sich die herzlichkeit und
gastfreundlichkeit der arktis. so tut es uns besonders leid, dankend abzusagen,
wir wissen ja nicht, wann unser boot letztendlich
fährt.
weiter warten wir. im ort
herrscht nun “hochbetrieb”, der auch an uns nicht spurlos vorübergeht: wir
sitzen etwa 50 m vom kni-laden entfernt an einem lagerhaus mitten im hafen von
tini. alle 5 minuten kommen nun an diesem vormittag zwei inuit mit ihrem
vierrädrigen motorrad mit grobstollenbereifung und kleiner ladefläche vom
kni-markt die paar meter herunter zu uns gefahren, um den lagerraum
aufzuschließen, irgend eine kleinigkeit, wie etwa zwei apfeltüten, eine palette
bier oder einen sechserpack cola herauszuholen, auf die ladefläche zu stellen
und dann mit diesem schatz zurück zum laden zu fahren. anscheinend füllen sie so
die dortigen bestände auf. aber anstatt gezielt und geplant größere mengen aus
dem lagerhaus zu entnehmen, wird die ware immer in kleinen teilchargen
verfrachtet. was gerade im laden ausgegangen ist, wird in kleinsten mengen
aufgestockt, auch wenn man eine halbe stunde später erneut das gleiche holen
muß. dabei sind die inuits uns gegenüber sehr freundlich, mittlerweile sind wir
hier im ort ja auch bekannt und man sieht, daß sie ihre arbeit mit stolz
erfüllt, sie diese sehr wichtig nehmen und auch gewissenhaft ausführen. kein
wunder, bei der hohen arbeitslosenquote im land.
mit einem mal steht
michael unten am hafen. er hat hier, unweit von tini ein basislager mit drei
touristen zu betreuen. rasmus ist auch dabei. da ihr kochereinsatz kaputt
gegangen ist und sie die letzten tage nur auf feuer kochen konnten, was aufgrund
fehlender vegetation hier oben recht schwierig, wenn nicht sogar unmöglich ist,
möchte er das an uns ausgeliehene pendant übernehmen. außerdem hat er wohl in
einem früheren basislager mit der selben gruppe eine tasche mit
gletscherausrüstung verloren, entweder am platz selber oder sogar am strand
unterhalb der flutlinie. er bittet uns darum, nach diesen gegenständen zu
suchen, wenn wir nachher nach kulusuk fahren sollten. während des gesprächs
taucht dann auch unser einheimischer bootsführer ben auf. er fachsimpelt
zusammen mit michael, über der karte sitzend, über den genauen punkt der
suchaktion. außerdem soll uns rasmus zurück nach kulusuk begleiten, der ja mit
im lager war und so die genaue position ausfindig machen kann. von einer fahrt
zum sermilik, wie ursprünglich vereinbart, ist gar nicht mehr die rede, das wäre
jetzt auch ein riesig großer umweg, es ist schon spät und wir haben eigentlich
nur das ziel, möglichst schnell kulusuk zu erreichen. bis zur abfahrt dauert es
aber noch ein wenig, ben trinkt noch einen kaffee und muß noch benzin
organisieren. gegen 14 uhr, wir warten mittlerweile 25 h im hafen, geht es dann
langsam los. wir laden die rucksäcke ein, rasmus verabschiedet sich tränenreich
von michael, ben kommt endlich und ab geht´s. am anfang durch den
langgestreckten ikaasatsivaq - fjord ist die eher sehr schnelle fahrt noch ein
großer spaß. hier erleben wir auch, wie ben das angenehme mit dem nützlichen zu
verbinden weiß und nahe am ufer plötzlich den motor stoppt. er und rasmus ziehen
ein zwischen zwei plastikflaschen gespanntes treibnetz aus dem wasser, zwei
fische haben sich hier verfangen und werden in einer plastiktüte im boot als
willkommene zugabe zum nächsten essen verstaut. das netz wird für den nächsten
besuch wieder sorgfältig ausgelegt. vorsicht, nur nicht mit der schraube des
außenborders über das netz fahren. dann geht es rasant
weiter.
mit der zeit kühlt man auf
dem offenen boot trotz aller möglicher angezogener sachen (t-shirt, kluft,
pullover, juja, mütze, schal, handschuhe, lange u-wäsche, ¾ lederhose) komplett
aus, das ist der berühmte wind-chill-faktor. die kleinen kabbeligen wellen, bei
denen das boot hart aufschlägt, dienen auch nicht gerade dazu, die fahrt als
angenehm zu empfinden. glis und gulo sitzen zusammen mit rasmus in der gedeckten
kajüte, gedrängt auf unseren rucksäcken. ben steht am steuer, sammler als alter
seefahrer daneben, ich entweder dahinter oder aber neben den treibstofftank
gekauert am heck des bootes. so bin ich dem fahrtwind am stärksten ausgeliefert.
weiter auf dem angmassalik - fjord. entgegen unserer ersten fahrt nach kuummiit
ist er heute voll mit eis, ständig muß ben irgendwelchen schollen und bergen
ausweichen. vorbei an kuummiit, wo die wanderung begann. lustig nochmals den
startpunkt unseres abenteuers zu sehen. dann in den qingertivaq - fjord, durch
ihn hindurch, fast bis zum ende, hier soll, an einer landspitze, möglicherweise,
das verlorene material von michael liegen. als wir halten bin ich schon steif
gefroren. auch die bewegung, die wir uns jetzt verschaffen können, reicht zu
einer erneuten erwärmung der extremitäten nicht aus. es bleibt eisig kalt.
rasmus findet am eigentlichen lagerplatz nichts und die damalige verladestelle
am strand liegt nun unterhalb der wasserlinie im von gletscherflußeinträgen getrübten
wasser. einige sondierungsversuche mit einer stange bringen auch nichts mehr zu
tage. unverrichteter dinge müssen wir aufgeben, den ganzen weg nach kuummiit
zurück fahren und dann endlich kurs auf kulusuk setzen. war mir vorher schon
kalt, erstarre ich nun langsam zu einem eisblock. ich tröste mich mit dem
gedanken, daß wir umso schneller in kulusuk sind, je schneller ben
fährt.
bei der bootsfahrt ist
sammler wieder in seinem element:
die fahrt mit dem boot
ist, neben der gescheiterten suchaktion nach michaels sachen, wunderbar. wir
sind leichter als beim hinfahren und können richtig stoff geben. einige halten
das zwar für nicht ganz so interessant und schlafen ein, aber ich bin ganz aus
dem häuschen. es geht im slalom zwischen den eisbergen her. ben will es uns
zeigen und rast wie ein wilder hengst, ab und zu ecken wir mit der schraube an
und wenn es mal eng wird, schiebt er die eisschollen einfach mit dem boot weg.
die gischt schlägt über den bug. ramses, ben und ich stehen im heck und bekommen
eine ladung nach der anderen ab. so muss es sein. ben grinst zu mir rüber, wir
zwei stehen wie die kleinen kinder da und haben spass. ben, weil er denkt, dass
er’s mir beweisen muss, ich weil er immer rasanter fährt. auch ramses scheint
seine freude zu haben. von glis und gulo ist nicht so viel zu
hören.
das eis im angmagssalik -
fjord macht uns große probleme, wir müssen zickzack fahren, manchmal geht es gar
nicht weiter, dann rammt ben sacht eine scholle und verschafft sich per
motorkraft zugang zur nächsten offenen wasserstelle. so geht es weiter, immer
weiter, bis wir endlich vom angmagssalik - fjord in südöstlicher richtung
abbiegen und kurs auf kulusuk über die bucht tunu nehmen. hier wird die
eissituation noch kritischer, vollgasfahren ist gar nicht mehr möglich, immer
wieder kollidieren wir in heftigen stößen mit eis und werden durchgerüttelt. die
bootswand ist nur millimeterdick.
dann endlich in der ferne
und im licht der späten abendsonne, die bunten häuser von kulusuk. wir landen am
kai. ich schaffe es kaum, die rucksäcke auszuladen. keine koordination mehr über
hände und füße. dann sind wir unsicher, ob wir für diese fahrt bezahlen müssen.
michael hatte uns vor der wanderung einen freien transport angeboten, ist aber
jetzt nicht da und wir möchten nicht unhöflich mit unseren sachen nach einer
verabschiedung einfach so weggehen, ohne diesen punkt bei ben angesprochen zu
haben. am ende bieten wir ben also eine bezahlung an und einigen uns auf 500
dkr, ein fairer preis für diese stundenlange eisfahrt. schnell zu nielsens nach
hause. mette versorgt uns freundlicherweise für die heutige nacht mit unterkunft
in ihrem neuen haus, das sie mit ihrer familie im august beziehen will und
stellt für heißes wasser extra die heizung an. außer uns ist noch eine
dänische gruppe für die nacht hier
einquartiert. nach dem einrichten gehen wir dann noch zu mette auf einen
herrlichen tee vorbei und erzählen ein wenig von unserer wanderung und den
erlebnissen und eindrücken. zwischendurch meldet sich michael per telefon mitten
aus dem fjell. seinen funkspruch mit dem gerät, das er dabei hat, wird von der
radiostation in tasiilaq aufgefangen und als telefonanruf im örtlichen netz
weitergeleitet. dann endgültig zurück zu unserem nachtlager. hier essen wir erst
einmal zu abend. ich nutze noch das köstliche angebot einer heißen dusche,
während sich die anderen so dreckig wie sie sind, ohne auch nur den kleinen
finger unter wasser zu halten, in die schlafsäcke verziehen. als ich wieder da
bin, mache ich daraufhin gezielte bemerkungen und bin ein wenig mißmutig über
soviel mangelnde hygiene auf fahrt. meine kommentare, die allerdings auch nicht
sonderlich höflich daherkommen, werden mißmutig ablehnend aufgenommen. ich
verbreite schlechte stimmung. naja, zumindest verbreite ich keine schlechte luft
mehr im gegensatz zum rest der mannschaft, die das allerdings ein wenig anders
sieht. zumindest putzt man sich noch die zähne. ich weiß auch nicht, manchmal
reagiert die mannschaft doch sehr komisch.
dienstag, der 24. 7.
2001
ein neuer tag, strahlend
wie der letzte. während auf dem flur und in den anderen räumen von nielsens
neuem haus bereits die teilnehmer der dänischen expedition relativ laut auf und
ab rennen und ihre ausrüstung umpacken und lebensmittel rationieren, drehen wir
uns nochmals in den schlafsäcken um. irgendwann geht es aber dann auch für uns
los. glis und gulo nehmen die segnungen der modernen zivilisation in form einer
heißen dusche in anspruch. ich gehe mit sammler zum kni - markt herunter
einkaufen. unterwegs treffen wir mette, die uns mitteilt, daß wir in unsere alte
hütte vom beginn der reise umziehen können. im kni - markt kaufen wir für den
tag ein und zurück in unserem gestrigen domizil packen wir zusammen und
frühstücken. danach umzug durch den ort.
wir finden kulusuk sowohl
von der schönheit der lage an der idyllischen eismeerbucht, als auch von den
begegnungen der inuit her deutlich angenehmer als tiniteqilaaq. hier sind die
menschen uns gegenüber freundlich und hilfsbereit und die kinder nicht
aufdringlich. es läßt sich wirklich gut für uns an. sammler und ich packen
sämtliche dreckigen klamotten unserer fahrtengruppe, schlendern ins
gemeinschaftshaus und man hilft uns bereitwillig und ungefragt bei der
einstellung der waschmaschine. hier in den dörfern ist es so geregelt, daß es
jeweils ein gemeinschaftshaus gibt, das unter der woche geöffnet hat und in dem
man gegen eine geringe gebühr seine wäsche waschen und trocknen und ebenfalls
duschen kann. außerdem scheinen diese häuser zu den öffnungszeiten quasi
magische anziehungskraft auf die dorfbewohner zu besitzen. man trifft sich hier,
tauscht sich aus, wartet dabei gemeinsam auf die waschende wäsche und hält ein
schwätzchen. sammler und ich verkürzen die wartezeit, indem wir kurz rüber an
den hafenkai wandern. über uns zieht, tief über den dächern des ortes, die
maschine aus island vorbei, die gerade zu ihrem rückflug gestartet ist. der
“robbenkühlschrank” am kai, den wir bereits vor zwei wochen gesehen haben, ist
immer noch gut gefüllt. allerdings liegen einige robben, jetzt da ebbe ist, auf
dem trockenen und teilweise auch in der sonne. riesige tiere mit schönen pelzen
sind darunter. die in der sonne liegenden tiere sehen aber nicht mehr unbedingt
so frisch aus, einige haben klaffende wundlöcher, da waren wohl schon die hunde
dran und der geruch, den sie verbreiten ist auch nicht mehr der beste. vom meer
her suchen sich einzelne boote den weg durchs eis in den hafen, eine
touristengruppe mit zwei videokameras filmt die szenerie. wieder zurück am
gemeinschaftshaus müssen wir weiter warten. mit den noch leicht feuchten sachen
gehen wir zurück zur hütte. den rest erledigt die sonne auf der wäscheleine.
danach verbringen wir unsere zeit in der hütte mit essen und ausruhen. ich bin
wie zerschlagen, habe auch wieder magenprobleme. sammler wetzt mit der kamera
hinunter an den hafen, als ein großes versorgungsschiff mit waren für den kni -
markt einläuft. gegen abend besuchen er und glis dann nochmals mette, um
einerseits unsere zurückgelassenen tagesrucksäcke wieder in empfang zu nehmen,
andererseits abzumachen, daß wir morgen mit rasmus und ein paar inuitkindern
zusammen etwas unternehmen, damit hier von unserem besuch auch alle etwas haben.
wer weiß, vielleicht können wir ja auch noch ein fußballspiel grönland -
deutschland organisieren. am abend gibt es dann trotz magenproblemen einen
kaiserschmarrn. na ja, so toll schmeckt der auch nicht. erstaunlich fast, wie
dunkel es hier jetzt gegen ende unserer fahrt um mitternacht schon wieder wird.
man merkt, daß die tage kürzer werden. draußen kläffen die hunde in die
nacht...
mittwoch, der 25. 7.
2001
da wir heute einiges vor
haben, ist wecken für 9 uhr angesagt. das überfordert glis und gulo natürlich
total, zumal alle in der gestrigen nacht erst gegen 2 uhr in die schlafsäcke
gekommen sind: gulo hatte geschichten erzählt wie ein wasserfall. recht
ungewöhnlich von ihm, dem sonst so zurückhaltend schweigsamen. aber auch wieder
nicht. ist er längere zeit mit den selben leuten zusamen, taut der ruhige gulo,
so wie wir ihn sonst kennen, richtig auf und verfällt ins andere extrem. während
sammler im markt für den tag einkauft, machen wir uns fertig und bereiten das
frühstück vor. der ort ist zu dieser tageszeit bereits in vollstes sonnenlicht
getaucht, liegt aber noch gänzlich unbewohnt unter uns. als erstes klären wir
dann mit rasmus ab, daß wir nachher zeit für ihn und die inuit - pfadfinder
haben, um zusammen etwas zu unternehmen. rasmus hat sich da auch etwas
ausgedacht und will die jungs aus dem ort zusammentrommeln. wir wollen aber
zunächst noch zum flughafen laufen, weil sammler dort seiner sammelleidenschaft
frönen möchte. ein robbenfell hat es ihm besonders angetan. leider zieht sich
die ganze aktion zeitlich ziemlich in die länge. wir haben mittlerweile schon
mittag und beschließen, vor den gemeinsamen pfadfinderaktivitäten noch zu essen.
sammler macht uns gebratene fischfilets mit tomaten. wie verrückt: der fisch
wurde in grönland im letzten jahr gefangen, nach dänemark zur verarbeitung
gebracht und wir kaufen und verzehren ihn jetzt wieder in grönland!?! leider
dauert auch das kochen sehr lange. sammler muß wegen der kleinen trangia -
pfanne jede portion einzeln zubereiten. als wir dann endlich bei nielsens zu
hause rasmus treffen, ist es unverständlicherweise bereits 16 uhr. rasmus hat
aber auch keine der inuit - pfadfinder aus dem ort ausfindig machen können, sie
sind heute wohl alle draußen im fjell bei der jagd unterwegs, so daß wir
beschließen, rasmus zunächst den aufbau unserer kohte zu zeigen und ihm dabei
allerlei über die deutsche pfadfinderei zu erklären. die kohte brauchen wir
wahrscheinlich eh´ für die letzte nacht, da die hütte, in der wir nun
untergebracht sind, ab donnerstag für touristen gebraucht wird. rasmus begreift
schnell und hilft uns beim aufbau. als wir fertig sind, kommen noch line und
drei kleinere inuit - kinder dazu und wir setzen uns in die kohte und erzählen
ein wenig und essen ein paar kekse. rasmus spricht neben dänisch und englisch
auch noch inuit, wie er uns erzählt. allerdings berichtet er uns, daß das
ostgrönländische, das er seit gut 2 jahren lernt und in dem er sich nun bereits
gut ausdrücken kann, sehr schwer zu lernen sei und sich zudem stark von der in
grönland hauptsächlich gesprochenen west- und südgrönländischen variante
unterscheidet. westgrönländer könne er nicht oder nur sehr schwer verstehen.
grönländisch ist eine polysynthetische sprache, d.h. einzelne, teils sehr lange
wörter stehen für ganze sätze in europäischen sprachen. an den wortstamm werden
weitere suffixe angehängt. es gibt keine artikel, adjektive, präpositionen und
konjugationen. im wesentlichen besteht die sprache aus substantiv und verb.
grönländisch ist lebendig und in stetiger veränderung begriffen, adaptiert neue
begriffe, wie z.b. computer, qaritaujaq = wie ein gehirn, oder hiv,
anamaijautiqarunituq = es gibt nicht länger gute verteidiger im körper gegen
schlechte infektionen. auf jeden fall ist es interessant, der unterhaltung der
kinder auf grönländisch zuzuhören, ohne auch nur ein wort und seine bedeutung zu
erahnen.
nach unserer kleinen runde
im zelt lassen wir die kohte stehen, ein wenig ausserhalb von kulusuk am
trinkwassergewinnungssee. ich hoffe, sie steht morgen immer noch da und ist auch
noch ganz und vollständig. unsere hütte, in der wir die nacht verbringen werden,
liegt nämlich am anderen ende von kulusuk, so daß wir tatsächlich keine
kontrolle über die kohte während des restlichen tages und der nacht haben
werden. jetzt ist es an der zeit, rasmus´ idee in die tat umzusetzen und aus
drei zu einem a verbundenen holzstangen in der größe von kohtenstangen einen
römischen streitwagen zu bauen. auf die mittelstange des a stellt sich der
gezogene, der rest zieht das gestell über die holprige und staubige straße die
hügel hoch und runter. das geht ganz schön in die beine und auf die kondition.
line bestimmt, wer gezogen wird. ein paar kleine inuit - kinder sind mit von der
partie. dann sind wir irgendwann so geschafft, daß wir aufgeben und zurück zur
hütte zum abendessen gehen. michael, den wir beim auspacken seines letzten
expeditionsmaterials treffen, kann ich dabei direkt unser geliehenes material
zurückgeben und ihn fragen, was wir alles zu begleichen haben für die ausrüstung
und so weiter. er lehnt ab, wir wären ja pfadfinder und wenn er einmal ins
siebengebirge käme, würde er sich freuen, dort jemanden zu haben, der ihm
weiterhelfen könne. lediglich für die bootsfahrt hätte er gerne noch 500 kronen,
da er das boot auch leihen und den sprit bezahlen muß. unglaublich diese
gastfreundschaft, das ist gelebte pfadfinderbruderschaft.
nach dem essen, die sonne
steht schon tief und taucht die bucht in magisches arktislicht, ziehen sammler
und ich noch einmal mit der kamera durch den ort und können sehr schöne fotos
machen. bei unserem streifzug kommen wir unter anderem auch zur müllhalde des
dorfes. auch hier in kulusuk ist es so, daß überall im ort zwischen den häusern
müll und abfall herumliegt. michael erklärt uns das verhalten der inuit mit der
mentalität eines alten nomadenvolkes. was nicht mehr benötigt wird, wird zum
fenster hinausgeworfen, wie früher aus dem zelt. was im natürlichen kreislauf
mit natürlichen materialien alleine im fjell problemlos möglich war, verursacht
heute in den vergleichsweise dichtbesiedelten orten und mit unverrottbaren
plastik-, glas- oder metallwerkstoffen die schwierigkeiten, über die wir nun
tagtäglich buchstäblich unsere füße zu setzen haben, wenn wir durch kulusuk
gehen. zwar gibt es eine wöchentliche müllabfuhr, man stellt seinen abfall
einfach in tüten verpackt an die straße und eine mannschaft mit einem großen
radlader sammelt den müll in die riesige schaufel, aber die milchtüte auf der
grünen wiese keine 2 meter weiter bleibt dort liegen, wo sie möglicherweise
schon seit jahren vergammelt. die sachen aus dem radlader werden zur
müllverbrenungsanlage gefahren. jeder kleine ort verfügt mittlerweile über einen
solchen ofen. es stinkt fürchterlich, wenn er angeheizt ist. nichtbrennbares
material wird auf die recht wilde müllkippe am ortsrand verklappt. hier gibt es
alles, was die westliche wohlstandsgesellschaft ausmacht. ein trauriger
schandfleck in diesem so schönen land. aber auch in diesem fall fehlen die
schlüssigen konzepte: zentral deponieren geht aufgrund der riesigen entfernungen
zwischen den siedlungen nun einmal nicht und die alternative, ein müllexport
nach dänemark kann wohl auch nicht der weisheit letzter schluß
sein.
sammler
notiert:
am abend machen ramses und
ich noch einen kleinen rundgang durch kulusuk, die kamera immer im anschlag. die
müllhalde kulusuks liegt dabei auf unserer strecke, dort mache ich eine höchst
erfreuliche entdeckung. da liegt ein alter holzkahn, an dem noch die schraube
und das steuerrad erhalten sind. auf so einen fund warte ich schon lange und bin
unheimlich kribbelig. zu späterer stunde mache ich mich mit gulo’s leatherman
zur demontage auf. die schraube sitzt bombenfest, da habe ich keine chance. beim
steuerrad klappts dann eher, ich löse den kettenzug am lenkmechanismus und ziehe
die schwere kette raus. dann reiß ich den führerstand zurecht, so dass ich
besser arbeiten kann, daraufhin kommt die schweißtreibende sägearbeit.
letzendlich komme ich glücklich und zufrieden mit meiner beute
zurück.
später gehen wir beide
dann noch in einen kleinen laden mit inuitkunstgegenständen und ausrüstung, der
von isländern betrieben wird, sammler macht auch in diesem fall seinem namen
ehre. danach ist für heute aber auch wieder schluß. ich bin müde, morgen ist ein
neuer, nochmals anstrengender tag.
sammler ist
begeistert:
im ort gibt es neben dem
kni-markt einen kleinen laden, in welchem man allerhand gegenstände aus der
inuitkultur erwerben kann. er sollte eigentlich offen sein als wir kommen. aber
wieder erfahren wir, dass wir deutschen es mit der zeit zu genau nehmen. ich hab
meinen drehring an der uhr exakt eingestellt und stehe mit ramses vor der tür.
keiner kommt, bis auf einen älteren, leicht angetrunkenen inuit. er führt uns
quer durchs dorf, zu dem besitzer des ladens. die isländer sind gerade am essen,
wir scheinen etwas zu stören. die frau sagt, sie komme gleich und so zuckeln wir
wieder ab. der mann der isländer lobt mich sogar noch für mein norwegisch und
fragt woher ich es kann. learning by doing, ich komme mir sehr stolz vor und
freue mich auf eine ergänzung meiner sammlung.
donnerstag, der 26. 7.
2001
das frühe aufstehen ist
schwierig. nur langsam werden wir etwas frischer. nach dem zusammenpacken
unseres materials beginnen die jungs schon mit dem aufräumen der hütte, da wir
sie ja heute für die letzte nacht hier auf grönländischem boden wieder
verlassen. nielsens müssen hier zahlende gäste unterbringen. ich mache die
notwendigen besorgungen für den tag im gerade geöffneten kni - markt. das
frühstück steht ein wenig unter zeitdruck, wir sind für 10 uhr mit rasmus,
michael und einer kleinen dänischen gruppe verabredet, die mit uns das innere
und den südlichen teil der insel kulusuk erkunden will. das wetter ist
mittlerweile nicht mehr so strahlend wie noch am gestrigen abend. die fernsicht
ist eingeschränkt. zwar scheint durchaus noch die sonne, doch tut sie dies
gedämpft durch einige wolkenschleier. die wanderung, nur mit tagesgepäck, ist
leicht und führt von kulusuk aus in südlicher richtung an die südwestküste der
insel. natürlich geht es wieder querfeldein und wir können den schritt unseres
führers problemlos mithalten bei der guten übung, die wir in der letzten zeit
hatten. die dänen laufen mit ein wenig gemächlicherem tempo langsam hinter uns
her. am meer zeigt uns michael überreste alter inuitsiedlungen: gräber, in denen
wir menschliche überreste erkennen
können, sind der erste hinweis auf früheres leben hier. dann kommen wir ein paar
hundert meter weiter zu einem winterwohnplatz einer familie. steine und
grassoden sind hier zu einem kleinen ringwall in rechteckiger form halbhoch
aufgetürmt und michael erzählt, daß die häuser mit fellen gedeckt waren. einige
steinkammern sind ebenfalls zu erkennen, in denen im winter, nahe beim haus, die
fleischvorräte gesammelt worden sind. bis vor 50 jahren so michael weiter, haben
die menschen hier so gelebt, im winter unter 6 meter hohem schnee. erst danach
ist kulusuk als feste siedlung entstanden. die über 50 - jährigen sind auch alle
noch hier draußen in der wildnis, verstreut an der küste, geboren worden. erst
im letzten jahr ist im bereich ostgrönland die letzte fängerfamilie in eine
siedlung gezogen und hat die traditionelle lebensweise aufgegeben.
weiter folgen wir der
küstenlinie. in den kleinen buchten liegen walfischknochen verstreut. wenn die
inuits wale jagten, auch wie bei den robben nur zum eigenbedarf, wurden diese
hier hinein getrieben und dann erlegt. am nördlichen ende der halbinsel
noortiit, auf einer kleinen, von ebensolchen buchten umschlossenen landspitze
lagern wir an einer alten sommerbehausung zu mittag. überall liegen hier noch
holzreste, aus denen die wohnungen der inuit errichtet waren. wir nutzen die
zeit, sondern uns ein wenig vom rest der gruppe ab und errichten auf der
landspitze an ihrer höchsten erhebung eine konstuktion aus steinen, ähnlich
einem kleinen inuitgrab, um dort, gut geschützt, unsere fahrtenurkunde in einer
mit leder umwickelten bambusrohrschatulle zurückzulassen. die genaue position
der fahrtenurkunde in koordinaten des utm - systems: 7269933 nord und 24 582513
ost. danach klettern wir auf einen kleinen hügel hoch über der bucht, von hier
haben wir eine sehr gute, kontrastreiche sicht auf die kulusuk im südwesten
vorgelagerte kleine inselgruppe mit tiefschwarzen felsen und das vor uns
liegende grellweiße meereis in der dänemark - straße bis zum horizont.
anschließend geht es zurück in den ort, fast auf dem gleichen weg, auf dem wir
auch her gekommen sind. in kulusuk dann eine frohe botschaft: die gruppe von
touristen wegen der wir aus unserer hütte ausziehen mußten, ist nicht
angekommen, so daß wir die letzte nacht unserer großfahrt doch unter dem dach
eines festen hauses und nicht in der kohte werden verbringen dürfen. glis, gulo
und ich bauen das gute stück daher wieder ab und verfrachten unser gepäck erneut
durch den ort wieder in unser gewohntes domizil. noch einen vorteil hat das
ganze. wie uns michael berichtet, ist für die nacht sturm vorausgesagt und so
können wir trocken und warm schlafen und auch die kohte bleibt trocken in meinem
rucksack verstaut. hoffentlich macht uns das wetter zu guter letzt nicht noch
einen strich durch unsere rückflugpläne?!?
am abend nach dem
abendessen ziehen wir dann abermals in das gemütliche kleine haus der nielsens,
um dort unser dankeschön für alles in form eines briefes und ein paar kleiner
geschenke auszudrücken. für die kinder haben wir jeweils einen satz
pfadfinderaufnäher dabei, für line zusätzlich einen wosm- und einen dpsg-
rucksackwimpel und für rasmus ein schweizer taschenmesser. für die nielsens
haben wir eine flasche selbstgemachten rhabarberwein von gulos großvater und
einen terrakotta - gartenzwerg als typisch deutsches mitbringsel. die sachen
kommen prima an und wir versprechen von zu hause für die im aufbau befindliche
gruppe der kulusuker pfadfinder noch ein paar pfadfinderische sachen
zusammenzustellen und per post zu schicken. anschließend reden wir mit michael
noch ziemlich lange über grönland, er erzählt uns über den weltkrieg und die
damaligen deutschen expeditionen an die nordostküste, um dort wetterstationen
einzurichten und über das trostlose und perspektivlose leben der ca. 45000
inuits hier in grönland. er meint, daß sich jetzt im moment entscheidet, in
welche richtung grönland treibt. entweder hin zu einer weltoffenen, touristisch
orientierten gesellschaft oder in die selbstgewählte abgeschiedenheit, ähnlich
dem leben in einem indianischen reservat, ohne aussicht für die jugend, etwas
aus ihrem leben machen zu können. je mehr michael berichtet, umso mehr haben wir
den eindruck, daß es sich hier gesellschaftlich um ein verlorenes und
aufgegebenes land handelt, das in der ohnmacht seiner bevölkerung gefangen zu
sein scheint, ohne aussicht auf besserung, da nur von außen, aus dänemark als
alter kolonialmacht, am leben erhalten. rasmus, der am anfang noch unserem
gespräch gefolgt ist, ist mittlerweile im großen lehnstuhl im wohnzimmer, direkt
neben uns, eingeschlafen. als wir michael spät abends verlassen, ist der himmel
bedeckt und einzelne böen kommen auf. es riecht nach
sturm.
freitag, der 27. 7.
2001
eigentlich ist ja heute
fahrttag. eigentlich. als wir gegen 8 uhr aufstehen, sind michaels gestrige
vorhersagen wirklichkeit. draußen stürmt es aus nordost. immer wieder wehen
heftige böen gegen die altersschwachen und undichten fenster der hütte. die
bucht von kulusuk liegt unter einem dicken grauen wolkenband. das sonst so
glatte und wellenlose meer ist aufgepeitscht und einzelne wogen schlagen
gischtspritzend an die im hafen liegende eisbarriere. diese riegelt die ein- und
ausfuhr aus kulusuk vollständig ab, der sturm hat die schollen dicht an dicht
zusammengeschoben. die sicht auf die umgebenden berge ist frei, durch den ort
ziehen ab und an staubfahnen aufgewirbelten sandes. müll wird ebenso
mitgerissen. der wind weht so heftig, daß wir schwierigkeiten haben, die tür der
hütte zu öffnen. nach unserer einschätzung verläßt an diesem sturmtag kein
flugzeug ostgrönland. aber noch haben wir nicht alle hoffnung verloren. sammler
sucht gegen 9 uhr michael auf, um informationen über den flughafen zu erhalten.
der flug ist zunächst verschoben, die nächsten informationen gibt es gegen
mittag. wir richten uns also auf ein längeres bleiben ein, frühstücken zunächst
und dann versuche ich pati zu erreichen, kann die schlechten neuigkeiten aber
leider nur auf den anrufbeantworter sprechen. danach dösen wir noch ein wenig,
ich nutze die zeit, um die logbucheintragungen für den gestrigen tag
nachzuholen. gegen 12 uhr kämpft sich sammler erneut durch das inferno zu
nielsens, nach seiner rückkehr wissen wir, daß heute nichts mehr geht: der
flugplatz ist geschlossen, ab jetzt bezahlt air iceland für uns. die frage
bleibt aber, wie lange der sturm anhalten wird und ob wir dann morgen so weit
sind, abfliegen zu können, was noch gut machbar wäre oder ob sich unser warten
hier länger hinziehen wird. ob ich am montag wieder im labor stehen kann ist
fraglich, denn wenn wir heute abend hier aus grönland nicht abgeflogen sind,
fliegt ltu ohne uns von island zurück nach deutschland. und michael betont immer
wieder, daß das wetter hier in grönland eigentlich für seine stabilität bekannt
ist: entweder ist es stabil gut, das durften wir ja während der wanderung
auskosten, oder aber es ist stabil schlecht. hoffentlich macht air iceland keine
probleme. da sie für unsere verspätung und das verpassen des flugs nach
deutschland durch die absage des grönland - island fluges verantwortlich sind,
müssen sie uns eigentlich auch ersatz stellen. die frage ist nur, ob es vier
freie plätze geben wird auf einer maschine. sammler, gulo und michael kaufen im
kni - laden nochmals lebensmittel ein, die nielsens für uns bezahlen und dann
air iceland in rechnung stellen werden. nette lösung! ich kann endlich mit pati
telefonieren, die begeistert ist über die lage. ich kann das voll
nachvollziehen. während hier ein arktischer sturm übers land fegt, bei dem ich
froh bin, nicht in der kohte zu liegen, sind es in deutschland gerade mal eben
34 °c. wenn wir hier irgendwann einmal heraus und zurück kommen, wird uns der
schlag treffen! den nachmittag verbringen wir bei unvermindert anhaltendem sturm
in der hütte, rasmus hat sich als dauergast bei uns einquartiert und wir spielen
zusammen karten, essen, zeigen kartenkunststücke und erzählen ein wenig. schade,
daß wir jetzt keine klampfe dabei haben. gegen abend die gewißheit den flieger
ab island nicht mehr erreichen zu können. niedergeschlagenheit und galgenhumor
prägen die stimmung.
samstag, der 28. 7.
2001
eigentlich sollten wir uns
hier in kulusuk jetzt nicht mehr aufhalten, sollte die fahrt, zurück in
deutschland schon beendet sein. doch wie das so ist auf fahrt, kann man am
morgen nicht wissen, was der abend bringen wird und so hat der gestrige sturm
uns in kulusuk festgehalten. wir stehen in unserer hütte früh gegen 6:30 uhr auf
und es beginnt ein erneutes zusammenpacken aller unserer sieben sachen und
wieder einmal räumen wir die hütte auf. nach kurzem frühstück warten wir auf
rasmus, der uns mit frischen informationen über das wetter und flugzeuge aus
island versorgen soll. rasmus als einzige informationslinie nach draußen in die
welt also. doch als alles gepackt ist und wir auch fertig sind mit dem
frühstück, ist von ihm nichts zu sehen. während sich die anderen drei noch
einmal hinlegen und ein wenig schlafen, versuche ich, den petroleumofen
anzuwerfen, es ist kalt geworden in unserer hütte, und habe mit der uralten
technik probleme, immer wieder geht das gute stück aus. so habe ich genug zeit,
mir aus dem fenster ein wenig die traurige szenerie unten in kulusuk zu
betrachten: die straßen sind aufgrund der frühen uhrzeit noch wie ausgestorben.
der sturm hat sich gelegt, kein windhauch bewegt die zwischen den einzelnen
häusern hängenden wäscheleinen. aber wir haben nebel. die kulusuk umgebende
bergwelt über dem fjord ist nicht zu sehen und zeitweise senkt sich der nebel so
weit herunter, daß die auf dem gegenüberliegenden hügel stehenden häuser
kulusuks nur noch schemenhaft wahrzunehmen sind. meine stimmung sinkt auf den
tiefpunkt, da ich mir nicht vorstellen kann, daß ein flieger aus island am
heutigen tag bei diesem nebel hier landen wird und wir also noch einen weiteren
tag hier in grönland werden verbringen müssen. gegen 9 uhr mache ich mich mit
diesen gedanken hinunter ins dorf im tröpfelnden regen, um nach hause
durchzutelefonieren, daß auch heute hier wohl nichts gehen wird. doch sowohl die
post hat geschlossen, als auch das gemeinschaftshaus, so muß ich unverrichteter
dinge und mittlerweile naß, wieder zurück zur hütte.
auf dem weg nach oben dann
ein leises brummen, das langsam lauter wird und näher kommt. so ein brummen kann
nur von einer landenden propellermaschine auf dem nahen flugplatz kommen. damit
die fahrtenmannschaft dieses wunderbare geräusch vor seinem abebben auch noch
erleben kann, renne ich den restlichen weg zur hütte hinauf, wecke alle und
lasse die fenster öffnen. das letzte motorengeräusch, das jetzt zu uns vor dem
abschalten der maschinen herüberschallt, elektrisiert alle. sofort wird das
gepäck abmarschbereit gemacht und sammler läuft zu nielsens, um informationen
einzuholen. daß er dabei natürlich auch noch zu einem kaffee eingeladen wird,
versteht sich von selbst. zurück hat er gute neuigkeiten. zwar ist es wohl noch
nicht vollständig sicher, daß wir heute weg können, zumindest sollen wir aber
mit unserem gepäck zu nielsens haus kommen, von wo wir dann zum flugplatz laufen
werden, während die rucksäcke per auto (luxus!) mit michael hinterherkommt. wir
verabschieden uns und bedanken uns noch einmal bei mette und line, casper ist im
moment irgendwie nicht mehr aufzutreiben und dann gehen wir zusammen mit rasmus
in einem pulk von ebenfalls abreisewilligen touristen die kurze strecke zum
kulusuker flughafen. auf dem weg kommen uns nebel knipsende japaner entgegen:
wir waren in grönland! tagestouristen! für uns die gewißheit, daß eine maschine
aus island da sein muß. im engen flughafengebäude ist die hölle los. jede menge
gepäck, absolut überfordertes personal, leute der ausgefallenen flüge von
gestern, passagiere der flüge von heute. dann kommt michael, wir können
einchecken und sind endgültig sicher, zumindest bis nach reykjavik zu kommen.
verabschiedung von rasmus und michael, das erneute versprechen ihm und dem
aufzubauenden pfadfinderstamm in kulusuk ein paar pfadfinderspezifische dinge in
deutschland zusammenzustellen und per post zu schicken. boarding und start gehen
schnell vorbei, während des beschleunigens auf der sandpiste kann ich michael
und rasmus noch erkennen, wie sie den start der maschine vom flughafenzaun aus
beobachten. plötzlich hängen wir in der luft, unter uns bald schon meereisfelder
und die beeindruckenden berge des ostgrönländischen inselarchipels. dann
durchstoßen wir die wolkendecke - grönland liegt hinter uns. in reykjavik am
domestic flughafen das nächste problem. am schalter von air iceland, einer
tochtergesellschaft von icelandair, die die innerisländischen flugrouten und
ebenfalls die flüge nach kulusuk bedient, komme ich mit meinem ansinnen, flüge
nach deutschland oder auch nur geld für die zusätzliche verpflegung des letzten
tages zu bekommen nicht weiter: man sei nicht für flüge nach europa
verantwortlich und als inlandsfluglinie würde man eh´ nichts erstatten. was ich
auch versuche, da ist nichts zu machen. ich bin stinksauer und auch ein wenig
ratlos. was soll passieren, wenn auch die leute von icelandair am
internationalen flughafen von keflavik genau dasselbe sagen: sie seien ja nicht
verantwortlich für uns, da air iceland die route bedient? aber trotzdem haben
wir uns dazu entschieden, so schnell wie möglich nach keflavik zu kommen und
dort mehr zu erfahren. auf zum busterminal am anderen ende des flugplatzes. dann
heißt es aber wieder warten bis 20 uhr auf den bus. unser glück ist es
hoffentlich, daß die tickets für den vermißten flug von icelandair deutschland
ausgestellt worden sind. dieser umstand und eine bestätigung von air iceland,
daß der flug ausgefallen ist, sind unsere letzten hoffnungsträger. nach dem
sturen verhalten von air iceland rechnen wir aber auf jeden fall mit widerstand
und beschließen, diesmal genauso stur zu bleiben. am keflaviker flughafen hat
natürlich bereits so ziemlich alles geschlossen, als wir ankommen. es sind nur
noch check-in-schalter besetzt. also stellen sich sammler und ich in die
schlange und warten. als wir an der reihe sind und unser anliegen vortragen, die
erwartete reaktion: eine verantwortlichkeit wird abgelehnt, wir sollen zu air
iceland, keine fluggesellschaft der welt wäre verantwortlich für aus
wettergründen abgesagte flüge und daraus entstehende konsequenzen für die
passagiere. ich bleibe hart und halte bei jedem argument dagegen. als unser
gegenüber merkt, daß weiterer widerstand zwecklos ist, greift er zum telefon und
erkundigt sich nach einem flug morgen früh um 7:25 uhr nach frankfurt. vier
plätze sind hier noch frei! und plötzlich ist es auch angeblich kein problem
mehr, dafür tickets zu bekommen. aber nicht von ihm, sondern erst morgen früh um
5:30 uhr am ticketschalter von icelandair. ich lasse mir noch den namen unseres
gesprächspartners aufschreiben, nicht, daß auch er hier mit uns ping pong
spielt, um uns einfach nur los zu werden. so können wir uns zumindest auf diese
aussage berufen.
sammler befürchtet, hier
hängen zu bleiben:
natürlich haben wir
unseren anschlussflieger von island nach deutschland verpasst. in kevlavik ist
es eine lange diskussion bis wir einen weiterflug erstattet bekommen. aber
ramses löst es sehr souverän und schafft es mit direkter sachlichkeit, den
kühlen isländer am schalter zu überzeugen. dieser versichert uns dann einen
platz. das wort eines nordmanns ist vertrauenswürdig, aber dennoch sind wir uns
erst richtig sicher, als wir an bord sind. zurück nach hause, in die hitze, puh.
wenigstens komme ich jetzt noch mit meinen eltern nach norwegen. das ist nämlich
meine größte sorge, das schiff in kiel zu verpassen, ansonsten hätte ich nichts
gegen einen längeren islandaufenthalt gehabt.
ein langes warten am
flughafen beginnt. wie mir noch von 1993 in erinnerung ist und wie es ebenso auf
vielen hinweistafeln im gesamten flughafenbereich zu lesen ist, wird der
flughafen über nacht geschlossen und nach dem letzten flieger weren wir wohl
rausgeworfen werden. plötzlich laufen uns bdp pfadfinder der bündischen sorte in
die arme, die hier noch auf einen vierten mitfahrer warten und gerade mit ihrer
fahrt durch island beginnen. großzügigerweise laden sie uns ein auf
selbstgekochte spaghetti und tee, wir steuern noch brot und käse dazu bei, das
letzte, was wir an essen bei uns tragen. wir haben kein isländisches geld mehr
und hier am flughafen gibt es auch keinerlei möglichkeit, irgend etwas zu
kaufen, so daß wir über diese einladung recht froh sind, gulo besonders. wir
schwafeln ein wenig über die situation und den unterschied von bündisch
orientierten gruppen in dpsg (ja, auch hier gibt es die) und bdp und stellen
fest, daß dieser nicht sonderlich groß zu sein scheint. überall dasselbe. dank
der klampfe der bdp´ler wird rosie mccaine an den ufern des boyne spazieren
geführt und auf dem parkplatz, draußen im nieselregen, spielen wir eine partie
fußball. unterdessen findet die security unsere vor dem flughafen
zurückgelassenen gepäckstücke und schickt uns zum weiteren warten in das
flughafengebäude. wie die bdp´ler feststellen, ist das langlegen auf isomatten
zwar nicht gestattet, man wird immer wieder von den patroullierenden
sicherheitsleuten aufgescheucht, aber immerhin sitzt man hier warm und trocken.
morgen früh öffnet das büro von icelandair. hoffentlich bekommen wir dann unsere
flüge und müssen nicht noch einmal die gleiche heftige diskussion wie heute
abend von vorne beginnen.
sammler über die begegnung
mit den bdp´lern:
die nacht auf dem
isländischen flughafen ist nett. wir treffen andere pfadfinder, die haben uns
dann, da wir keine verpflegung mehr haben, spaghetti gemacht. das tut gut, nicht
nur unserem gulo. lagern in der flughafenhalle ist nicht erlaubt, also wollen
wir draußen bleiben. wir spielen gerade auf dem parkplatz im regen fussball, als
einer vom wachpersonal kommt. hier dürfen wir nicht bleiben, „ ja wohin denn
sonst?“, „kommt doch rein“, prima, drinne ist es schön warm. man darf zwar nur
im sitzen schlafen, aber das ist auch in ordnung. immer wieder kommt eine
hübsche dame vom wachdienst und scheucht die anderen pfadis auf, die sich mit
ihren isomatten dort breit gemacht haben. hier ist doch sonst niemand, der sich
daran stören könnte. na ja aber so lange es eine so nette frau
sagt....
sonntag, der 29. 7.
2001
gegen 5:20 uhr: sammler
und ich sind wach. beide sehen wir nicht sonderlich fit aus. ich habe überhaupt
nicht geschlafen. die restlichen pfadfinder sowohl unserer fahrtenschaft als
auch der islandfahrer vom bdp schlafen noch. in der ferne, vor dem ticketbüro
von icelandair, sehen wir unseren diskussionspartner von gestern abend wieder.
anscheinend muß er nachtschicht gehabt haben. nun schaut er zu uns hinüber, wir
werten das als zeichen, daß die zeit gekommen ist, die flugscheine zu schnappen
und endlich von hier weg zu kommen. er verschwindet mit unseren flugscheinen in
irgendeinem hinterzimmer, was uns gar nicht paßt. bei unserem glück kommt er
wahrscheinlich gar nicht mehr hinaus oder wenn kann er sich nicht mehr daran
erinnern, von uns etwas bekommen zu haben. schwarzmalerei! während wir da so
warten und überlegen, was passieren kann, verwandelt sich die nächtliche ruhige
halle mit den check - in - terminals wieder in einen internationalen flughafen. aus
reykjavik kommen busladungen von fluggästen und es wird laut und voll. endlich,
unser icelandairmitarbeiter verläßt das büro, sieht uns mit unseren
versteinerten mienen und - hebt den daumen nach oben. wir wissen in diesem
moment, wir haben´s geschafft, werden heute noch frankfurt erreichen. hinter ihm
her können wir direkt als erste am first class schalter einchecken. auf unsere
ltu - flugscheine hat er einfach ok fra geschrieben und schon ist alles weitere
kein problem mehr. ich wecke gulo und glis, wir müssen sofort unser gepäck
aufgeben. während gulo die lage sofort versteht und sich beeilt, ist glis
minutenlang absolut hilflos. obwohl ich ihm bereits mehrfach gesagt habe, daß er
jetzt sofort seine sachen an den schalter bringen muß, reagiert er nicht. in
keinster weise. schlaftrunkenes black out. gulo oder sammler schnappen seinen
rucksack, wir haben nicht die zeit, jetzt lange auf glis zu warten. keine stunde
später sind wir auch schon im flieger. ein großteil der zeit wird von uns
verschlafen. außerdem haben wir riesigen hunger, seit der spaghettieinladung am
gestrigen abend haben wir ja nichts mehr gegessen. die flugzeugverpflegung ist
schnell verspeist. was für den hohlen zahn. gulo ist froh, als ich ihm noch mein
brötchen abtrete. dann sind wir in frankfurt. kurz vor ende verliert glis dann
noch unser kohtengestänge. es ist schwierig für ihn, wieder durch die
absperrungen hindurch zu dem punkt zu kommen, wo er das teil hat liegen lassen.
draußen ein wiedersehen mit euskirchens und pati und marie. marie stutzt ein
wenig. drei wochen bartwuchs lassen einen doch schon anders aussehen. als sie
aber meine brille entdeckt und von der nase ziehen kann, lacht sie und weiß
auch, daß papa wieder zu hause ist. das wetter hier haut uns um. die luft ist
schwül, stickig und mit knapp 30 °c für unsere fälle viel zu heiß. zurück nach
grönland ist das erste, was uns dazu einfällt. direkt im ankunftsbereich werden
wir von unseren angehörigen noch mit brötchen und getränken notversorgt.
auch sammler kommt
an:
zu hause, in deutschland,
sind wir seit 30 stunden wach. es ist heiß und wir sind wieder glücklich, unsere
lieben in den arm zu schließen. wir sind braun gebrannt, mein haar ist
strohblond geworden und ich fühle mich richtig gesund. die fahrt war wunderschön
und ein runder, voller erfolg mit vielen abenteuern.
dann trennen sich die wege
der vier grönlandfahrer endgültig. glis wird von sammler mitgenommen. wir nehmen
gulo mit. die fahrt nach königswinter dauert lang. wir haben keine lust mehr. zu
hause warten wir noch, bis gulo von seinem vater abgeholt wird, dann ist sie
aus, leider, die größte, abenteuerlichste, unglaublichste unternehmung in der
geschichte des pfadfinderstammes romero. die großfahrt der fahrtenschaft polaris
an die eisigen gestade der ostgrönländischen küste im sommer des jahres 2001.
nie werden wir die einmaligen erlebnisse vergessen.
„...dann lausche auf die
weite, sie ruft dich zurück!“
dank
die fahrtenschaft polaris
und ihre mitglieder sind in besonderem maße dem pfadfinderstamm romero,
königswinter-stieldorf in der deutschen pfadfinderschaft sankt georg zu dank
verpflichtet. ohne diesen stamm wäre zum einen die durchführung der fahrt für
die damals noch nicht unabhängige gruppe nicht möglich gewesen, zum anderen
dieser bericht in seiner vorliegenden form mangels finanzieller mittel nicht
zustande gekommen. seit april 2002 unabhängig, auch vom stamm romero, werden wir
diesem jedoch gewiß stets in freundschaftlicher anteilnahme und pfadfinderischer
anerkennung verbunden bleiben.
auch gilt es familie
nielsen aus kulusuk, grönland für die freundliche aufnahme und selbstlose
unterstützung unserer fahrer zu danken und für die viele arbeit und mühe, die
die beantwortung unserer vielen fragen im vorfeld der fahrt sicherlich mit sich
gebracht hat. ohne sie hätten wir ostgrönland nicht in dieser art und weise
kennenlernen können. wer sich selber ein bild machen möchte über ostgrönland,
kann gerne mit michael nielsen kontakt aufnehmen. im internet gibt es aktuelle
informationen unter www.kulusuk-turiststation.gl/ .
anhang
im folgenden anhang sind
sowohl fotos von der unternommenen fahrt abgebildet, alle von ramses
aufgenommen. zum anderen findet der leser kartenmaterial zur geographischen
einordnung der durchgeführten fahrt. zum abschluß findet sich außerdem auch noch
ein von ramses geschriebenes lied, daß die erlebnisse unserer fahrt recht gut
zusammenfaßt und wiedergibt, obwohl es bereits gut 3 ½ jahre zuvor entstanden
ist.
impressum
titel:
grönlandfahrt
autoren: ramses
(kai krauthausen, quirrenbacher str. 109,
53639 königswinter, pati-kai@t-online.de) und
sammler
(frederik ch. euskirchen, stieldorferhohn 16,
53639 königswinter)
bund: fahrtenschaft
polaris, zum zeitpunkt der fahrt noch in der
deutschen pfadfinderschaft sankt georg (dpsg),
stamm romero, königswinter - stieldorf
herausgeber:
pfadfinderstamm romero in der deutschen
pfadfinderschaft sankt georg,
königswinter-stieldorf
© fahrtenschaft polaris im
april 2002