„hast du das große schweigen erlebt,

hast du gewagt, das unbekannte aufzusuchen,

unbekannte wege begangen,

die weißen flecke der karte gekreuzt,

hast du entbehrt, gedürstet, gesiegt,

bist du aufgegangen in der größe des alls?

hast du gott in seiner unendlichen größe gesehen,

den text gehört, den die natur dir predigt?

dann lausche auf die weite, sie ruft dich zurück!“

 

fridtjof nansen

“auf schneeschuhen durch grönland”, 1948

 

Hier gibt es eine Karte mit der Route der Fahrt auf Basis der genauen Koordinaten der Kohtenplätze.

 

prolog

 

dienstag, der 6. 7. 1999

 

unendlich erscheint die weite norwegens dem stillen betrachter zu sein. seit stunden schon zieht das land hinter dem getönten zugfenster vorbei. wir sind müde, finden keinen schlaf. die große lapplandfahrt neigt sich ihrem ende entgegen. wir sind auf der rückreise nach drei wochen in der einsamkeit der berge und hochtäler des padjelantaleden. mittlerweile überqueren wir das dovrefjell zwischen oppdal und dombås. die ähnlichkeit der landschaft hier zu dem von uns gerade auf fahrt erlebten läßt uns wieder wacher werden. wir ziehen resümé, spinnen ideen für die zukunft. daß wir auch demnächst wieder in den norden ziehen wollen, steht bereits seit beginn der rückfahrt in fauske am tag zuvor fest und plötzlich, mehr im scherz dahin gesagt als ernst gemeint, ist auch das ziel der nächsten großen unternehmung in aller munde: grönland. “fahren wir doch einfach beim nächsten mal nach grönland!”, so heißt es plötzlich in der fahrtengruppe. für eine kurze zeit wird die idee dann zum spaß weitergesponnen, ausgebaut. aber schon kurz darauf stellt jemand aus der mannschaft die frage, ob wir diese unternehmung nicht wirklich in angriff nehmen sollten. und seit dieser überquerung des dovrefjells auf der heimreise von lappland befinden wir uns nun tatsächlich in der vorbereitung zur nächsten, zur grönlandgroßfahrt. wir, das sind am ende gulo, glis, sammler und ich, ramses, aus denen sich die gruppe der grönlandfahrer zusammensetzt und damit auch die keimzelle der neuen fahrtenschaft polaris, die, zunächst noch teil unseres alten pfadfinderstammes romero aus königswinter in der deutschen pfadfinderschaft sankt georg, nach grönland mit weiteren mitgliedern jedoch unabhängig und eigenständig wird.

 

 

freitag, der 6. 7. 2001

 

türkische großfamilien, ägyptische pässe, voll bepackte menschen in langen schlangen vor den schaltern. die eingänge zur großen halle lassen immer mehr personen ins innere eintreten. drinnen ist es laut und heiß, die luft stickig und verbraucht. schweiß rinnt in strömen und durchfeuchtet frische kleidung. ab und zu unterbrechen lautsprecheransagen die szenerie, mütter stillen babies, väter warten beharrlich, tragen koffer und allerlei kartons und tüten. wir sind von diesem unerwartetet auftauchenden menschenmassen in terminal e des düsseldorfer flughafens zunächst wie erschlagen, benötigen ein wenig zeit, um uns zu orientieren. während pati sich um unsere sechs monate alte tochter marie kümmert, die die klimatischen bedingungen sicherlich am wenigsten verkraften kann, suchen die männer der fahrtenschaft polaris das richtige terminal zum einchecken.

 

das neue terminal e ist im wahrsten sinne des wortes ein “billiges” terminal. fast food unter den abfertigungshallen des neu gestalteten und umgebauten flughafens. und damit liegt es eigentlich auch wieder richtig, wird es doch fast ausschließlich genutzt vom “lufttransportunternehmen”, eben der ltu, mit dem auch wir zunächst aufbrechen werden. und da ltu der typische ferienflieger für gestreßte deutsche normalbürger in den süden ist, ist die abflughalle auch voll mit sonnenanbetern, die gar nicht darauf warten können, daß sie unter der sengenden sonne spaniens oder marokkos dem hautkrebs ein stück weit näher kommen. unser ziel, zunächst keflavik auf island zu erreichen, um dann weiter nach kulusuk in ostgrönland zu kommen, ist da schon ein ganz anderes. wenige andere islandfahrer. eine hand voll. während diese das treiben der südlandtouristen ein wenig belächeln, überkommt uns, doch man muß es zugestehen, auch ein wenig herablassung gegenüber den besuchern dieser rauhen insel im nordatlantik.

 

sammler schreibt zu dieser situation in seinem logbuch:

 

neben den vielen karibik- und mallorcaurlaubern mit ihren hawaiihemden und spartanisch gepackten koffern, kommen wir uns wie sherpas vor. ein gefühl, welches uns die nächsten drei wochen ständig verfolgen wird. wir haben jeder zwei rucksäcke, einen mit tagesgepäck und den großen trekkingrucksack mit seinen fast 30 kg.

 

am schalter unserer fluggesellschaft machen wir kurzfristig bekanntschaft mit einer wandergruppe, sie wird mit uns nach island fliegen. dort möchte sie zwei wochen in verschiedenen teilen des fjells herumwandern. die gruppe hat große stahlkisten, seesäcke und rucksäcke dabei. für zwei wochen wandern ganz schön viel meine ich, mit betracht auf unsere materialien. na ja, sind halt profis, denk ich mir mit einem augenzwinkern.

 

doch vielleicht sollten wir uns diesen beginnenden hochmut besser für das ende der fahrt aufsparen, als direkt zu beginn bereits seine wirkung zu versprühen, ohne etwas geleistet zu haben. und doch - so viel ist bereits passiert, so viele schwierigkeiten mußten wir bereits im vorfeld ausräumen, da tut es einfach gut, sich heute der tatsache zu freuen, daß unser ziel diesmal das eisige grönland ist. war lappland im jahr 1999 erarbeitet, grönland ist von uns hart erkämpft und das nicht ohne preis, den wir und unser damaliger stamm zu zahlen hatten. sogar noch kurz vor der abfahrt waren wir nicht sicher, ob es klappen würde. glis anruf, er habe sich eine mittelohrentzündung eingefangen und müsse antibiotika schlucken, löste schon unruhe bei uns aus. als ich dann zwei tage vor flug auch noch mit fieber und grippalem infekt im bett lag, da wurde uns allen doch schon richtig mulmig. aber sei´s drum, jetzt stehen wir ja hier, ein wenig lädiert zwar, aber trotzdem abmarschbereit. der abschied von pati und marie ist traurig und kurz, ab jetzt sind wir allein unterwegs.

 

hierzu sammler:

 

endlich an bord. ich lege mich in den sitz zurück, schaue durch das fenster und genieße den start in der dämmerung. wie passend denke ich....denn wir wissen wirklich nicht, was uns dämmert, dort drüben auf der weißen, großen insel. die lichter der landebahnbegrenzung rauschen immer schneller am bullauge vorbei und schließlich heben wir ab. wir werden in den sitz gepresst, die erde schwindet und alles wird kleiner. nur ein riesiges lichtermeer erinnert noch an die zivilisation. wir sind nun über den wolken. 10000 m höhe, 600 km/h, –53 °c außentemperatur. bis jetzt sind wir der höchste und schnellste trupp auf fahrt aus unserem bisherigen stamm.

 

die letzten tage sind wie im traum vergangen. ich war einerseits voller vorfreude, andererseits voller erwarten auf das unbekannte. es geht auf ein großes abenteuer, ständig denke ich über alles nach. es dominieren dabei eher die positiven gedanken. ich stelle mir kalbende gletscher vor, jagende inuitfamilien und in der sonne glitzerndes packeis.

 

alle vorstellungen und träume die schon seit kindesbeinen sehnsüchtig in mir stecken, scheinen jetzt in erreichbarer nähe. ich freue mich, dunkle gedanken betreffend der fahrt habe ich nicht. ich stelle mir zwar vor, was alles passieren kann, bin mir aber sicher, dass uns nichts geschieht. auf unserer großfahrt nach lappland habe ich mir auf der hälfte unserer strecke eine bänderdehnung am fuß geholt, das war unangenehm, darauf muss ich diesmal aufpassen – auf einen sicheren tritt.

 

es ist wichtig vor der sache und vor sich selber einen gesunden respekt zu haben. dies erreicht man, indem man sich geistig und körperlich auf die aktion vorbereitet. wie schon erwähnt, die risiken sind bekannt und mit der richtigen vorbereitung und einiger erfahrung weiß man, den anforderungen gewachsen zu sein. manchmal fällt es mir aber schwer, mich in meinen vorbereitungen zu konzentrieren, zu oft schweifen meine gedanken ab und ich werde so kribbelig, dass ich es kaum noch erwarten kann auf fahrt zu gehen. aber jetzt ist es ja soweit.

 

dass ich auf fahrt bin merke ich, als wir im flieger das essen serviert bekommen. ich fühle mich irgendwie unwohl die kluft anzuhaben und gleichzeitig bedient zu werden. eigentlich macht es mir nichts aus, wenn mich jemand bedient, aber auf einer pfadfinderaktion...irgendwie wiederstrebt mir das. ich weiß nicht wie es den anderen so geht, aber ich würde am liebsten irgendwo im gang einen kocher aufstellen und unser essen selber zubereiten. hm, geht natürlich nicht. aber bald ist es wieder soweit, wir sind voll auf fahrt, ganz auf uns gestellt und damit frei...

 

die zeit vergeht und ehe ich mich versehe, knackt es im lautsprecher – anflug auf kevlavik, dem flughafen von reykjavik. es ist diesig, neblig, regnerisch, wolkenverhangen, windig und alles was das wetter zu einem bezaubernden erlebnis macht. unser weiterflug nach kulusuk ist erst in 10 stunden und wir müssen noch zu einem anderen flughafen, der in reykjavik selber liegt. was machen wir in der zeit? vor allem bei so einem karibikwetter!

 

nun bis jetzt sind wir noch nicht aufgeweicht, denk ich mir und genieße den anflug. es baut sich eine gespenstische stimmung auf – die regenschleier, das aufgewühlte meer, von dem hin und wieder weiße schaumkronen zeugen, dann die schroffen felsen, welche die insel zum atlantik hin abgrenzen. war da nicht gerade eine von diesen elfen, die es hier auf island gibt, oder ein troll? wahrlich, die begrenzungsleuchten des flughafens, der landebahn ähneln den erwartungsvollen augen eines hungrigen riesen, dem schelmischen blick eines trolls. ich kriege eine gänsehaut und auch wiederum ein wohliges gefühl, dass ich hier in der warmen maschine sitze – noch. aber so habe ich mir island vorgestellt, windig, düster, regnerisch. in norwegen haben wir auch oft so wetter, dann gibt es nur zwei dinge, entweder in der hütte bleiben, es sich gemütlich machen oder raus aufs wasser und der natur die stirn bieten.

 

island empfängt uns mit strömendem regen und mächtigen windböen. schwarze schwere regenwolken ziehen über das land. lange dauert es, bis wir wieder im vollen besitz des gesamten gepäcks sind und endlich den keflaviker flughafen verlassen können. einige bange minuten sind auch darunter, da wir schon fürchten müssen, daß nicht all unser fahrtenmaterial von der fluggesellschaft mitgenommen worden ist. für uns wäre das natürlich fatal, sind wir doch auf das zusammenspiel aller vier mitglieder und ihres gepäcks auf dieser fahrt angewiesen. schon allein die kohte, unser schwarzes feuerzelt, hätten wir mit nur drei blättern nicht mehr aufbauen können.

 

 

samstag, der 7. 7. 2001

 

mit dem flughafenbus werden wir warm und trocken nach reykjavik befördert. draußen peitscht auf der eintönigen straße regen vorbei. ab und zu überholt unser busfahrer vereinzelte pkw. dafür, daß es mitten in der nacht ist, ist es trotz der dunkel drohenden wolkentürme noch sehr hell.

 

sammler:

 

ein schöne fahrt. durch die dämmerung geht es vorbei an kleinen siedlungen, häfen und unbewohnten buchten. ich kann mich nicht satt sehen – wie oft hab ich solche szenarien schon erlebt und wie oft will ich sie noch sehen?! ich bin sowieso ein nachtmensch, ab sieben uhr lebe ich auf. jetzt noch diese bilder von dem meer und von lichtern, die von den verschiedensten existenzen zeugen, lichter voller geheimnisse und einer magischen anziehungskraft...ich fühl mich wohl und wünschte, ich könnte immer weiter so durch die nacht reisen. zwischendurch steigen leute ein und aus. hier in island ist es wie in den anderen skandinavischen ländern auch: man fragt sich wo diese neuen passagiere herkommen, wo die überhaupt wohnen und wenn sie aussteigen denkt man, was will der hier, da ist doch nichts.

 

das liegt natürlich daran, dass es in der von felsen und hügeln erfüllten landschaft immer mal kleine abbiegungen und wege gibt, welche zu einem haus, einem hof oder einem kleinen ort führen – das ziel der passagiere. das liegt nun mal an dem vielen platz bzw. der geringen anzahl von menschen, die infrastruktur wird daher allgemein etwas auseinander gezogen. aber dennoch, ich finde es immer wieder urig, wenn plötzlich irgendwo in der einsamkeit eine gestalt steht, die auf den bus wartet. sind es ältere menschen, wird es besonders interessant. oft ist es mir, als würde mit ihnen ein stück natur wandeln, so scheint sie diese geprägt zu haben. die ganzen stürme, die vielen polarlichter, die nordische sonne und die gesunde luft  macht diese menschen zu einem teil ihres landes.

 

in reykjavik werden wir am nationalen inlandsflugplatz abgesetzt, von dem auch die flüge nach grönland abgehen und sind sofort der kälte und dem schneidenden wind ausgesetzt. glücklicherweise scheint der regen die stadt noch nicht erreicht zu haben, die straßen sind trocken. sammler und ich kundschaften den weg zu den abflugschaltern nach kulusuk aus und gelangen sehr schnell zu der erkenntnis, daß es sich hier wohl um das falsche ende des flugplatzes handelt, da hier nur ein leeres bürogebäude neben dem anderen steht. in der ferne können wir am anderen ende etwas größere maschinen ausmachen. der direkte weg wäre über das flughafengelände auch leicht zu bewältigen gewesen, wir müssen aber mitsamt unserem gepäck um drei seiten der absperrung ca. 3 km herumlaufen. endlich dort, stellt sich nach anfänglichem rätselraten, ob wir denn hier richtig sind, doch heraus, daß wir den weg nicht umsonst zurückgelegt haben. da der flughafen, wie in der mitte der nacht nicht anders zu erwarten, geschlossen ist, bleibt uns nicht viel anderes, als uns in einer windgeschützten ecke niederzulassen. während gulo über das material wacht, zieht der rest ins stadtinnere, um etwas eß- und trinkbares ausfindig zu machen. mir ist während der gesamten zeit mehr oder weniger kalt. blos nicht stehenbleiben und auskühlen. wie das halt so ist. zwar ist reykjavik längst nicht bereit um 2, 3 oder 4 uhr nachts schlafen zu gehen, jede menge junges gemüse läuft biertrinkend und gröhlend die straßen hoch und runter, doch ein 24 h geöffneter supermarkt bleibt uns versagt. so laufen wir an der hallgrimskirche mit dem denkmal von leif ericsson, dem europäischen entdecker amerikas, ebenso vorbei wie am kleinen isländischen parlamentsgebäude und auf der pracht- und ausgehstraße, dem laugavegur. mit etwa 150000 einwohnern handelt es sich bei der isländischen hauptstadt um eine echte metropole des hohen nordens. gut die hälfte der gesamten isländischen bevölkerung konzentriert sich hier.

 

sammlers eindrücke:

 

island scheint sowohl amerikanisch, als auch von seinen norwegischen vorfahren geprägt zu sein. dies fällt mir besonders im baustil auf. einerseits erinnern die häuser an andere skandinavische länder, andererseits kommt es mir vor, als wäre ich in einer nordamerikanischen stadt. schon jetzt weiß ich – island ist eine eigene fahrt wert. die fahrzeuge hier bringen mich irgendwie zum schmunzeln. zunächst sind es nur die üblichen schweren geländewagen und pick-ups, doch die werden immer größer. bis es sich in einem monstertruck krönt, der plötzlich vor uns steht, als wir um eine ecke biegen.

 

wir laufen quer durch die stadt, gute zwei stunden sind wir unterwegs. nirgendwo hat ein geschäft, eine tankstelle oder sonst irgendwas offen, von dem man meinen könnte, es horte etwas zum essen, bzw. wo man in pfadfinderkluft rein gelassen wird. die pubs, restaurants und discotheken sind natürlich offen und in der stadt herrscht ein reges nachtleben.

 

wieder fällt mir der gegensatz vom leben auf fahrt zum alltag auf. wäre ich nicht auf fahrt, hätte ich bestimmt riesen lust, mich ins getümmel zu stürzen, schon allein auf grund der skandinavischen schönheiten, die sich hier einem zeigen. aber jetzt bin ich auf fahrt und da habe ich an so was überhaupt kein interesse, ich möchte nicht mehr als ein beobachter sein. natürlich, pfadfinder ist man immer, ob man jetzt seine kluft an hat oder nicht. aber auf fahrt sein, das ist die krönung, die vollendung des ganzen und da möchte ich auch 100% pfadfinder sein, ohne mit mir oder der gesellschaft irgendwelche kompromisse zu schließen. ich würde es nicht als isolierung beschreiben, viel mehr als einen rückzug in eine andere gesellschaft. ich meine eine gesellschaft, die sich noch drüber freuen kann, wenn sie abends einen trockenen schlafplatz und ein kleines süppchen hat, eine gruppe, die aufblüht wenn das licht des feuers anstatt das des fernsehers aufleuchtet.

 

um doch nicht mit leeren händen zurückzukommen, kaufen wir sehr teure pizza und limonade, eigentlich nicht unbedingt unser stil auf fahrt. am flughafen werden wir auch schon hungrig erwartet. danach machen wir es uns durch auspacken von schlafsack und isomatte zum langlegen ein wenig gemütlicher. kalt bleibt es trotz angelegtem pullover aber weiterhin. mir schwant schon böses, ist grönland doch eigentlich noch kälter! sollten wir schon hier zu beginn der fahrt feststellen müssen, daß unsere mühsam zusammengestellte ausrüstung den erfordernissen einer solchen nordlandunternehmung nicht standhält? kurz nach dem ersten ausruhen müssen wir unsere siebensachen auch schon wieder vor beginnendem regen in sicherheit bringen. zum glück bietet ein überdachter ausgang ausreichend schutz.

 

 

 

 

sammler:

 

nach unserem köstlichen mahl breiten wir unsere ponchos und isomatten aus, um etwas ruhe zu finden. von schlafen kann dabei keine rede sein, jedenfalls nicht bei mir, dafür gibt es andere spezialisten. oft genug zerrt es mich wieder hoch, meine lahmen glieder zu bewegen, die gegend zu erkunden oder einfach über das meer in richtung grönland zu stieren. was wird uns dort wohl erwarten?

 

es gehört zu den dingen am leben auf fahrt, das ungewisse. was morgen passieren wird, weiß man erst, wenn es vorbei ist. wie alltäglich ist es schon, dass man eine nacht im eingang eines flughafens verbringt. je öfter man auf fahrt ist, desto mehr gewöhnt man sich zwar an das ungewisse, ungewohnte, aber es ist immer wieder von neuem spannend.

 

gegen 6 uhr in der früh werden wir erlöst, der flughafen öffnet seine türen und wir finden den weg zurück in die wärme, nicht ohne uns nun so langsam konkret um den gedanken zu kümmern, bald tatsächlich in grönland zu sein. beim einchecken reißt die schalterbeamtin bei jedem von uns auch noch die rückflugtickets mit aus und meint, wenn wir zurück möchten, müßten wir nur unsere namen nennen, das würde schon reichen. andere maßstäbe gelten hier wohl am anderen ende der welt! der flug mit einer fokker 100 (propeller) ist kurz, mit uns fliegen jede menge japaner, die später am flughafen in kulusuk zurückbleiben und fotografieren was das zeug hält, um sagen zu können, sie waren schon einmal in grönland. verrückt! der landeanflug ist kurz, als wir durch die wolkendecke stoßen, sehen wir das meereis der dänemarkstraße: in unzählige kleine und große brocken unterteilt und aufgebrochen, bedeckt es dicht an dicht, soweit das auge reicht, die gesamte oberfläche der ruhigen see. einzelne eisberge schwimmen zwischen den schollen, ab und an darauf sogar ein tiefblauer see schmelzwasser. landung auf dem flugplatz von kulusuk: sandpiste. das ausborden geht sehr schnell. wir sind überrascht, obwohl es nur 5 °c warm sein soll, laut unserem kapitän, empfinden wir die luft als nicht unangenehm. außerdem ist sie unglaublich erfrischend. die japaner knipsen wie verrückt das flugzeug, das flughafengebäude, sich gegenseitig, uns. im kleinen flughafengebäude: einige souvenirshops, an der wand ein eisbärenfell, aufgespannt und riesengroß.

 

sammler über den flug:

 

die atmosphäre an bord unseres vogels hat irgendetwas klassisches, es wirkt stilecht. unsere stewardessen tragen bei der begrüßung an bord einen langen grauen mantel, schwarze, lederhandschuhe und auf dem kopf ein türkises schiffchen. alles, auch das interieur, wirkt etwas nostalgisch. ich komme mir vor wie in den 70ern. die fokker ist eine propellermaschine, da sind die starts immer besonders betörend. ich bin schon mal mit einer geflogen, dem kleinen bruder, der fokker 50. ich mag es, wenn es anfängt zu rumoren, die propeller dröhnen und es überall  wackelt. wenn wir in der luft sind, ist es dann das gleichmäßige brummen der props, dem ich so gerne lausche, es wirkt beruhigend.

 

ruhe ist jetzt genau das, was wir gebrauchen können. schon die ganze zeit spinnen wir neue gerüchte über unserem empfang in kulusuk. immerhin gibt es ja dort auch einen pfadfinderstamm. nachher stehen die da herausgeputzt in der sonntagskluft und wir kommen an, wirken total übermüdet und sehen aus wie die letzten heckenpenner. uns scheint immerhin schon eine eskorte von inuits zu begleiten. unser erster kontakt mit der fremden, neuen kultur, wir sind geehrt. denkste, es waren japaner. mann die sehen aber auch zum verwechseln ähnlich, jedenfalls für uns mit unserem wissen zu diesem zeitpunkt. nach der fahrt wären uns die unterschiede in kleidung und verhalten gewiss aufgefallen.

 

da ist wieder der landeanflug, der unsere augen nach draußen zieht. das erste treibeis ist zu sehen, die ersten schnee bedeckten berge, hier pilot sein das wäre was. die farben blau und weiß bieten uns dort unten ein reizendes spiel in den verschiedensten formen. am bezaubernsten finde ich eisschollen, auf welchen sich ein kleiner see gebildet hat. das wasser schimmert dann in einem so kostbaren hellblau entgegen, man mag seine augen nicht mehr abwenden. diese farbe, ich nenne sie mal eisblau, geht einem durch und durch, sie erfüllt den ganzen körper, die seele – es tut einem richtig gut sie zu sehen. das letzte mal, dass mir eine solcher anblick gewährt wurde, war in lappland, sonst ist sie mir nirgendwo mehr erschienen. sie ist ein produkt, das nur die natur hervorbringt. kein künstler vermag diese farbe anzurühren. darüber kann man auch mal das miese wetter vergessen.

 

 aber lange bleibt mir der anblick nicht, die maschine setzt zur landung an. wir steigen aus, ich bin beeindruckt und bleibe erstmal stehen. der anblick ist überwältigend, die schroffen, wilden, schneebedeckte berge, das meer mit seinen schollen und bergen und dazu diese luft. noch nie in meinem leben habe ich eine solche angenehme luft eingeatmet, nicht in ganz skandinavien (na gut die luft in norwegen ist besser, aber nur weil es eben norwegische ist). diese besondere art der luft liegt vermutlich an dem ganzen meereis hier.

 

ja, jetzt bist du in der arktis, denke ich mir. das verrät mir nichtzuletzt auch das flughafenterminal. es sieht aus wie eine forschungsstation in seiner wellblechhülle und die landebahn hat auch noch etwas  pionierzeitiges an sich, sagen wir einfache piste dazu oder feldweg. so weit zur umgebung, aber wo ist das begrüßungskommitee? ein junger inuitmann bittet uns freundlich, ins flughafengebäude zu gehen, jetzt war es aber wirklich unsere erste begegnung mit den inuits. ob unser kontakt mit diesen menschen auch wirklich ein kontakt mit ihrer eigentlichen kultur wird, darüber haben wir uns bis jetzt keine gedanken gemacht. wir haben immer an die inuits aus unseren büchern gedacht, mit ihren traditionellen kleidern, die robben jagen gehen und abends am feuer zusammen sitzen, geschichten aus vergangenen zeiten erzählen und den trommeltanz üben. nein, die wirklichkeit ist anders...

 

wir hoffen hier, von michael nielsen abgeholt zu werden, dem mitarbeiter des örtlichen touristenbüros und leiter des kulusuk spejdertrop, der kulusuker pfadfinder, der uns hierhin eingeladen hatte. in dem kleinen ankunftsraum auch nach minuten kein gesicht, das nach uns sucht. wir schnappen uns die bereitliegenden rucksäcke. alles ist da! zum glück! wir sind sehr erleichtert. vor dem gebäude erste eindrücke von der umliegenden landschaft: sand, kies, wenig bewuchs, hohe spitze berge mit viel schnee, auf dem meer eis und eisberge soweit das auge reicht.

 

insgeheim hatte ich schon damit gerechnet, daß von den insgesamt 40 mitgliedern der hiesigen pfadfinderabteilung mindestens die hälfte zu unserer begrüßung erscheinen würde, doch: nichts tut sich. teile unserer mitreisenden machen sich auf, mitsamt ihrem gepäck in richtung kulusuk hotel zu gehen. wir entscheiden uns, es ihnen nachzutun, nach kulusuk zu wandern und dort unser glück zu versuchen. da kommt uns aus der ferne ein kleiner, hellblonder und braungebrannter steppke entgegen. auf unserer höhe fragt er in perfektem englisch, ob wir die deutschen pfadfinder seien, sein vater michael hätte ihn gebeten uns abzuholen und er wäre ein wenig überrascht über unsere schnelligkeit, sei das flugzeug doch eben erst gelandet. es handelt sich hierbei um rasmus, unserem führer nach kulusuk und der testet direkt unsere steherqualitäten. müde, mit dem zusätzlichen handgepäckrucksack notdürftig und rutschend irgendwo verstaut, die kamera in der hand, bleiben wir nicht etwa auf der straße, das wäre ja zu einfach, sondern nehmen den für rasmus bequemeren, weil kürzeren weg. es geht über hier typischen untergrund: steine, sand, kies, feuchte stellen, in denen wir mit unseren lasten tief einsinken, über bäche und um sumpfige stellen herum. permafrostboden: während die obersten schichten in jedem sommer auftauen, ist der boden darunter noch gefroren, das wasser kann so nicht abfließen und der untergrund wird zu einem schwer zu begehenden terrain. nun, wir befinden uns halt in der niederen arktis, die charakterisiert ist durch eine mittlere temperatur zwischen 5 und 10 °c im juli. der wanderführer ostgrönlands gibt die mittlere temperatur hier im ammassalik - distrikt im juli mit 7,4 °c an, die erreichte maximaltemperatur mit 22,9 °c.  während der wanderung in den ort gehe ich mit rasmus voraus und unterhalte mich mit ihm. rasmus´ familie hat den weg aus dänemark hierhin gefunden und wenn man ihn, der 11 jahre alt ist, so erzählen hört, scheinen sie hier oben in der einöde am ende der welt auch glücklich und zufrieden. kurz bevor wir zum ersten mal einen blick auf kulusuk, unserer basis für die nächsten drei wochen werfen können, kommen wir an einem gräberfeld mit vielen dünnen, windschiefen weißen holzkreuzen vorbei. die gräber sind klein, mit steinen bedeckt und manchmal findet man als schmuck ein paar plastikblumen. wie wir später sehen, gibt es im ganzen ort verstreut zwischen den häusern immer wieder kleinere und größere gräberfelder, manchmal auch nur einzelne gräber. stumme zeugen einer grippeepidemie in den 60er jahren des letzten jahrhunderts. mit fortschreitender wanderung hat sich auch das wetter verschlechtert. aus dem bedeckten himmel gießt es recht heftig und ungeschützt auf uns hernieder. da wir im flugzeug zwecks abwehr der erwarteten kälte mehrere schichten übereinander gezogen hatten, werden wir nun ebenso von innen naß. doch was soll´s so kurz vor dem ziel, da muß man durch. hinter einer hügelkuppe sehen wir kulusuk zum ersten mal und sind begeistert: an einer mit eisbergen und eisschollen bedeckten bucht gelegen, schmiegt sich der ort über mehrere hügel und ein kleines tal an die hänge. die holzhäuser sind klein und bunt, rot, gelb, blau gestrichen und stehen da wo gerade platz ist. dazwischen, angekettet, die schlittenhunde, denen jetzt im arktischen sommer viel zu warm ist und müll, weggeworfene alte gebrauchsgegenstände aller art. trotz allem fügt sich dies mit in den malerischen gesamteindruck des ortes ein. kulusuk, zu deutsch “flügelbeuge des vogels” ist das einfallstor nach ostgrönland. nur hier ist es möglich, mit größeren flugzeugen auf dem 1950 errichteten flugplatz zu landen. von 1959 bis 1991 befand sich hier auf dem 336 m hohen berg isikaja eine amerikanische radarstation als vorposten gegen einen möglichen sowjetischen angriff auf die usa. mittlerweile ist sie geschlossen und nicht mehr in betrieb. seit den 60er jahren des vorigen jahrhunderts kommen während der sommermonate tagestouristen aus island in das kleine dorf mit etwa 340 einwohnern. übrigens übertrifft die zahl der hier lebenden schlittenhunde die der menschen bei weitem. jede familie hat mindestens ein gespann der wolfsähnlichen grönländer hunde, einer speziellen, robusten rasse, die es nur hier auf der größten insel der welt gibt. wirklich sehenswert ist die 1924 gebaute, recht große holzkirche des ortes, die von einer bei kulusuk havarierten schiffsmannschaft geschenkt wurde. gewöhnungsbedürftig für uns mitteleuropäer ist das fast völlige fehlen von autos auf den straßen des dorfes. nur ein paar wagen, abzählbar an einer hand, pendeln zwischen dem flughafen und den einfachen unterkünften im ort. verständlich ist dies, wenn man bedenkt, daß es in ganz grönland keinerlei straßenverbindungen zwischen den einzelnen orten gibt. das hauptverkehrsmittel ist hier im sommer das boot und danaben der hubschrauber, im winter der hunde- oder motorschlitten. autos kann man hier schlichtweg nicht gebrauchen. besonders fehl am platze in dieser wildnis wirkt der weiße vw golf der flughafenverwaltung.

 

michaels haus ist frisch blau gestrichen und liegt von uns aus gesehen fast direkt am ortseingang. er begrüßt uns im regen und bittet rasmus, uns zu einem zur zeit leer stehenden haus im ort zu bringen. hier können wir unsere feuchten klamotten ein wenig ausbreiten und uns einrichten. unterwegs durch den ort betätigt sich rasmus erneut als kundiger reiseleiter und zeigt uns einige der wichtigsten häuser im dorf, so die große langgestreckte schule und den kni-laden. so einen kni-laden (kalaallit niuerfiat / grønland handel) findet man in jeder noch so kleinen grönländischen siedlung. es handelt sich dabei um verkaufsstellen der staatlichen versorgungsgesellschaft, die die bewohner mit den notwendigen dingen des täglichen lebens versorgen. in den kleinen siedlungen sind sie daneben auch noch anlaufstellen für post, bank, die verwaltung und das transportwesen. eine marktwirtschaft, in der unterschiedliche anbieter miteinander konkurrieren, wird man deshalb in grönland nicht oder nur sehr selten antreffen.

 

 

sammler über den kulusuker kni-markt:

 

in diesem geschäft gibt es alles mögliche zu kaufen, nicht nur nahrung, sondern auch gewehre, munition, sonstigen jagdbedarf, bootzubehör und alles was die menschen zum leben in der arktis benötigen. nur eins scheint das warensortiment nicht zu beinhalten, insektenschutzmittel. normalerweise kaufen wir so etwas immer vor ort, doch diesmal wird wohl nichts daraus – die folgen werden wir reichlichst zu  spüren bekommen. der kni-markt erhält seine waren durch ein versorgungsschiff, dass im sommer regelmäßig vorbei kommt. im winter allerdings ist das meer zugefroren, ein durchkommen ist nicht möglich, es kann dann schon mal zu versorgungsengpässen kommen. um die produktpalette des marktes kennen zu lernen, muss man ihn nicht unbedingt besuchen. neben den wegen im ort gibt es meist gräben, in denen sich nicht nur die hunde tummeln, sondern auch der müll sammelt. in einer kuhle liegt sogar eine alter 35ps außenborder.

 

das haus, in das wir einziehen, ist ebenfalls blau gestrichen, allerdings ist hier die farbe alt und schon abgeblättert. das haus hat michael für ein paar hundert dänische kronen günstig gekauft und dann renoviert, um es in zukunft für pfadfinderische zwecke, so sagt er, nutzen zu können. in seinem aufbau gleicht es deutschen schrebergartenhäusern: hinter der eingangstür rechts ein kleiner vorratsraum, links das trockenklo, geradeaus der etwa 3 x 3 meter große hauptraum. hier stehen tisch, stühle, ein alter petroleumofen von einem boot zum heizen, ein gasofen zum kochen mit anschluß an eine propangasflasche, wenige küchenutensilien. dahinter noch der schlafraum mit vier schlafplätzen. das war´s. alles einfachst und nicht unbedingt das richtige für leute die absolute sauberkeit brauchen, um sich wohl zu fühlen. für uns jedoch ist es sicherlich eine luxusunterkunft, uns geht es gut hier. nach dem einräumen geht´s zurück zu michaels haus. zum einen möchten wir unsere gastgeschenke abgeben: ein buch über das siebengebirge, unsere heimat und ein klufthemd, zum anderen sind wir eingeladen zu kaffee und klönen. vorher machen wir noch einen abstecher zum kni - laden, bevor dieser um 12 uhr am mittag schließt.

 

zwar ist das erste versorgungsschiff dieses jahres aus dänemark gerade in tasiilaq, dem hauptort ostgrönlands eingetroffen, die ware ist aber bislang noch nicht bis hier nach kulusuk gekommen. und so bietet der laden nach dem langen winter, der eben erst zu ende gegangen ist, nur noch wenige ausgesuchte dinge an. die schwierige eissituation in der ostgrönland vorgelagerten dänemarkstraße ist verantwortlich an den so späten lieferungen. auch in den sommermonaten ist die ostküste dicht von packeis eingeschlossen, das mit zunehmender wärme nur wiederwillig einen weg in die fjorde und zu den menschen freigibt. schuld ist der kalte ostgrönlandstrom, der eisiges wasser vom norden, direkt vom pol, nach süden bis um die grönländische südspitze herum transportiert. der einzige vorteil für die grönländer liegt dabei in der tatsache, daß der strom neben dem vielen eis auch unmengen an holz der sibirischen taiga mit sich trägt, das hier an den baum- und damit eigentlich holzlosen küsten angeschwemmt wird und so die möglichkeit zum bauen oder heizen bietet. eisfrei, bzw. für große schiffe passierbar, ist die seeregion um kulusuk und den hauptort ammassalik lediglich in den monaten juli bis oktober und das auch nur, wenn die schiffe besonders eisverstärkt sind. die restliche zeit des jahres sind die kleinen häfen der siedlungen hier nicht zu erreichen. verantwortlich ist der dicke packeisgürtel auch für die klimatischen bedingungen der region, so z.b. für den nebel, der sich oft am nachmittag bildet, wenn die temperaturen wieder fallen, und der nicht aufgelöst wird, bevor die sonne am nächsten morgen wieder genug kraft hat. entlang der fjorde im landesinneren liegen die temperaturen etwas höher als entlang der außenküste, hier ist dementsprechend auch die vegetation wesentlich üppiger.

 

wir kaufen für heute abend und morgen früh etwas zu essen ein und dann geht´s zu michael. dieser und seine frau begrüßen uns noch einmal, es gibt zunächst kaffee und wir tauschen uns ein wenig über unsere pfadfinderarbeit aus. michael versucht gerade, eine neue gruppe aufzubauen, beklagt jedoch die mangelnde disziplin der einheimischen inuit, die zusagen und abmachungen nur dann einhielten, wenn ihnen nicht gerade danach ist, fischen und jagen zu gehen. bis zum beginn der grönländischen selbstverwaltung im jahr 1979 hat es von der dänischen kolonialverwaltung organisiert, in vielen orten grönlands pfadfindergruppen und auch einen nationalen verband den grønlands spejderkorps gegeben. seitdem sich die dänen aber in die inneren angelegenheiten grönlands nicht mehr einmischen, so michael, ist es zu einem niedergang im gesamten gesellschaftlichen leben des landes gekommen und auch der pfadfinderbewegung. heute gibt es zwar noch offiziell einen von wosm geführten verband im land, der aber anscheinend faktisch nur noch auf dem papier existent ist. das hatten wir in der vorbereitung unserer fahrt auch erfahren müssen. weder findet sich im internet auch nur eine spur von pfadfinderischem leben in grönland, noch antwortete in der vorbereitung der fahrt die offizielle adresse des grönländischen pfadfinderverbandes in der hauptstadt nuuk auf eine unserer anfragen. erst in letzter zeit versuchen in wenigen grönländischen siedlungen einzelpersonen, wie in kulusuk michael nielsen, wieder tatsächlich arbeitende pfadfindergruppen vor ort aufzubauen. organisatorisch sind diese aber nicht unbedingt auf den alten verband ausgerichtet. die pfadfinder des kulusuk spejdertrop beispielsweise sind dem dänischen ringverband kfum informal assoziiert.

 

wir klären die für unsere wanderung noch offenen fragen ab und besprechen, was für ausrüstungsgegenstände wir noch benötigen. michael warnt uns anhand der karte vor besonders tückischen stellen mit treibsand auf unserem weg. außerdem, und das macht uns ein wenig nachdenklich, meint er, daß wir keine ausrüstung für die kurze gletscherüberquerung benötigen würden, die auf unserem weg liegt. sie sei die ganze übrige strecke nur nutzloses gewicht. die überquerung sollte uns eigentlich auch ohne ausrüstung gelingen. auch werden wir wohl auf dieser strecke nicht begleitet oder geführt werden können, wie es eigentlich angedacht war. wir alle sind gletscherunerfahren, haben das in der bisherigen vorbereitung auch immer betont. nach einigem hin und her, überlegungen und dem austausch von argumenten entscheiden wir uns dazu, den gletscher tatsächlich ohne führung und spezielle ausrüstung selber in angriff zu nehmen. im anschluß bekommen wir von michael noch unsere ausrüstungsergänzung mit: ein notfallpeilsender, satellitengestützt, signalraketen und einen heptankocher samt brennstoff, da michael zu wenig spiritus für unsere trangias hat. außerdem hat mette, michaels frau und krankenschwester von kulusuk, ein brot gebacken und da es draußen deutlich wärmer geworden ist und die sonne wieder mächtig scheint, setzen wir uns zum kaffee vor das blaue haus. mettes backkünste sind hier auch notwendig, da es im kni - laden erst wieder brot zu kaufen gibt, wenn der nachschub aus tasiilaq den ort erreicht hat. eine eigene bäckerei hat kulusuk nicht.

 

michael berichtet über die schwierigkeiten des tourismus vor ort. im anschluß daran bekommen wir von ihm exklusiv eine führung durch die verschiedenen teile kulusuks. er erzählt dabei von der späten europäischen entdeckung von ammassalik und der grönländischen ostküste vor ca. 100 jahren durch die sog. frauenbootexpedition des dänen gustav holm. während die klimatisch begünstigte süd- und die westküste grönlands schon lange bekanntes siedlungsgebiet waren, erreichten die wenigen expeditionen, die sich von dort aus auf den weg nach osten machten, lange zeit nicht ihr ziel. der erste europäer, der in den kontakt mit inuit an der ostküste kam, war peder olsen walløe, der 1752 den lindenows fjord erreichte, wo er berichte über ein merkwürdiges volk hörte, das weiter im norden leben sollte. 1829 bahnte sich w.a. graah einen weg durch das eis bis etwa 100 km südlich der heutigen hauptstadt ostgrönlands, ammassalik. auch er hatte damals kontakt zu inuit und berichtete von seiner reise, das sie sich im aussehen deutlich von dem der westgrönländischen bevölkerung unterscheiden würden. 1884 endlich erreicht man bei holm´s frauenbootexpedition die jahrhundertelang durch den massiven eisstrom der dänemarkstraße abgeriegelte region, in der, in völliger isolation von der außenwelt, eine kleine gruppe einheimischer als jäger und fänger lebte, deren kultur und sprache sich stark von der anderer grönländischer inuits unterschied. 413 menschen zählte der inuitstamm damals. ihre vorfahren waren seit etwa 2000 v. chr. bis ca. 1200 n. chr. in mehreren wellen von westen entlang der nördlichen oder südlichen küste grönlands kommend, in die region eingewandert. ihre lebensweise ist bis heute deutlich traditioneller und ursprünglicher  geprägt. durch schlechte fangverhältnisse und anhaltende familienfehden lebten acht jahre später nur noch 294 inuit. um diese menschen vor dem untergang zu bewahren, gründete holm 10 jahre nach der entdeckung eine handels- und missionsstation: ammassalik in der tasiilaqbucht, auch tasiilaq genannt. diese station entwickelte sich im laufe des folgenden jahrhunderts zum verwaltungs- und versorgunszentrum für ganz ostgrönland. mittlerweile leben an der gesamten riesigen, 3000 km langen ostküste grönlands von kap farvel im süden bis hoch zum kronprinz christian land im norden nur rund 3500 menschen in wenigen kleinen siedlungsgebieten, dabei etwa 2900 im bereich des ammassalik distriks (davon etwa 1700 in der ostgrönländischen hauptstadt selber), in dem auch wir uns jetzt befinden und der rest in der weiter nördlich gelegenen siedlung ittoqqortoomiit am scoresbysund. der übrige teil der küste ist wie das gesamte inland menschenleer.

 

weiter geht´s durch den ort. dabei erfahren wir wissenswertes über die grönländische selbstverwaltung, wir besichtigen die schöne holzkirche, das feuerwehr- und gemeinschaftshaus, michael zeigt uns die altenhäuser, erklärt uns schwierigkeiten der wasser- und stromversorgung im ort usw. sehr informativ und interessant. schade nur, daß sich die anderen, bis manchmal auf sammler, nicht aktiv am abwechselnd englisch und deutsch geführten gespräch beteiligen.

 

sammler schreibt über diesen rundgang:

 

das gemeinschaftshaus bietet neben einem werkraum mit den verschiedensten werkzeugen und maschinen, auch einen duschraum und waschmaschinen – gut zu wissen, denke ich mir. wenn wir zurückkommen, werden wir so etwas sicherlich gerne in anspruch nehmen. ebenfalls bekommen wir auch einen speziellen raum für die robbenjagd zu sehen. die robben werden meist am strand ausgenommen, dann wird ihnen das fell abgezogen und hier werden das fell und fleisch zum trocknen aufgehangen. es riecht nach tran und fett, dieser geruch hat seine ganz eigene note, nicht unbedingt widerlich, aber auch nicht gerade gut. er ist kräftig, sagen wir mal so. zu meiner enttäuschung wird robbenfleisch hier nur als hundefutter benutzt, wir werden also kaum die gelegenheit bekommen, es zu kosten.

 

ein „stark angeheiterter“ inuit sitzt vor der kirche und scheint sich über etwas zu beklagen. zunächst sind wir etwas irritiert, aber michael beruhigt den alten mann und klärt die situation:  nicht wenige menschen hier kommen mit ihrem leben in der westlich orientierten welt nicht zurecht. perspektivlosigkeit und eine fehlende aufgabe im leben lassen die leute oft zu alkohol greifen.

 

nach dem ortsrundgang sind wir geschafft und lehnen eine einladung zum abendlichen beisammensein dankend ab. der fehlende schlaf fordert von uns nun endlich seinen tribut. glis und gulo kochen und wir alle packen die rucksäcke für die morgen beginnende wanderung neu. das nimmt so viel zeit in anspruch, daß es mit dem wohlverdienten schlaf erst äußerst spät etwas wird. zwischendurch gehe ich kurz vor die tür, um etwas zu fotographieren. natürlich viel zu wenig, da bin ich mir sicher. eben beim rundgang habe ich es nicht geschafft, da ich zu sehr im gespräch mit michael involviert war. aber wir sind ja auch noch nach der wanderung ein paar tage hier und vielleicht ergibt sich ja auch noch morgen früh eine gelegenheit.

 

 

sonntag, der 8. 7. 2001

 

grau und matt ist die mich umgebende bergwelt. vor mir streckt sich eine weite fjellfläche aus, die im schatten der sie umgebenden spitzen und majestätisch die landschaft beherrschenden bergriesen viel von der ausstrahlungskraft der farben bei tag verloren hat. allein die spitze des 829 m hohen avalaatseq ist rotgolden von der tief im nordwesten stehenden abendsonne eingefärbt. im hintergrund rauschend, obwohl sicherlich gut 1 km entfernt, ein wilder, donnernder wasserfall, dessen ausläufer wir am heutigen ende unserer ersten wanderetappe zu überqueren hatten. der “talkessel”, eigentlich ist es ja gar keiner, ist angefüllt mit meerwasser: der torsukattak, ein recht schmaler meeresarm erstreckt sich hier. die berge sind nur im unteren, weniger steilen drittel ein wenig begrünt, hauptsächlich mit heidekraut, flechten und moosen. büsche oder gar bäume sucht man hier vergeblich. dafür gibt es aber umso mehr schneefelder, die die flanken der berge und sättel zwischen ihnen bedecken. unsere kohte steht hier auf einer kleinen anhöhe im mäßigen wind, der uns unliebsame plagegeister, mücken, vom leib hält und paßt sich dem umgebenden landschaftsbild nahezu perfekt an. doch der reihe nach.

 

frühmorgens, in unserer hütte regiert noch der in sammler, glis und gulo personifizierte schlaf, nutze ich die zeit, um im logbuch die ereignisse des gestrigen tages zu komplettieren. diese extra-zeit muß ich mir auch nehmen, so vieles ist berichtenswert. draußen schläft der ort noch, selbst die vielen schlittenhunde scheinen die bereits hoch am himmel stehende sonne nicht wie sonst üblich durch ihr mehrstimmiges gejaultes wolfsgeheul begrüßen zu wollen. die wege sind ausgestorben, keine kinder auf den straßen zu sehen. auf dem hügel hinter dem haus ein paar schöne fotos von kulusuk. nachdem auch die restliche mannschaft morpheus armen durch meinen reizhusten entrissen werden kann, packen wir marschbereit und frühstücken das brot, das mette gestern für uns frisch gebacken hat. es schmeckt köstlich. um 9 uhr kommt uns rasmus besuchen. leider, so meldet er uns, könne man noch nicht fahren, da das eis in der bucht von kulusuk zu dicht läge. um 12 uhr sollen wir es erneut versuchen. je nach tide und windrichtung wird das eis auf der kulusuk vorgelagerten meerenge tunu in die kleine hafenbucht gedrückt. ein für die kleinen boote der inuits unüberwindliches hindernis. da heißt es warten, aber zeit hat man hier im sommer ja genug.

 

wir nutzen den aufenthalt, um bei strahlender sonne und stahlblauem himmel ein wenig die küste hinter kulusuk entlang zu klettern. fantastische aussicht auf fantastische landschaft: das meer, ruhig, glasklar und blaugrün ist bedeckt mit dicken, kleinen und großen meereisschollen und stücken. diese glänzen strahlend hell im sonnenglast und bieten einen guten kontrast zum dunklen land auf der gegenüberliegenden seite der meerenge torsuut. wir fotographieren und können gar nicht mehr damit aufhören, so begeistert sind wir von der szenerie. wie bedauernswert doch alle freiwillig daheimgebliebenden der ehemaligen lapplandfahrer sind! zwei jahre arbeit, kampf, bangen und hoffen zahlen sich nun mit einem schlag aus.

 

sammler:

 

während gulo und glis bis ans ende der bergzunge gehen, steigen ramses und ich seitlich aus und kehren in den ort zurück, um noch ein paar fotos zu machen. wir kommen gelegen, gerade spielen ein paar jugendliche auf der straße fussball, im hintergrund eisberge und riesige schneebedeckte berge. ein spitzen motiv - solang sie es nicht mitbekommen. mir gefällt es hier in kulusuk sehr gut, nicht nur aufgrund der wunderbaren natur, sondern auch der kultur wegen. es gibt immer etwas neues zu sehen, die menschen und ihr leben sind sehr interessant. natürlich ist es in der kurzen zeit, die wir erst hier sind unmöglich, ein bild zu bekommen, aber das macht die sache ja so reizend, das entdecken, das beobachten. die zeit verstreicht, wir schießen fotos, spielen etwas mit den welpen die uns besuchen kommen...

 

gegen 12 uhr packen wir sämtliches gepäck ein und gehen hinunter zum hafen. hier wartet auch schon die komplette familie nielsen auf ihren papa, der mit dem kleinen boot, weit draussen im eis versucht, einen weg hinein zu uns zu finden. zeit genug bietet diese rangiererei zwischen schollen und eisbergen, um uns noch einmal umzusehen. mette erzählt uns von den eisbären, die sie im letzten winter im ort hatten und vor denen man sich höllisch in acht nehmen muß. jetzt im sommer ist die gefahr, hier auf eisbären zu treffen äußerst gering. die wappentiere grönlands bevorzugen auf ihren langen wanderungen den robben zu folgen. die robben sind jetzt auf dem eis der dänemarkstraße in offenen gewässern und nicht in den fjorden und schären der küstengebiete zu finden, in denen wir wandern werden. auf die mitnahme eines gewehres zum selbstschutz, wie in vielen gebieten besonders ostgrönlands sonst notwendig, können wir demnach getrost verzichten. zwei inuit nehmen unweit des kais eine robbe aus. die beiden männer arbeiten schnell. uns wundert zunächst, daß kein blut fließt, bis wir den blick vom kai auf den meeresboden senken: 5-6 tote robben liegen hier angetäut in ihrem natürlichen gefrierschrank. eine von ihnen scheint uns mit leerem toten blick anzusehen. brauchen die inuit eine robbe, z.b., um mit dem fleisch die hunde zu füttern, bedienen sie sich bequem bei ihrer natürlichen tiefkühlkost.

 

sammler ist begeistert:

 

etwas anderes zieht auch unser interesse auf sich. zwischen den felsbrocken am strand wird gerade eine robbe ausgenommen und auch sofort von ihrem jäger gekostet. das ist eine szene wie ich sie mir aus dem alltag einer inuit-familie vorstelle und sie schon seit langer zeit mit mir rumtrage. das muss photographiert werden; wie so vieles hier. dieses jahr hab ich 14 filme dabei und ramses hat versprochen, mit freundlichen bedacht auf meine photoverrücktheit, mir gegebenenfalls noch was von seinen abzudrücken.

 

die robben waren und sind die grundlage der fänger- und jägergesellschaft der inuit. ohne robben keine nahrung, keine kleidung, keine wärme oder unterkunft. das fleisch ist nahrhaft, vitaminreich, das fett spendete früher in tranlampen licht in den langen wintermonaten oder wurde zusammen mit den knochen an die hunde verfüttert. aus den fellen stellten die inuit jacken, hosen und handschuhe her oder aber auch zelte, hausdächer und die polster der sitzbänke. die zeit der absoluten abhängigkeit von der robbe ist noch gar nicht so lange vorbei, vielleicht gerade einmal gute 50 jahre. heute ist man zwar nicht mehr so elementar wie noch früher auf die jagd angewiesen, allerdings wird diese tradition noch bewahrt und nicht selten stellt die robbenjagd neben dem fischfang in der strukturschwachen region die einzige mögliche einnahmequelle für die familien dar. anders als die in den 70er und 80er jahren des vorigen jahrhunderts zu recht kritisierte, massenhafte industrielle abschlachterei von robben und besonders deren jungtieren in kanada, jagen die inuit aus grönland grundsätzlich nur so viele tiere, wie sie für den eigenen lebensunterhalt benötigen. dabei handelt es sich immer nur um ausgewachsene robben. das ökologische gleichgewicht wurde hier, anders als in kanada, nie gestört. umso ungerechter ist für die inuit deshalb die tatsache, daß die undifferenzierte sicht auf die jagd in europa in der folge zu einem starken verfall der robbenfellpreise auf dem weltmarkt geführt hat und damit zu einem enormen verlust für die auf diese einnahmequelle angewiesenen familien. um die heute noch etwa 2500 professionellen jäger in grönland nicht zu sozialhilfeempfängern werden zu lassen, subventioniert der staat den fellverkauf an die gerberei great greenland in qaqortoq. die jäger sollen so in ihren traditionellen berufen ihre würde und identität behalten dürfen.

 

michael ist endlich durch´s eis durch und wir können los. eigentlich ist das boot mit überdachter kabine und außenborder viel zu klein für uns neun und das gepäck, doch irgendwie schaffen es alle, einen guten platz zu ergattern. um aus dem hafen und der kleinen bucht von kulusuk herauszukommen, müssen wir umwege in kauf nehmen und die dicht an dicht treibenden eisschollen umkurven. rasmus sitzt auf dem dach der kabine und schiebt die eine oder andere scholle ein wenig zur seite. trotzdem kollidieren wir manchmal. draußen, außerhalb der bucht, geht es aber besser, die freien wasserflächen werden größer und wir können an geschwindigkeit zunehmen. während michael sich um das steuer kümmert und mette mit den kindern beschäftigt ist, haben wir zeit, uns in ruhe die landschaft anzusehen. zunächst fahren wir auf dem tunu in richtung norden, dann auf dem ammassalik fjord nach nordosten. das wasser ist klar und eiskalt. sollte das boot aus irgendwelchen gründen kentern und untergehen, würden wir recht bald an unterkühlung sterben. immer wieder kreuzen uns eisschollen und kleine eisbruchstücke, die von wasser, wind und sonne geformt, zu bizarren gebilden von teils hoher fragilität erstarrt sind. die inseln, bzw. das festland, an dem wir vorbei fahren, bestehen aus hohen, spitzen, teils scharfzackigen felsen, die in aufragende bergspitzen übergehen. auch hier überall ist nur wenig vegetation zu sehen. hochalpines fjell eben, direkt auf meereshöhe. auf der mitte der fahrt packt mette für uns alle brot und saft aus. jeder von uns darf sich zwischen schinken oder leberwurst entscheiden und bekommt sein brot geschmiert. casper und line (in pfadfinderkluft!) spielen mit glis, ab und an werden auch wir anderen einbezogen. ich mache ein paar fotographien vom meer. da die sonne kräftig scheint, ist es auch nicht allzu kalt. die dunklen jujas sind in diesem fall gold wert, heizen sie sich doch schnell auf. nur wenn der fahrtwind und der tatsächliche wind zusammen aus einer richtung wehen, wird es recht frisch. unser ziel kuummiit sehen wir schon von weitem vor uns liegen, doch die strecke zieht sich noch ordentlich. michael navigiert uns per gps - peilung. ab und an fällt der motor plötzlich aus. michael füllt dann aus vorratskanistern benzin oder öl nach und es geht weiter. für kurze zeit weht uns spritgeruch um die nase.

 

unser „seemann“ sammler schreibt:

 

michael hat sich das boot von einem bekannten geliehen, es ist ein ca. 5m langes hardtop-boot mit einem 50ps außenborder. der kahn ist voll bepackt, wir vier, die familie nielsen unsere dicken rucksäcke und drei kanister sprit. langsam fahren wir aus der dicht mit treibeis bedeckten bucht raus, es ist ein einziges slalomfahren. rasmus sitzt vorne auf dem bug des schiffes und gibt seinem vater am steuer informationen und hinweise, wie er die eisschollen umfahren soll. wenn meine familie und ich in den schären norwegens kreuzen, sitze ich auch immer vorne und gebe weisungen über untiefen. am liebsten hätte ich mich mit nach vorne gesetzt. die aufgabe ist nicht nur wichtig, sie macht auch riesen spaß. als wir aus der bucht heraus sind und rasmus wieder nach hinten kommt, gibt michael etwas mehr gas. durch die schwere last, ich denke mal die maximalzulast haben wir bei weitem überschritten, hat der motor ganz schön zu schnaufen, wir müssen öfters halten um nachzutanken. das kommt uns nicht ungelegen, denn die fahrt mit dem boot ist bezaubernd. für manche aus der gruppe ist es die erste, was sie jedoch nicht dabei stört einzuschlafen – nicht wahr glis ?!

 

das wetter ist wunderschön, die frische luft belebt den kreislauf und die aussicht ist eine augenweide. in der ferne sieht man die packeisgrenze, wir fahren an großen eisbergen und schollen vorbei und passieren die großen, schroffen berghänge ostgrönlands. ramses und ich grinsen uns ein paar mal an - grönland endlich.

 

ein prima bootsrevier denke ich mir. zwischendurch machen wir eine brotzeit auf dem meer, das gefällt nicht nur unserem nimmersatten gulo. der jüngste nielsen, kasper ist ein richtiger eisberg-fan, bei jedem dieser großen, weißen kolosse ist er ganz aus dem häuschen. nach rund zwei stunden nähern wir uns kuummiit.     

 

kuummiit, das kleiner als kulusuk ist, erreichen wir bei bestem wetter. kuummiit bedeutet zu deutsch “anwohner des flusses”. die meisten grönländischen ortsbezeichnungen sind sog. sprechende namen, haben also eine bedeutung, die oft den entsprechenden ort beschreibt. die bannermasten im ort sind beflaggt, eine dänische und mehrere grönländische flaggen grüßen im wind. die landung an das ufer zwischen felsen ist mit unserem gepäck recht schwierig zu bewerkstelligen. mit vereinten kräften schaffen wir es dann doch. dann verabschieden wir uns von den nielsens, die uns viel glück für unsere nun beginnende 14 - tägige wanderung wünschen und sich dann auf in den ort machen, da sie hier noch etwas zu erledigen haben, bevor es für sie wieder auf den rückweg nach kulusuk geht. wir zögern nicht allzu lange, packen die rucksäcke auf und wandern durch den ort los. stockfisch trocknet an gestellen in der sonne, kinder holen wasser und spielen. wir verlassen den letzten platz menschlicher ansiedlung auf unserer wanderung so schnell es geht. kurz hinter dem ende des ortes umgibt uns dann nur noch wildnis. der weg, den wir uns ab jetzt selber zu suchen haben, führt zunächst auf halber hanghöhe am torsukattak, der schmalen meerenge, in richtung nordosten. das ungewohnte gehen im freien gelände, ohne jeglichen pfad oder spur, ist nicht gerade einfach. dafür ist es hier recht grün. heidekraut und wacholder bedecken den boden. nach ca. 3 km ab hafen machen wir gegen 16 uhr rast, um die mittagspause nachholen zu können, die ersten rationen finden so ein leckeres ende.

 

auch sammler hat hierzu etwas ins logbuch geschrieben:

 

recht früh kommt heute unsere mittagspause, ja das erste mal nach langer zeit gibt es wieder unseren guten alten babybrei. der neue kocher ist wirklich klasse, kaum ist der brenner an, können wir den äußerst nahrhaften brei schon einrühren. das wetter ist wie gehabt gut, die aussicht auf den torsukattak-fjord entspannend, so genießt es sich, besonders nach den anfänglichen schwierigkeiten. gulo freut sich auch sichtlich, endlich wieder essen. die rationen sind so aufgeteilt, dass ramses und gulo, sowie glis und ich jeweils gemeinsam eine portion verzehren. ramses ist unser smutje und macht seinen job sehr gut.

 

die pause bringt noch etwas mit sich, ich finde einen wunderschönen stein. er sieht aus wie ein eisberg, schimmert eisig grau und wirkt wie ein edelstein. das kommt dem sammler recht, meine erste beute und es sollte noch mehr werden. in lappland hatte mein rucksack, 27 kg, unterwegs habe ich 8 kg nahrung verbraucht und am ende wog er 32 kg, alles meine schätze. ramses weiß das und hat seine freude, als er sieht, wie ich eifrig dran bin, meinen stein zu verstauen.

 

dann geht es weiter. reden tun wir nicht viel. weder auf der wanderung selber, noch während der pausen. vieles ergibt sich von selber, wird auch ohne worte von allen erfaßt, verstanden. das uns umgebende land ist ebenfalls still. man hört einfach nichts. es sei denn das geräusch eines wasserfalls. vogelstimmen sind sehr selten. kurz vor unserem heutigen tagesziel haben wir schwierigkeiten mit einem etwas größeren bach, der, nachdem er in einem tiefen, rauschenden wasserfall zu tal gestürzt kommt, in mehreren armen mäandert. einige davon können wir überspringen, andere jedoch sind breiter und tief, so daß wir auf und ab laufen müssen, um einen geeigneten übergang zu finden. furten möchten wir heute abend nicht mehr unbedingt. endlich gelingt es uns. um den mücken zu entgehen, die es hier in schwärmen gibt und es alle auf uns abgesehen haben, steigen wir ein wenig höher und suchen uns einen recht guten ebenen kohtenplatz. von hier aus können wir sowohl das letzte stück der heutigen etappe, als auch das erste morgige stück übersehen. nachteilig ist, daß wir es sehr weit zum wasserholen und waschen haben. nach aufbau und einzug gibt es abendessen. dabei benutzen wir zum ersten mal den von michael ausgeliehenen benzinkocher msr whisperlight 600 in kombination mit dem trangiagestell und sind begeistert. kaum 2 min brauchen wir so, um 1 l wasser von temperaturen knapp über dem gefrierpunkt zum kochen zu bringen. zur mückenabwehr unterhalten wir ein kleines rauchfeuer. mit dem trockenen heidematerial geht dies sehr gut und endlich sind wir auch diese plagegeister los. eigentlich wollten wir ja in kulusuk mückenmittel kaufen, doch so etwas gab es da nicht und nun sitzen wir ganz ohne da. nach unseren lapplanderfahrungen freuen wir uns auf diesen leidigen aspekt der fahrt nicht im geringsten. leider reicht das brennmaterial nicht für ein größeres koch- oder kohtenfeuer aus. nach dem essen ist schnell ruhe im zelt, alle sind doch recht müde. bei aufziehender schleierbewölkung schauen wir einmal, was uns der morgige tag so bringen mag.

 

tagesleistung: 6,5 km

koordinaten des kohtenplatzes: 65°53´32´´n und 36°53´39´´w

temperatur (23 uhr): 8,8 °c.

 

 

montag, der 9. 7. 2001

 

über nacht hat das wetter gewechselt. die bergriesen starren grau über die meerenge zu uns herüber, manche spitze verschwindet im nebel. eigentlich haben wir länger geschlafen als gut wäre für den beginn des zweiten wandertags, sagt man doch, daß dieser immer ein besonders schwieriger sei. nach dem aufwachen wollen wir aus dem vorrat die heute anstehende tagesration an essen auswählen. dabei zeigt sich jedoch, daß es unterschiedliche vorstellungen über den weiteren verlauf des tages gibt. gulo, glis und sammler möchten angesichts des schlechten wetters einen der eingeplanten pausentage einlegen (bereits am ersten richtigen vollen wandertag), ich will unbedingt weiter, nicht zuletzt, um strecke zu schaffen und so am ende der wanderung nicht unter zeitdruck zu stehen. wer weiß, was uns hier in den nächsten tagen noch so alles erwartet! außerdem argumentieren gulo und sammler damit, daß sie gerne den schwerpunkt der fahrt nicht unbedingt auf die wanderung legen möchten, sondern mehr auf ein kennenlernen der kultur und lebensweise der inuit in den orten, da sie davon sehr fasziniert waren in kulusuk. ich bin ein wenig sprachlos und auf so einen disput absolut unvorbereitet. jetzt wo wir die wanderung begonnen haben, ist für diese art von diskussion nicht unbedingt der richtige zeitpunkt, finde ich. es wird hin und her überlegt. zum glück kann ich den karren noch rumreißen, indem ich der mannschaft in aussicht stelle, daß wir, wenn wir ja auf die eingeplanten ausruh- und schlechtwettertage verzichten, vier tage früher in tiniteqilaaq seien und so auch mehr zeit für ihre kulturellen wünsche da wäre. diese lösung findet dann auch allgemeinen zuspruch.

 

sammler sieht die diskussion ein wenig anders:

 

die nacht vergeht recht unruhig und bin froh, ein paar stunden zu schlafen. mein schlechter schlaf ist auf meinen inneren konflikt zwischen dem willen zu wandern und der angst zu wenig von der arktischen zivilisation mitzubekommen zurückzuführen. die anderen schlafen noch und ich mache mir gedanken: wir haben so lange gekämpft, um hier hinzukommen, geträumt und hart gearbeitet. jetzt müssen wir auch das beste draus machen, es so gut wie möglich auskosten. natürlich liegt es auch in meinem interesse, mal wieder die einsamkeit einer wunderbaren wildnis zu genießen, aber dennoch, diese arktische kultur lässt mich nicht los. dieses kleine kulusuk ist mehr mit der natur verbunden, als jeder ort den ich in meinem leben gesehen hab, selbst im hohen norden skandinaviens ist mir so etwas nicht begegnet und dieser menschenschlag auch nicht. vielleicht sind es auch meine alten kinderträume die mir durch etliche bücher indoktriniert wurden...an diesem morgen ist es mir nicht gelungen, mir meine empfindungen zu erklären, erst in kulusuk werde ich zu einem ergebnis kommen. ich überlege mir, die route etwas abzukürzen, vielleicht über eine gebirgskette oder ähnliches, mal schauen, die anderen müssen immerhin auch einverstanden sein.

 

draußen hängt der nebel tief, nichts mehr von guten wetter, die anderen wachen langsam auf. 

das frühstück wird bereitet und langsam eröffne ich meine überlegungen. eigentlich alle stimmen mir im bezug auf die eindrücke von kulusuk zu, eine abkürzung wird es wohl nicht geben, aber wir überlegen, uns mit der strecke zu beeilen und die zeit in der tundra zu genießen. wir alle sind zufrieden mit dem entschluß, na ja wenn wir nicht gerade wie die bekloppten hetzen und wirklich was von der gegend haben, ist das wirklich eine gute entscheidung. doch vorerst wird es nichts mit dem aufbrechen, der nebel bringt regen mit und wir bleiben noch was liegen. man könnte ja eigentlich einen pausetag einlegen, na ja am ersten wandertag, das kommt mir auch selbst etwas komisch vor. nur weil ich noch was schlaf haben will, alter egoist.

 

es wird also doch ein wandertag oder etwa doch nicht? das wetter hält sich leider nicht an unsere vereinbarung: es beginnt zu regnen, erst schwach, dann stärker. alle planung dahin. wir hatten fast schon fertig gepackt und müssen nun doch den schlafsack wieder auspacken. es ist kalt. über das stetige prasseln der regentropfen auf das kohtendach schlafen wir nochmals für ein paar stunden ein. irgendwann am nachmittag ist der himmel dann zwar immer noch mit hohen schweren wolken bedeckt, doch die spitzen der berge sind jetzt frei und der regen hat aufgehört. also los. 16 uhr ist es bereits, als wir aufbrechen können. zunächst geht es weiter in halber höhe an der meerenge torsukattak in richtung nordosten, später nord, bzw. nordwesten entlang, um einen 867 m hohen namenlosen berg zu umrunden, der uns den blick in das tal des tunup kuua versperrt. zunächst können wir gut gehen auf felsigem untergrund. im meer treiben nahe der küste verloren einige eisschollen und blau-grün gefärbte kleine eisberge. bei dem derzeitigen schlechten wetter ein eher trostloser anblick. dann, aus richtung nordwesten kommend, sehen wir einen blauen streifen am himmel aufziehen, der langsam auf uns zukommen zu scheint. am zufluß des gletscherflusses tunup kuua mit durch sediment getrübtem wasser in das meer, machen wir nach ca. 4 km unsere “mittagsrast”. es ist 18 uhr. weiter geht es nun dem tal aufwärts folgend. das gelände ist äußerst schwergängig. sumpfige und matschige flächen mit viel abgelagertem sediment wechseln sich immer wieder ab mit kiesbänken oder flächen mit lockeren steinen über steinen. außerdem müssen wir entlang des flusses, der sich im weiteren verlauf in kaskaden zu tal stürzt, bergauf steigen. teilweise artet das zu einer kletterpartie in weglosem gelände zwischen mannshohen felsblöcken aus. das wetter ist jetzt vollständig aufgeklart, die luft ganz frisch, so daß die umliegenden berge und gletscher in wunderschönem sanftem licht der abendsonne erstrahlen. nach dem anstieg entlang der katarakte sind wir, so scheint es, wieder fitter, vielleicht aufgrund der tatsache, daß es nun nicht mehr allzuweit ist zu dem gletscher, der auf unserer karte das tal des tunup kuua an seinem höchsten punkt abriegelt und uns so den freien durchgang hinunter zum tasiilaq fjord versperrt. vielleicht auch, weil das gelände für den nächsten kilometer recht einfach ist: ebenes, matschiges, nasses schwemmland.

 

schaut man jedoch in unsere gesichter, merkt man, wie schwierig die letzten stunden für uns gewesen sind. trotz aller humorvollen aufheiterungsversuche, wir sind ziemlich geschafft. vorneweg führt gulo. teilweise hat er ein ziemliches tempo drauf. nicht von ungefähr, denn mit seinen langen beinen macht er einen schritt, wo wir fast zwei benötigen. dick eingepackt ist er mittlerweile, hat juja und schal angezogen und die mütze tief in der stirn, direkt über den augenbrauen. um seine hände vor der kälte zu schützen, die wir alle trotz der schweißtreibenden anstrengung spüren, hat er sie in die ärmel der juja eingezogen.  sein rucksack ist noch durch die regenabdeckung geschützt. zum glück brauchen wir das im moment nicht mehr. 30 meter hinter ihm kommt glis langsam näher, das unsägliche palästinensertuch wie ein arabischer scheich um den kopf geschlungen, um die ohren gegen die mittelohrentzündung warm zu halten. zwischen ihm und gulo liegen noch ein paar mit wasser angefüllte rinnen und pfützen, die zu übergehen sind, ein paar meter bemoostes, matschiges sanderland und etliche darin verstreut herumliegende felsblöcke. weitere 40 meter dahinter sammler, der wieder ein paar fotos geschossen hat und nun die dadurch verlorene zeit aufholen muß. von meinem standpunkt aus ist er in der weite der landschaft nicht größer als ein großer felsbrocken und verschwindet darin fast. hinter ihm die langsam verschwindenden, schneebedeckten, bis 955 meter direkt aus dem meer aufragenden gipfel der der meerenge torsukattak vorgelagerten namenlosen insel. an ihr sind wir den nachmittag über vorbeigewandert. rechts und links des talkessels, den wir durchschreiten, hohe, steile wände, gletscher, die ihre flanken fast bis in den talgrund heruntersenden, überall schnee- und geröllfelder, die zu queren sind.

 

entlang von mit eisschollen bedeckten seen geht es dann endlich zum namenlosen gletscher. die meisten berge, flüsse, bäche, gletscher hier in grönland haben noch keinen namen. will man einen punkt im gelände beschreiben, so gibt man für gewöhnlich die höhe über nn aus der karte an. wir beschließen, daß “unser” gletscher ab jetzt einen namen haben soll:

 

romero sermeq, romero-gletscher soll er heißen, nach unserem alten stamm romero. der gletscher liegt am höchsten punkt des tunup kuua, und kommt in das tal hinunter von den bergen auf der östlichen seite zwischen den beiden punkten auf 1142 meter und 1060 meter höhe. die koordinaten des südl. endes des gletschers im tal selber sind 65°58´39´´n und 36°59´52´´w. die koordinaten für das nördliche ende des gletschers im tal das weiter hinunter zum tasiilaq fjordes führt sind 65°59´31´´n und 37°00´56´´w.

 

das letzte stück, bis wir auf dem eis des romero sermeq stehen, ist wieder sehr schwierig über grobes, loses gestein zu gehen. es ist kalt: 3,1 °c messe ich hier oben. wir sind ein wenig unschlüssig, ob der rat von michael, auf die gletscherausrüstung zu verzichten, sich für uns tatsächlich als hilfreich erweisen wird. ohne material auf einen gletscher? ein wenig zaudern wir noch, müssen uns auch mut zusprechen, dann geht es hinauf, es gibt keine alternative. zunächst an der flanke entlang. das geht gut, liegt auf der eisoberfläche doch genug schutt verstreut, daß man schnell fortschreiten kann. danach wird es allerdings deutlich schwieriger. plötzlich stehe ich auf blankem eis, es zieht mir die schuhe weg und mitsamt dem rucksack rutsche ich den gletscher auf dem hosenboden ein paar meter wieder hinunter. ab jetzt sind wir vorsichtiger. nur noch langsam kommen wir voran, ertasten mit dem kohtengestänge den weg und schlittern hinterher. es ist 12 uhr nachts, wir stehen auf der mitte des gletschers. ab und an sind spalten zu umgehen oder kleinere können überschritten werden. tückisch sind die stellen, an denen schnee auf dem eis liegt. zum einen ist hier der halt beim gehen besser, zum anderen kann der schnee auch ins bodenlose nachgeben. mit dem gestänge sondieren wir weiter.

 

auch sammler ist von dem tal und der gletscherüberquerung beeindruckt, wenn auch manchmal ein wenig unernst:

 

das tal hier vor dem gletscher ist wunderschön. die riesigen, schroffen berge lassen uns so winzig und klein vorkommen. überall liegen vereinzelt in den bergen gletscher, diese lassen einen die ausmaße der gebirge wenigstens etwas erahnen. einem der gletscher habe ich einen namen gegeben, er soll wie mein hase „rüdiger“ heißen – rüdiger sermeq.

 

es kommen immer mehr eis- und schneefelder, ab und zu brechen wir ein. zu späterer wanderstunde ist dies besonders kräfteraubend. steine, über denen das eis weggetaut ist, sind besonders rutschig. ständig reißt es einen runter, ein paar blessuren trag auch ich davon. im moment ist dies nicht so lustig aber im nachhinein schmunzel ich doch – mensch jetzt hast du es aber echt knüppeldick bekommen.

 

der gletscher kommt immer näher – ein gletscher ohne namen. wie so vielen gletschern und bergen hier oben, hat ihm noch keiner einen gegeben. wir sehen eine möglichkeit, uns hier in den erfüllungen unserer nordland-sehnsüchte zu verewigen – romero sermeq, der romero gletscher soll er ab jetzt heißen. doch erstmal rüberkommen. michael meinte, der gletscher sei auch ohne ausrüstung und führung zu bezwingen, wir sollten nur am angrenzenden berg vorbei gehen. es ist null uhr und drei grad als wir dort ankommen, alle sind wir erschöpft, aber die umgebung lässt keinen lagerplatz zu – wir müssen durch.

 

mit gewalt und ein paar pausen zwingen wir uns durch das geröll hinauf. zunächst suchen wir einen möglichen weg am rande des gletschers, doch ehe wir uns versehen, sind wir schon drauf. für irgendwelche experimente haben wir jetzt keinen nerv und keine kraft mehr. oben ist es sehr rutschig, nur die flächen an denen das eis etwas geriffelt ist, bieten halt. die schneefelder hier auf dem romero sermeq gäben zwar auch halt, aber wer weiß, ob sich da nicht eine gletscherspalte drunter verbirgt. es geht mühsam voran, 2 km können lang sein auf dem ewigen eis. mit unserer kohtenstange erfühlen wir uns den weg über die gletscherspalten. der himmel ist jetzt komplett aufgeklart. öfters mal machen wir eine ungewollte rutschpartie oder hängen schließlich doch mit einem bein in einer gletscherspalte.

 

ramses und mich erwischt es und wir schliddern, die beine voraus, gute 3-4 m den gletscher hinab – nichts ist passiert. war wenigstens, wenn auch kräftezehrend, eine kleine abwechslung. um ein uhr verlassen wir den gletscher - die moräne kommt, so wie wir sie die nächsten tage noch „lieben“ werden. die mörane ist der bereich, in welchem sich der gletscher schon zurückgezogen hat und ein kammartiges geröllfeld hinterlassen hat. der abstieg wird beschwerlich, ständig knickt man zwischen den steinen um oder droht, das gleichgewicht zu verlieren. das gepäck verstärkt dabei den druck auf die beine ungemein. es ist eisig kalt und wir wärmen uns mit dem gedanken auf –„ nächstes jahr nach marokko, irgendwo wo es warm ist“. aber wir wissen es doch genau, kaum ist der terz vorbei, trauert man ihm schon nach – wir werden immer wieder in den norden kommen, dafür gefällt es uns hier zu gut, als das wir seine bedingungen nicht erfüllen mögen.

 

langsam geht es talwärts. irgendwann findet sich auch auf dieser seite des gletschers eine stelle, auf der wir auf geröll wieder schneller voran kommen können. das verlassen des gletschers ist schwierig, da die flanke zu steil ist, um den direkten weg zu nehmen. wie auf eiern tasten wir uns langsam herunter und sind wirklich froh, es dann endlich geschafft zu haben. durch sand und geröll der endmoräne weiter talwärts entlang des brausenden, graues wasser führenden gletscherflusses. nach nicht allzulanger zeit finden wir, mittlerweile ist es 3 uhr in der frühe, auf einer ebenen sandkiesbank einen nicht berauschenden, aber annehmbaren lagerplatz und nehmen in kauf, daß die kohte wegen des nachgiebigen untergrunds schlimm steht. aber uns reichts jetzt wirklich. weiter können wir nicht mehr. es ist kalt, wir verziehen uns in die schlafsäcke.

 

tagesleistung: 14,5 km

koordinaten des kohtenplatzes: 65°59´35´´n, 37°01´50´´w

temperatur (3 uhr am 10.7.): 6,1 °c.

 

 

dienstag, der 10. 7. 2001

 

sammler schreibt:

 

und der erste der aufwacht, bin wieder mal ich, die anderen ratzen noch und ich häng total verschwitzt in meinem schlafsack. ich hab jetzt die sonnenseite der kohte. um vier in der nacht hab ich gestern das letzte mal auf die uhr geschaut, jetzt hat es irgendwas mit neun. fünf stunden schlaf ist wirklich nicht gerade das wahre. aus dem schlafsack raus kann ich nicht, die mücken würden mich aussaugen, aber es ist so wahnsinnig heiß. ich versuch mich von der kohtenplane fern zu halten, sie strahlt eine ungeheure hitze aus. mein schlafsack ist sowieso so warm, während die anderen sich nachts in ihren langen unterhosen und pullovern schlafen legen, hab ich lediglich die unterwäsche an. schließlich nehme ich den schlafsack nur als unterlage und decke mich mit meinen kleidungsstücken dürftig zu. teilweise sind diese noch feucht vom schweiß, es ist eine angenehme abkühlung. aber immer wieder finden die mücken einen weg an meine haut. so liege ich halb wach wie eine mumie, ich weiß nicht wie lange, bis die anderen aufwachen und wir frühstücken.

 

ich bin jetzt richtig müde und warte nur darauf, den kreislauf in schwung zu bringen. sobald ich am wandern bin, ist alles in ordnung, dann läuft die maschine. der wandertag beginnt mit einer furt, ganz erfrischend sowas. den ersten kilometer als warm-wird-strecke genutzt, bin ich voll in fahrt, der sonnenschein tut sein übriges.

 

geröll, sand, steine, felsen. das ist alles, was der romero sermeq unterhalb dem unsere kohte steht, hier zurückgelassen hat. das ganze breite tal ist damit angefüllt. zusätzlich sorgt ebenfalls steinschlag der uns umgebenden berge für weiteren nachschub. zwischendrin wachsen vereinzelt, wie auf paradiesischen kleinen inseln im großen ozean der sie umzingelnden kieswüste, kleine arktische pflänzchen, allesamt bodenblüher. blumen, über die in unseren mitteleuropäischen breiten achtlos hinweggegangen würde, aufgrund ihrer unbedeutenden größe. hier sind sie für jeden beobachter auffällige attraktionen der natur. kämpfer des lebens gegen die allmacht einer in der längsten zeit des jahres gnaden- und leblosen umwelt. die sonne steht heute morgen bereits hoch am himmel, der gletscher, über den wir gestern nacht gezogen sind, glänzt in ihrem licht. die flanke, die wir heruntergestiegen sind, sieht auch von hier aus recht steil aus. an ihrem ende ist die gletscherfront auf der gesamten breite übersäht mit felsen, steinen und sandmassen, die der gletscher im laufe seiner wechselvollen geschichte von den umliegenden bergen abgeschmirgelt hat. an den flanken kann man erkennen, daß vor noch nicht allzulanger zeit auch dieses tal, in dem wir jetzt lagern, von den wandernden eismassen blankgescheuert worden sein muß. hinter dem romero sermeq erhebt sich majestätisch thronend ein 1060 m hohes bergmassiv mit mehreren spitzen gipfeln und dazwischenliegenden steilen graten. darüber ein strahlend blauer himmel mit wenigen kleinen weißen wölkchen und einem eigentümlichen von ost nach west verlaufenden immer breiter werdenden kondensstreifen. wie wir in den nächsten tagen feststellen werden, scheint diese gegend genau auf der route der transatlantikflüge von europa nach amerika zu liegen, immer wieder einmal sehen wir flieger, gut 10 km hoch über uns, von osten nach westen queren, nie jedoch in die gegenrichtung. die einzige beeinflussung durch die moderne zeit hier im fjell.

 

die mücken sind nahezu unerträglich. ich frage mich, wovon sie leben, wenn hier keine wanderer vorbeikommen. in der sonne ist es recht warm und so beschließe ich, unsere waschlotion zu einer ausgiebigen wäsche des oberkörpers einzusetzen. insgesamt, so scheint es, ist die unternehmung hier deutlich anstrengender als in lappland. der rechte spaß am wandern will bei allen noch nicht recht aufkommen und jeder weitere kilometer ist erarbeitet. zudem kämpfe ich immer noch mit reizhusten und starkem schnupfen und was mir besonders zu schaffen macht ist mein linkes knie. bei jedem schritt und fast jeder bewegung tut es seit gestern weh, zieht, sticht, will keine ruhe geben. glis hat starke probleme mit seiner mittelohrentzündung, trotz der antibiotikatabletten, die er einnimmt. nur sammler und gulo sind fit. irgendwie gleichen wir eher einem halben lazarett als einer in grönland wandernden fahrtenschaft. trotzdem, mosern gilt nicht, wir wollen und müssen weiter.

 

spät kommen wir los von unserem lagerplatz . es ist schon 15 uhr. direkt zu beginn haben wir unsere erste furt vor uns. der vom romero sermeq kommende fluß fließt schnell, ist knapp knietief, eiskalt und in seinen trüb-grauen fluten läßt sich der grund nicht erkennen, so daß wir uns vorwärts tasten müssen. obwohl wir gut und relativ schnell hinüber gelangen, spüren wir zunächst unsere beine nicht mehr, müssen sie erst wieder aufwärmen. aber dann ist´s geschafft, wir sind endlich abmarschbereit. zunächst müssen wir aus diesem gletschertal rauskommen. es geht halb den nördlichen hang hinauf über geröll und große felsblöcke. schwer zu gehen. endlich sind wir dann wieder auf fjellfläche, gras, moose, flechten und krüppelbewuchs gibt es hier zwischen den felsvorsprüngen. direkt geht es leichter. von uns aus nach norden hin öffnet sich der tasiilaq - fjord, der an seinen flanken von sehr hohen berggipfeln gesäumt wird. optisch eindrucksvoll abgeschlossen wird er von einem mächtigen, drei-gezackten bergmassiv, den knapp 2000 m hohen trillingerne, das bereits einige kilometer weiter hinter dem fjord dem taleinschnitt folgend landeinwärts liegt, uns mit seinen gletschern aber auch von hier schon recht nahe vorkommt. die luft ist klar und ohne dunst oder staub erscheinen die bergriesen zum greifen nahe. zunächst gehen wir am hang. das ist zwar günstiger als über geröll, belastet auf dauer aber einen fuß deutlich mehr als den anderen. öfters machen wir rast, trinken klares quellwasser, essen ein wenig traubenzucker, genießen die sonne und die landschaft um uns herum.

 

besser wird der weg, als wir uns dazu entschließen, zum meer abzusteigen und, da gerade ebbe ist, der küstenlinie zu folgen. hier gibt es auch ab und  an eine fjellmarkierung im sonst weglosen gelände und zum ersten mal begegnet uns so etwas, das man mit ein wenig phantasie als ausgetretenen pfad interpretieren kann. die sonne brennt, die temperaturen steigen, beim wandern gehen wir jetzt in t-shirt, während der pausen ziehen wir aber die kluften über, es geht ein leichter, kühlender wind schräg von hinten. einige bäche und flüßchen gibt es zu überwinden. nicht immer funktioniert dies ohne zu furten. zwei mal müssen wir heute noch anhalten, rucksack absetzen, wanderschuhe ausziehen, furtschuhe anziehen, rucksack anziehen, in den kalten fluß, raus aus dem fluß, furtschuhe aus, füße und beine abtrocknen und anwärmen, wanderschuhe anziehen.

 

beim ersten zu furtenden fluß haben wir glück. er ist nicht tief und so können wir zumindest die hosen hochgekrempelt anbehalten und direkt vor seiner mündung ins meer auf die andere seite wechseln. auch hier ist das wasser grau-trübe und alles andere als warm. ich empfinde diese furten immer als interessante abwechslung vom täglichen einerlei einer solchen wanderung. sie erfrischen, ich fühle mich danach eigentlich wacher und erholter als vor der furt. den anderen scheint es aber nicht unbedingt so zu gehen, sie sehen die furten mit gemischten gefühlen, halten sie uns doch zeitlich auch unglaublich lange an einem fleck. auch ist die gefahr mitten im strom auszurutschen und mitsamt dem gepäck in die eiskalten fluten zu fallen, nicht von der hand zu weisen. während sammler den tieferen der beiden arme schon überwunden hat und auffordernd zu uns zurück schaut, es ihm doch nachzutun, steht gulo mitten in der strömung des schwierigeren ersten armes. die schuhe hat er in der hand, die hosen bis über die knie hochgekrempelt. der beckengurt des rucksacks ist geöffnet: im fall eines falles muß man schnell wieder aus dem wasser kommen können, notfalls auch ohne rucksack. der blick ist auf das wasser gerichtet, die füße tasten voran unter der oberfläche von stein zu stein, suchen nach halt für den nächsten schritt. verlagerung des gleichgewichts, kurzes schwanken, die strömung reist den fuß unter dem furtschuh weg, sekundenlanges ringen um halt, rudern mit den armen. geschafft, nächster schritt. drüben, auf der anderen seite, noch hinter sammler, liegt an der wasserlinie ein gestrandeter felsblock, groß wie ein kleinbus, dahinter erstreckt sich wieder der fjord mit blaugrünem ins türkis gehenden wasser. die trillingerne weisen uns in der ferne die richtung in die wir die nächsten tage ziehen werden. noch wird das massiv von der schon tief stehenden sonne beschienen. das westliche ufer des tasiilaq liegt bereits im schlagschatten der bis zu 1500 m hohen bergriesen des falkefjelds.

 

sammler beschreibt:

 

wunderschön ist es hier, mir geht das herz auf und bestimmt nicht nur mir. drei furten gibt es bis zum ende des tages. einmal rutsch ich am ende des anderen ufers aus und liege wie ein käfer auf dem rücken. ich klebe durch das gewicht des rucksacks richtig an der uferwand, die beine noch tief im grauen schmelzwasser des gletscherflusses. ich werfe meine schuhe an land, bring auch meine fototasche in sicherheit und schnall den rucksack ab, um ihn an land zu heben, dann stemm ich mich hoch und sitze schließlich am ufer. hat geklappt, alles gut erhalten und trocken geblieben, wenn das immer so wäre....

 

als alle wohlbehalten drüben sind und schon wieder trockene füsse haben, fällt glis auf, dass seine socken noch drüben liegen...nein, schmerz. er muss wohl oder übel noch mal rüber. trotz krankheit nimmt er es mit humor und lässt sich nicht klein kriegen. gulo findet das lustig, errinnert sich wohl nicht mehr, dass ihm sowas in lappland mit seinen schuhen auch passiert ist. wir sind schon eine truppe.

 

der zweite fluß ist schon eine kategorie schwieriger zu meistern. wir suchen lange, bis wir glauben, eine passende passage gefunden zu haben. das wasser rauscht trübe mit mächtiger wucht talwärts. ich gehe voran, suche einen möglichen weg. schwierig, aber es gelingt. minutenlang stehe ich dabei auf glitschigen, von der strömung heftig umtosten felsblöcken mitten im fluß. gischt spritzt, man kann kaum sein eigenes wort verstehen, so laut tönt und gurgelt das wasser zu tal. wohin weiter, trägt dieser felsblock, wird er wackeln oder liegt er fest, schafft man mit gepäck diesen sprung hinüber? ist das auch für die kameraden ein gangbarer weg? wo kann man noch den einstieg in den hauptarm wagen, wo ist die strömung weniger gefährlich, der fluß nicht gar so tief? die sonne ist hinter den bergen auf der westlichen seite des tasiilaq verschwunden, die temperaturen sinken dementsprechend schlagartig ab und wir laufen ab jetzt wieder in kluft. weiter geht es richtung norden, teils am hang, teils am meer entlang.

 

für mich wird die heutige etappe jetzt hart. ich merke förmlich, wie mich allmählich die kräfte verlassen, ich von mal zu mal weiter zurückhänge, zusammen mit glis, der sich zusätzlich zu seiner mittelohrentzündung nun noch einen wolf gelaufen hat. sammler und gulo hingegen scheinen die strapazen nicht viel anhaben zu können, sie stürmen weiter voran. sammler hat den drang, grundsätzlich hangaufwärts zu laufen. das bringt mich das eine ums andere mal innerlich zum kochen. von zeit zu zeit ignoriere ich seine führungsvorgaben und halte mich eher auf einer höhe, bzw. suche küstenkontakt. blos die kräfte sparen und nicht unnötig verausgaben!

 

sammler:

 

plötzlich kommen auf dem eisfreien fjord vier boote angebrettert. so ein anblick sieht man gerne. selbst leidenschaftlicher bootsfahrer, erfüllt mich dieser moment mit freude und stolz. das gibt elan. scheinbar wollen die boote zu dieser inuitsiedlung, welche hier in unserer karte eingezeichnet ist. da kommen wir auch noch vorbei. zwar ist diese unbewohnt, aber vielleicht finde ich ja was. nach einiger zeit kehren die boote zurück. vollkraft voraus pflügen die boote durch den fjord, so ist es richtig. zu gerne würde ich jetzt dazustoßen und richtig mitheizen.

 

etwa an der stelle, an der auf der karte die ruine eines alten inuitwohnplatzes eingetragen ist, von dem wir aber leider nichts finden können, treffen wir auf ein lager bestehend aus 5 kuppelzelten samt besatzung. die gruppe hatten wir schon am nachmittag gesehen, wie sie in mehreren booten über den tasiilaq - fjord gekommen war. wir rasten kurz in sichtweite und ziehen weiter, ohne nähere bekanntschaft zu suchen. mittlerweile ist es so kalt, daß pausen, verschwitzt wie wir vom tag her sind, unweigerlich schon nach kurzer zeit zur auskühlung führen. deshalb beschränken wir uns auf wenige kurze verschnaufpausen, setzen uns nicht, gehen dabei im kreis und verscheuchen die uns überfallenden mücken. weiter geht es richtung norden. dort wo der fjord endet und das tal des tasiilap kuua, des breiten in der weiten talebene mäandernden gletscherflusses, dem wir von nun ab folgen werden, mit ausgedehnten schwemmlandfeldern beginnt, halten wir spät am abend zur “mittagsrast”. danach wollen wir noch gute zwei kilometer gehen und uns einen geeigneten platz für die nacht suchen, doch schon nach etwa der hälfte finden wir auf einem ebenen über dem tal liegenden plateau eine schöne, sehr gute stelle. da es immer schwierig ist, hier im fjell perfekte kohtenplätze zu finden, nutzen wir unser glück. ich bin froh, daß es heute nicht mehr weiter geht. der aufbau mit unserem leichten metallinnengestell funktioniert schnell. dieses gestell ist ein kompromiß zwischen unserem pfadfinderischen stilempfinden und dem land in dem wir unterwegs sind. hier gibt es ja leider kein holz für kohten- und kreuzstangen, das wir an den abenden suchen könnten. auf die kohte verzichten wollen wir aber auch nicht. also fertigten wir zu hause, während der vorbereitung, ein auseinandernehmbares kreuz aus aluminium und ein gut tragendes teleskopgestänge. ein erster belastungstest damals ging direkt fehl: das kreuz brach und mußte daraufhin erneuert und verstärkt werden, um den spitzenbelastungen einer gespannten kohte auch bei einem grönländischen sturm gerecht zu werden.

 

sammlers logbucheintrag:

 

nach einer kleinen rast geht es weiter und wir finden einen super lagerplatz, schön eben, angenehmer, steinfreier boden, ja, hier lässt sich die kohte mal richtig stattlich aufbauen. das tun wir auch direkt und als krönung kommt das banner unseres stammes außen dran. wir suchen etwas brennbares, abgestorbene farngewächse z.b., um ein kleines feuerchen gegen die mücken zu machen. dabei stoße ich auf einen kleinen metallkanister. freudig überrascht untersuche ich ihn, hm, ist leider keine schatzkiste. wenigstens können wir ihn als kleinen rauchofen benutzen. gulo liegt schön praktisch am eingang, in welchem sich mitterweile einiges feuerbares angesammelt hat. den zunder parat, wird gulo unser feuermann, gut macht er das – nicht zu viel rauch, aber auch keine mücken. nach dem essen lege ich mich erschöpft hin und denke nicht an den nächsten morgen...

 

tagesleistung: 11,0 km

koordinaten des kohtenplatzes: 66°04´34´´n, 37°01´45´´w

temperatur (21 uhr): 8,0 °c.

 

 

mittwoch, der 11. 7. 2001

 

das ritual des aufstehens bei uns ist in den letzten tagen immer das gleiche: sammler wird als erster wach, da ihn irgendwann die wärmeentwicklung aus dem schlafsack wirft, die von der auf die schwarze kohtenplane einwirkende sonneneinstrahlung ausgeübt wird. angeblich erwischt er immer die sonnenseite des schwarzzeltes. er döst dann noch ein wenig auf seinem schlafsack und läßt sich dabei von mücken anfallen, die es auf uns abgesehen haben, sobald wir nicht mehr komplett mit kopf und allem im schlafsack verborgen sind. der nächste, den die sonne aufweckt, bin ich. meistens ist außerdem noch starker blasendrang und ein unschöner hustenanfall für mein aufwachen mitverantwortlich. gulo und glis hingegen scheinen, was hitze in der kohte angeht, vollständig unempfindlich zu sein oder sie sind so fertig, daß ihnen selbst schwitzen im schlafsack nichts mehr ausmacht. glis ist grundsätzlich der letzte, der sich in den neuen tag vorwagt. ich habe in dieser zeit bereits logbuch für den vergangenen tag geschrieben, mich gewaschen und angezogen. waschen: es gibt nichts köstlicheres als am morgen, verquollen wie man nun einmal ist, zum nächsten bach zu tapern und sich, angegriffen von todesmutigen mückenschwärmen zu waschen und frisch zu machen. auch heute nutze ich die gelegenheit dazu, bei strahlend blauem himmel, stechender sonne und zunehmendem, kühlenden wind. ein paar hundert meter weiter am hang kommt während dieser zeit die 18 köpfige gruppe  vorbeigewandert, deren lager wir am gestrigen abend passiert hatten.

 

es ist ja verhext, aber irgendwie “schwächelt” die mannschaft noch ein wenig. erneut müssen wir am heutigen morgen die diskussion austragen, ob wir weiter gehen, bis wir unser geplantes ziel tiniteqilaaq erreichen oder ob wir hier in diesem gebiet bis samstag tagestouren unternehmen und uns dann von michael am ende des tasiilaq - fjordes, an dem ja jetzt die kohte steht, abholen zu lassen. michael hatte uns gesagt, er sei am samstag dort, um eine andere gruppe auszusetzen. besonders sammler ist daran interessiert, die wanderung so zu verkürzen, um mehr zeit in kulusuk für den kulturellen aspekt unserer reise zu haben. ich bin mir nicht ganz sicher, ob diese auf der einen seite auf alle von uns anziehend wirkende, weil unbekannte und herausfordernde absolute einsamkeit dieses landes im unterbewußtsein der mannschaft nicht auch als unbewußte gefahr gesehen wird, der man nun möglichst schnell entgehen möchte und die möglichkeit dazu ist ja auch noch durchaus gegeben. das verhältnis zur einsamkeit erscheint mir in der gruppe recht ambivalent zu sein. zum einen sind wir begeistert, fühlen uns wie könige, entdecker, aber auf der anderen seite auch wie eindringlinge, beobachter und störer in einer fremden, unwirtlichen welt. die wilde landschaft ist uns nur auf zeit gewogen und wir sind klein und abhängig von der gnade des wetters und des landes. dieses wissen um die realitäten ist es, neben dem berechtigten interesse für die lebensweise der inuitkultur, vielleicht auch, was zu den derzeitigen diskussionen über den fortgang unserer fahrt führt, so mutmaße ich. gulo ist auch für abbruch so scheint es, entscheidet sich aber wie glis nach längerem hin und her für ein weiter. es geht also weiter. sammler akzeptiert die entscheidung ohne murren als demokratisches ergebnis. nun gibt es auch kein zurück mehr und ab jetzt spielt die bislang vorhandene latente diskussion auf der restlichen wanderung keine rolle mehr, wir können endlich eins werden mit der natur und tun dies in der folge auch. am ende werden alle fahrtenschaftsmitglieder glücklich über die heutige entscheidung sein.

 

die gleiche situation von sammler beschrieben:

 

ich mag es eigentlich nicht, mich über dinge zu beklagen, aber heute morgen bin ich richtig grantig, ich bin sowieso schon ein morgenmuffel. bei so was stelle ich mir mich dann eigentlich immer als alten, mürrischen hund vor. so einer mit langen ohren und einer grimmigen visage, der dann die leute anmotzt oder anbellt. danach lach ich immer und denk mir „ach was solls“ und bin wieder zufrieden. aber heute morgen ist es anders. nicht dass ich irgendwie die nerven verliere, aber während ich wieder wie so eine mumie unter meinen klamotten liege, schimpf ich die ganze zeit wie so ein rohrspatz leise vor mich her, über alles mögliche. das muntert mich langsam wieder auf. ich bin aber immer noch was motzig.

 

so schlage ich, eigentlich ganz beiläufig, vor, doch bis zum nächsten samstag hier zu bleiben, denn da meinte michael, sei er noch mal hier in dieser bucht. mir ist klar, dass dies nicht geht, es ist nicht 100 % klar, dass er kommt und wenn, sieht er uns überhaupt? außerdem breche ich die wanderung, für die wir so lange gearbeitet haben, doch nicht ab. es war also gar nicht so gemeint, aber irgendwie bin ich auf aufmerksamkeit gestoßen.
“nein, bitte keine diskussion früh am morgen“, aber scheinbar bewegt der gedanke, falls man das so nennen kann, schon.

 

„hm, wenn ich jetzt auf einmal sage, nee, war nur so eine idee, glauben die hier nachher, ich wäre total von der rolle. wobei ich bestimmt schon eine recht grimmige miene drauf habe.“, sind meine nächsten überlegungen. ich denk mir, dass die gruppe sowieso gegen die idee ist und saug mir ein paar wackelige argumente aus den fingern, unterschätze wohl aber ihre wirkung. schließlich wird es doch was kritisch und ich krieg was muffensausen in hinsicht auf die zukunft unserer fahrt. die gruppe ist dafür, weiter zu gehen, so was aber auch, das muss ich jetzt wohl akzeptieren, denk ich mir erleichtert. puh. auf fahrt sein – man weiß nie, was kommt.

 

aber woher die erste unentschlossenheit? gewiss, der weg ist anstrengend und das kommende, unbekannte gibt einem schon zu denken. trotz der schönen landschaft und der positiven eindrücke lastet doch immer eine dunkle, wenn auch kleine ungewissheit auf einem. manchmal gibt es auch knifflige situationen, denen man gerne aus dem weg gehen würde,  aber, um es nochmal zu sagen, das ist doch auf fahrt sein. nun ja, morgens nach dem aufstehen sieht man die dinge halt was anders, außerdem ist ja noch mal alles gut gegangen und wir können weiter. wenigstens bin ich jetzt nicht mehr maulig und die müdigkeit weicht auch. weiter geht es, über alle möglichen hindernisse.

 

das tal des tasiilap kuua ist es, dem wir heute weiter folgen werden. die ersten kilometer vergehen recht schnell. wir wandern im tal über schwemmland und durch ausgedehnte geröllfelder, in denen es sich aber gut voran kommen läßt, da sie eben sind und mit kies angefüllt, so daß wir uns einen leichten, direkten weg bahnen können. die auf der karte eingezeichnete erste furt durch einen von einem größeren gletscher aus osten kommenden fluß können wir uns sparen, da wir einen weg finden, trockenen fußes, von felsblock zu felsblock springend, hinüberzugelangen. auf dem gletscher erkennt man als kleine sich bewegende punkte die mitglieder der 18-köpfigen gruppe wieder, die hier langsam weiter aufsteigen. eine so große gruppe mitten in dieser einsamkeit? das kommt uns ein wenig wie frevel vor, gegenüber der erhabenheit dieser landschaft. danach geht es für uns schnell und einfach weiter durch das breite tal. moose und flechten sind hier über lange strecken der einzige bewuchs. die trillingerne kommen immer näher, werden immer höher. stählern-grau scheint das massiv unser tal genau vor uns abzuriegeln, ohne möglichkeit daran vorbei zu kommen. glücklicherweise biegt das tal am fuße der trillingerne nach nordwesten ab, so sparen wir uns eine mühevolle überquerung dieser mächtigen barriere. ab und an rasten wir, um in der sonne flüssigkeit nachzutanken. oft beschränken wir uns aber dabei einfach darauf, mit aufgesetztem rucksack eine wasserflasche rundgehen zu lassen. wir gehen in kluft mit hochgekrempelten ärmeln. gulo trägt noch immer seinen schal, mit seinem heute extremen seitenscheitel sieht er aus wie eine alte fliegerlegende. eigentlich ist der schal genauso unnötig wie sammlers aufgesetzte regenrucksackabdeckung. aber wer weiß wofür das alles noch gut sein mag am heutigen tag.

 

sammler schreibt:

 

ich hab richtige lust am wandern und mag es auch, wenn ich mich mal keuchen höre. gulo scheint auch seinen gefallen an der sache zu haben. der große, hungrige gulo gefällt mir auf dieser fahrt richtig gut. schien er in lappland noch etwas introvertiert, geht er richtig aus sich heraus. ihm scheint es hier wirklich freude zu machen. während des wanderns bleibt uns zwar keine luft zum reden, aber dafür gibt es in den pausen und ruhigeren phasen umso mehr zu erzählen. in der gruppe herrscht gutes klima und wir fühlen uns wohl. wir sind in einer wunderschönen natur, haben frische luft und unsere wohnung immer dabei – die gute alte kohte - was will man mehr?!

 

der nächste von osten sich ins tal hinunterschiebende gletscher kostet dagegen zeit. vor ihm im talgrund sind zwei seen, die auf genau vorbestimmtem weg zu umrunden sind, da an der kante des gletschers laut karte und michaels angaben, die gefahr besteht, in treibsand oder eisabbruch zu kommen. so umgehen wir den südlichen see auf der östlichen seite und machen dann den fehler, nicht weiter dem eingezeichneten weg auf der karte zu folgen. auch der nördliche see soll westlich von uns umgangen werden, das würde zeit und kilometer sparen, so glauben wir. allerdings hat dieser see einen schnellen und tiefen abfluß direkt in den tasiilap kuua. hier kommen wir nicht weiter, müssen zurück und dann doch dem weg folgen, so wie er auf der karte eingezeichnet ist. dieser umweg beinhaltet außerdem die furt des nördlichen sees an einer etwa 25 m engen stelle mit recht starker strömung zwischen zwei teilbecken des sees. das wasser hier ist knietief und sammler rutscht aus und muß ins wasser greifen. er ist naß bis zur brust und muß sich erst einmal umziehen. auch glis rutscht aus, die folgen sind bei ihm aber weniger schlimm.

 

sammler beschreibt seinen sturz so:

 

bei einer furt erwische ich in einer tiefen stelle einen wackeligen stein, rutsche ab und die strömung reißt mir die beine weg. es ist tief, ich versuche mich, mit aller gewalt zu halten, gebe leicht nach, häng im wasser, fang mich wieder und gelange schließlich ins flache und an land. gott sei dank hat ramses seine kamera nicht rechtzeitig bei der hand. höhö, sehr lustig, schmunzel ich, die anderen haben auch ihre gaudi. grundsätzlich habe ich mein rain-cover über dem rucksack, das schützt ihn vor allen möglichen äußeren einflüssen und so ist noch nicht mal die außenhaut nass. die kameratasche ist sowieso wasserdicht und unterwäsche ist schnell gewechselt. so, denke ich mir, jetzt weißt du wenigstens was passiert wenn’s passiert und wie du reagierst. also ist doch nichts passiert.

 

weiter geht es dem tasiilap kuua aufwärts folgend. von beiden seiten des tals kommen jetzt gletscher bis hinunter zu uns oder zumindest bis auf halber höhe den hang hinab. während der pausen kann man sie sich in der klaren luft minutenlang ansehen und bestaunen, ohne satt davon zu werden. an geschützten stellen mit genügend wasser dehnen sich vor diesen zeitlos großartigen kulissen weite wollgrasfelder und ihre tausenden buschig weißen blütenstände aus. auch grönlands nationalblume, das schöne, großblumige “schmalblättrige weidenröschen”, auf grönländisch niviarsiaq (das junge mädchen) finden wir hier in dieser einsamkeit immer wieder mit seinen rotvioletten blüten. so wunderbar die gletscher dem betrachter jedoch anmuten, für uns als passierende wanderer haben sie auch einen entscheidenden nachteil: zunächst müssen wir uns immer durch große, meist hoch aufgetürmte endmoränenfelder kämpfen. mit schutt, geröll, sand und felsblöcken, die wirr durcheinandergewürfelt sind. dann kommt der gletscherfluß, der meist so viel wasser führt, daß er zu furten ist und auf der anderen seite nochmals die gleiche problematik mit den moränenfeldern. kurz hinter einer solchen furt, es ist schon wieder spät, die sonne hat sich bereits hinter die gegenüberliegende bergkette verzogen, treffen wir unerwartet auf ein canadisches camp aus 3-4 zelten. die beiden mädels, die wir dort treffen, erkundigen sich kurz nach woher und wohin und wünschen uns dann noch alles gute für den weiteren weg: “take care of yourself.” sie sind hier hin gekommen, um in dieser einsamkeit ein wenig zu klettern. hier wo die meisten berge noch keinen namen tragen und noch unbestiegen sind, sicherlich ein interessantes unterfangen.

 

sammler zu dieser einsamen begegnung:

 

noch was ist geschehen, etwas seltsames. wir gehen durch ein feld großer gesteinsbrocken, teilweise mannshoch, eine landschaft wie aus der apokalypse. es sind die ausläufer einer großen moräne, die uns hier am tasiilap kuua vorbei führt, und die dem totenmannstal die berechtigung zu seinem namen gibt.

 

ich denke vor mich her, bin zufrieden, als ich plötzlich vor uns meinen augen nicht traue. gerade biege ich um einen dicken stein und suche uns einen weg durch dieses labyrinth zu bahnen, da sitzt doch tatsächlich, keine zehn meter von mir entfernt, eine junge frau auf einem großen stein. ich erschrecke mich richtig, auf den ersten blick scheint sie apathisch zu wirken. ich sehe auch nirgends ein zelt, andere wanderer oder ein lager. ich leg einen schritt zu, sie sieht mich und hat zunächst einen eindruck, den man von neutral bis erfreut deuten könnte. sofort frage ich, ob alles in ordnung ist, sie hilfe bräuchte und ob sie denn allein sei. nein, nein, da sehe ich auch schon ihr zelt und schon streckt auch eine andere frau ihren kopf raus.

 

es stellt sich heraus, dass sie kanadier sind, welche aus unserer richtung kommen, vom sermilik. komisch denk ich mir, man trifft sich hier, inmitten von riesigen felsmassen, tauscht sich kurz aus, das war es dann, aber es bleibt eine begegnung für die ewigkeit. ich glaub, dass nicht nur wir noch lange an dieses wundersame zusammentreffen in einem zauberwald aus steinen denken werden.

 

wir ziehen weiter und verlieren in der folge leicht die orientierung. zu viele berge und gletscher ähneln sich hier, die 1:100000er karte zeigt nicht jedes detail der landschaft und heute werden wir wohl zur positionsbestimmung des lagerplatzes erstmals das gps in anspruch nehmen, das wir hier oben grundsätzlich dabei haben, um im falle eines notfalls unsere genaue position bestimmen zu können. als wir glauben, es nicht mehr allzuweit zu haben bis zum nächsten gletscher mit moränenfeld, halten wir und suchen uns einen lagerplatz. dies gelingt auch. zwar ist es hier leicht abschüssig, doch recht weich. moose und flechten werden unseren schlaf polstern. gulo macht noch ein feuer gegen die kälte, der rauch duftet herrlich nach grönländisch-moos, dann ist schlafen angesagt.

 

vor dem einschlafen rekapituliert sammler nocheinmal den tag:

 

...in der wildnis erinnert man sich eben an jeden, den man getroffen hat, man lebt generell intensiver. wir leben hier sehr beschränkt, kein fernsehen, kein bett, keine dusche, nur das was wir tragen können. dies tut gut, zurück zum elementaren, hier kann man sich endlich von den vielen gesellschaftlichen etiketten befreien und sich auf das wesentliche besinnen. hier merke ich wieder, dass es soviel zeug gar nicht braucht, um einen glücklich zu machen.

 

die reduktion auf die geringsten mittel lässt unsere kohte zu einem palast werden und den warmen schlafsack zum siedepunkt der gefühle. dies prägt sich aus, schon lange verbinde ich glück und zufriedenheit mit einer befeuerten kohte und einem gemütlichen nachtlager (na gut und einem schönen boot). in unserer gesellschaft trifft dies oft auf kontroverse reaktionen. ist aber auch praktisch, da man sich ohne weiteres auch mal mit weniger zufrieden geben kann. man wird einfach bescheiden und genügsam.

 

hier werde ich als ganzer mensch verwöhnt. das wandern brennt meinen körper so richtig aus. ich mag das, ich komme mir dann so richtig entgiftet vor, wenn ich hier in dieser guten luft so am schnaufen bin, wenn ich das reine quellwasser in massen trinke und mich dann so richtig ausschwitze wie in der sauna. auch meinem gehirn geht’s gut, so muss ich zwar den weg im auge behalten, kann aber sonst recht gut abschalten. von der seele brauch ich gar nicht erst zu sprechen, natürlich ist dies hier reines balsam. auf fahrt sein, die wunderschöne natur, natürlich auch das bezaubernde wetter, es tut einfach gut.

 

in ruhigen abschnitten denke ich manchmal über dinge nach, für die man eigentlich kaum beachtung finden kann, aber jetzt ist der geist endlich mal frei. in letzter zeit lauf ich eigentlich kaum noch mit dem willen nach tiniteqilaaq zu kommen, sondern einfach um des laufens willen, weil es mir so gut geht. manchmal denke ich, was ich jetzt zu hause machen würde, ich schüttel dann den kopf und weiß nichts besseres. „was willste denn sonst machen“, sag ich mir dann immer. so wandere ich voller herzenslust.

 

tagesleistung: 12,0 km

koordinaten des kohtenplatzes: 66°10´18´´n, 37°05´38´´w.

 

 

donnerstag, der 12. 7. 2001

 

als wir am heutigen morgen (das was wir hier für uns als morgen bezeichnen, da wir ja insgesamt um eine tageszeit versetzt agieren) wach werden, brennt die sonne bereits unbarmherzig auf unsere kohte nieder. es ist erstaunlich hier in grönland, sobald die sonne da ist, ist es richtiggehend heiß. wir messen über 22 °c im schatten! auszuhalten ist es dann nur, besonders wenn man wie wir wandern möchte, wenn ein kühlendes lüftchen weht. aber kaum ist die sonne zwischen den bergriesen die uns umgeben verschwunden, wird es direkt bitterkalt. weder die luft, noch das land scheinen die wärme der sonne speichern zu können. zum glück geht heute morgen ein leichter wind. nicht nur wegen der sonne. die mücken hier sind einfach unerträglich, fallen uns an, über uns her. wir fühlen uns wie frischfleisch auf dem markt. kaum hat man ein paar von den biestern erschlagen, sind an der gleichen stelle schon wieder doppelt so viele neue. das nervt auf dauer ganz schön. heute ist waschtag, habe ich für mich beschlossen. zumindest begleitet mich die mannschaft zu den grau - trüben, rauschenden fluten des tasiilap kuua hinunter und es ist eine ausgiebige wäsche fällig, für mich die erste ganzkörperwäsche hier oben. puh, ist das kalt, kaum auszuhalten. auch hier lassen mich die mücken nicht in ruhe, freuen sich über die enorme größe der nun freiliegenden hautpartien. das packen geht langsam voran in der gleißenden sonne. dann brechen wir endlich auf. wie sich herausstellt war die entscheidung die kohte dort aufzustellen wo wir es getan haben die richtige. die nächsten kilometer geht es für uns nämlich durch block- und endmoränenfelder des gletschers, der vom pikkelhuen herunter ins tal kommt. keine möglichkeit hier eine kohte aufzurichten. außerdem wird das tal des tasiilap kuua, auch totenmannstal genannt, hier sehr eng. wir haben richtig zu steigen und zu kämpfen. in der sonne fließt der schweiß in strömen. es ist schon erstaunlich, aber den wenigen einheimischen inuit, die es hier in der region gibt, ist dieses tal wie das gesamte restliche inland grönlands nahezu unbekannt. traditionell ist ihre lebensweise auch heute noch auf das meer und die darin und an seinen küsten lebenden jagdtiere ausgerichtet. das inland ist für sie immer schon nutzlos gewesen und eher als gefährdung, denn als chance verstanden worden. die inuitmythologie enthält einige geschichten und märchen, bei denen das unbekannte landesinnere von riesenhaften fabelwesen in menschengestalt, die den inuit nicht wohlgesonnen sein sollen, bewohnt wird. vielleicht ist auch so das fehlende bedürfnis der einheimischen, ihr land näher kennen zu lernen, zu erklären. uns ist bislang glücklicherweise kein solches wesen begegnet. das wissen um die distanz der inuit zu der sie umgebenden gebirgslandschaft macht diese für uns noch interessanter, betreten wir doch so schritt für schritt selten oder gar unbegangenes neuland.

 

unterhalb des pikkelhuen, der “pickelhaube” (2039 m) machen wir rast, sitzen recht lange in der sonne und gulo erzählt schwänke aus seiner familie. dann geht es weiter durch geröll- und sandfelder, reste der vielen gletscher hier, schwer zu gehen. hier oben gibt es, bis auf einige wenige bemooste stellen gar keinen pflanzenwuchs mehr. das tal ist angefüllt mit steinen und felsen, die entweder von den moränen der gletscher stammen oder ihre lage steinschlag und den erosionskräften des sich durch das tal schlängelnden flusses verdanken. hier ist die umwelt wirklich lebensfeindlich und absolut wild. über allem wieder einmal blauer himmel ohne jede wolke. im talgrund passieren wir zwei seen. dann kommt die schwerste passage am heutigen tag und vielleicht auch auf der gesamten bisherigen wanderung. wir müssen über sehr steile geröll- und blockfelder hoch zur passhöhe (350 m). ständig wackeln steine unter unserem tritt, ständig die gefahr, umzuknicken oder abzurutschen. das geröll ist richtig rutschig und wir haben mühe, uns nach oben zu schleppen. auf der passhöhe ein kleiner stiller see. keine welle kräuselt seine oberfläche, während wir sein stilles ufer passieren. kurz nach der passhöhe dann “mitagsrast”. da die sonne schon untergegangen ist, wird es direkt unangenehm kalt. und wir sind wegen der anstrengung des aufstiegs total durchgeschwitzt. entsprechend friere ich jetzt. blos nicht hinsetzen, in bewegung bleiben! in der ferne hat man schon einen kleinen, sehr beschränkten blick auf die mit meereis, bzw. gekalbtem eis des midgårdgletschers angefüllte bucht ningerte, dem ziel des heutigen tags. der abstieg ins tal ist ebenfalls wieder sehr heftig, führt über geröll- und blockfelder der endmoränen gigantischer gletschertürme. im tal mäandert ein fluß in vielen kleinen schleifen dem meer entgegen. im gegenlicht der tief stehenden sonne glänzt das wasser, glitzert und blinkt, der himmel im norden brennt. im talgrund angekommen geht es endlich an diesem tag einmal gut und schnell voran. wir halten uns am wasser des flusses und können so einige blockfelder umgehen. kurz vor dem ende, mittlerweile ist es richtig spät und kalt geworden, haben wir beinahe doch noch einen gletscherfluß zu furten. relativ lange müssen wir nach einer geeigneten stelle zur überquerung suchen. glücklicherweise schaffen wir es gerade auch so, ohne uns umziehen zu müssen, ich fasse dabei wasser im linken schuh. den fluß in einem stück zu überqueren ist unmöglich. vielmehr suchen wir stellen aus, an denen sich sein bett teilt und so auch die gewalt der fluten von uns einzeln und nacheinander überwunden werden kann. die strategie ist zeitaufwendig und erfordert einiges geschick in der abschätzung und beurteilung von strömung, tiefe und breite der flußarme.

 

der kohtenaufbau zieht sich heute, uns ist kalt, die bewegungen sind langsam geworden, eingefroren. dafür ist der anblick überwältigend. in der bucht ningerti treiben, dicht an dicht, unzählige kleine und große eisberge. die optisch direkte verlängerung dieser eisgefüllten bucht stellt der mächtige, vom inlandseis herkommende midgårdgletscher dar, der langsam ansteigend dem horizont entgegenstrebt. über ihm ist der himmel leicht gerötet, zwei kleine rosa wolken stehen über einem seine flanke abschließenden bergrücken. das inlandseis. zum ersten mal können wir es auf dieser fahrt sehen, erahnen seine größe, weite und einsamkeit. betrachtet man eine karte von grönland, so läßt sich nur schwer verstehen, daß hier überhaupt menschen dauerhaft leben und siedeln können. weiß ist die karte, überall eis, gletscher, schnee. tatsächlich sind 85 % der landmasse grönlands vom bis zu 3500 m dicken inlandseises bedeckt. grönland speichert so allein 10 % der süßwasservorräte der erde. hier ist es tatsächlich unwirtlich und lebensfeindlich. allein ein großteil der küsten sind im sommer eisfrei, so daß hier menschliches leben möglich wird.

 

in der kohte macht gulo mit gefundenem treibholz feuer. endlich einmal anderes brennmaterial als immer nur moose, flechten und kräuter! ich sitze warm eingepackt im schlafsack. wir lassen es uns gut gehen und essen heute abend doppelte ration. weil wir bislang so gut durchgekommen sind, haben wir beschlossen, langsam die ration eines zusätzlichen “pausentags” aufzuessen. die abende in der kohte sind es, auf die sich die mannschaft freut, wenn es einmal wieder nicht so gut läuft auf dem weg. hier sind wir zu hause, gut aufgehoben, können erzählen, es uns wohl gehen lassen, haben einen platz zum ausruhen. nicht missen möchten wir deshalb unser schwarzzelt. danach ist nur noch schlafen angesagt.

 

sammler ist für seine vorliebe für die kohte ja schon bekannt:

 

auch abends vor dem einschlafen wird es bei uns in der kohte noch mal richtig nett. da gibt jeder seinen humor zum besten. ramses ist fast dreissig, hat schon eine familie und sitzt hier immer noch mit uns und lacht. das halt ich von erwachsen werden, reifen aber dennoch jung bleiben. für glis, auf den wir während des laufens immer mal warten müssen, scheint dies auch recht angenehm zu sein. ich hoffe seine mittelohrentzündung hat sich weiter gelegt – lachen heilt.

 

tagesleistung: 14,0 km

koordinaten des kohtenplatzes: 66°16´53´´n, 37°14´17´´w

temperatur (24 uhr): 5,0 °c.

 

 

freitag, der 13. 7. 2001

 

überlassen wir den kommentar zu einem nächtlichen ereignis sammler:

 

in der nacht denke ich, mich trifft der schlag. plötzlich werde ich wach und hör es vom eingang her seltsam wimmern. „kai, kai, ich hab hunger. hunger!“, so jault der ewig hungrige gulo vor sich her. ich schlafe sofort wieder ein, ist der schlafbedarf nach so einem wandertag doch höher als so eine satirische glanzleistung wettmachen kann.

 

hatten wir angenommen, mit der gestrigen überquerung der passhöhe das schwierigste teilstück der fahrt bewältigt zu haben, sollten wir heute eines besseren belehrt werden. hatten wir angenommen, bereits sämtliche naturschönheiten grönlands in den letzten tages kennengelernt zu haben, so sollten wir heute eines ungleich besseren belehrt werden.

 

aufstehen spät am mittag. der midgårdgletscher glänzt majestätisch in der ferne, zieht sich weit hinauf ins inlandseis, wo er sich im sog. schweizerland in die ungeheuren eisströme des franche comté gletschers, des pourquoi-pas gletschers und des glacier de france verzweigt. auf der übersichtskarte im maßstab 1:250000, die 1933 aufgenommen und zuletzt vor 20 jahren korrigiert wurde, sieht man in richtung norden und osten von unserem standpunkt aus nur noch das weiß-blau unendlicher gletscherfelder, zwischen denen vereinzelt bergketten wie inseln aus dem nichts aufragen. gleißende helligkeit. die sonneneinstrahlung und ihre reflexion durch in der bucht schwimmendes eis und durch den gletscher selber ist so stark, daß das auge, wenn man aus der dunklen kohte heraustritt, minuten benötigt, um sich anzupassen. die stimmung ist ruhig und friedlich. in 100 jahren wird sich hier nichts ändern und vor 100 jahren hat es hier schon genauso ausgesehen. die kohte steht noch auf den letzten metern grasbewachsenen untergrunds. dahinter, leicht absteigend zum fjord hinunter, fängt ein lockerer kiesstrand an. das wasser ist ruhig, wellenlos, darauf in gutem kontrast zum schwarzen kohtenstoff, das grelle weiß unzähliger kleiner und größerer eisschollen und eisberge in der bucht. von der kohte sieht es fast so aus, als könne man das weit entfernte gegenüberliegende ufer der bucht erreichen, indem man von eisscholle zu eisscholle springend hinüberwechselt, so viel eis schwimmt im wasser.  die auf der gegenseite liegenden bis 1800 m hohen berge des charcot fjelde haben an ihren zum gletscher gewandten flanken erstaunlicherweise breite streifen rötlich gefärbten gesteins. bestimmt wird die szenerie aber eindeutig von der breiten, sich vor uns ausbreitenden gletscherstraße hinauf ins inlandseis.

 

 

 

auch sammler genießt:

 

die landschaft ist atemberaubend, ramses und ich fotographieren immer weiter. wieder kommt die frische, klare luft der eisberge, dazu das raunen und poltern wenn ein eisberg seinen schwerpunkt ändert und sich dreht. das optische ist natürlich die spitze, die eislandschaften, welche sich uns dort ergeben, sind wie aus einer anderen welt. sie wirken mythisch und märchenhaft, jeden moment, so kann man glauben, tauchen die elfen aus den milliarden von eisigen kristallen auf.

 

im hintergrund rauscht noch der fluß, den wir am gestrigen abend überqueren mußten. viele geräusche gibt es hier in grönland ja auch nicht. außer dem plätschern und rauschen von wasser wären da noch zu nennen das summen der mücken und ab und an ein vom meer kommendes dumpfes donnergrollen. verursacht wird letzteres durch sich drehende eisberge, die in der sonne abgetaut, plötzlich instabil werden, ihre lage verändern und ins wasser platschen. die mannschaft diskutiert meinen vorschlag, hier in diesem kargen paradies den restlichen tag über zu bleiben, wäsche zu waschen und so wieder zurück in einen normalen tagesablauf zu finden, sprich, in der frühe und nicht erst am späten mittag mit der tageswanderung zu beginnen. aber sammler, glis und gulo wollen weiter, so schnell wie möglich das ende der wanderung erreichen und genügend zeit für die inuits haben. also packen wir zusammen. von der karte her sieht die strecke eigentlich nicht besonders schwierig aus. es geht stetig am meer entlang. einfach, so sollte man meinen.

 

tatsächlich bedeutet das für uns aber, unseren weg als küstenkletterer finden zu müssen. die abhänge des bergmassivs, das wir passieren, sind steil. oft fallen sie recht schroff ins meer ab, was für uns heißt, nach oben klettern zu müssen, um einen gangbaren weg zu finden. immer wieder verlieren wir die gerade gewonnene höhe, nur um sie kurze zeit später erneut erklimmen zu müssen. die hänge sind allesamt grasbewachsen. wie wir uns hier querfeldein unseren weg suchen, ist mit worten kaum zu beschreiben. unsere lapplandunternehmung vor zwei jahren trägt, verglichen mit der art der fortbewegung hier, eher den charakter eines spaziergangs. obwohl der weg so beschwerlich ist, werden wir in gewisser weise doch auch belohnt für unsere mühen. so weit wir blicken können, ist das meer, ist die bucht ningerti, die wir nun langsam hinter uns lassen und der breite sermilik (egede og rothe fjord) angefüllt mit eis. große und kleine eisberge, eisschollen, eis in allen variationen. dazu ist das wasser türkis gefärbt. sammler und ich fotographieren fast an jeder kuppe. mit dem gps überprüfen wir, wie weit wir schon vorangekommen sind. das ist recht einfach und ernüchternd. einfach, weil uns die längenangabe ausreicht, um unsere position an der küste eindeutig zu bestimmen, ernüchternd, weil wir partout keine strecke machen. sammler hat auf der karte in einem anflug von perfektionismus jeden einzelnen kilometer unserer geplanten route markiert. abends und morgens kann er stundenlang über der karte und seinen markierungen brüten. immer wieder bekommen wir dabei zu hören, wie weit und wie lang eine etappe und der dann noch zu bewältigende rest der wanderung sei, sollten wir an einem tag diese oder jene strecke schaffen. wir können es schon fast nicht mehr hören. auch jetzt wird bei jeder kleinen pause ausgiebig die karte inspiziert, das gps zu rate gezogen und wir sind, besonders heute, das eine ums andere mal enttäuscht, trotz langer, schwieriger wanderzeit nur wenige von sammlers kilometermarkierungen hinter uns gebracht zu haben.

 

da wir heute nicht mehr, wie an den tagen zuvor, in einem engen tal wandern, sondern entlang des nach norden breiten sermilikfjordes, findet die “mittagsrast” sogar noch bei sonnenschein statt. die sonne steht dabei tief im nordwesten über dem fenrisgletscher. die lichtverhältnisse bieten unvergleichliche aussichten auf den fjord. während das land langsam im schatten der berge verschwindet und dort, wo es noch angeleuchtet wird, den betrachter mit warmen rot und orangetönen lockt, zeigt sich das eis im fjord weiß und hell wie eh und je. ruhig ist die szenerie. kein windhauch kräuselt die oberfläche des meeres. wir stellen fest, daß wir zwei schatten haben. die wasseroberfläche spiegelt die sonne und so scheinen tatsächlich zwei sonnen die landschaft an. das licht zum fotographieren ist natürlich sehr gut. mit der zeit ändern sich auch die farben des naturschauspiels: das meer wird türkis, die schwimmenden eisberge langsam orange und der himmel zart rosa angehaucht. die klaren farben hier oben sind schon etwas ganz besonderes. am ende, die sonne ist hinter dem inlandseis grönlands für die kurze zeit der “nacht” untergegangen, ist das land schwarz, das eis grau, im wasser spiegelt sich das rotorange des himmels. die mannschaft der fahrtenschaft wirkt dabei vor dieser kulisse ein ums andere mal wie ein alter scherenschnitt, für die ewigkeit festgehalten.

 

vor dem abschluß dieser schlauchigen etappe steht uns noch die krönung bevor in form der passage des nach der karte direkt in den sermilik kalbenden kilikilaat - gletschers. etwa 500 meter breit ist die gletscherfront. michael hatte uns vor der wanderung bereits in kulusuk gesagt, daß sich der gletscher zurückgezogen hätte und nun eine passage bei ebbe über einen schmalen strandstreifen möglich wäre, ohne über den gletscher selber zu müssen. aber bevor wir unterhalb der gletscherzunge den wahrheitsgehalt dieser aussage überprüfen können, müssen wir uns zunächst mal wieder durch jede menge block- und geröllfelder der unzähligen endmoränen kämpfen. ach wie ich dieses lockere gestein hasse! nie kann man sich sicher sein, nicht abzurutschen. wir taumeln und stolpern und rutschen mehr über diese felder, als das wir gehen. dann die bucht mit der gletscherzunge. ich bin gespannt. werden wir passieren können? es wird deutlich kälter, das spüren wir. es ist schon fast mitternacht. wir suchen uns einen weg direkt an der strandlinie. auf dem wasser schwimmt dünnes neues eis. und tatsächlich, michael hatte glücklicherweise recht. zwischen eis und meer gibt es ein paar meter freies geröllfeld. das eis ist von schuttablagerungen schmutzig - schwarz gefärbt. wir haben das gefühl, einen schlafenden riesen zu passieren. nur kein laut, sonst wird er wach und fordert seinen tribut von uns.

 

aber es kann immer noch schlimmer kommen. nicht nur, daß wir jetzt bis zu unserem heutigen lagerplatz noch die ausgedehnten moränenfelder auf der anderen seite des gletschers zu überklettern haben, nein, davor liegt auch noch die überquerung des gletscherflusses. uns ist schnell klar, daß wir hier werden zu furten haben. das wasser scheint tief, hat eine starke strömung und ist zu allem überfluß braun - trübe. erschwerend kommt hinzu, daß es mehrere arme zu durchwaten gibt, die teilweise bis knapp über knietief sind. auf der anderen seite angelangt, spüren wir unsere füße nicht mehr. eine messung ergibt, daß das direkt unter dem gletscher hervorschießende wasser eine rekordverdächtige temperatur von 0,0 °c aufweist, bei einer lufttemperatur von 6,0 °c.

 

sammler ist kalt:

 

nach dieser furt sind unsere füße nur noch phantome, eine kurze zeit sind sie vor kälte fast taub, aber dann kommt der schmerz des „auftauens“. besonders abartig ist es, wenn man gezwungen ist, im eisigen wasser zu verharren, um nach der richtigen stelle für den nächsten schritt zu suchen. nur weil es kalt ist, kann man ja nicht wie wild auf die andere seite stürmen. denn wenn man drinne liegt, wird’s bei den temperaturen noch unangenehmer.

 

um zu unserem lagerplatz zu kommen, ist nochmals steigen angesagt. ich bin platt, es reicht für heute, aber nach den moränenfeldern sind wir gezwungen, auch nochmal den berghang hinaufzuklettern. hier oben finden wir über dem eis im meer eine schöne große ebene unweit eines kleinen bachlaufs. mit flachen steinen ist ein großes kreuz ausgelegt, wie wir in der streckenbeschreibung lesen können, handelt es sich um eine markierung für mögliche hubschrauberlandungen. die kohte steht unglaublich schnell. draußen schwimmt ein riesengroßer eisberg von der dimension eines hohen bürogebäudes direkt hinter der kohte. fast scheint es, als könne man ihn mit der hand berühren, wenn man sie nur ausstreckt. ich bin zu faul, nocheinmal die kamera herauszuholen und ihn zu fotographieren, verschiebe das auf morgen früh. hier scheint ja keinerlei strömung zu sein, so sieht es zumindest aus. der eisberg liegt fest vertäut, so meine ich. auch am heutigen abend gönnen wir uns eine doppelte ration. das haben wir uns wirklich auch verdient. als wir gegen 3:30 uhr endlich in die schlafsäcke kommen, scheint die sonne bereits wieder auf die kohte.

 

tagesleistung: 10,0 km

koordinaten des kohtenplatzes: 66°13´40´´n, 37°24´15´´w.

 

 

samstag, der 14. 7. 2001

 

die sonne steht immer noch am himmel, als wir spät am mittag endlich wieder wach werden. die letzten tage fordern ihren tribut von uns. der schlafbedarf jedes einzelnen ist enorm. da es nun schon so spät ist, beschließen wir, heute einen ausruhtag einzulegen, um dann morgen früh, endlich wieder im einklang mit dem tagesrhythmus, weiter zu wandern. trotz starker sonneneinstrahlung ist es kühl. vielleicht kommt das von den eismassen, die hier unter uns im meer schwimmen. die luft ist klar und duftet würzig. der ausblick vom kohtenplatz aus auf den weiten, unter uns liegenden egede og rothe fjord ist überwältigend. natürlich ist der bürohohe eisberg von gestern abend nicht mehr hinter der kohte, dümpelt vielmehr weit, weit draußen auf dem fjord, viel zu weit weg, um noch ein gutes foto machen zu können. anscheinend gibt es doch eine strömung im fjord. na ja, das hätte ich mir eigentlich auch denken können, schließlich gibt es hier ja auch ebbe und flut und so beschließe ich, bei der nächsten günstigen gelegenheit den inneren schweinehund direkt zu besiegen. das eis glänzt in der sonne. am weit entfernten gegenüber liegenden ufer der mächtige fenrisgletscher. eine landschaft für götter. nicht zu unrecht tragen die wenigen geographischen einheiten, die hier überhaupt benannt sind, namen aus der nordischen mythologie.

 

ich nehme mir vor, den ausruhtag nicht nur zum ruhen, sondern auch zum waschen meiner dreckigen sachen zu nutzen. so heißt es in einem kleinen bach unweit der kohte zunächst ganzkörperwäsche, dann, frische sachen anzuziehen und danach die dreckigen mühselig mit kernseife zu bearbeiten. die nassen sachen werden auf der schwarzen kohtenplane zum trocknen in die sonne gelegt. danach, es ist 16 uhr, gibt es frühstück. als nächster programmpunkt steht ein länger andauerndes verdauungsschläfchen auf dem plan. anschließend wieder essen. mittlerweile ist die sonne bereits sehr tief gesunken. ihre rötlich - goldenen strahlen tauchen die uns umgebende urlandschaft in ein ganz besonderes licht. wunderschön, weich und warm. wenn man mich später einmal fragen sollte, warum und wofür ich hier nach grönland gekommen bin, welchen sinn diese plackerei und entbehrung gehabt hat, ich werde einfach die fotos dieses tages heraussuchen. über dem eis im fjord liegt mittlerweile leichter nebel, der die eigenart der szenerie noch unterstreicht. rundherum absolute stille, unterbrochen nur durch das gelegentliche rumoren sich drehenden eises. immer wieder muß man sich vor augen halten, daß sich dieses schauspiel hier an jedem tag in jedem sommer wiederholt. jahr für jahr, ob wir zufällig anwesend sind, um es zu betrachten zu bestaunen, inne zu halten oder nicht. und außer uns? wer kann noch sagen, hier gestanden, geschaut und erlebt zu haben? wer hat je den midgårdgletscher gesehen? wer hier an den ufern des eisigen meeres ostgrönlands gestanden?  wer die kohte auf das wilde fjell gebaut? wer hat hier dem nichts gelauscht? nach dem abendessen versuchen wir, schnell zu schlafen, um morgen wieder möglichst früh weiter zu kommen.

 

 

sonntag, der 15. 7. 2001

 

das wetter versetzt uns, als wir am heutigen morgen endlich einmal zeitig aufstehen, ein wenig in schrecken. es ist bedeckt, die wolken hängen tief, die berggipfel auf der gegenüberliegenden seite des egede og rothe fjords befinden sich im nebel. und es ist kalt. richtig kalt. in der nacht mußte ich mir unüblicherweise sogar noch den pullover überziehen. geholfen hat es trotzdem nicht, so daß ich immer wieder frierend aufwachte. glücklicherweise läßt sich aus südwesten kommend ein blauer streifen am himmel ausmachen, der auf uns zuzieht. heute beeilen wir uns, um loszukommen, um endlich einmal das volle tageslicht ausnutzen zu können. wie dem so ist erwarten wir, daß es nach der schlimmen kletterei der letzten tage nun endlich einfacher geht, doch so einfach, wie wir uns das in der morgendlichen aufbruchstimmung vorstellen, ist das ganze nicht. zunächst sieht aber alles ziemlich gut aus für uns. der weg ist über mehrere kilometer relativ einfach, führt über absätze und matten, der hier in den eisfjord abfallenden berghänge. wir halten dabei mehr oder weniger unsere höhe, kommen in der mittlerweile wieder prallen sonne gut voran und genießen das eine ums andere mal die tolle aussicht auf den unter uns liegenden fjord mit seinen teils riesengroßen, strahlend weißen eisbergen. dabei zieht weit draußen vor der küste die im fjord liegende, etwa 4 km lange insel aammangaa vorbei. meistens geht gulo voran, sucht für uns den einfachsten weg, weist uns auf loses und lockeres gestein hin, entschuldigt sich, wenn er sich verstiegen hat und wir so doch nicht weiter kommen und zurück müssen. dann folgt sammler, der immer wieder einmal für ein foto stehen bleibt. meistens komme dann ich. auch immer für ein foto zu haben und am ende, meistens sehr weit zurückhängend, glis.

 

schwierigkeiten macht der nächste teil des weges. es steht nämlich erneut das von uns verhasste klippenklettern auf dem plan. um weiter voran zu kommen, müssen wir wie die gemsen, die es hier in grönland freilich nicht gibt, die hänge der steilen bergflanken hinauf und herunter. ohne weg, querfeldein, sind wir dabei nur auf unsere intuition angewiesen. aus dem bauch heraus entscheiden wir, ob der möglicherweise gangbare weg eher oben am hang oder tiefer unten am meer entlangführt. fehleinschätzungen eingeschlossen. manchmal ist der hang so steil und tief, daß man besser nicht nach unten sehen mag. manchmal geht es nur durch klettern auf allen vieren weiter. doch dann ist es endlich soweit. hinter einer landspitze können wir weit entfernt in der siaqqitseq - bucht die hütte erspähen, die auf der karte auch eingezeichnet ist. hier haben wir uns vorgenommen, mittag zu machen. die hütte und ihre umgebung sind jedoch eine große enttäuschung. es handelt sich um nicht mehr als einen heruntergekommenen schuppen, der von einheimischen jägern auf ihren ausflügen als notunterkunft genutzt wird, verdreckt und voll von abfällen aller art. knochen, unzählige knochen bleichen hier in der arktischen sonne, verrostete dosen, verschossene patronen, gläser für kaffeepulver, margarineschachteln. und über allem der gestank von tranigem fett. fett, das einfach vor der hütte und um sie herum auf den boden geworfen worden ist. fett von tausenden von tieren, die hier ausgenommen wurden, teils wohl schon jahre alt. wir verziehen uns auf den nächsten hügel, ein wenig abseits von diesem traurigen bild und dem davon ausgehenden gestank und kochen unser mittagsmahl. wir können nicht so ganz verstehen, wie man diese unglaubliche natur so hinterlassen kann, wie wir es hier vorgefunden haben.

 

sammler, enttäuscht:

 

schon von weitem sehen und riechen wir, das ist keine hütte, das ist eine organische müllhalde. nun gut, im notfall wäre ich froh, wenigstens diesen kleinen holzschuppen in vielleicht doppelten klohäuschenausmaßen zu haben. davor ist ein riesiger haufen von robbenfett, knochen und verschiedenen nicht verwertbaren bestandteilen. es riecht auch dementsprechend streng. der geruch aus dem „robbenraum“ in kulusuk scheint ums 100fache verstärkt zu sein und wirkt richtig penetrant. wir verziehen uns auf einen geruchsneutralen hügel und essen dort zu mittag.

 

weiter führt der weg für mehrere kilometer sehr einfach über ebene, grasbewachsene flächen zwischen der halbinsel nuuk, die wir so schneiden und dem landeinwärts gelegenen, 1702 m hohen bergmassiv. unterbrochen wird das schnelle und gerade laufen nur durch einzelne bäche und flüsse, die sich tief in die ebene eingegraben haben. leider ist dieser gut zu gehende teil bald vorbei und wir haben den rest des tages schon wieder mit klippenklettern zu kämpfen. diesmal aber von der ganz üblen sorte und ohne zwischendurch mögliche erholungspausen. kilometerweit folgen wir den steilen hängen in etwa 100 m höhe über dem sermilik. die gelenke der füße und kniee werden dabei natürlich aufs äußerste einseitig belastet, ständig muß ich darum fürchten, ein mitglied der mannschaft in den abgrund zu verlieren. an bewachsenen stellen findet man ja noch genug halt, aber dort wo schutt und loses gestein offen an der oberfläche liegen? glis hat besonders zu kämpfen, ist ihm eine solche höhe doch sichtlich unangenehm. glücklicherweise: niemand rutscht ernsthaft aus, knickt um oder verletzt sich sonst. auch die von mir irgendwann ins auge gefasste alternative unten herum am meer weiterzukommen ist nicht gangbar, zu große und steile felsblöcke versperren uns das eine ums andere mal den weg. trotz der strapazen sind wir nicht schlechter stimmung, dafür ist die aussicht von hier oben einfach zu grandios: vor uns öffnet sich die weite bucht ikaasaalaq mit dem gegenüberliegenden 982 m hohen bergmassiv, das uns mit seinen vielen kleinen schnee- uns eisfeldern wie von puderzucker bestreut vorkommt. davor, im tiefblauen wasser wieder unzählige eisschollen und kleine berge, soweit das auge reicht. minutenlang stehen, schauen und staunen wir, ohne ein wort zu verlieren. kurz vor der bucht ikaasaalaq schlagen wir auf dem ersten ebenen stück, das wir finden können noch bei abendsonnenschein die kohte auf. ein paar hundert meter weiter finde ich einen bach, der reichlich wasser führt. gulo kümmert sich um ein wärmfeuer. das ist auch notwendig, draußen ist es wieder kalt geworden. kurz nach sonnenuntergang kommt aus süden starker wind auf, so daß ich die rauchlochabdeckung zur sicherheit noch an der kohte festbinde. in heftigen böen stürmt es, plötzlich, ohne vorwarnung geht es los. wir sind ein wenig besorgt, schauen aus dem rauchloch immer wieder in den himmel und suchen nach kleinen, linsenförmigen wolken, den ersten anzeichen für einen piteraq. der piteraq ist in ostgrönland berüchtigt und gefürchtet zugleich. es handelt sich dabei um einen starken sturm mit windgeschwindigkeiten von über 360 km/h. er entsteht, wenn die luft wie ein fönwind vom inlandeis fällt und dabei dem fjell und den tälern in richtung küste folgt. große verwüstungen sind die folge und viele der holzhäuser in den siedlungen hier in dem gebiet sind deswegen mit starken stahltrossen im boden verankert.

 

ob piteraq oder “nur” ein gewöhnlicher sturm, wir rechnen mit einem wetterumschwung, sprich einer wetterverschlechterung. allerdings sind wir bei guter marschleistung auch nur noch zwei tagesetappen von tiniteqilaaq, unserem endziel entfernt. in der mäßigen hoffnung auf weiterhin gutes wetter schlafen wir ein, während die kohte von windböen gepeitscht wird.

 

tagesleistung: 14,5 km

koordinaten des kohtenplatzes: 66°07´02´´n, 37°31´39´´w.

 

 

montag, der 16. 7. 2001

 

wir schlafen wie immer recht lange. niemand von uns hat einen wecker dabei. das wetter draußen ist deutlich schlechter, als die tage zuvor. zwar scheint noch die sonne, aber am himmel sind recht viele schleier- und schäfchenwolken zu erkennen. zum waschen muß ich mehrere hundert meter zum nächsten bach. obwohl es immer wieder überwindung kostet, sich mit dem eiskalten wasser zu waschen, ist es doch auch immer eine wohltat nach der schwitzerei des letzten tages und der nacht. da es hier nachts so kalt wird und nicht zuletzt auch aufgrund der mückensituation des nächsten morgens, bin ich dazu übergegangen, nahezu komplett im schlafsack zu bleiben. dementsprechend bematscht ist man dann natürlich auch am nächsten tag und umso besser fühlt man sich nach ausgiebiger waschung. abends nach den wandertagen ist es deutlich zu kalt: wenn die sonne weg ist, sinken hier schlagartig die temperaturen und man ist außerdem so fertig und zerschlagen, daß es nach dem essen manchmal nur noch zu einem zähneputzen im becher reicht.

 

beim heutigen abmarsch hat sich die sonne tatsächlich hinter wolken verzogen und es weht ein leichter wind. zunächst muß von uns die bucht von ikaasaalaq umgangen werden. psychologisch eine schwierige strecke, da man glaubt, daß es nicht voran geht. die szenerie der landschaft verändert sich nur langsam. da ein großer teil der bucht aufgrund der vorherrschenden ebbe trocken gefallen ist, machen wir uns den spaß, wandern watt und können so einen großen teil der bucht abkürzen, nicht ohne vorsicht hinsichtlich möglicher treibsandfelder walten zu lassen. priele müssen überquert oder durchstapft werden. nebelfetzen dicht über dem seeboden. wie feine schleier ziehen sie kaum sichtbar an uns vorbei. den fluß am anderen ende der bucht brauchen wir glücklicherweise nicht zu furten, obwohl er sehr tief aussieht. gulo findet über steine und felsen einen weg hinüber, obwohl er selber ausrutscht und so seine ganze hose naß macht und sein knie anschlägt.

 

danach wird es direkt wieder heftig. den hinter dem delta gelegenen berghang gilt es laut karte auf ca. 100 m höhe zu umrunden. für uns bedeutet das natürlich zunächst wieder elende kletterei. das kostet zeit und kraft. von hier oben gibt es immer wieder gute ausblicke auf die weit unter uns schwimmenden eisberge im sermilik, den wir, wenn alles so läuft wie wir uns das vorstellen, heute verlassen werden. mehrere kleine seen werden passiert, bevor wir, sehr steil, wieder zum meer hin absteigen. der weg am kurzen strand entlang, auf den die letzte flut einige kleine eisstücke hat liegen lassen, erscheint einfacher als darüber am hang die höhe zu halten. dies schlägt uns eigentlich die auf der karte eingezeichnete route vor. unser weg hat den nachteil, am ende des strandes wieder auf etwa 40 m hoch steigen zu müssen. am ufer eines etwas größeren sees an der basis der halbinsel paarnakajiit gibt es mittagessen. die mückensituation hier hat sich deutlich verschlechtert. neben den normalen stechmücken gibt es auch noch eine andere mückensorte, die die angewohnheit hat, partout in alle körperöffnungen hineinfliegen zu wollen und die sich durch schläge nicht für ein paar sekunden verscheuchen läßt. gulo zündet ein abwehrfeuer. nur in seinen rauchschwaden ist es auf dauer halbwegs erträglich. es gibt bananenbrei. nach dem mittagessen ist die strecke allgemein einfacher. zunächst entlang des tiefen sees, an dessen ufern es sogar kleine fischchen gibt. danach ein wenig weiter auf höhe geklettert und das halten wir dann erst einmal. vor dem erneuten abstieg auf meeresniveau in die bucht sapulik haben wir noch ein recht sumpfiges stück zu durchqueren. jeder sucht in diesem tiefer liegenden becken seinen weg alleine durch zahlreiche bacharme, wollgrasfelder, morastige stellen. unten an der bucht laufen wir wieder an der strandlinie entlang. spuren von schweren schuhen im nassen schlick, unterhalb der flutlinie. so alt können sie noch nicht sein.

 

überraschend treffen wir auch wieder einmal auf einen menschen, einen inuit, von dem die spuren, die wir gerade gefunden haben, aber nicht stammen können. unser hej erwiedert er mit hej hej. er ist gerade dabei, ein zelt aufzustellen, sein boot, ein einfaches, kleines ruderboot, liegt am strand. zunächst spricht er uns auf grönländisch an. wir verstehen natürlich kein wort. dann fragt er, ob wir dänisch sprechen. ich verweise auf unseren “norweger” sammler und er wechselt ein paar worte: woher, wohin, was zu tun. anscheinend ist unser einsamer inuit auf fisch aus.

 

sammler:

 

auf unserem endspurt richtung tiniteqilaaq treffen wir an der sapulik-bucht auf einen alten inuitmann, der hier mit seinem boot in die bucht gekommen ist und sein zelt aufgeschlagen hat. er spricht uns auf ostgrönländisch an – ostgrönland galt, aufgrund der rauhen verhältnisse, noch bis ende des 19. jahrhunderts als unbewohnt, daher entwickelten sich sprache und kultur sehr isoliert – wir verstehen also kein wort. ich kann mir aber denken, dass er nach unserem woher und wohin fragt. ich probiere es einfach mal mit norwegisch, vielleicht spricht er ja dänisch, dann könnte es klappen. es funktioniert und ich erkläre ihm, dass wir von kuummiit nach tiniteqilaaq wollen. er selber kommt aus unserem zielort und ist wegen den lodden hier, welche bei flut in die bucht kommen sollen. wir wünschen uns noch gegenseitig „far vel“ und dann trennen sich unsere wege wieder.

 

 wir ziehen weiter, entlang der küste geht es recht schnell voran. einzig einige ausgedehntere schlickfelder halten uns auf, hier sinken wir mit unseren lasten tief ein. entlang des zuflusses in die bucht sapulik machen wir uns bei strahlendem abendsonnenlicht auf, einen kohtenplatz zu finden. nochmals ist vor dem ausruhen arbeit angesagt. glis hängt am ende sehr weit zurück. auf der anhöhe über einem see, bereits im landesinneren finden wir dann was wir suchen. das terrain ist recht flach und unweit von hier ist auch das ende einer tagesetappe auf der karte eingezeichnet, so daß es zumindest trinkbares wasser in der nähe geben sollte. das wasser aus dem see sieht nämlich recht schlammig und aufgewühlt trübe aus. nach dem kohtenaufbau versuche ich also mein glück, muß für das wenige fließende, eher tröpfelnde wasser, das ich finde aber recht weit steigen. das abendessen in der kohte wird erneut zum drei gänge menü mit schokolade zum nachtisch. danach, es ist mittlerweile 23 uhr und sehr kalt - schlafen.

 

 

tagesleistung: 11,5 km

koordinaten des kohtenplatzes: 66°02´25´´n, 37°37´26´´w

temperatur (23 uhr): 3,8 °c.

 

 

dienstag, der 17. 7. 2001

 

der heutige morgen beginnt sehr spät bei sonnigem wetter. ziel des tages ist es, uns möglichst nah an tiniteqilaaq heranzubringen, das wir dann am mittwoch noch zu öffnungszeiten des kni - marktes erreichen wollen. die mückensituation an diesem über dem einsamen see gelegenen lagerplatz ist katastrophal. myriaden von mücken fallen uns an, kaum, daß wir die nase aus dem schlafsack stecken. dabei sind sie hochaggressiv, schrecken vor nichts zurück. entweder gibt es hier in dieser gegend deutlich mehr mücken als dort wo wir die wanderung begonnen haben oder aber es liegt an der zeit, die nun einfach weiter fortgeschritten ist, so daß mehr mücken geschlüpft sind. die frage ist nur, wie sie sich ernähren, wenn wir nicht hier sind, denn außer uns gibt es hier in grönland ja keine potentiellen opfer. wir verfluchen den kni - markt in kulusuk und wundern uns einmal mehr, daß es dort kein anti - mückenmittel zu kaufen gab. erstaunlicherweise sind die wenigen ortschaften hier frei von mücken, vielleicht brauchen die inuit aus diesem grund solche mückenmittel auch nicht. das zusammenpacken der sachen wird so zur qual. kaum bin ich fertig, kann ich endlich, kreise um den lagerplatz ziehend, über das plateau rennen, um mir so ein wenig wind und damit schutz vor den mücken zu verschaffen, während die anderen noch am packen sind. nur zwei sachen helfen uns hier neben den von uns betriebenen rauchfeuern gegen diese plage: wind, wir lieben ihn, hoffen sehnsuchtsvoll auf sein auffrischen, und die kälte der nacht.

 

schlimm ist es auch, als wir dann aufbrechen. zunächst umrunden wir unseren “schlaf”-see auf der östlichen seite, um dann dem taleinschnitt folgend, langsam weiter aufwärts zu steigen, bis vor uns fast in perfekter nord-süd-richtung ein ca. 3,5 km langer, fjordähnlicher see ins blickfeld gerät. bevor wir an seinen ufern weiterwandern, ist noch ein stark mäandernder und ein breites delta bildender gebirgsfluß zu überqueren. es ist schwierig, hier eine möglichkeit zu finden, nicht furten zu müssen. unter inkaufnahme von umwegen und dem einen oder anderen tritt ins wasser gelingt es doch. ich trete dabei einmal zu kurz, so daß mir wasser von oben in den schuh läuft. prima, nasse füße. auch der große, namenlose see ist dann an seiner ostseite zu passieren. bis auf wenige ausnahmen von klippenkletterei gelingt dies sehr gut, finden sich doch genügend gangbare terrassen. hinter dem see haben wir einen kleinen anstieg zurückzulegen, ein kleiner klarer bergsee beherrscht die erreichte passhöhe. von ihm aus folgen wir dem bach ins tal und kommen so wieder auf meereshöhe an die ufer des sehr engen amitsivartiv - fjords. auf einem begrünten stück direkt am wasser eines zufließenden baches machen wir mittagsrast. zwar scheint trotz fortgeschrittener zeit die sonne noch, doch uns ist sehr kalt, es geht ein vom meer kommender starker wind, ich ziehe mütze, juja und schal an. im talgrund gibt es einige schöne wollgrasfelder. die pause hier haben wir uns redlich verdient, danach kommt nämlich das meisterstück des heutigen tags. da der restliche weg bis tiniteqilaaq auf der höhe der gebirgskette verläuft, die sich über die halbinsel zieht, auf der diese ortschaft gelegen ist, bedeutet dies für uns ab hier klettern. auch die orientierung wird dadurch nun deutlich schwieriger. im tal ist dies ja anhand der karte kein großes problem aber hier oben im berg ist jede noch so kleine abweichung gleich mit großen zusätzlichen umwegen verbunden. zunächst klappt es auch ganz passabel, den aufstieg bekommen wir recht gut anhand des von der karte vorgegebenen routenverlaufs hin. doch einmal oben, sind wir nicht mehr allzu klar über den weiteren verlauf. grundsätzlich müssen wir erkennen, daß eine 1:100000er karte zum wandern im gebirge nicht viel hergibt und unsere orientierungskünste scheinen heute abend auch nicht sonderlich ausgeprägt. außerdem wird es richtig kalt und einen kohtenplatz hier oben zu finden ist schwierig. an einem klammeinschnitt, der unter uns in gerader linie zu einem kleinen see führt, entscheiden wir uns dazu, diesem zu folgen. das bedeutet deutlichen verlust an höhenmetern, mühsames klettern über geröll- und blockfelder, queren von schneefeldern, abstieg bis zum see, abkommen von der vorgeschlagenen route.

 

auch sammler wäre nun langsam gerne im schwarzzelt:

 

es ist mühselig, die strecke von unserem lagerplatz bis nach tiniteqilaaq beträgt 18 km, das ist mit einem solchen aufstieg verbunden natürlich zu viel. wir schlagen an einer ebenen fläche im fels unser zelt auf. der kohtenbau ist immer so ein akt, die finger sind von kälte ganz steif, der körper kühlt langsam ab und die verschwitzten sachen kleben nass, kalt an der haut. man arbeitet nur noch auf das essen, seit neustem doppelte portion, und den schlafsack hin.

 

am see haben wir glück. hier gibt es einen recht passablen kohtenplatz bei allerbester sicht hinunter in den ikaasatsivaq - fjord, wasser und bei der hier herrschenden kälte keine mücken. die hat´s dann wohl wieder morgen früh. wir essen was das zeug hält: eine komplette tagesration verschwindet in unseren hungrigen mägen. besonders gulo´s appetit ist nicht zu stoppen. als er danach tatsächlich noch schokolade auspackt, wird uns übel. glücklicherweise will er sie nur zählen, nicht auch noch essen. endlich ist mir nach anfänglichen problemen doch noch warm geworden. die kombination schlafsack mit komfortbereich bis +3 °c plus lange angoraunterwäsche hat den härtetest eindeutig bestanden und ist durchaus grönlandtauglich.

 

tagesleistung: 12,0 km

koordinaten des kohtenplatzes: 65°56´30´´n, 37°40´33´´w

temperatur (23 uhr): 4,2 °c.

 

 

mittwoch, der 18. 7. 2001

 

am heutigen morgen ist bereits früh um 10 uhr (!) wecken. eigentlich ist das ja noch nicht unsere zeit. da es hier rund um die uhr hell ist. die sonne geht gerade einmal für knapp 2,5 h unter und in der zwischenzeit herrscht schönstes abend-, bzw. morgendämmerungslicht. alle versuche, die bislang mit dem zweck gestartet wurden, wieder zurück in einen normalen zeitablauf zu kommen, sind gescheitert. heute aber wollen wir unsere große wanderung vollenden und in tiniteqilaaq noch zur öffnungszeit des kni - marktes ankommen. so langsam geht uns die verpflegung aus. deshalb die eile. das wetter zeigt sich nicht mehr von seiner besten seite. dicke, graue aber noch hohe wolken bedecken den himmel, lassen uns aber glücklicherweise die sicht auf die uns umgebende fjellandschaft. beeindruckend ist von hier oben das zusammenspiel von wilder berg- und fjordlandschaft. ich wasche mich im kleinen bergsee, ein wenig hygiene muß sein. den mücken scheint dieser entschluß auch zu schmecken wie die vielen frischen stiche nach der waschaktion belegen. überhaupt sind sie hier wieder einmal sehr lästig und wir machen schnell, um loszukommen.

 

wie weit wir uns gestern abend noch verstiegen haben, als wir auf der suche nach einem kohtenplatz der rinne abwärts bis zum see gefolgt waren, das merken wir zu beginn der heutigen letzten etappe. zunächst heißt es für uns wieder aufsteigen, an höhe gewinnen. das steigen geht sehr gut, da es mit zwischenpausen über mehrere plateaus und nicht unglaublich steil verläuft. als wir endlich oben sind, merken wir, daß die route eigentlich auf dem nächsten grat verläuft. von unserem gibt es die möglichkeit, über einen umweg mit schneefeldquerung und anschließender nochmaliger steigung, dorthin zu gelangen. mit einem kraftakt schaffen wir es und sind trotz der kalten temperaturen total verschwitzt. hinter uns her glis, der immer noch mit seiner erkrankung zu kämpfen hat. jetzt ist es für uns einfacher. die route führt über den grat des tinitequilaaq - bergrückens mit wenig höhendifferenz richtung südwest. auf der anderen seite haben wir jetzt auch wieder sicht auf den sermilik oder egede og rothes fjord mit seinen eismassen. hier ist er zwar deutlich freier von kleinen eisschollen, es fallen aber besonders die riesengroßen, steil aus dem eisfjord aufragenden, schwimmenden inseln gleichenden eisberge auf, die tief unter uns im wasser treiben. dann nochmals ein anstieg, unser letzter auf einen pass knapp unterhalb des hausberges von “tini”. wir sind jetzt ca. 350 m hoch. hier haben wir auch noch einige längere schneefeldpassagen vor uns. über schneefelder zu gehen ist eigentlich eine recht einfache angelegenheit. man kommt gut und schnell voran. aufpassen muß man allerdings, wenn das schneefeld eine neigung aufweist, hier kann man leicht wegrutschen und an den rändern der felder, wo es durchaus passieren kann, daß man bis zum knie oder auch tiefer einbricht und sich aus dem loch dann erst wieder mühsam freikämpfen muß. erstaunlich ist auch der effekt des “white out”, der eintritt, wenn ein längeres schneefeld zu queren ist und man genau hinsehen möchte, wo man hintritt: das auge wird auch bei bedecktem himmel so geblendet, daß man einzelheiten nicht mehr wahrnehmen kann. erst eine orientierung in richtung der umgebenden felslandschaft schafft dann wieder klarheit. rast auf der passhöhe. letzte rast. uns ist ein wenig wehmütig zumute. kräfte sammeln für den abstieg. die letzten rationen an schokolade werden gegessen. gulo versucht, schnee zum trinken zu schmelzen. uns wird kalt. wir ziehen weiter. fast auf gleicher höhe bleibend, umrunden wir den 411 m hohen hausberg der kleinen ortschaft und können dann, von weit weit oben, die ersten häuser von tiniteqilaaq erkennen. der abstieg verläuft langsam in mehreren terrassen und zieht sich. die häuser verschwinden für den größten teil der restlichen wanderung wieder hinter irgendwelchen vorbergen.

 

dann sind wir unten und müssen an wild an ihren ketten zerrenden, jaulenden schlittenhunden vorbei und über die örtliche müllkippe den ort betreten. der weg durch den ort ist kurz, viele häuser gibt es hier auch nicht, sie sind nur relativ weit voneinander entfernt, auf den klippen an der landspitze der halbinsel gebaut. davor ein relativ großer, gut geschützt liegender hafen, der von der vorgelagerten insel sarpaq vom großen eisfjord bis auf eine schmale meerenge getrennt ist. die siedlung selber erinnert mit den vielen kleinen bunten, älteren und neueren häusern und hütten an kulusuk, wenngleich tiniteqilaaq insgesamt wohl kleiner zu sein scheint. mittendrin jede menge angekettete schlittenhunde und auf den hauptwegen viele spielende inuitkinder, die uns auf grönländisch freche sprüche hinterherrufen. schön, wenn man das nicht versteht. sowohl die post zwecks rückmeldung in deutschland, als auch der örtliche kni - markt haben geschlossen, es ist erst 16:30 uhr. auf der suche nach einer möglichkeit die kohte aufzustellen, gehen wir in richtung nördliches ortsende zum hubschrauberlandeplatz. an einem niedrigen, neueren, langgestreckten holzhaus sitzt vor dem eingang eine dänin mit drei inuitkindern, eine schar weiterer kinder spielt auf dem platz vor dem haus fußball. wir beschließen zu fragen, ob wir wasser bekommen können und haben, welcher zufall, das gemeinschaftswaschhaus gefunden. hier hat sich derzeit eine gerade angekommene gruppe dänischer touristen eingefunden, die morgen per boot weitertransportiert werden wird. wir bekommen problemlos wasser, sichten für morgen früh duschen (!). außerdem gibt es hier ein münztelefon. leider habe ich die falsche vorwahl für deutschland, so daß ich nicht pati mitteilen kann, daß wir die wildniswanderung unbeschadet überstanden haben. aber sammler schafft es, mette in kulusuk zu erreichen, die von unserem tempo, vereinbart war ein treffen erst am sonntag, ein wenig überrascht ist und mit sammler ausmacht, daß wir morgen nachmittag noch einmal anrufen, dann wisse sie mehr.

 

sammler beschreibt unseren einzug am zielort so:

 

wir stoßen zum gemeindehaus vor, in welchem gerade eine gruppe von dänischen touristen rastet. wir unterhalten uns. man fragt uns nach der route, welche wir gegangen sind und bekommen es schließlich noch geschmeichelt, als ein mann fragt, ob wir dies in einem tagesmarsch gemacht hätten. wir schmunzeln – 115 km querfeldein, über gletscher, durch schnee, reißende flüsse und über etliche abhänge an einem tag?

 

in dem gemeindehaus finden wir ein telefon mit welchem wir mette anrufen. „schon da? alles in ordnung?“, scheinbar haben wir mit 10 tagen einen neuen rekord hingelegt.

 

hinter dem heliport klettern wir die klippen hoch und finden mit ach und krach einen relativ ebenen platz, der so gerade für das aufstellen der kohte ausreicht. noch nie hat sie so schlecht gestanden aber egal, hier oben über “tini” sind wir einerseits aus dem ort raus, andererseits aber so nah am gemeinschaftshaus, daß es nicht zu weit ist, wasser zu holen. nach einem essen aus den vorletzten beständen unserer wanderverpflegung gehen sammler und ich noch einmal spülen und wasser holen. danach ab in die kohte und die schlafsäcke. es ist kalt. ab und an lautes donnergrollen wie von einem gewitter aus den weiten des eisfjords: von den eisbergen platzen eisplatten ab und prasseln ins ruhige meer. früh gehen wir schlafen mit der gewißheit, es jetzt geschafft zu haben.

 

tagesleistung: 8,5 km

koordinaten des kohtenplatzes: 65°53´31´´n, 37°46´51´´w

gesamte wanderleistung querfeldein von kuummiit nach tiniteqilaaq: 114,5 km.

 

 

 

 

donnerstag, der 19. 7. 2001

 

ausruhtag in tiniteqilaaq. der heutige tag ist ganz unserer erholung gewidmet. zunächst schlafen wir lange aus. das ist zum einen nicht schwer, da uns noch die kilometer der letzten tage in den knochen stecken, zum anderen gibt es hier erstaunlicherweise keine mücken und, da der himmel bedeckt ist, werden wir auch nicht frühzeitig durch eine für übermäßige hitzeentwicklung verantwortliche sonne in den schlafsäcken und der kohte geweckt. gegen 11 uhr wecke ich sammler und wir gehen runter ins dorf an den anleger, um zunächst im kni - markt einkaufen zu können. der laden ist, unterteilt in drei bereiche, in einem roten langen holzhaus am hafen untergebracht. in der ersten abteilung finden wir das was uns interessiert: lebensmittel. hinter der theke separat abgeteilt, sind die kasse und kioskartikel. an der wand hängen verschiedene gewehre zum verkauf. das angebot an lebensmitteln ist klein, aber für unsere zwecke ausreichend. sogar milch, brot und äpfel gibt es. in der zweiten abteilung krimskrams vom fernseher über kerzenhalter bis hin zu kitsch. in der dritten abteilung bekleidung. die erwachsenen inuits begegnen uns hier sehr reserviert. vielleicht haben sie mit reisenden schon schlechte erfahrungen gesammelt. auf der gegenüberliegenden post das gleiche spiel, zwar können wir telefonieren, doch die behandlung ist äußerst zurückhaltend. hier bekommen wir dann endlich auch die richtige vorwahl nach deutschland und ich kann mich bei pati von der wanderung zurückmelden. sie freut sich darüber. das wiederum freut mich. voll bepackt ziehen wir wieder zur kohte. oben angelangt, wecken wir die beiden anderen zum frühstück und endlich gibt es mal wieder brot mit margarine und marmelade anstatt angerührten brei. dazu milch. uns hier für den tag zu verpflegen ist echt nicht gerade billig. wir haben eigentlich nicht sehr viel gekauft, sind aber gut 50 euro los geworden. die fahrtenkasse schwindet so zusehends. in kulusuk schienen die preise deutlich billiger zu sein.

 

nach dem frühstück dann die krönung. nach 13 tagen können wir im gemeinschaftshaus zum ersten mal wieder duschen, werden richtig sauber. das wasser ist heiß und wir dürfen so lange duschen, wie wir wollen. nach den wäschen im fjell an eiskalten flüssen und bächen eine echte wohltat. luxus. zurück in der kohte vergammeln wir den tag. dösen, lesen, irgendwann wird mittag gegessen. unterbrochen wird dieses lotterleben zum einen durch die landung eines hubschraubers auf dem heliport direkt unter uns und zum anderen durch den besuch von drei inuitkindern in unserer kohte. sind die erwachsenen inuit hier in “tini” sehr einsilbig, so sind die kinder richtig frech. zumindest, wenn man sie nach unseren maßstäben beurteilt. die drei käsehochs stehen plötzlich in der kohte, kinderhände, die sich durch geschlaufte kohtenbahnen einen weg ins innere suchen. ganz dreist und ohne zu fragen, setzen sich die drei ins zeltinnere und fangen an, untereinander über uns und unsere ausrüstung zu reden. wir versuchen es mit ignorieren, sie flüstern, wir lenken ab, sie bleiben. eigentlich schade, daß man nicht miteinander reden und diese begegnung als chance nutzen kann. draußen startet der heli wieder, das lenkt ab und wir bekommen die kohte wieder frei und gulo macht erst einmal alle luken dicht.

 

sammlers eindruck:

 

unsere kohte schlagen wir am stadtrand in den felsen auf. zwar liegt sie dort recht versteckt, aber dennoch dauert es nicht lange, bis uns die kinder des dorfes entdeckt haben. die sind es gewöhnt, von touristen verwöhnt zu werden. bei einem pärchen, welches einen tag lang unterhalb von uns, am hubschrauberlandeplatz genächtigt hat, dachte ich, die zwei inuitkinder wären deren adoptivkinder, so sind die mit denen umgegangen. wir sind aber keine normalen touristen und haben auch keine süssigkeiten parat, so dauert es nicht lange, bis unser zelt mit steinen beschmissen wird. generell scheinen wir hier nicht gerade sehr willkommen zu sein, im gegensatz zu kulusuk werden wir stets kritisch beäugt, selten nur wird einem freundlichkeit und respekt erwidert. sowas hemmt natürlich die erkundungslust, schade, da hätten wir eigentlich auch länger im fjell bleiben können.

 

am späteren nachmittag ziehen sammler und ich, mit den fotoapparaten bestückt, ein wenig über die oberhalb des ortes liegenden klippen. dabei bemerken wir, daß wir nicht allzu fern vom alten dorffriedhof hier oben die kohte aufgeschlagen haben. nun ja, ein richtiger friedhof ist es ja eigentlich auch gar nicht, eher ein wirres gräberfeld mit weißen, von der sonne ausgebleichten schiefen holzkreuzen. anscheinend hat man früher die toten hier oben hoch über den dächern von “tini” bestattet, wo platz war zwischen den felsen. keine inschriften, bis bei einem recht aufwendig gestalteten kreuz, die gräber bedeckt mit losen steinen. keine 20 m weiter 2 aufgeplatzte müllsäcke, bierdosen und glasscherben gibt es hier sowieso überall, und ein verlassenes fischernetz. unglaublich, daß es hier keine möglichkeit gibt, ordentlich mit müll umzugehen. sammlers versuch, heute nochmals bei michael in kulusuk anzurufen mißlingt. die post hat bereits geschlossen und das münztelefon im gemeinschaftshaus ist, weil ebenfalls geschlossen, auch nicht zugänglich. so verschieben wir den fälligen anruf halt auf morgen früh. zum abendessen gibt es sündhaft teures dosenrisotto mit fleisch und pilzen. leider gibt es keine möglichkeit, hier an frische sachen zu kommen. prima, das zeug brennt direkt an. ist der benzinkocher von michael für das kochen von wasser aufgrund der hohen brennleistung allerbestens geeignet, ist das sanfte erwärmen von speisen nicht seine beste disziplin. nach dem essen liegt der fjord im abendsonnenlicht mit seinem vielen eis wieder so malerisch vor uns, daß sammler noch einmal mit seiner kamera los muß. ich zögere zunächst, entschließe mich dann aber aufgrund der kühlen außentemperaturen doch das wenig wärmere innere der kohte aufzusuchen, mich schlaffertig zu machen und in den schlafsack zu verziehen. das niveau der mannschaft ist heute nicht besonders hoch.  hoffentlich haben wir in der kommenden woche noch viel zu tun und zu sehen. langeweile in der mannschaft wäre tödlich für den geist der grönlandfahrt.

 

die umstellung vom freien, wilden und kraftvollen leben auf der wanderung, das eigenverantwortlich und ohne hilfestellung von außen ablaufen konnte, zurück zu einem leben am rande der zivilisation mit einkaufs- und kommunikationsmöglichkeiten und ohne die anforderungen an die gruppe und jeden einzelnen weiter zu müssen, dieser einsamkeit widerstehen zu können und in und mit ihr in einklang leben zu können, ist hart. zwar befinden wir uns noch immer auf fahrt, es gelten weiter unsere regeln, die das zusammenleben gestalten, aber der höhepunkt ist zweifelsohne vorbei. wir sind hier in tini zunächst einmal gestrandet, müssen warten, wie es weiter geht, sind nicht mehr gänzlich unser eigener herr, abhängig vom dorf und der gutwilligkeit seiner bewohner. das fängt schon bei so kleinigkeiten an wie wasser holen und waschen. draußen im fjell konnten wir uns im nächsten bach einfach bedienen, hier müssen wir alles erfragen und erbitten, fühlen uns ein wenig als eindringlinge in das inuit-leben, in den alltag der bevölkerung.

 

temperatur (22 uhr): 5,2 °c.

 

 

freitag, der 20. 7. 2001

 

zwei wochen sind wir nun schon unterwegs und heute geht das abenteuer in die dritte und letzte woche. und es ist zunächst gar nicht mehr abenteuerlich. die nacht empfinde ich als eiskalt. egal was ich mache, ich friere dennoch. mein normales nachtzeug ist die lange unterwäsche aus angora, ergänzt um das schlaf - t - shirt. seit heute abend habe ich im schlafsack zusätzlich noch den pullover an. trotzdem friere ich noch, mache alle luken dicht und atme in den schlafsack hinein. normalerweise sollte jetzt eigentlich gut sein, bislang hat diese letzte maßnahme immer dazu geführt, anständige temperaturen im inneren des schlafsacks aufrecht zu erhalten. doch diesmal: fehlanzeige, ich friere immer noch und durch den feuchten atem wird alles zusätzlich auch noch klamm. als letztes ziehe ich mir noch die kluft über und ärgere mich über den schweißgestank, den sie verbreitet. aber: immer noch frieren. das kommt davon, wenn man  tagsüber nicht anständig gearbeitet und den körper auf touren gebracht hat. ich hoffe auf die sonne. gegen 6 uhr haben wir knapp über 3 °c außentemperatur, die kohteninnenwände sind taufeucht. mit zunehmender tageszeit steigen dann auch tatsächlich die temperaturen an und ich kann am stück weiterschlafen, ohne vor kälte ständig wieder wach zu werden. am späten vormittag kaufen sammler und gulo für den tag ein und sammler telefoniert nochmals mit kulusuk, aber nur line ist zu hause. wir werden also nochmals anrufen müssen. zum frühstück wieder brot und milch, danach beschäftigen wir uns mit lesen, dösen, gammeln. der geruch in der kohte war auch schon einmal besser. sammler und ich gehen gegen mittag noch einmal hinunter in den ort, vom postamt aus können wir endlich mit mette nielsen telefonieren und wissen danach, daß wir hier tatsächlich bis zum sonntag festhängen. erst dann kann uns jemand abholen mit dem boot und nach einer tour über den sermilik zurück nach kulusuk bringen. anschließend ziehen wir noch ein wenig durch “tini” und machen fotos.

 

sammler über ein erlebnis mit den einheimischen:

 

bei einem meiner ausflüge habe ich eine lustige begegnung mit ein paar angeheiterten inuits.

als ich gerade in den felsen am rumkrakseln bin, ruft plötzlich irgendwer von der wiese hinter dem heliport her. dort liegen ein paar inuits im gras, ein mann winkt mir, natürlich erwieder ich. aber er scheint mich weniger zu grüßen, als zu wollen, dass ich mal zu ihm runter komme - meint er wirklich mich, na ja hier ist ja sonst keiner. ich setz mich also in bewegung.

 

dort sitzt also der mann, eine schwerere, schon gut volle inuitfrau und eine weniger kräftige mit ihrem kind. alle drei scheinen schon einen im tee zu haben. wir fangen an, uns zu unterhalten. dänisch spricht er kaum, nur was englisch. er fragt woher und wohin, wie lange wir bleiben wollen und wie es mir hier gefällt. der inuitmann heißt heinrich, scheint jedenfalls so, die frauen haben namen, die ich nicht aussprechen kann, was natürlich recht lustig ist. aber auch mein name muss erst mal in fredeii umgewandelt werden, bevor er ausgesprochen werden kann. die dicke ist mittlerweile drisskranatenvoll und checkt gar nichts mehr, das meint auch heinrich. sie lallt ständig irgendwelche sätze auf ostgrönländisch, mit meinem namen drin. ich find das lustig. irgendwann gehe ich dann auch wieder, verabschiede mich und wir winken uns noch ein paar mal nach, als ich wieder in den felsen bin.

 

nach dieser begegnung denke ich noch etwas nach: vielleicht werden wir hier gar nicht so ablehnend betrachtet. immerhin sind wir hier in einer völlig fremden kultur und fallen sehr auf. ich denke mal, dass so etwas uns schon mit der erwartung misstrauisch beäugt zu werden bestückt. vielleicht verhalten sich die leute in europa ebenfalls so, nur wir nehmen es dann ganz anders wahr. andererseits, in einem so kleinen ort bekommt man die einstellung der bewohner viel intensiver mit und wo beschmeißen einem die kinder schon das zelt mit steinen?!

 

die einheimische bevölkerung scheint hier genauso auf etwas zu warten wie wir, mit dem unterschied, daß wir nur auf der durchreise sind. die armut der familien hier ist offensichtlich. zwar ist der gesamteindruck des dörfchens mit seinen bunten holzhäusern und hütten auf den ersten blick pittoresk, auf den zweiten blick jedoch zeigt sich die agonie des lebens unter diesen harten äußeren bedingungen. müll, der achtlos im dorf verteilt auf dem boden liegt, abblätternde farbe an holzwänden, keine geschäftigkeit auf den straßen. nur die vielen kinder sind hier immer präsent und bringen leben in die ortschaft. ob sie eine chance in ihrer zukunft haben werden?

 

die modernisierungspolitik der dänischen regierung und der grönländischen selbstverwaltung innerhalb der letzten 50 jahre, so übereinstimmend aktuelle publikationen über das land,  hat zu gewaltigen veränderungen innerhalb der bis dahin traditionell lebenden und arbeitenden bevölkerungsstruktur der grönländischen ureinwohner geführt. grönland ist inzwischen durchaus eine moderne gesellschaft. auch die siedlungsstruktur ist längst nicht mehr die gleiche wie früher: lebte in der vergangenheit die gesamte inuit-bevölkerung nomadisierend als jäger und sammler über das land verstreut in kleinen und kleinsten wechselnden siedlungen, so wohnen mittlerweile über 80 % der grönländer in den städten, wobei bei der größe der städte nicht mitteleuropäische maßstäbe zugrundegelegt werden dürfen. in den siedlungszentren gibt es moderne gymnasien, fachhochschulen und seit einigen jahren auch eine kleine universität in der hauptstadt nuuk. eine dorfschule mit fast ausschließlich dänischen fachkräften, findet sich in jeder kleinen siedlung. außerdem verfügt das land heute über ein gut ausgebautes gesundheitswesen, auch von dänischem personal getragen. das telekommunikationsnetz ist eines der modernsten weltweit. in 8 der 18 grönländischen städte gibt es einen flughafen, weitere sollen folgen. fortbewegungsmittel ist nicht mehr das kajak, sondern das speedboot. in fast jedem grönländischen haushalt gibt es jetzt tv, video und stereoanlage.

 

der arbeitsmarkt entspricht längst nicht mehr dem einer traditionell lebenden nomadengesellschaft. die meisten grönländischen arbeitnehmer sind angestellte im öffentlichen dienst, worunter auch die post, die kni-läden, usw. fallen. uns fällt auf, daß rationalisierung und effektive arbeit, wie wir es aus europa gewohnt sind, hier fremdworte sind. hier geht es nicht darum, möglichst viel arbeit durch möglichst wenige beschäftigte in möglichst kurzer zeit zu bewältigen, sondern möglichst viele menschen überhaupt in lohn und brot und damit weg von der direkten abhängigkeit vom dänischen staat, in form von sozialhilfe zu bekommen. indirekt lebt hier aber fast jeder auf kosten des dänischen staats. immerhin gibt es noch wenige berufsmäßige jäger und fänger, wenngleich die meisten auf zusätzliche einkünfte angewiesen sind, um ihren lebensunterhalt bestreiten zu können.

 

trotzdem ist grönland heute nur beinahe eine moderne gesellschaft. in entlegeneren gebieten, besonders auch in ostgrönland, behalten trotz satellitenfernsehen und snowmobil traditionelle lebens- und arbeitsweisen die oberhand. hier hat die jagd noch entscheidende bedeutung als ernährungs- und erwerbsquelle der meisten familien. erhalten hat sich in gewissem umfang auch die tradition, den sommer an einem anderen wohnplatz zu verbringen als den winter: nach wie vor zieht eine ganze reihe von familien dann in gute fanggebiete außerhalb der städte und siedlungen und lebt im zelt, um vorräte für den winter zu fangen und zu jagen.

 

gerade dieser paradoxe spannnungsbogen zwischen tradition und moderne der alten inuit-kultur macht ostgrönland für uns auf unserer fahrt so interessant. verantwortlich ist er aber ebenso für die klassischen probleme der grönländischen gesellschaft:

 

·     grönlands selbstmordrate ist die höchste der welt. betroffen sind vor allem junge männer. ein phänomen, das von der wissenschaft ursächlich auf den verlust des besonderen status der männer in der grönländischen bevölkerung als jäger und damit ernährer der familien zurückgeführt wird.

·     alkoholismus ist in der grönländischen bevölkerung weit verbreitet, vor allem unter jugendlichen. gründe hierfür sind u.a. fehlende arbeitsplätze, die die moderne industriegesellschaft nicht für alle bewohner in ausreichendem maße bereitstellen kann. auch wir werden ein paar mal zeuge exzessiven alkoholgenusses bei einigen inuit.

·     gewaltkriminalität. bezieht man sie auf die bevölkerungszahl ist sie vergleichbar mit der von washington d.c. . auch hier spiegeln sich die drastischen veränderungen innerhalb der gesellschaftsstruktur wieder.

·     (jugend)arbeitslosigkeit. eines der größten aktuellen probleme im modernen grönland ist die hohe arbeitslosenrate. darunter zu leiden haben direkt oder indirekt vor allem kinder und jugendliche.

·     umweltverschmutzung. das traditionelle leben der inuit von und mit der sie umgebenden umwelt war stets auf eine symbiose und einen dadurch entstehenden natürlichen schutz der natur abgestellt. das moderne heutige leben bringt jedoch auch die moderne problematik der umweltverschmutzung mit sich, sei es die der meere oder die errichtung von großen mülldeponien, angefüllt mit zivilisationsmüll, die die landschaft verschandeln und vergiften.

·     tourismus - segen oder fluch? zum einen bietet der aufkommende und stärker werdende grönlandtourismus neue arbeitsplätze und somit geld für die leute. auf der anderen seite trägt er in wesentlichem maße zu weitere umweltzerstörung und verwässerung der ursprünglich inuit-kultur bei.

 

zurück in der kohte mittagessen und danach ein längeres verdauungsschläfchen. das buch mit den eskimomärchen, daß ich den ganzen weg von kuummiit bis hierhin mit mir getragen habe, macht die runde. die märchen sind eigenartig, haben keinen richtigen anfang, keine richtige handlung und kein richtiges ende und zum großen teil drehen sie sich um hexerei, mord und todschlag und sexuelle handlungen mit menschen, geistern und tieren in menschengestalt. sehr eigen!

 

das wetter kann sich auch nicht so recht entscheiden. war es gegen mittag richtig “heiß”, zieht es sich später zu und aus den grauen wolken fallen sogar einige regentropfen. nicht viel, aber vorsorglich machen wir dann doch das innere der kohte regendicht und spannen noch einmal nach. dank des innenteleskopgestänges, das wir wegen fehlender bäume und kohtenstangen hierhin mitgenommen haben, ist das recht einfach zu bewerkstelligen und niemand muß den fuß vor die tür setzen. von essen zu essen. am abend kochen wir wieder. glücklicherweise hat uns michael genügend sprit mitgegeben, so daß eine warme mahlzeit am tag kein problem ist. draußen wird es langsam dunkel, erneut zieht dichtere bewölkung auf und wenige tropfen fallen. gulo und sammler gehen nochmals runter zum meer. ich freue mich, aufs morgige erneute duschen und darauf, daß wir versuchen werden, unsere gesamten dreckigen klamotten im gemeinschaftshaus per maschine zu waschen und zu trocknen. hoffentlich klappt das und hoffentlich ist die nacht nicht so kalt....

 

temperatur (21:30 uhr): 5,8 °c.

 

 

samstag, der 21. 7. 2001

 

auch über diesen tag, hoch über tiniteqilaaq in der kohte, gibt es nicht allzuviel zu berichten. wie die tage zuvor schlafen wir am vormittag recht lange aus. anscheinend haben wir uns während der schnellen wanderung ziemlich verausgabt und enormen nachholbedarf. die nacht war glücklicherweise wärmer als die vorherige, so daß ich zwar ab und zu leicht fröstelte, aber nicht frieren mußte. gulo und glis kaufen nach dem aufstehen im kni - markt für das wochenende ein. dabei schaffen sie es aber nicht, waschmittel für unsere schmutzige wäsche, die wir ja heute reinigen möchten, zu besorgen, sondern kommen mit weichspülerkonzentrat an. zumindest riecht der frischer als unser schmutziges zeug. dann, nach dem frühstück, die enttäuschung des heutigen tages: weder das waschen der sachen ist uns möglich, noch das erneute duschen, da das gemeinschaftshaus heute geschlossen ist. komisches volk! auch die post hat zu, so daß ich für die postkarten keine briefmarken bekommen kann. na ja, schreib´ ich die karten halt schon mal, dann hab´ ich das hinter mir. danach dösen und warten auf das nächste essen. vor allem für gulo ist das immer sehr schwierig und seine ständige fragerei nach essen und der nächsten mahlzeit kann dem rest der mannschaft schon ganz schön auf die nerven gehen. überhaupt nerven wir uns heute gegenseitig ziemlich an. langsam wird das warten hier langweilig, ja unerträglich. wir können nicht mehr auf unseren isomatten liegen und ständig eskimomärchen lesen. das wird bei den wirren geschichten irgendwann auch öde. den ort und seine umgebung haben wir nun auch schon mehrfach erkundet.

 

so ist die stimmung in der kohte nicht unbedingt die beste, was in gewisser weise auch auf die minimalbesetzung dieser fahrtengruppe mit nur vier fahrern zurückzuführen ist. das war in lappland 1999 mit 8 juschkenbewohnern und größerer diversität der persönlichkeiten deutlich besser. trotzdem, es wird zeit, morgen von hier fort zu kommen und wieder etwas anderes zu sehen. am abend mache ich dann noch einmal alleine eine fototour den strand, bzw. die klippen hoch und runter. in der tiefstehenden abendsonne hat es mir besonders ein tiefblauer eisberg mit größtenteils transparentem eis angetan, der nicht allzuweit von der küste entfernt im sermilik schwimmt. doch was ich auch versuche, irgendwie schaffe ich es nicht, ihn anständig auf film zu bannen. entweder ist er zu weit weg, ein vordergrund fehlt, die sonne steht falsch, oder, oder, oder. nach einer weile gebe ich´s auf und zurück bei der kohte kochen wir wie vorgestern wieder risotto mit fleisch und pilzen aus der dose. das zeug brennt immer an und die jungs, die mit spüldienst dran sind, haben richtig etwas zu tun. dabei haben sie aber auch einen einmaligen ausblick, denn der fjord in abendstimmung, gerade geht auf der gegenüberliegenden seite des eisfjords hinter fjellgipfeln die rotgoldene sonne unter, ist einfach unbeschreiblich schön. außerdem dürfen wir noch ein naturschauspiel beobachten: ein recht nah an der küste direkt unter uns gelegener mittelgroßer eisberg birst auf einmal unvermutet auseinander und mit einem lauten donnerschlag brechen seine zwei hälften ins wasser und drehen sich so lange, bis sie einen neuen schwerpunkt gefunden haben. die wellen, die dieser dreher verursacht, sind recht hoch. mittlerweile ist es wieder kalt geworden und ich bin froh, mich endlich wieder in den schlafsack begeben zu dürfen. nicht nur wegen der kälte wird es eine recht ungemütliche nacht.

 

 

sonntag, der 22. 7. 2001

 

abendstimmung am hafen. die sonne ist hinter den häusern von tiniteqilaaq verschwunden, der himmel strahlt aber noch blau mit weißen schleierwolken. im hintergrund summt der dieselbetriebene stromgenerator des ortes monoton. immer wieder leichte, eiskalte luftströmungen im gesicht. das fjell auf der der hafenbucht gegenüber liegenden ammassalik ø liegt noch im sonnenschein. es riecht frisch und nach meer. so liegen wir hier im kleinen hafen von tiniteqilaaq unweit des schonerkais im windschatten eines roten lagergebäudes auf europaletten, die wir zu einem großen quadrat ausgelegt haben. darauf ponchos, darüber eine lage kohtenblätter, dann die isomatten. zwei weitere kohtenblätter werden zum zusätzlichen abdecken der schlafsäcke dienen. ich schreibe in schal, mütze und mit einem handschuh, meine schreibhand wird dabei ganz schön kalt. hier werden wir, unter grönlands freiem himmel, die nacht zubringen müssen. das ist fahrt, man weiß halt am morgen nie, wo es einen am abend hin verschlägt. doch wie kommt es zu diesem ungewöhnlichen nachtlager? von vorne.

 

meine nacht war tatsächlich richtig ungemütlich. irgendwas muß mit dem risotto gestern abend nicht gestimmt haben. ich wache mehrfach auf und habe, ungewöhnlich für mich, das gefühl, mich übergeben zu müssen. beim gedanken an das gestrige essen wird mir kotzübel. schnell raus aus der kohte, was wegen der schlaufen gar nicht mal so einfach geht. zum glück geht es meinem magen besser, als ich meinen durchfall los bin, so kann ich wieder ins zelt und unbequem weiterschlafen. ein paar stunden später das gleiche spielchen von vorne. so, jetzt reichts. im apothekertäschchen finde ich entsprechende abhilfe und die schlägt auch so gut an, daß ich den ganzen folgenden tag zwar darauf verzichte zu essen, aber vom magen-darm-trakt keine neuen beschwerden mehr ausgehen. daß mir irgendetwas in den knochen steckt erkenne ich daran, daß ich heute total kraftlos bin und außerdem noch leichtes dauerkopfweh habe.

 

der abbau der kohte hoch über tini geht schnell und wir durchschreiten gegen mittag den ort mit der gewißheit, nach der langen zeit, die wir hier verbracht haben, heute endlich weg zu kommen. die stimmung in der mannschaft ist dementsprechend gut. das wetter ist, nach frühnebel bestens. der eisfjord im nebel ist wieder ein exzellentes naturschauspiel. an windstillen orten ist es nahezu heiß zu nennen. unten am hafen haben wir nun zeit genug, die inuit mit ihren booten herein- und herausfahren zu sehen, karten zu spielen, zu lesen, kurz, uns die zeit zu vertreiben. die wird uns recht lang, denn die sonne wandert, die schatten werden länger, aus ebbe wird flut, nur das boot, das uns zurück nach kulusuk bringen soll, will nicht kommen. ausgemacht war mit michael, daß uns hier heute nachmittag jemand aufpickt, der von kuummiit kommend, mit uns noch durch die eiswelt des sermilik fjordes fahren sollte und uns danach nach kulusuk zurückbringt. solange wir auch warten und so viele boote auch aus richtung kuummiit in den hafen einlaufen, unser boot ist nicht dabei. wir hören über radio von viel eis in tasiilaq, über kulusuk weiß man hier nichts, aber da wir die tückische eissituation im hafen von kulusuk ja bereits selber kennengelernt haben, halten wir diese einschätzung der lage für die plausibelste erklärung unseres versetztwerdens. die post und das gemeinschaftshaus mit münztelefon sind am heutigen sonntag zu, so daß wir nicht mit michael telefonieren können.

 

das warten zermürbt auch sammler:

 

ab und zu kommen vereinzelte gruppen aus dem ort, um uns beim warten zuzuschauen. besonders die männer und kinder sind an unserem kartenspiel interessiert. die menschen hier scheinen nun viel aufgeschlossener zu sein, sie haben wohl gemerkt, dass wir nicht nur gaffende touristen sind.

 

 also kochen wir zunächst einmal und bauen uns dann das schon beschriebene nachtlager im hafen von tini. es werden noch wachen eingeteilt. ab 22 uhr jeder 2 h. ich bekomme die letzte wache. glück gehabt, da kann ich wenigstens durchschlafen. dann geht´s in die nacht. mal sehen wie das funktioniert.

 

 

montag, der 23. 7. 2001

 

schlafen kann ich, trotz der umstände, überraschend gut, bequem und vor allem warm. die zusätzliche kohtenplane, mit der wir uns zudecken, bringt die notwendige restwärme auf, die meinem schlafsack ohne zelt fehlt. nur ein wenig kopfweh habe ich noch. als glis mich gegen 4 uhr zur wache weckt, sind es 3,2 °c. kurz nach dem wachwechsel kommt in den hafen von tiniteqilaq gerade ein solches boot eingelaufen, wie es uns auch nach kuummiit gebracht hatte. wie sich später herausstellen sollte, handelt es sich dabei tatsächlich um unser boot. unser bootsführer läßt uns am kai aber in ruhe, ohne zu uns zu kommen, verzieht sich in den ort und für eine recht lange zeit sehen wir ihn nicht wieder. dann geht über der hügelkuppe im nordosten des dörfchens die sonne auf und recht schlagartig ändern sich die temperaturverhältnisse für uns. war es zuvor außerhalb von schlafsack und kohtenblatt recht kalt, wird es jetzt zwar nicht angenehm warm, aber aushaltbar. ich halte unser nachtlager für die nachwelt auf film fest und kämpfe mich weiter durch die wache, indem ich das unbeschreibliche fjell der dem hafen gegenüber liegenden angmassalik ø im frühen morgenlicht betrachte, der ebbe beim kommen zusehe und karten studiere. um 6 uhr heißt es dann wecken. wir packen schnell zusammen und bringen alles in seinen urzustand zurück. damit beginnt also der zweite tag des wartens im hafen von tiniteqilaq. aus unseren vorräten kommt der letzte brei als erstes frühstück. danach geht es so weiter, wie der letzte tag geendet hat: warten, karten spielen, warten,... mit einigen unterschieden jedoch: 1. die sonne steht jetzt an einem wolkenlosen himmel, daß man sich prima sonnen kann. es wird mit der zeit fast unerträglich warm, gleichzeitig kondensiert noch der atem (!). 2. gegen 8 uhr öffnet die post, hier kann ich die postkarten nach deutschland aufgeben und nochmals mit pati telefonieren. 3. ab 9 uhr hat der kni - markt geöffnet, so daß wir einkaufen und zum zweiten mal frühstücken können. im markt und später beim gemeinsamen warten auf unsere boote treffen wir auf den grönlanderfahrenen leiter einer englischen schülergruppe, die zum größten teil unserer route gefolgt ist und die wir noch zu beginn unserer wanderung beim gletscherklettern im tal des tasiilap kuua gesehen hatten. er hat per satellitentelefon herausgefunden, daß der angmassalik - fjord recht voll mit eis ist, also das gleiche, was wir ja auch schon gestern gehört hatten und daß es evtl. deshalb erst so spät mit unserem boot geklappt hat.

 

 

 

 

sammler über die freundlichkeit der inuits:

 

am morgen bittet uns ein arbeiter des kni-marktes, das feld zu räumen, damit er mit seinem gabelstapler ans lager kommt. alles sehr freundlich. er bittet uns ebenfalls, in sein haus zu kommen und dort zu frühstücken. hier zeigt sich die herzlichkeit und gastfreundlichkeit der arktis. so tut es uns besonders leid, dankend abzusagen, wir wissen ja nicht, wann unser boot letztendlich fährt.

 

weiter warten wir. im ort herrscht nun “hochbetrieb”, der auch an uns nicht spurlos vorübergeht: wir sitzen etwa 50 m vom kni-laden entfernt an einem lagerhaus mitten im hafen von tini. alle 5 minuten kommen nun an diesem vormittag zwei inuit mit ihrem vierrädrigen motorrad mit grobstollenbereifung und kleiner ladefläche vom kni-markt die paar meter herunter zu uns gefahren, um den lagerraum aufzuschließen, irgend eine kleinigkeit, wie etwa zwei apfeltüten, eine palette bier oder einen sechserpack cola herauszuholen, auf die ladefläche zu stellen und dann mit diesem schatz zurück zum laden zu fahren. anscheinend füllen sie so die dortigen bestände auf. aber anstatt gezielt und geplant größere mengen aus dem lagerhaus zu entnehmen, wird die ware immer in kleinen teilchargen verfrachtet. was gerade im laden ausgegangen ist, wird in kleinsten mengen aufgestockt, auch wenn man eine halbe stunde später erneut das gleiche holen muß. dabei sind die inuits uns gegenüber sehr freundlich, mittlerweile sind wir hier im ort ja auch bekannt und man sieht, daß sie ihre arbeit mit stolz erfüllt, sie diese sehr wichtig nehmen und auch gewissenhaft ausführen. kein wunder, bei der hohen arbeitslosenquote im land.

 

mit einem mal steht michael unten am hafen. er hat hier, unweit von tini ein basislager mit drei touristen zu betreuen. rasmus ist auch dabei. da ihr kochereinsatz kaputt gegangen ist und sie die letzten tage nur auf feuer kochen konnten, was aufgrund fehlender vegetation hier oben recht schwierig, wenn nicht sogar unmöglich ist, möchte er das an uns ausgeliehene pendant übernehmen. außerdem hat er wohl in einem früheren basislager mit der selben gruppe eine tasche mit gletscherausrüstung verloren, entweder am platz selber oder sogar am strand unterhalb der flutlinie. er bittet uns darum, nach diesen gegenständen zu suchen, wenn wir nachher nach kulusuk fahren sollten. während des gesprächs taucht dann auch unser einheimischer bootsführer ben auf. er fachsimpelt zusammen mit michael, über der karte sitzend, über den genauen punkt der suchaktion. außerdem soll uns rasmus zurück nach kulusuk begleiten, der ja mit im lager war und so die genaue position ausfindig machen kann. von einer fahrt zum sermilik, wie ursprünglich vereinbart, ist gar nicht mehr die rede, das wäre jetzt auch ein riesig großer umweg, es ist schon spät und wir haben eigentlich nur das ziel, möglichst schnell kulusuk zu erreichen. bis zur abfahrt dauert es aber noch ein wenig, ben trinkt noch einen kaffee und muß noch benzin organisieren. gegen 14 uhr, wir warten mittlerweile 25 h im hafen, geht es dann langsam los. wir laden die rucksäcke ein, rasmus verabschiedet sich tränenreich von michael, ben kommt endlich und ab geht´s. am anfang durch den langgestreckten ikaasatsivaq - fjord ist die eher sehr schnelle fahrt noch ein großer spaß. hier erleben wir auch, wie ben das angenehme mit dem nützlichen zu verbinden weiß und nahe am ufer plötzlich den motor stoppt. er und rasmus ziehen ein zwischen zwei plastikflaschen gespanntes treibnetz aus dem wasser, zwei fische haben sich hier verfangen und werden in einer plastiktüte im boot als willkommene zugabe zum nächsten essen verstaut. das netz wird für den nächsten besuch wieder sorgfältig ausgelegt. vorsicht, nur nicht mit der schraube des außenborders über das netz fahren. dann geht es rasant weiter.

 

mit der zeit kühlt man auf dem offenen boot trotz aller möglicher angezogener sachen (t-shirt, kluft, pullover, juja, mütze, schal, handschuhe, lange u-wäsche, ¾ lederhose) komplett aus, das ist der berühmte wind-chill-faktor. die kleinen kabbeligen wellen, bei denen das boot hart aufschlägt, dienen auch nicht gerade dazu, die fahrt als angenehm zu empfinden. glis und gulo sitzen zusammen mit rasmus in der gedeckten kajüte, gedrängt auf unseren rucksäcken. ben steht am steuer, sammler als alter seefahrer daneben, ich entweder dahinter oder aber neben den treibstofftank gekauert am heck des bootes. so bin ich dem fahrtwind am stärksten ausgeliefert. weiter auf dem angmassalik - fjord. entgegen unserer ersten fahrt nach kuummiit ist er heute voll mit eis, ständig muß ben irgendwelchen schollen und bergen ausweichen. vorbei an kuummiit, wo die wanderung begann. lustig nochmals den startpunkt unseres abenteuers zu sehen. dann in den qingertivaq - fjord, durch ihn hindurch, fast bis zum ende, hier soll, an einer landspitze, möglicherweise, das verlorene material von michael liegen. als wir halten bin ich schon steif gefroren. auch die bewegung, die wir uns jetzt verschaffen können, reicht zu einer erneuten erwärmung der extremitäten nicht aus. es bleibt eisig kalt. rasmus findet am eigentlichen lagerplatz nichts und die damalige verladestelle am strand liegt nun unterhalb der wasserlinie im  von gletscherflußeinträgen getrübten wasser. einige sondierungsversuche mit einer stange bringen auch nichts mehr zu tage. unverrichteter dinge müssen wir aufgeben, den ganzen weg nach kuummiit zurück fahren und dann endlich kurs auf kulusuk setzen. war mir vorher schon kalt, erstarre ich nun langsam zu einem eisblock. ich tröste mich mit dem gedanken, daß wir umso schneller in kulusuk sind, je schneller ben fährt.

 

bei der bootsfahrt ist sammler wieder in seinem element:

 

die fahrt mit dem boot ist, neben der gescheiterten suchaktion nach michaels sachen, wunderbar. wir sind leichter als beim hinfahren und können richtig stoff geben. einige halten das zwar für nicht ganz so interessant und schlafen ein, aber ich bin ganz aus dem häuschen. es geht im slalom zwischen den eisbergen her. ben will es uns zeigen und rast wie ein wilder hengst, ab und zu ecken wir mit der schraube an und wenn es mal eng wird, schiebt er die eisschollen einfach mit dem boot weg. die gischt schlägt über den bug. ramses, ben und ich stehen im heck und bekommen eine ladung nach der anderen ab. so muss es sein. ben grinst zu mir rüber, wir zwei stehen wie die kleinen kinder da und haben spass. ben, weil er denkt, dass er’s mir beweisen muss, ich weil er immer rasanter fährt. auch ramses scheint seine freude zu haben. von glis und gulo ist nicht so viel zu hören.

 

das eis im angmagssalik - fjord macht uns große probleme, wir müssen zickzack fahren, manchmal geht es gar nicht weiter, dann rammt ben sacht eine scholle und verschafft sich per motorkraft zugang zur nächsten offenen wasserstelle. so geht es weiter, immer weiter, bis wir endlich vom angmagssalik - fjord in südöstlicher richtung abbiegen und kurs auf kulusuk über die bucht tunu nehmen. hier wird die eissituation noch kritischer, vollgasfahren ist gar nicht mehr möglich, immer wieder kollidieren wir in heftigen stößen mit eis und werden durchgerüttelt. die bootswand ist nur millimeterdick.

 

dann endlich in der ferne und im licht der späten abendsonne, die bunten häuser von kulusuk. wir landen am kai. ich schaffe es kaum, die rucksäcke auszuladen. keine koordination mehr über hände und füße. dann sind wir unsicher, ob wir für diese fahrt bezahlen müssen. michael hatte uns vor der wanderung einen freien transport angeboten, ist aber jetzt nicht da und wir möchten nicht unhöflich mit unseren sachen nach einer verabschiedung einfach so weggehen, ohne diesen punkt bei ben angesprochen zu haben. am ende bieten wir ben also eine bezahlung an und einigen uns auf 500 dkr, ein fairer preis für diese stundenlange eisfahrt. schnell zu nielsens nach hause. mette versorgt uns freundlicherweise für die heutige nacht mit unterkunft in ihrem neuen haus, das sie mit ihrer familie im august beziehen will und stellt für heißes wasser extra die heizung an. außer uns ist noch eine dänische  gruppe für die nacht hier einquartiert. nach dem einrichten gehen wir dann noch zu mette auf einen herrlichen tee vorbei und erzählen ein wenig von unserer wanderung und den erlebnissen und eindrücken. zwischendurch meldet sich michael per telefon mitten aus dem fjell. seinen funkspruch mit dem gerät, das er dabei hat, wird von der radiostation in tasiilaq aufgefangen und als telefonanruf im örtlichen netz weitergeleitet. dann endgültig zurück zu unserem nachtlager. hier essen wir erst einmal zu abend. ich nutze noch das köstliche angebot einer heißen dusche, während sich die anderen so dreckig wie sie sind, ohne auch nur den kleinen finger unter wasser zu halten, in die schlafsäcke verziehen. als ich wieder da bin, mache ich daraufhin gezielte bemerkungen und bin ein wenig mißmutig über soviel mangelnde hygiene auf fahrt. meine kommentare, die allerdings auch nicht sonderlich höflich daherkommen, werden mißmutig ablehnend aufgenommen. ich verbreite schlechte stimmung. naja, zumindest verbreite ich keine schlechte luft mehr im gegensatz zum rest der mannschaft, die das allerdings ein wenig anders sieht. zumindest putzt man sich noch die zähne. ich weiß auch nicht, manchmal reagiert die mannschaft doch sehr komisch.

 

 

dienstag, der 24. 7. 2001

 

ein neuer tag, strahlend wie der letzte. während auf dem flur und in den anderen räumen von nielsens neuem haus bereits die teilnehmer der dänischen expedition relativ laut auf und ab rennen und ihre ausrüstung umpacken und lebensmittel rationieren, drehen wir uns nochmals in den schlafsäcken um. irgendwann geht es aber dann auch für uns los. glis und gulo nehmen die segnungen der modernen zivilisation in form einer heißen dusche in anspruch. ich gehe mit sammler zum kni - markt herunter einkaufen. unterwegs treffen wir mette, die uns mitteilt, daß wir in unsere alte hütte vom beginn der reise umziehen können. im kni - markt kaufen wir für den tag ein und zurück in unserem gestrigen domizil packen wir zusammen und frühstücken. danach umzug durch den ort.

 

wir finden kulusuk sowohl von der schönheit der lage an der idyllischen eismeerbucht, als auch von den begegnungen der inuit her deutlich angenehmer als tiniteqilaaq. hier sind die menschen uns gegenüber freundlich und hilfsbereit und die kinder nicht aufdringlich. es läßt sich wirklich gut für uns an. sammler und ich packen sämtliche dreckigen klamotten unserer fahrtengruppe, schlendern ins gemeinschaftshaus und man hilft uns bereitwillig und ungefragt bei der einstellung der waschmaschine. hier in den dörfern ist es so geregelt, daß es jeweils ein gemeinschaftshaus gibt, das unter der woche geöffnet hat und in dem man gegen eine geringe gebühr seine wäsche waschen und trocknen und ebenfalls duschen kann. außerdem scheinen diese häuser zu den öffnungszeiten quasi magische anziehungskraft auf die dorfbewohner zu besitzen. man trifft sich hier, tauscht sich aus, wartet dabei gemeinsam auf die waschende wäsche und hält ein schwätzchen. sammler und ich verkürzen die wartezeit, indem wir kurz rüber an den hafenkai wandern. über uns zieht, tief über den dächern des ortes, die maschine aus island vorbei, die gerade zu ihrem rückflug gestartet ist. der “robbenkühlschrank” am kai, den wir bereits vor zwei wochen gesehen haben, ist immer noch gut gefüllt. allerdings liegen einige robben, jetzt da ebbe ist, auf dem trockenen und teilweise auch in der sonne. riesige tiere mit schönen pelzen sind darunter. die in der sonne liegenden tiere sehen aber nicht mehr unbedingt so frisch aus, einige haben klaffende wundlöcher, da waren wohl schon die hunde dran und der geruch, den sie verbreiten ist auch nicht mehr der beste. vom meer her suchen sich einzelne boote den weg durchs eis in den hafen, eine touristengruppe mit zwei videokameras filmt die szenerie. wieder zurück am gemeinschaftshaus müssen wir weiter warten. mit den noch leicht feuchten sachen gehen wir zurück zur hütte. den rest erledigt die sonne auf der wäscheleine. danach verbringen wir unsere zeit in der hütte mit essen und ausruhen. ich bin wie zerschlagen, habe auch wieder magenprobleme. sammler wetzt mit der kamera hinunter an den hafen, als ein großes versorgungsschiff mit waren für den kni - markt einläuft. gegen abend besuchen er und glis dann nochmals mette, um einerseits unsere zurückgelassenen tagesrucksäcke wieder in empfang zu nehmen, andererseits abzumachen, daß wir morgen mit rasmus und ein paar inuitkindern zusammen etwas unternehmen, damit hier von unserem besuch auch alle etwas haben. wer weiß, vielleicht können wir ja auch noch ein fußballspiel grönland - deutschland organisieren. am abend gibt es dann trotz magenproblemen einen kaiserschmarrn. na ja, so toll schmeckt der auch nicht. erstaunlich fast, wie dunkel es hier jetzt gegen ende unserer fahrt um mitternacht schon wieder wird. man merkt, daß die tage kürzer werden. draußen kläffen die hunde in die nacht...

 

 

mittwoch, der 25. 7. 2001

 

da wir heute einiges vor haben, ist wecken für 9 uhr angesagt. das überfordert glis und gulo natürlich total, zumal alle in der gestrigen nacht erst gegen 2 uhr in die schlafsäcke gekommen sind: gulo hatte geschichten erzählt wie ein wasserfall. recht ungewöhnlich von ihm, dem sonst so zurückhaltend schweigsamen. aber auch wieder nicht. ist er längere zeit mit den selben leuten zusamen, taut der ruhige gulo, so wie wir ihn sonst kennen, richtig auf und verfällt ins andere extrem. während sammler im markt für den tag einkauft, machen wir uns fertig und bereiten das frühstück vor. der ort ist zu dieser tageszeit bereits in vollstes sonnenlicht getaucht, liegt aber noch gänzlich unbewohnt unter uns. als erstes klären wir dann mit rasmus ab, daß wir nachher zeit für ihn und die inuit - pfadfinder haben, um zusammen etwas zu unternehmen. rasmus hat sich da auch etwas ausgedacht und will die jungs aus dem ort zusammentrommeln. wir wollen aber zunächst noch zum flughafen laufen, weil sammler dort seiner sammelleidenschaft frönen möchte. ein robbenfell hat es ihm besonders angetan. leider zieht sich die ganze aktion zeitlich ziemlich in die länge. wir haben mittlerweile schon mittag und beschließen, vor den gemeinsamen pfadfinderaktivitäten noch zu essen. sammler macht uns gebratene fischfilets mit tomaten. wie verrückt: der fisch wurde in grönland im letzten jahr gefangen, nach dänemark zur verarbeitung gebracht und wir kaufen und verzehren ihn jetzt wieder in grönland!?! leider dauert auch das kochen sehr lange. sammler muß wegen der kleinen trangia - pfanne jede portion einzeln zubereiten. als wir dann endlich bei nielsens zu hause rasmus treffen, ist es unverständlicherweise bereits 16 uhr. rasmus hat aber auch keine der inuit - pfadfinder aus dem ort ausfindig machen können, sie sind heute wohl alle draußen im fjell bei der jagd unterwegs, so daß wir beschließen, rasmus zunächst den aufbau unserer kohte zu zeigen und ihm dabei allerlei über die deutsche pfadfinderei zu erklären. die kohte brauchen wir wahrscheinlich eh´ für die letzte nacht, da die hütte, in der wir nun untergebracht sind, ab donnerstag für touristen gebraucht wird. rasmus begreift schnell und hilft uns beim aufbau. als wir fertig sind, kommen noch line und drei kleinere inuit - kinder dazu und wir setzen uns in die kohte und erzählen ein wenig und essen ein paar kekse. rasmus spricht neben dänisch und englisch auch noch inuit, wie er uns erzählt. allerdings berichtet er uns, daß das ostgrönländische, das er seit gut 2 jahren lernt und in dem er sich nun bereits gut ausdrücken kann, sehr schwer zu lernen sei und sich zudem stark von der in grönland hauptsächlich gesprochenen west- und südgrönländischen variante unterscheidet. westgrönländer könne er nicht oder nur sehr schwer verstehen. grönländisch ist eine polysynthetische sprache, d.h. einzelne, teils sehr lange wörter stehen für ganze sätze in europäischen sprachen. an den wortstamm werden weitere suffixe angehängt. es gibt keine artikel, adjektive, präpositionen und konjugationen. im wesentlichen besteht die sprache aus substantiv und verb. grönländisch ist lebendig und in stetiger veränderung begriffen, adaptiert neue begriffe, wie z.b. computer, qaritaujaq = wie ein gehirn, oder hiv, anamaijautiqarunituq = es gibt nicht länger gute verteidiger im körper gegen schlechte infektionen. auf jeden fall ist es interessant, der unterhaltung der kinder auf grönländisch zuzuhören, ohne auch nur ein wort und seine bedeutung zu erahnen.

 

nach unserer kleinen runde im zelt lassen wir die kohte stehen, ein wenig ausserhalb von kulusuk am trinkwassergewinnungssee. ich hoffe, sie steht morgen immer noch da und ist auch noch ganz und vollständig. unsere hütte, in der wir die nacht verbringen werden, liegt nämlich am anderen ende von kulusuk, so daß wir tatsächlich keine kontrolle über die kohte während des restlichen tages und der nacht haben werden. jetzt ist es an der zeit, rasmus´ idee in die tat umzusetzen und aus drei zu einem a verbundenen holzstangen in der größe von kohtenstangen einen römischen streitwagen zu bauen. auf die mittelstange des a stellt sich der gezogene, der rest zieht das gestell über die holprige und staubige straße die hügel hoch und runter. das geht ganz schön in die beine und auf die kondition. line bestimmt, wer gezogen wird. ein paar kleine inuit - kinder sind mit von der partie. dann sind wir irgendwann so geschafft, daß wir aufgeben und zurück zur hütte zum abendessen gehen. michael, den wir beim auspacken seines letzten expeditionsmaterials treffen, kann ich dabei direkt unser geliehenes material zurückgeben und ihn fragen, was wir alles zu begleichen haben für die ausrüstung und so weiter. er lehnt ab, wir wären ja pfadfinder und wenn er einmal ins siebengebirge käme, würde er sich freuen, dort jemanden zu haben, der ihm weiterhelfen könne. lediglich für die bootsfahrt hätte er gerne noch 500 kronen, da er das boot auch leihen und den sprit bezahlen muß. unglaublich diese gastfreundschaft, das ist gelebte pfadfinderbruderschaft.

 

nach dem essen, die sonne steht schon tief und taucht die bucht in magisches arktislicht, ziehen sammler und ich noch einmal mit der kamera durch den ort und können sehr schöne fotos machen. bei unserem streifzug kommen wir unter anderem auch zur müllhalde des dorfes. auch hier in kulusuk ist es so, daß überall im ort zwischen den häusern müll und abfall herumliegt. michael erklärt uns das verhalten der inuit mit der mentalität eines alten nomadenvolkes. was nicht mehr benötigt wird, wird zum fenster hinausgeworfen, wie früher aus dem zelt. was im natürlichen kreislauf mit natürlichen materialien alleine im fjell problemlos möglich war, verursacht heute in den vergleichsweise dichtbesiedelten orten und mit unverrottbaren plastik-, glas- oder metallwerkstoffen die schwierigkeiten, über die wir nun tagtäglich buchstäblich unsere füße zu setzen haben, wenn wir durch kulusuk gehen. zwar gibt es eine wöchentliche müllabfuhr, man stellt seinen abfall einfach in tüten verpackt an die straße und eine mannschaft mit einem großen radlader sammelt den müll in die riesige schaufel, aber die milchtüte auf der grünen wiese keine 2 meter weiter bleibt dort liegen, wo sie möglicherweise schon seit jahren vergammelt. die sachen aus dem radlader werden zur müllverbrenungsanlage gefahren. jeder kleine ort verfügt mittlerweile über einen solchen ofen. es stinkt fürchterlich, wenn er angeheizt ist. nichtbrennbares material wird auf die recht wilde müllkippe am ortsrand verklappt. hier gibt es alles, was die westliche wohlstandsgesellschaft ausmacht. ein trauriger schandfleck in diesem so schönen land. aber auch in diesem fall fehlen die schlüssigen konzepte: zentral deponieren geht aufgrund der riesigen entfernungen zwischen den siedlungen nun einmal nicht und die alternative, ein müllexport nach dänemark kann wohl auch nicht der weisheit letzter schluß sein.

 

sammler notiert:

 

am abend machen ramses und ich noch einen kleinen rundgang durch kulusuk, die kamera immer im anschlag. die müllhalde kulusuks liegt dabei auf unserer strecke, dort mache ich eine höchst erfreuliche entdeckung. da liegt ein alter holzkahn, an dem noch die schraube und das steuerrad erhalten sind. auf so einen fund warte ich schon lange und bin unheimlich kribbelig. zu späterer stunde mache ich mich mit gulo’s leatherman zur demontage auf. die schraube sitzt bombenfest, da habe ich keine chance. beim steuerrad klappts dann eher, ich löse den kettenzug am lenkmechanismus und ziehe die schwere kette raus. dann reiß ich den führerstand zurecht, so dass ich besser arbeiten kann, daraufhin kommt die schweißtreibende sägearbeit. letzendlich komme ich glücklich und zufrieden mit meiner beute zurück.

 

später gehen wir beide dann noch in einen kleinen laden mit inuitkunstgegenständen und ausrüstung, der von isländern betrieben wird, sammler macht auch in diesem fall seinem namen ehre. danach ist für heute aber auch wieder schluß. ich bin müde, morgen ist ein neuer, nochmals anstrengender tag.

 

sammler ist begeistert:

 

im ort gibt es neben dem kni-markt einen kleinen laden, in welchem man allerhand gegenstände aus der inuitkultur erwerben kann. er sollte eigentlich offen sein als wir kommen. aber wieder erfahren wir, dass wir deutschen es mit der zeit zu genau nehmen. ich hab meinen drehring an der uhr exakt eingestellt und stehe mit ramses vor der tür. keiner kommt, bis auf einen älteren, leicht angetrunkenen inuit. er führt uns quer durchs dorf, zu dem besitzer des ladens. die isländer sind gerade am essen, wir scheinen etwas zu stören. die frau sagt, sie komme gleich und so zuckeln wir wieder ab. der mann der isländer lobt mich sogar noch für mein norwegisch und fragt woher ich es kann. learning by doing, ich komme mir sehr stolz vor und freue mich auf eine ergänzung meiner sammlung.

 

 

donnerstag, der 26. 7. 2001

 

das frühe aufstehen ist schwierig. nur langsam werden wir etwas frischer. nach dem zusammenpacken unseres materials beginnen die jungs schon mit dem aufräumen der hütte, da wir sie ja heute für die letzte nacht hier auf grönländischem boden wieder verlassen. nielsens müssen hier zahlende gäste unterbringen. ich mache die notwendigen besorgungen für den tag im gerade geöffneten kni - markt. das frühstück steht ein wenig unter zeitdruck, wir sind für 10 uhr mit rasmus, michael und einer kleinen dänischen gruppe verabredet, die mit uns das innere und den südlichen teil der insel kulusuk erkunden will. das wetter ist mittlerweile nicht mehr so strahlend wie noch am gestrigen abend. die fernsicht ist eingeschränkt. zwar scheint durchaus noch die sonne, doch tut sie dies gedämpft durch einige wolkenschleier. die wanderung, nur mit tagesgepäck, ist leicht und führt von kulusuk aus in südlicher richtung an die südwestküste der insel. natürlich geht es wieder querfeldein und wir können den schritt unseres führers problemlos mithalten bei der guten übung, die wir in der letzten zeit hatten. die dänen laufen mit ein wenig gemächlicherem tempo langsam hinter uns her. am meer zeigt uns michael überreste alter inuitsiedlungen: gräber, in denen wir menschliche  überreste erkennen können, sind der erste hinweis auf früheres leben hier. dann kommen wir ein paar hundert meter weiter zu einem winterwohnplatz einer familie. steine und grassoden sind hier zu einem kleinen ringwall in rechteckiger form halbhoch aufgetürmt und michael erzählt, daß die häuser mit fellen gedeckt waren. einige steinkammern sind ebenfalls zu erkennen, in denen im winter, nahe beim haus, die fleischvorräte gesammelt worden sind. bis vor 50 jahren so michael weiter, haben die menschen hier so gelebt, im winter unter 6 meter hohem schnee. erst danach ist kulusuk als feste siedlung entstanden. die über 50 - jährigen sind auch alle noch hier draußen in der wildnis, verstreut an der küste, geboren worden. erst im letzten jahr ist im bereich ostgrönland die letzte fängerfamilie in eine siedlung gezogen und hat die traditionelle lebensweise aufgegeben.

 

weiter folgen wir der küstenlinie. in den kleinen buchten liegen walfischknochen verstreut. wenn die inuits wale jagten, auch wie bei den robben nur zum eigenbedarf, wurden diese hier hinein getrieben und dann erlegt. am nördlichen ende der halbinsel noortiit, auf einer kleinen, von ebensolchen buchten umschlossenen landspitze lagern wir an einer alten sommerbehausung zu mittag. überall liegen hier noch holzreste, aus denen die wohnungen der inuit errichtet waren. wir nutzen die zeit, sondern uns ein wenig vom rest der gruppe ab und errichten auf der landspitze an ihrer höchsten erhebung eine konstuktion aus steinen, ähnlich einem kleinen inuitgrab, um dort, gut geschützt, unsere fahrtenurkunde in einer mit leder umwickelten bambusrohrschatulle zurückzulassen. die genaue position der fahrtenurkunde in koordinaten des utm - systems: 7269933 nord und 24 582513 ost. danach klettern wir auf einen kleinen hügel hoch über der bucht, von hier haben wir eine sehr gute, kontrastreiche sicht auf die kulusuk im südwesten vorgelagerte kleine inselgruppe mit tiefschwarzen felsen und das vor uns liegende grellweiße meereis in der dänemark - straße bis zum horizont. anschließend geht es zurück in den ort, fast auf dem gleichen weg, auf dem wir auch her gekommen sind. in kulusuk dann eine frohe botschaft: die gruppe von touristen wegen der wir aus unserer hütte ausziehen mußten, ist nicht angekommen, so daß wir die letzte nacht unserer großfahrt doch unter dem dach eines festen hauses und nicht in der kohte werden verbringen dürfen. glis, gulo und ich bauen das gute stück daher wieder ab und verfrachten unser gepäck erneut durch den ort wieder in unser gewohntes domizil. noch einen vorteil hat das ganze. wie uns michael berichtet, ist für die nacht sturm vorausgesagt und so können wir trocken und warm schlafen und auch die kohte bleibt trocken in meinem rucksack verstaut. hoffentlich macht uns das wetter zu guter letzt nicht noch einen strich durch unsere rückflugpläne?!?

 

am abend nach dem abendessen ziehen wir dann abermals in das gemütliche kleine haus der nielsens, um dort unser dankeschön für alles in form eines briefes und ein paar kleiner geschenke auszudrücken. für die kinder haben wir jeweils einen satz pfadfinderaufnäher dabei, für line zusätzlich einen wosm- und einen dpsg- rucksackwimpel und für rasmus ein schweizer taschenmesser. für die nielsens haben wir eine flasche selbstgemachten rhabarberwein von gulos großvater und einen terrakotta - gartenzwerg als typisch deutsches mitbringsel. die sachen kommen prima an und wir versprechen von zu hause für die im aufbau befindliche gruppe der kulusuker pfadfinder noch ein paar pfadfinderische sachen zusammenzustellen und per post zu schicken. anschließend reden wir mit michael noch ziemlich lange über grönland, er erzählt uns über den weltkrieg und die damaligen deutschen expeditionen an die nordostküste, um dort wetterstationen einzurichten und über das trostlose und perspektivlose leben der ca. 45000 inuits hier in grönland. er meint, daß sich jetzt im moment entscheidet, in welche richtung grönland treibt. entweder hin zu einer weltoffenen, touristisch orientierten gesellschaft oder in die selbstgewählte abgeschiedenheit, ähnlich dem leben in einem indianischen reservat, ohne aussicht für die jugend, etwas aus ihrem leben machen zu können. je mehr michael berichtet, umso mehr haben wir den eindruck, daß es sich hier gesellschaftlich um ein verlorenes und aufgegebenes land handelt, das in der ohnmacht seiner bevölkerung gefangen zu sein scheint, ohne aussicht auf besserung, da nur von außen, aus dänemark als alter kolonialmacht, am leben erhalten. rasmus, der am anfang noch unserem gespräch gefolgt ist, ist mittlerweile im großen lehnstuhl im wohnzimmer, direkt neben uns, eingeschlafen. als wir michael spät abends verlassen, ist der himmel bedeckt und einzelne böen kommen auf. es riecht nach sturm.

 

 

freitag, der 27. 7. 2001

 

eigentlich ist ja heute fahrttag. eigentlich. als wir gegen 8 uhr aufstehen, sind michaels gestrige vorhersagen wirklichkeit. draußen stürmt es aus nordost. immer wieder wehen heftige böen gegen die altersschwachen und undichten fenster der hütte. die bucht von kulusuk liegt unter einem dicken grauen wolkenband. das sonst so glatte und wellenlose meer ist aufgepeitscht und einzelne wogen schlagen gischtspritzend an die im hafen liegende eisbarriere. diese riegelt die ein- und ausfuhr aus kulusuk vollständig ab, der sturm hat die schollen dicht an dicht zusammengeschoben. die sicht auf die umgebenden berge ist frei, durch den ort ziehen ab und an staubfahnen aufgewirbelten sandes. müll wird ebenso mitgerissen. der wind weht so heftig, daß wir schwierigkeiten haben, die tür der hütte zu öffnen. nach unserer einschätzung verläßt an diesem sturmtag kein flugzeug ostgrönland. aber noch haben wir nicht alle hoffnung verloren. sammler sucht gegen 9 uhr michael auf, um informationen über den flughafen zu erhalten. der flug ist zunächst verschoben, die nächsten informationen gibt es gegen mittag. wir richten uns also auf ein längeres bleiben ein, frühstücken zunächst und dann versuche ich pati zu erreichen, kann die schlechten neuigkeiten aber leider nur auf den anrufbeantworter sprechen. danach dösen wir noch ein wenig, ich nutze die zeit, um die logbucheintragungen für den gestrigen tag nachzuholen. gegen 12 uhr kämpft sich sammler erneut durch das inferno zu nielsens, nach seiner rückkehr wissen wir, daß heute nichts mehr geht: der flugplatz ist geschlossen, ab jetzt bezahlt air iceland für uns. die frage bleibt aber, wie lange der sturm anhalten wird und ob wir dann morgen so weit sind, abfliegen zu können, was noch gut machbar wäre oder ob sich unser warten hier länger hinziehen wird. ob ich am montag wieder im labor stehen kann ist fraglich, denn wenn wir heute abend hier aus grönland nicht abgeflogen sind, fliegt ltu ohne uns von island zurück nach deutschland. und michael betont immer wieder, daß das wetter hier in grönland eigentlich für seine stabilität bekannt ist: entweder ist es stabil gut, das durften wir ja während der wanderung auskosten, oder aber es ist stabil schlecht. hoffentlich macht air iceland keine probleme. da sie für unsere verspätung und das verpassen des flugs nach deutschland durch die absage des grönland - island fluges verantwortlich sind, müssen sie uns eigentlich auch ersatz stellen. die frage ist nur, ob es vier freie plätze geben wird auf einer maschine. sammler, gulo und michael kaufen im kni - laden nochmals lebensmittel ein, die nielsens für uns bezahlen und dann air iceland in rechnung stellen werden. nette lösung! ich kann endlich mit pati telefonieren, die begeistert ist über die lage. ich kann das voll nachvollziehen. während hier ein arktischer sturm übers land fegt, bei dem ich froh bin, nicht in der kohte zu liegen, sind es in deutschland gerade mal eben 34 °c. wenn wir hier irgendwann einmal heraus und zurück kommen, wird uns der schlag treffen! den nachmittag verbringen wir bei unvermindert anhaltendem sturm in der hütte, rasmus hat sich als dauergast bei uns einquartiert und wir spielen zusammen karten, essen, zeigen kartenkunststücke und erzählen ein wenig. schade, daß wir jetzt keine klampfe dabei haben. gegen abend die gewißheit den flieger ab island nicht mehr erreichen zu können. niedergeschlagenheit und galgenhumor prägen die stimmung.

 

 

samstag, der 28. 7. 2001

 

eigentlich sollten wir uns hier in kulusuk jetzt nicht mehr aufhalten, sollte die fahrt, zurück in deutschland schon beendet sein. doch wie das so ist auf fahrt, kann man am morgen nicht wissen, was der abend bringen wird und so hat der gestrige sturm uns in kulusuk festgehalten. wir stehen in unserer hütte früh gegen 6:30 uhr auf und es beginnt ein erneutes zusammenpacken aller unserer sieben sachen und wieder einmal räumen wir die hütte auf. nach kurzem frühstück warten wir auf rasmus, der uns mit frischen informationen über das wetter und flugzeuge aus island versorgen soll. rasmus als einzige informationslinie nach draußen in die welt also. doch als alles gepackt ist und wir auch fertig sind mit dem frühstück, ist von ihm nichts zu sehen. während sich die anderen drei noch einmal hinlegen und ein wenig schlafen, versuche ich, den petroleumofen anzuwerfen, es ist kalt geworden in unserer hütte, und habe mit der uralten technik probleme, immer wieder geht das gute stück aus. so habe ich genug zeit, mir aus dem fenster ein wenig die traurige szenerie unten in kulusuk zu betrachten: die straßen sind aufgrund der frühen uhrzeit noch wie ausgestorben. der sturm hat sich gelegt, kein windhauch bewegt die zwischen den einzelnen häusern hängenden wäscheleinen. aber wir haben nebel. die kulusuk umgebende bergwelt über dem fjord ist nicht zu sehen und zeitweise senkt sich der nebel so weit herunter, daß die auf dem gegenüberliegenden hügel stehenden häuser kulusuks nur noch schemenhaft wahrzunehmen sind. meine stimmung sinkt auf den tiefpunkt, da ich mir nicht vorstellen kann, daß ein flieger aus island am heutigen tag bei diesem nebel hier landen wird und wir also noch einen weiteren tag hier in grönland werden verbringen müssen. gegen 9 uhr mache ich mich mit diesen gedanken hinunter ins dorf im tröpfelnden regen, um nach hause durchzutelefonieren, daß auch heute hier wohl nichts gehen wird. doch sowohl die post hat geschlossen, als auch das gemeinschaftshaus, so muß ich unverrichteter dinge und mittlerweile naß, wieder zurück zur hütte.

 

auf dem weg nach oben dann ein leises brummen, das langsam lauter wird und näher kommt. so ein brummen kann nur von einer landenden propellermaschine auf dem nahen flugplatz kommen. damit die fahrtenmannschaft dieses wunderbare geräusch vor seinem abebben auch noch erleben kann, renne ich den restlichen weg zur hütte hinauf, wecke alle und lasse die fenster öffnen. das letzte motorengeräusch, das jetzt zu uns vor dem abschalten der maschinen herüberschallt, elektrisiert alle. sofort wird das gepäck abmarschbereit gemacht und sammler läuft zu nielsens, um informationen einzuholen. daß er dabei natürlich auch noch zu einem kaffee eingeladen wird, versteht sich von selbst. zurück hat er gute neuigkeiten. zwar ist es wohl noch nicht vollständig sicher, daß wir heute weg können, zumindest sollen wir aber mit unserem gepäck zu nielsens haus kommen, von wo wir dann zum flugplatz laufen werden, während die rucksäcke per auto (luxus!) mit michael hinterherkommt. wir verabschieden uns und bedanken uns noch einmal bei mette und line, casper ist im moment irgendwie nicht mehr aufzutreiben und dann gehen wir zusammen mit rasmus in einem pulk von ebenfalls abreisewilligen touristen die kurze strecke zum kulusuker flughafen. auf dem weg kommen uns nebel knipsende japaner entgegen: wir waren in grönland! tagestouristen! für uns die gewißheit, daß eine maschine aus island da sein muß. im engen flughafengebäude ist die hölle los. jede menge gepäck, absolut überfordertes personal, leute der ausgefallenen flüge von gestern, passagiere der flüge von heute. dann kommt michael, wir können einchecken und sind endgültig sicher, zumindest bis nach reykjavik zu kommen. verabschiedung von rasmus und michael, das erneute versprechen ihm und dem aufzubauenden pfadfinderstamm in kulusuk ein paar pfadfinderspezifische dinge in deutschland zusammenzustellen und per post zu schicken. boarding und start gehen schnell vorbei, während des beschleunigens auf der sandpiste kann ich michael und rasmus noch erkennen, wie sie den start der maschine vom flughafenzaun aus beobachten. plötzlich hängen wir in der luft, unter uns bald schon meereisfelder und die beeindruckenden berge des ostgrönländischen inselarchipels. dann durchstoßen wir die wolkendecke - grönland liegt hinter uns. in reykjavik am domestic flughafen das nächste problem. am schalter von air iceland, einer tochtergesellschaft von icelandair, die die innerisländischen flugrouten und ebenfalls die flüge nach kulusuk bedient, komme ich mit meinem ansinnen, flüge nach deutschland oder auch nur geld für die zusätzliche verpflegung des letzten tages zu bekommen nicht weiter: man sei nicht für flüge nach europa verantwortlich und als inlandsfluglinie würde man eh´ nichts erstatten. was ich auch versuche, da ist nichts zu machen. ich bin stinksauer und auch ein wenig ratlos. was soll passieren, wenn auch die leute von icelandair am internationalen flughafen von keflavik genau dasselbe sagen: sie seien ja nicht verantwortlich für uns, da air iceland die route bedient? aber trotzdem haben wir uns dazu entschieden, so schnell wie möglich nach keflavik zu kommen und dort mehr zu erfahren. auf zum busterminal am anderen ende des flugplatzes. dann heißt es aber wieder warten bis 20 uhr auf den bus. unser glück ist es hoffentlich, daß die tickets für den vermißten flug von icelandair deutschland ausgestellt worden sind. dieser umstand und eine bestätigung von air iceland, daß der flug ausgefallen ist, sind unsere letzten hoffnungsträger. nach dem sturen verhalten von air iceland rechnen wir aber auf jeden fall mit widerstand und beschließen, diesmal genauso stur zu bleiben. am keflaviker flughafen hat natürlich bereits so ziemlich alles geschlossen, als wir ankommen. es sind nur noch check-in-schalter besetzt. also stellen sich sammler und ich in die schlange und warten. als wir an der reihe sind und unser anliegen vortragen, die erwartete reaktion: eine verantwortlichkeit wird abgelehnt, wir sollen zu air iceland, keine fluggesellschaft der welt wäre verantwortlich für aus wettergründen abgesagte flüge und daraus entstehende konsequenzen für die passagiere. ich bleibe hart und halte bei jedem argument dagegen. als unser gegenüber merkt, daß weiterer widerstand zwecklos ist, greift er zum telefon und erkundigt sich nach einem flug morgen früh um 7:25 uhr nach frankfurt. vier plätze sind hier noch frei! und plötzlich ist es auch angeblich kein problem mehr, dafür tickets zu bekommen. aber nicht von ihm, sondern erst morgen früh um 5:30 uhr am ticketschalter von icelandair. ich lasse mir noch den namen unseres gesprächspartners aufschreiben, nicht, daß auch er hier mit uns ping pong spielt, um uns einfach nur los zu werden. so können wir uns zumindest auf diese aussage berufen.

 

sammler befürchtet, hier hängen zu bleiben:

 

natürlich haben wir unseren anschlussflieger von island nach deutschland verpasst. in kevlavik ist es eine lange diskussion bis wir einen weiterflug erstattet bekommen. aber ramses löst es sehr souverän und schafft es mit direkter sachlichkeit, den kühlen isländer am schalter zu überzeugen. dieser versichert uns dann einen platz. das wort eines nordmanns ist vertrauenswürdig, aber dennoch sind wir uns erst richtig sicher, als wir an bord sind. zurück nach hause, in die hitze, puh. wenigstens komme ich jetzt noch mit meinen eltern nach norwegen. das ist nämlich meine größte sorge, das schiff in kiel zu verpassen, ansonsten hätte ich nichts gegen einen längeren islandaufenthalt gehabt.

 

ein langes warten am flughafen beginnt. wie mir noch von 1993 in erinnerung ist und wie es ebenso auf vielen hinweistafeln im gesamten flughafenbereich zu lesen ist, wird der flughafen über nacht geschlossen und nach dem letzten flieger weren wir wohl rausgeworfen werden. plötzlich laufen uns bdp pfadfinder der bündischen sorte in die arme, die hier noch auf einen vierten mitfahrer warten und gerade mit ihrer fahrt durch island beginnen. großzügigerweise laden sie uns ein auf selbstgekochte spaghetti und tee, wir steuern noch brot und käse dazu bei, das letzte, was wir an essen bei uns tragen. wir haben kein isländisches geld mehr und hier am flughafen gibt es auch keinerlei möglichkeit, irgend etwas zu kaufen, so daß wir über diese einladung recht froh sind, gulo besonders. wir schwafeln ein wenig über die situation und den unterschied von bündisch orientierten gruppen in dpsg (ja, auch hier gibt es die) und bdp und stellen fest, daß dieser nicht sonderlich groß zu sein scheint. überall dasselbe. dank der klampfe der bdp´ler wird rosie mccaine an den ufern des boyne spazieren geführt und auf dem parkplatz, draußen im nieselregen, spielen wir eine partie fußball. unterdessen findet die security unsere vor dem flughafen zurückgelassenen gepäckstücke und schickt uns zum weiteren warten in das flughafengebäude. wie die bdp´ler feststellen, ist das langlegen auf isomatten zwar nicht gestattet, man wird immer wieder von den patroullierenden sicherheitsleuten aufgescheucht, aber immerhin sitzt man hier warm und trocken. morgen früh öffnet das büro von icelandair. hoffentlich bekommen wir dann unsere flüge und müssen nicht noch einmal die gleiche heftige diskussion wie heute abend von vorne beginnen.

 

sammler über die begegnung mit den bdp´lern:

 

die nacht auf dem isländischen flughafen ist nett. wir treffen andere pfadfinder, die haben uns dann, da wir keine verpflegung mehr haben, spaghetti gemacht. das tut gut, nicht nur unserem gulo. lagern in der flughafenhalle ist nicht erlaubt, also wollen wir draußen bleiben. wir spielen gerade auf dem parkplatz im regen fussball, als einer vom wachpersonal kommt. hier dürfen wir nicht bleiben, „ ja wohin denn sonst?“, „kommt doch rein“, prima, drinne ist es schön warm. man darf zwar nur im sitzen schlafen, aber das ist auch in ordnung. immer wieder kommt eine hübsche dame vom wachdienst und scheucht die anderen pfadis auf, die sich mit ihren isomatten dort breit gemacht haben. hier ist doch sonst niemand, der sich daran stören könnte. na ja aber so lange es eine so nette frau sagt....

 

 

sonntag, der 29. 7. 2001

 

gegen 5:20 uhr: sammler und ich sind wach. beide sehen wir nicht sonderlich fit aus. ich habe überhaupt nicht geschlafen. die restlichen pfadfinder sowohl unserer fahrtenschaft als auch der islandfahrer vom bdp schlafen noch. in der ferne, vor dem ticketbüro von icelandair, sehen wir unseren diskussionspartner von gestern abend wieder. anscheinend muß er nachtschicht gehabt haben. nun schaut er zu uns hinüber, wir werten das als zeichen, daß die zeit gekommen ist, die flugscheine zu schnappen und endlich von hier weg zu kommen. er verschwindet mit unseren flugscheinen in irgendeinem hinterzimmer, was uns gar nicht paßt. bei unserem glück kommt er wahrscheinlich gar nicht mehr hinaus oder wenn kann er sich nicht mehr daran erinnern, von uns etwas bekommen zu haben. schwarzmalerei! während wir da so warten und überlegen, was passieren kann, verwandelt sich die nächtliche ruhige halle mit den check - in - terminals wieder  in einen internationalen flughafen. aus reykjavik kommen busladungen von fluggästen und es wird laut und voll. endlich, unser icelandairmitarbeiter verläßt das büro, sieht uns mit unseren versteinerten mienen und - hebt den daumen nach oben. wir wissen in diesem moment, wir haben´s geschafft, werden heute noch frankfurt erreichen. hinter ihm her können wir direkt als erste am first class schalter einchecken. auf unsere ltu - flugscheine hat er einfach ok fra geschrieben und schon ist alles weitere kein problem mehr. ich wecke gulo und glis, wir müssen sofort unser gepäck aufgeben. während gulo die lage sofort versteht und sich beeilt, ist glis minutenlang absolut hilflos. obwohl ich ihm bereits mehrfach gesagt habe, daß er jetzt sofort seine sachen an den schalter bringen muß, reagiert er nicht. in keinster weise. schlaftrunkenes black out. gulo oder sammler schnappen seinen rucksack, wir haben nicht die zeit, jetzt lange auf glis zu warten. keine stunde später sind wir auch schon im flieger. ein großteil der zeit wird von uns verschlafen. außerdem haben wir riesigen hunger, seit der spaghettieinladung am gestrigen abend haben wir ja nichts mehr gegessen. die flugzeugverpflegung ist schnell verspeist. was für den hohlen zahn. gulo ist froh, als ich ihm noch mein brötchen abtrete. dann sind wir in frankfurt. kurz vor ende verliert glis dann noch unser kohtengestänge. es ist schwierig für ihn, wieder durch die absperrungen hindurch zu dem punkt zu kommen, wo er das teil hat liegen lassen. draußen ein wiedersehen mit euskirchens und pati und marie. marie stutzt ein wenig. drei wochen bartwuchs lassen einen doch schon anders aussehen. als sie aber meine brille entdeckt und von der nase ziehen kann, lacht sie und weiß auch, daß papa wieder zu hause ist. das wetter hier haut uns um. die luft ist schwül, stickig und mit knapp 30 °c für unsere fälle viel zu heiß. zurück nach grönland ist das erste, was uns dazu einfällt. direkt im ankunftsbereich werden wir von unseren angehörigen noch mit brötchen und getränken notversorgt.

 

auch sammler kommt an:

 

zu hause, in deutschland, sind wir seit 30 stunden wach. es ist heiß und wir sind wieder glücklich, unsere lieben in den arm zu schließen. wir sind braun gebrannt, mein haar ist strohblond geworden und ich fühle mich richtig gesund. die fahrt war wunderschön und ein runder, voller erfolg mit vielen abenteuern.

 

dann trennen sich die wege der vier grönlandfahrer endgültig. glis wird von sammler mitgenommen. wir nehmen gulo mit. die fahrt nach königswinter dauert lang. wir haben keine lust mehr. zu hause warten wir noch, bis gulo von seinem vater abgeholt wird, dann ist sie aus, leider, die größte, abenteuerlichste, unglaublichste unternehmung in der geschichte des pfadfinderstammes romero. die großfahrt der fahrtenschaft polaris an die eisigen gestade der ostgrönländischen küste im sommer des jahres 2001. nie werden wir die einmaligen erlebnisse vergessen.

 

 

„...dann lausche auf die weite, sie ruft dich zurück!“

 

 

dank

 

die fahrtenschaft polaris und ihre mitglieder sind in besonderem maße dem pfadfinderstamm romero, königswinter-stieldorf in der deutschen pfadfinderschaft sankt georg zu dank verpflichtet. ohne diesen stamm wäre zum einen die durchführung der fahrt für die damals noch nicht unabhängige gruppe nicht möglich gewesen, zum anderen dieser bericht in seiner vorliegenden form mangels finanzieller mittel nicht zustande gekommen. seit april 2002 unabhängig, auch vom stamm romero, werden wir diesem jedoch gewiß stets in freundschaftlicher anteilnahme und pfadfinderischer anerkennung verbunden bleiben.

 

auch gilt es familie nielsen aus kulusuk, grönland für die freundliche aufnahme und selbstlose unterstützung unserer fahrer zu danken und für die viele arbeit und mühe, die die beantwortung unserer vielen fragen im vorfeld der fahrt sicherlich mit sich gebracht hat. ohne sie hätten wir ostgrönland nicht in dieser art und weise kennenlernen können. wer sich selber ein bild machen möchte über ostgrönland, kann gerne mit michael nielsen kontakt aufnehmen. im internet gibt es aktuelle informationen unter www.kulusuk-turiststation.gl/ .

 

 

 

 

anhang

 

im folgenden anhang sind sowohl fotos von der unternommenen fahrt abgebildet, alle von ramses aufgenommen. zum anderen findet der leser kartenmaterial zur geographischen einordnung der durchgeführten fahrt. zum abschluß findet sich außerdem auch noch ein von ramses geschriebenes lied, daß die erlebnisse unserer fahrt recht gut zusammenfaßt und wiedergibt, obwohl es bereits gut 3 ½ jahre zuvor entstanden ist.

 

 

impressum

 

titel: grönlandfahrt

 

autoren: ramses

              (kai krauthausen, quirrenbacher str. 109,

               53639 königswinter, pati-kai@t-online.de) und

              sammler

              (frederik ch. euskirchen, stieldorferhohn 16,

               53639 königswinter)

 

bund: fahrtenschaft polaris, zum zeitpunkt der fahrt noch in der

          deutschen pfadfinderschaft sankt georg (dpsg),

          stamm romero, königswinter - stieldorf

 

herausgeber: pfadfinderstamm romero in der deutschen

                     pfadfinderschaft sankt georg, königswinter-stieldorf

 

© fahrtenschaft polaris im april 2002