Der dritte Fahrtabschnitt: Durchbruch nach Norwegen

Sonntag, der 27. 6. 1999
Der Tag beginnt, so wie der letzte geendet hat, mit einer Mückenplage. Besonders Michael und Joe Joe hat es erwischt. Die Soventolpackung macht in der Juschke die Runde. Da gibt es nur eines: raus aus den Schlafsäcken und dem Zelt und rein in den mäßigen Wind, der draußen bei prallem Sonnenschein die Plage Lapplands am Fliegen hindert. Da aufgrund unseres Wassermangels selbst eine Katzenwäsche flachfällt, es reicht gerade zum Zähneputzen, habe ich den Rucksack schon zusammengepackt, ehe Sascha mit dem Frühstück fertig ist. Mitunter frischt der Wind böig auf. Die Sicht auf den Viri ist beim jetzigen Sonnenstand besonders beeindruckend. Die Schneeberge am anderen Ufer glänzen im Licht. Immer heftiger wird der Wind. Er wird zu unserem Freund, verschafft uns Kühlung und verjagt die Mücken. Aber er erschwert uns auch das Zusammenpacken der Zeltbahnen und, da er aus der Richtung kommt, in die wir weiter ziehen, auch das Marschieren.

Immer wieder kommen wir aus dem Gleichgewicht. Man kann sein eigenes Wort kaum verstehen. Wolken ziehen auf. Zunächst als Schleier, dann dicker. Der Weg führt zunächst an mehreren kleinen Seen in einer mit nur wenigen Birken bestandenen Graslandschaft vorbei. Dann will der Viejejåkkå mit Hilfe einer Brücke über eine tosende Stromschnelle überquert werden. Wir fassen Wasser nach. Der weitere Weg ist recht eintönig. Am Fuß des Jållevare im Tal des Stalojåkkå geht es zunächst immer wieder begraste Hügel hinauf und wieder herunter. Dann haben wir das Gröbste hinter uns, der Pfad verläuft flacher und führt ein ums andere Mal durch dichtes Gebüsch. Der Himmel hat sich vollends zugezogen, die fernen Berge, die wir heute morgen noch sehen konnten sind verschwunden. Vor uns, im Südwesten, eine Regenwand. Da plötzlich, etwa 50 m vor uns sprintet eine Elchkuh aus dem Gebüsch und nimmt galoppierend reißaus vor uns. Kurz danach sehen wir einen anderen Elch in etwa 1km Entfernung jenseits des Stalojåkkå an den Abhängen des Kapasåive entlanglaufen. Nach der Überquerung einer großen, ebenen Grasfläche kommt der Höhepunkt des heutigen Tages: wir müssen einen Fluß furten, der hier in einem breiten Delta die ebene Grasfläche durchschneidet, um in den Stalojåkkå zu münden. Während uns die ersten Arme keine Mühen bereiten, sind die beiden Hauptarme des Jeknaffojåkkå nur zu durchwaten. Die Strömung ist stark. Wir müssen vorsichtig sein. Es gelingt. Zwischendurch hatten wir die Regensachen schon an- und später wegen zwischenzeitlicher Sonne wieder abgelegt. Nun aber zieht es sich wieder zu. In der Ferne, am Ufer des Flusses, können wir schon die Hütte, die Staddajåkkåstugorna erkennen. Die letzten beiden Kilometer ziehen sich. Wir marschieren am süd-östlichen Ufer des Kapasluoppal. Kurz bevor wir die Hütte erreichen fängt es an, richtig zu regnen. Anscheinend ist das Wetterglück, das uns bislang auf dieser Fahrt begleitet hat, wieder auf unserer Seite.

Kaum sind wir eingezogen, gibt es auch schon Mittagessen (15 Uhr). Danach sinke ich auf die Isomatte und schlafe erst einmal bis zum Abendessen durch. Ich bin völlig kaputt und gerädert. Anscheinend war die Sonneneinstrahlung in den letzten Tagen ein wenig zu viel. Den Anderen geht es genauso. Wir alle sind geschafft, als hätten wir heute statt gerade einmal 11 km weit mehr geschafft. Während des Abendessens schüttet es wie aus Eimern. So stark, wie noch nie auf dieser Großfahrt. Wir sind froh und glücklich, hier im Trockenen zu sitzen, während draußen der Regensturm tobt. Nach dem Abendessen klart es auf: Abendsonnenschein, Wind, blauer Himmel und Schönwetterwolken bestimmen das Bild. Das Barometer weiß nicht so recht, ob es steigen oder fallen soll. Wir haben noch nicht entschieden, wie es morgen weitergeht.

Montag, der 28. 6. 1999
Das Wetter hier oben in Lappland ist nicht voraussagbar. Das einzig Konstante hier scheint die ständige Veränderung zu sein. Und diese ist stets begleitet durch einen kräftigen Wind, der über das Land peitscht. Ohne Wälder, Bäume und Sträucher geschieht dies auch ungebremst. So auch am heutigen Morgen. Nach dem gestrigen Unwetter wieder eitel Sonnenschein und sogar richtig hohe Temperaturen. Dazu der um die Hütte heulende Wind. Wir schlafen lange aus. Nach den anstrengenden letzten Tagen haben wir uns das auch verdient. Nach dem Frühstück geht es nochmals in die Betten. Wir haben beschlossen, heute nach dem Mittag aufzubrechen, um dann noch 6 km und 140 Höhenmeter bis zur am Sårjåsjaure gelegenen Sårjåsjaurestugan zurückzulegen. Danach dann hätten wir nur noch zwei Tagesetappen bis zu unserem Wanderziel Sulitelma hinter uns zu bringen. Ansonsten geht es uns gut. Frederiks Knöchel ist besser geworden. Im Moment ist keine Rede mehr von Krankenhaus und Heimfahrt. Auch Joe Joe und Michael hat die mückenfreie Nacht gut getan.

Gegen 15 Uhr brechen wir auf. Zunächst überqueren wir den Staddajåkkå auf einer weit gespannten Holzhängebrücke. Das Panorama, das sich uns dabei bietet ist grandios. Große Wassermassen bahnen sich mit tosendem Gebrüll unter uns talwärts. Gischt spritzt mir beim Fotografieren auf die Linse. Von oberhalb der Brücke kommt der Fluß in einer breiten Kaskade heruntergeschossen. Danach führt uns der Pfad zunächst durch hügeliges, baum- und strauchloses Gelände. Wir erreichen den schnell fließenden Sårjåsjåkkå. Er ist unser Wegweiser an diesem Nachmittag. Seinem Lauf folgen wir stromauf. Und da er, teils schluchtenartig, in die Tiefe schießt, bedeutet dies für uns, es geht bergauf. Nicht stetig, eher in mehreren großen, zu erkletternden Stufen. Zwischen der Kletterei ist das Gelände leider auch nicht besonders wanderfreundlich. Etliche kleinere und größere Bäche müssen überquert werden. Es gelingt uns, ohne zu furten. Sascha holt sich dabei nasse Füße. Dazwischen immer wieder schwer zu begehende Heidelandschaft. Der schmale Fußpfad ist teilweise zwischen den einzelnen, hügeligen Soden tief eingeschnitten. Eher wird gestolpert, als gewandert. Dann steht uns der steilste Aufstieg des heutigen Tages bevor. Über ein sehr großes Schneefeld, das zu queren ist, geht es bergan. Der Schnee knirscht unter unseren Tritten, immer wieder rutschen wir seitlich weg. Die Füße finden keinen richtigen Halt. Wir kämpfen uns aufwärts. Oben angekommen beginnt es zu Tröpfeln, doch das stört uns jetzt nicht mehr. Denn keine 300 m weiter, unter uns am Ufer des großen, langgestreckten Sårjåsjaure liegt die kleine rote Holzhütte am Abfluß des Sees.

Beim Einzug stellen wir fest, daß es sich um eine sehr alte Hütte handeln muß. Vielleicht ist es ja tatsächlich dieselbe Hütte, in der vor 70 Jahren tusk und die Horde auf ihrem Weg übernachtet haben. Es kommt uns zumindest so vor. Am anderen Ende des Sees liegt schon Norwegen! Wir sind schon weit gekommen. Eingerahmt wird der Sårjåsjaure von hohen, größtenteils schneebedeckten Bergen. Man merkt deutlich, daß wir hier wieder um einiges höher sind. In der Ferne, in Norwegen, der 1690 m hohe Sorjosèohkka. Direkt südlich von uns der Staddatjåkkå. Der See besitzt Sandstrand. Was mag sich hier wohl in den letzten 70 Jahren verändert haben? Ich glaube nicht viel. Die Landschaft rings um uns her ist immer noch gleich einsam und unberührt. Die Geräusche, die wir hier hören, wie zum Beispiel das Rauschen des abfließenden Flusses, werden sich in all der Zeit auch nicht verändert haben. Und auch in der Hütte selber scheint die Zeit stillzustehen. Das Wetter hat sich seit heute Mittag wieder einmal verändert. Dicke Wolken sind aufgezogen. Es ist richtig dunkel geworden, doch bis auch ein paar Tropfen ist noch kein Regen gefallen. Wir warten auf das Abendessen. Anschließend gibt es bei uns im Raum unter dem Dach eine gute Singerunde. So lange, bis uns kein Lied mehr einfällt.

Ich versuche, draußen den See zu zeichenen. Es mißlingt. Die Landschaft ist viel zu weit, als daß sie sich auf DIN A 5 einfangen lassen würde. Die Gruppe ist plötzlich mitten in einer Diskussion: Frederik möchte morgen noch hierbleiben, da wir ja noch viel Zeit haben und so die Landschaft genießen könnten. Frédéric dagegen möchte so schnell wie möglich nach Sulitelma kommen. Wir Leiter halten uns raus. Die Entscheidungsfindung ist anscheinend sehr schwierig. Am Ende der Entschluß. Wir bleiben. Danach Lesung aus dem fahrtenbericht 29. Die Jungs finden tusk´s Bericht sehr interessant. Immer wieder hatte ich ja in den letzten Tagen daraus vorgelesen. Immer wieder die gerade passenden Stellen. Und genau darin liegt wohl für Alle der besondere Reiz. Alle spüren, daß wir sehr nahe an den Erlebnissen der Horde vor 70 Jahren sind. Manchmal stimmen die damaligen Details bis heute, so daß wir quasi ein Déja vu erleben. Oder anders ausgedrückt: die Jungs finden ihre eigenen Erfahrungen in den alten Erzählungen lebendig. Fast alles stimmt.

Dienstag, der 29. 6. 1999
Nach zwischenzeitlichem Regen heute Nacht, wieder einmal haben wir mit der Wahl unseres Schlafplatzes Glück, strahlt heute Morgen die Sonne von einem blauen Himmel. Die norwegischen Berge liegen frei vor uns in leichtem Dunst. Der Abfluß des Sees rauscht stetig. Dieses Geräusch hatte uns auch durch den Schlaf begleitet. Als ich aufwache und dabei aus dem Fenster sehe, wird gerade eine Eisscholle von den Wassermassen aus dem See gedrückt. Ich verlasse den Schlafsack, schnappe mir die Kamera und eile zum Ufer, noch immer in Schlafsachen. Einige große und kleine Eisschollen sind hier am Sandstrand wie Schiffe aufgelaufen und bieten zusammen mit dem majestätischen Hintergrund des Sees und der ihn umgebenden Bergwelt ein einzigartiges Bild. Immer wieder reist sich die eine oder andere Scholle los, beschleunigt ihre Fahrt, strebt dem Abfluß zu, zerschellt in den Strudeln und wird zu Tal gerissen. Den ganzen Morgen geht das so.

Nach dem Frühstück hält uns nichts mehr in der Hütte. Waschen ist angesagt. Zunächst Ganzkörperwäsche. Sascha und ich, später auch die Anderen, besteigen eine riesengroße, nahe dem Ufer gelegene Eisscholle. Danach waschen wir uns zwei Meter von ihr entfernt im seichten Uferwasser des Sårjåsjaure. Obwohl direkt neben dem Eis ist es gar nicht mal so kalt. Die Sonneneinstrahlung hat das Oberflächenwasser aufgeheizt. Einige nehmen sogar ein Vollbad. Unterdessen treibt unsere 300 qm große Scholle langsam, dann immer schneller werdend dem Ablauf des Sees entgegen, kommt dort richtig in Fahrt und zerschellt an den Felsen des Ufers und unter Wasser, nicht ohne uns beträchtliche Mengen von Eisblöcken auf die Ufer zu werfen. Danach waschen wir unsere dreckigen Klamotten mit Kernseife und legen sie zum Trocknen auf die von der Sonne angewärmten Felsen rings um die Hütte. Das ist Fahrtenglück! Wer kann behaupten, schon einmal bei so einer Aussicht Wäsche gewaschen oder sich selbst gebadet zu haben! Wer konnte am Sårjåsjaure schon einmal dem Schauspiel beiwohnen, das wir gesehen haben? Nur wenigen Menschen blieb dies vergönnt.

Nach dem Mittagessen zieht es doch tatsächlich einige besonders Wagemutige zurück in den See zum Baden. Für die Anderen heißt das Nachmittagsprogramm Dösen, Ausruhen, Lesen, Singen und dies und das. Irgendwann tauchen dann an unserem Strand auch wieder größere Eisschollen auf. Bei den draußen herrschenden sommerlichen Temperaturen hält es die Bande nicht mehr in der Hütte: tatsächlich und kein Scherz, wir Surfen auf treibenden Eisschollen. Außerdem entbrennt eine Schneeballschlacht. Leider treiben die Schollen ab einem bestimmten Punkt zu schnell auf den Abfluß zu, so daß es sich nur um ein temporäres Vergnügen handelt.

Die Sonne zieht weiter ihre Bahn. Ganz unterschiedlich sieht die Landschaft in ihrem Licht aus. Es war eine gute Idee, noch diesen Tag hier zu verbringen. Erst spät essen wir heute zu Abend. Danach der übliche Zeitvertreib mit Logbuch, Gitarre...

Blau
Der Sårjåsjaure
Liegt im Sonnenschein.
Meine Füße werden kalt.
Schneeschmelze.

Mittwoch, der 30. 6. 1999
Weiß und blaugrün-opaleszierend treiben die Eisschollen auf ebenfalls blaugrünem Wasser. Kleine und große, dickere und dünne sind dabei wirr durcheinandergewürfelt. Still und träge liegt der Bajit Sorjosjávri in der Nachmittagssonne. Nur einige kleine Wellen kräuseln seine Oberfläche. In ihnen spiegelt sich glitzernd die Sonne. Die Berglandschaft hier kennzeichnet sich durch Berge mit vereisten Flanken, die zwar steil ansteigen, aber oben lange, abgerundete Rücken tragen. Pflanzenbewuchs ist sehr spärlich vorhanden. Außer wenigen Moosen und Flechten noch Gräser und Bodenblüher. Ansonsten prägen Steine und Felsen das Bild. Die 836 m hoch gelegene Sorjoshytta, die erste Hütte auf norwegischem Territorium, auf der wir die Nacht verbringen werden, liegt etwas oberhalb des Sees am Fuß des Sorjoscohkka-Massivs.

An diesem Morgen brachen wir für unsere Verhältnisse zeitig auf. Nach dem Kartenstudium hätte es eigentlich eine recht leichte Etappe werden sollen, führt doch der Weg stetig in der Nähe des See-Ufers entlang. Doch die hohen Temperaturen der letzten Tage hatten die Wiesen und Geröllfelder an den Abhängen des Staddatjåkkå in matschiges und sumpfiges, höchst schwierig zu durchwanderndes Terrain verwandelt. Schnee- und Eisfelder befanden sich im steten Schmelzen und da es oberhalb des Pfades ständig Schneefelder gab, bedeutete dies für uns, daß trockene Stellen rar waren. So stolperten wir also mit feuchten Schuhen gen Norwegen. Etwa 1 km vor der Grenze, der Höhepunkt des heutigen Tages: An den auslaufenden Abhängen des Staddatjåkkå, auf halber Höhe in etwa 500 m Entfernung voraus lagerte in einer kreisförmigen Gruppierung eine Herde Rentiere auf einem Schneefeld. Als wir uns näherten, floh die Herde zunächst den Abhang hinunter und näherte sich uns dabei so weit, daß wir auch die einzelnen Tiere unterscheiden konnten. Es gab viele Jungtiere in der Herde, die stets in der Nähe ihres Muttertiers blieben. Ab und zu konnte man die Glocken der Härks, der Renochsen vernehmen, die den Samen zum Wiederauffinden der halbwilden Tiere dienen. Bis über die norwegische Grenze konnten wir die Herde beobachten, bis sie sich vor uns in die Hänge des Svart-hammaren in Ruhe brachte. Kurz danach dann gab es für unsere Fahrtengruppe das größte Hindernis bisher zu meistern. Vom Sulitelma-Sorjoscohka-Massiv kommend, stellte sich uns ein sehr breiter, tiefer und überdies reißender Gletscherfluß in den Weg. Die ersten Arme des sich verästelnden Deltas konnten wir noch von Stein zu Stein springend überwinden. An den drei Hauptarmen jedoch scheiterte diese Taktik. Da half nur furten. Der erste Arm war breit und tief. Bis zu den Knien rauschte das Wasser unter uns talwärts. Am zweiten Arm war die Strömung so schnell, daß man den Grund kaum erkennen konnte. Der dritte Arm schließlich war das tiefste Gewässer, daß wir bislang zu furten hatten. Bis über die Knien stand es. Der Erfolg der Aktion: diverse nasse Schuhe und Hosen. Frédéric war hinterrücks ganz ins Wasser gefallen. Sogar der Rucksack hatte etwas abbekommen. Im Anschluß daran mußten wir uns noch um einen 1227 m hohen Vorgipfel des Sorjoscohka herumkämpfen. Zwar verlief der Pfad fast auf Seehöhe, war jedoch schwer begehbar. Geröllfelder wechselten sich ab mit Schneefeldern und kurzen grasigen Stücken. Es ging oft leicht hoch und runter, eher querfeldein als auf einem gespurten Weg. Und auch hier fast alles naß. Von Pfütze zu Pfütze hangelten wir uns vom vuolit Sorjosjávri zum bajit Sorjosjávri. Hier ein einmaliges Bild: majestätisch schillern Eisschollen auf der Wasseroberfläche. Die Hütte sollte eigentlich langsam auftauchen. Aber nach jeder Bucht kommt noch eine weitere. Endlich, am Zufluß des Sees die Sorjoshytta.

Auf das Mittagessen, das gegen 16 Uhr gegessen war, folgte das Abendessen, verlängert um einen Babybreinachtisch. Mittlerweile warten wir auf das Nachtmahl. Ebenfalls Babybrei. Jetzt, gegen Ende der Wander7ung, wir werden aller Voraussicht Morgen Sulitjelma erreichen, können wir ja unsere Vorräte verprassen. Jetzt haben wir ja reichlich, sind wir doch sehr gut von Kvikkjokk aus durchgekommen. In der Zwischenzeit sonnt man sich in der warmen, über den See herüberscheinenden Nordlandsonne. Und erstaunlicherweise gibt es hier trotz Windstille keine Mücken! Der Himmel ist blau und läßt auch für den morgigen Tag gutes Wetter erahnen. Trotz des Sonnenscheins und der damit schon verbundenen Wärme in der Hütte, bollert hinter mir noch ein Jøtul-Kanonenholzofen und trägt zur Wärmeentwicklung bei. Einige Sachen sollen nämlich noch getrocknet werden.

Grün
Die Eisscholle
Treibt im Wasser.
Ich sehe ihr nach.
Lapplandsommer.

Donnerstag, der 1. 7. 1999
Wohl und Wehe einer Fahrt liegen oft nahe beieinander. Dies sollten wir heute wieder erfahren. Doch der Reihe nach.

Am Morgen lag der Sorjosjávre still und klar vor uns. Die Eisschollen waren über Nacht aus unserer Bucht herausgetrieben worden. Bestes Wetter: Sonne und blauer Himmel. An ein Mißlingen unserer heutigen Mission, dem Durchbruch zurück in die Zivilisation nach Sulitjelma zu schaffen, war nicht zu denken. Relativ schnell ging heute sowohl das Frühstück, als auch das Zusammenpacken in der Hütte von sich, denn jeder wußte auch, daß uns durchaus noch ein gutes Stück Arbeit bevorstand. Gleich nach dem Beginn der heutigen Etappe hatten wir den Zufluß des Sees unterhalb eines mächtigen Schneefelds zu furten. Anschließend folgte ein kurzer, aber steiler Anstieg in ein kleines Hochtal, dessen Verlauf wir folgten. Eigentlich gab es heute keinen richtigen Pfad oder Weg. Vielmehr konnten wir uns während der gesamten Zeit nur von Fjellmarkierung zu Fjellmarkierung vorwärtskämpfen. Querfeldein. Über Schutt, Geröllhalden, Schneefelder und sumpfige Stellen. Oder gleich direkt durch Bäche oder Flüsse. Michael stürzte während einer Bachüberquerung. Der Aufprall war schmerzhaft, ansonsten glücklicherweise nicht weiter schlimm. Jetzt folgte der richtige Aufstieg auf über 1000 m. Gerade an der steilsten Stelle mußten wir halten, um die Regenrucksackabdeckungen überzuziehen, weil es aus der Richtung, in die wir zogen, Süd-Westen, anfing, leicht zu tröpfeln. Mittlerweile waren mit dem auffrischenden Wind nämlich auch dicke, graue Wolken aufgezogen. Nur wenig später zwei Negativmeldungen auf einmal. Zum einen fing es nun wirklich heftig an zu gießen. Also wieder Halt und Ponchos raus. Zum anderen hatten wir bei der Entscheidung, welchem Taleinschnitt zur Überschreitung unseres höchsten Punktes wir folgen sollten, natürlich prompt den falschen gewählt und steckten nun am Ende eines Schneefeldes ohne weitere Fjellmarkierung in Sicht in Schwierigkeiten. Für die Gruppe hieß es in dieser Situation hinkauern, abwarten und den Regen über sich ergehen lassen. Für mich hieß es, einen alternativen Weg zurück zu den Markierungen zu finden. Nachdem ich auf den eigentlich zu umrundenden Gipfel (1058 m) geklettert war, konnte ich die Fährte wieder aufnehmen und kehrte zur Gruppe zurück, um sie zu holen. Nach der Überquerung des höchsten Punktes führte der Pfad zunächst abwärts, um in den Talkessel des dick mit Eisschollen bedeckten bujt Sorjosjåvras zu führen. Die guten Höhenmeter hatten wir demnach ganz umsonst gestiegen. Zum Glück hörte der dicke Regen auf, so daß wir zwar mit Ponchos gehen mußten, dabei aber auf die Kapuzen verzichten konnten. Die Szenerie hier oben war trotz schlechter Sicht eindrucksvoll, bestimmt von Geröll, Schneefeldern und Wasser. Pflanzenwuchs, außer wenigen Moosen und Flechten, Fehlanzeige. Nicht genug damit, gerade wieder abgestiegen zu sein, mußten wir uns nun erneut in die Höhe kämpfen. Diesmal über das bislang steilste Schneefeld dieser Fahrt. Diese Etappe powerte uns schon ganz schön aus. Trotzdem war die Stimmung gut im Gedenken an alle Wohltaten der Zivilisation, die uns in Sulitjelma ja bevorstehen würden. Nach dem zweiten Anstieg dann der sehr steile Abstieg in den Talkessel des Storelvvatnan, der, von oben besehen, malerisch gelegen war. Unten angekommen verstauchte sich Frederik nochmals seinen eh schon lädierten Fuß, konnte aber glücklicherweise weiter gehen. Außerdem mußten wir den Zufluß des Storelvvatnan furten, war die früher zu diesem Zweck gebaute Hängebrücke doch mittlerweile ein Opfer irgendeiner Schneeschmelze geworden. Müde und hungrig entschieden wir nach der Furt darauf, an Ort und Stelle Mittagessen zu kochen. Mit vollem Magen danach der letzte Aufstieg. Mittlerweile war dichter Nebel mit Sichtweiten um die 20 bis 30 m aufgezogen, außerdem regnete es schon wieder. Die Fjellmarkierungen waren bei dieser Sicht das ein ums andere Mal nur schwer zu erkennen und ich fürchtete schon, den Weg zu verlieren, doch es ging immer gerade so. Mitten hinein in diese Schwierigkeiten platzte die Erkenntnis, uns plötzlich auf einer Fahrstraße zu befinden. Und als hätte dies nicht gereicht, klarte es zusehends auf und wir konnten Blicke auf das tief unter uns liegende Sulitjelma-Tal werfen. Die Stimmung wurde euphorisch. Wir hatten´s geschafft. Der Durchbruch war gelungen, die restlichen paar Kilometer nur noch Formsache. Auf der Fahrstraße ins Tal. Zuerst an Ny Sulitelma vorbei, das heute nur noch aus zwei Häusern besteht, dann mit tollem Blick auf den Langvatnet im Sonnenschein, runter nach Sulitjelma. Ein durchaus noch langer und auf die Knochen gehender Marsch, ging es doch immer steil bergab. Und dann stehen wir an der weißen Holzkirche und sind erleichtert und auch wieder nicht. Denn mittlerweile ist es spät geworden, den letzten Bus nach Fauske haben wir verpaßt und der Campingplatz liegt noch einmal 4 km weit von unserem jetzigen Standpunkt entfernt einen Berg hoch. Das können und wollen wir uns nicht mehr antun heute. Alles andere geht auch schief. Die Geschäfte, auf die wir gehofft hatten, haben zu Natürlich kurz vor unserem Eintreffen. Ein Telefon, um uns in Deutschland zurückzumelden, gibt es hier auch nicht und die Unterkunftssituation sieht schlecht aus. Außerdem haben wir kein Wasser mehr. Nach langem hin und her, Für und Wider, beschließen wir, uns in den Eingang eines alten, zugesperrten, modrig riechenden Stollens mit unseren Schlafsäcken zu legen. Zwar ist dieser Punkt direkt an der Verbindungsstraße zu Fauske gelegen, aber sollte Regen aufkommen, können wir hier alle trocken liegen. Das ungewöhnlichste und unwirtlichste Quartier dieser Fahrt wird bezogen. Die Mücken sind unser ständiger Begleiter. Zum Abendessen kochen wir auf den Trangias zwei Essen aus den Restbeständen unserer Vorräte, nachdem wir bei der Feuerwehr von Sulitjelma Wasser nachfassen konnten. Danach werden Wachen verteilt und ab geht´s in die Schlafsäcke Durchaus ungemütlich. Dazu kommt noch, daß die Norweger hier keine Ruhe geben und ständig zu Fuß, noch lieber aber mit dem Auto, auch noch mitten in der Nacht, an uns vorüberdüsen. Wir fragen uns, ob die nicht arbeiten müssen und hoffen auf Morgen früh 10 Uhr. Dann öffnet nämlich hier der Supermarkt!

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